Jugendliche zu EM 2008 und Nationalbewusstsein
Nachdem sich bereits zur Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land Schulen in ganz Deutschland an einer Befragung zum Thema "Fußball und Nationalbewusstsein" beteiligt haben, wurden auch anlässlich der Euromeisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz Schülerinnen und Schülerinnen zu ihrer Einstellung zum Fußball und zum Nationalgefühl befragt. Der Fragebogen für die Jugendlichen stand in der Zeit von Anfang Juni bis Anfang Juli 2008 im Internet zur Verfügung. Die erhobenen Daten sind nicht repräsentativ und geben lediglich ein Meinungsbild deutscher und österreichischer Jugendlicher zum Thema wieder - was die Ergebnisse nicht weniger spannend macht.
Erfreulicherweise konnten mit dem Ende der Fußball-Europameisterschaft 2008 über 850 Fragebögen ausgewertet werden, von denen immerhin 22% (187) von österreichischen Schülerinnen und Schülern beantwortet wurden. Aus der Schweiz und anderen Ländern war leider nur eine sehr geringe Beteiligung zu verzeichnen, während der Großteil der Befragten mit über 76% (650) aus Deutschland kommt. Die meisten Befragten (über 82%) sind zwischen 12 und 19 Jahren alt. Fast 17% sind 20 Jahre oder älter. Es haben sich etwas mehr Jungen (54%) als Mädchen (46%) an der Befragung beteiligt.
Großes Interesse an der Euro 2008
Wie schon bei der Weltmeisterschaft 2006 war auch das Interesse an der Fußball-Europameisterschaft 2008 sehr groß. Auf die Frage "Welche Spiele schaust du dir an?" antwortete die große Mehrheit mit 55,6% "Möglichst alle Spiele" und weitere 25% wollten möglichst alle Spiele "ihrer" Mannschaft sehen. Bei dieser Frage sind vor allem die Unterschiede zwischen den Geschlechtern interessant (siehe Abb. 1). Auch wenn sich alle Befragten mehrheitlich möglichst alle Spiele anschauen möchten, so ist der Anteil bei den Jungen mit 61,9% gegenüber dem der Mädchen mit 42,3% viel höher. Bei den Schülerinnen erkennt man deutlich, dass ihr Interesse an der EM besonders dann groß ist, wenn die deutsche Mannschaft spielt. Überraschend ist, dass die Gruppe derjenigen, die sich gar kein Spiel ansehen, bei beiden Geschlechtern ähnlich groß beziehungsweise klein ist.
Bei der Frage "Wer wird Europameister?" lag die deutsche Mannschaft insgesamt sehr hoch im Kurs: 46,3% aller Befragten sