Nicht nur für die einzelnen Spieler sondern auch für das gesamte Land scheint die Nationalelf eine gewisse Magie zu besitzen. Die Nationalmannschaft schafft einen sozialen Mehrwert für die Gesellschaft, indem sie eine persönliche und gesellschaftliche Vorbildfunktion einnimmt, integrierende Wirkung entfacht und für Gemeinschaftserlebnisse der Nation sorgt.
Die Nationalspieler besitzen Vorbildfunktion: Das Team als Mittler von Werten
Die Nationalmannschaft als Ansammlung von Stars besitzt Vorbildcharakter und dient als typischer Mittler von gesellschaftlichen Werten, was durch die Auswertung der Umfrage bestätigt wird. Fast 40% aller Teilnehmer sehen in ihrem Lieblingsnationalspieler ein persönliches Vorbild; über zwei Drittel (68%) sehen in ihm ein gutes Vorbild für die Gesellschaft.
Hierbei ist interessant zu beobachten, dass die Befragten in ihrem Lieblingsspieler allerdings eher ein Vorbild für andere als für sich selbst sehen. Dieses Phänomen konnte bereits in der Umfrage mit Bundesliga-Fans beobachtet werden (Schmidt/Hogele, 2011). Beim Vergleich der Werte wird ein interessanter Unterschied ersichtlich: Wahrend die Lieblingsspieler aus der Bundesliga zu 55% als gesellschaftliches Vorbild gesehen werden, stimmen dieser Aussage im Falle der Nationalspieler sogar zwei Drittel (68%) der Befragten zu.
Eine detaillierte Analyse der Kriterien für die Auswahl des Lieblingsspielers zeigt das interessante Ergebnis, dass dem Verhalten der Nationalspieler neben dem Platz eine ebenso hohe Bedeutung wie dem Verhalten und der Leistung des Spielers auf dem Platz beigemessen wird.
Fans eifern den Verhaltensweisen ihrer Idole nach, wodurch bestimmte Werte und Ansichten der Nationalmannschaft an ihre Anhänger vermittelt werden. Vor dem Hintergrund der enormen Popularität und Reichweite der Nationalelf ist hiermit natürlich eine hohe Verantwortung verbunden, die es für die Nationalspieler auch außerhalb des Platzes wahrzunehmen gilt.
Zahlreiche aktuelle und ehemalige Nationalspieler wie z.B. Christoph Metzelder, Per Mertesacker, Manuel Neuer oder Philipp Lahm unterhalten eigene Stiftungen und unterstutzen karitative Veranstaltungen. Die Nationalmannschaft verpflichtet sich zudem der gesellschaftlichen Verantwortung, einem der Grundwerte des DFB. So unterstutzt die Nationalmannschaft regelmäßig die DFL-Stiftung, die Kulturstiftung des DFB, die Sepp-Herberger-Stiftung, die Robert-Enke-Stiftung sowie weitere gemeinnützige Einrichtungen mit Millionenbetragen aus Benefizspielen. Diese sozialen Aktivitäten der Nationalmannschaft wirken sich auch auf die Spendenbereitschaft der befragten Fans aus. Die Umfrage ergab, dass mit steigender Identifikation der Befragten mit der Nationalmannschaft auch deren Spendenbereitschaft zunimmt. Zudem sind Fans eher bereit, an wohltätige Organisationen zu spenden, wenn die Nationalmannschaft dafür wirbt. Dies gilt erstaunlicherweise auch für Personen, die sich aktuell nicht aktiv für eine gemeinnützige Organisation engagieren.
Die »Inter-Nationalmannschaft« steht für Integration innerhalb der Gesellschaft
Die Nationalmannschaft steht als Repräsentant Deutschlands im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und wird häufig als ≫Spiegelbild der Gesellschaft≪ (Bierhoff) und Vorbild für Integration≪ (Merkel) bezeichnet.
Eine besondere gesellschaftliche Integrationswirkung, die von der Nationalmannschaft ausgeht, wird durch die Ergebnisse der Umfrage bestätigt. Eine deutliche Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass die Nationalmannschaft hinsichtlich Personen unterschiedlicher Herkunft oder Kulturen (88% Zustimmung) nicht nur integrationsfordernd wirkt, sondern auch zwischen unterschiedlichen Altersgruppen (75% Zustimmung) und sozialen Schichten (70% Zustimmung) sowie über Glaubensrichtungen (51% Zustimmung) hinweg als verbindendes Element dient (Abb. 23).
Besonderen Einsatz in dieser Hinsicht zeigen hierbei (ehemalige) Nationalspieler mit Migrationshintergrund wie z.B. Serdar Tasci und Cacau, welche sich als DFB Integrationsbotschafter aktiv für Integrationsbemühungen in Deutschland einsetzen. Ebenso engagiert sich Oliver Bierhoff in der Funktion des Managers der Nationalmannschaft als Schirmherr für den DFB und Mercedes-Benz Integrationspreis.
Die Nationalmannschaft als Quelle individuellen und kollektiven Wohlbefindens
Im Vergleich zu anderen Sportarten oder Mannschaftswettkämpfen steht gerade bei Spielen der Fußball-Nationalmannschaft neben dem sportlichen Ereignis das Gemeinschaft stiftende Element im Mittelpunkt. So gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, dass sie Fan der Nationalmannschaft sind, weil die Spiele der Nationalmannschaft für sie ein ≫gesellschaftliches Erlebnis≪ darstellen. Durch ein verbindendes, soziodemografisch übergreifendes Event wie das ≫Gemeinschaftserlebnis Nationalmannschaft≪ wird laut wissenschaftlichen Studien ≫sozialer Klebstoff≪ erzeugt (Putnam, 1995), der die Mitglieder einer Gesellschaft zusammenhält. Damit leistet die Nationalmannschaft einen Beitrag zur Schaffung von sogenanntem ≫Sozialkapital≪ (Cox, 1995; Sutton et al., 1997).
Die Nationalmannschaft ist offensichtlich in der Lage, ein gesamtgesellschaftliches Massenphänomen hervorzurufen. Sie erreicht insbesondere wahrend EM- und WM-Turnieren auch Personen, die sich ansonsten nicht für Fußball interessieren.
So wurde der Gefühlsrausch des ≫Sommermärchens 2006≪ wohl nicht allein durch das Sportereignis an sich, sondern vor allem durch die gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnisse in der Gruppe ausgelost. Public Viewing ist nach der WM 2006 in Deutschland auch auf andere Fußballwettbewerbe übertragen worden. Das kollektive Fußballschauen wird mehr denn je zur sozialen Konvention und bildet so den ≫sozialen Klebstoff≪, der für den Bestand der Gesellschaft unerlässlich ist.
Dadurch, dass die Fußball-Nationalmannschaft in Deutschland als Aushängeschild und Vertreter der gesamten Nation wahrgenommen wird, erfolgt eine gefühlte Gleichsetzung des Teams mit dem ganzen Land. Aus der Auflösung der Grenzen zwischen Heimatland und Nationalmannschaft ergeben sich Wechselwirkungen zwischen der Teamidentifikation (≫Fan der Mannschaft≪) und Patriotismus (≫Fan des Landes≪). Damit ruft die Nationalmannschaft insbesondere wahrend EM- und WM-Turnieren einen gesteigerten Fußballpatriotismus in Deutschland hervor (Mutz, 2013; Schediwy, 2012).
Die Tragweite der gesellschaftlichen Wirkung der Nationalmannschaft wird durch die Umfrageergebnisse bestätigt. So geben 95% der Umfrageteilnehmer an, dass die Leistung der Nationalmannschaft die Stimmung im Land beeinflussen kann.
Zitatesammlung:
Per Mertesacker (Nationalspieler): »Der Mehrwert einer erfolgreichen, sympathischen Nationalmannschaft ist nicht nur für den Fußball, sondern auch für das gesamte Land sehr groß.«
Christoph Metzelder (ehemaliger Nationalspieler): »Nationalspieler besitzen nicht nur eine sportliche Verantwortung auf dem Fußballplatz, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung neben dem Platz.«
Marco Reus (Nationalspieler): »Natürlich hat man als Nationalspieler auch eine gewisse Vorbildfunktion – für manche ist man ein fußballerisches Vorbild – für andere in der Art und Weise, wie man sich verhält. Das gehört dazu und dessen bin ich mir auch bewusst.«
Thomas Müller (Nationalspieler): »Ich bin mir schon bewusst, dass vor allem viele Kinder und Jugendliche zu mir aufschauen, und dementsprechend muss ich mich auch verhalten. Man sollte sich stets bewusst sein, dass man auch Vorbild für andere ist, aber das macht ja auch Spaß.«
Franz Beckenbauer (Fußballfunktionär): »Überall auf der Welt schauen Kinder und Jugendliche, wie sich ihre Fußballidole verhalten, was sie so treiben, auch wenn sie nicht auf dem Platz stehen. Sie eifern ihnen nach und übernehmen vieles, ohne groß darüber nachzudenken, Gutes und auch nicht so Gutes.«
Axel Balkausky (Sportchef, ARD): »Der Fußball ist der größte gesellschaftliche Kitt, der momentan existiert. Es gibt sonst nichts mehr, was in der Gesellschaft so verbindet und zusammenführt wie der Fußball und dabei insbesondere natürlich die Nationalmannschaft.«
Cacau (ehemaliger Nationalspieler): »Deutschland ist ein buntes, weltoffenes Land. Dafür steht unsere Nationalmannschaft, genauso wie viele Mannschaften und Vereine in ganz Deutschland.« (dfb.de)
Mesut Özil (Nationalspieler): »Egal, welchen Hintergrund einer hat, ob Türke oder Tunesier – wir bei der Nationalmannschaft sind wie eine kleine Familie. So soll es auch überall in Deutschland sein.«
Wolfgang Niersbach (DFB-Präsident): »Die Lebensläufe der Nationalspieler sind ein Abbild der Gesellschaft – sie zeigen was alles möglich ist.«
Horst R. Schmidt (Fußballfunktionär): »In der Integrationsdebatte wird oftmals herausgestellt, dass es neben dem DFB kaum eine andere Einrichtung oder Bewegung im Land gibt, die in ähnlicher Weise erfolgreich integrierend auf die Gesellschaft wirkt.«
Helmut Sandrock (Fußballfunktionär): »Fußball besitzt eine enorme integrative Kraft. Er zeigt anschaulich, wie soziale Barrieren überwunden werden können.«
Prof. Dr. Wolfgang Huber (ev. Theologe): »Wir erleben durch die Nationalmannschaft einen Fußballpatriotismus und keinen Fußballnationalismus, d.h. wir sind stolz auf die eigene Leistung, zeigen aber gleichzeitig Respekt für die Leistung anderer Nationen.«
Jens Mende (Sportjournalist, dpa und Buchautor): »Die WM 2006 war ein Wendepunkt in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Die Nationalmannschaft hat es durch die WM geschafft, den deutschen Nationalstolz wieder herzustellen. Das Verlangen war in der Bevölkerung schon lange da, doch erst Klinsmann hat es wieder salonfähig gemacht.«
Aus: Schmidt, Prof. Dr. Sascha L.; Bergmann, Andreas: Wir sind Nationalmannschaft - Analyse der Entwicklung und gesellschaftlichen Bedeutung der Fußball-Nationalelf. ISBS Research Series – Issue 7. 2014. S. 31ff.
Externer Link: www.ebs.edu/dfbstudie (06.06.2014)
Arbeitsaufträge:
Einzelarbeit
Gruppenarbeit
Beschreibt den Einfluss der Nationalmannschaft auf die Gesellschaft.
Welche Funktion haben dabei die Nationalspieler?
Erstellt ein Schaubild mit euren Ergebnissen.
Eine Druckversion des Arbeitsblatts steht als Interner Link: PDF-Datei zur Verfügung.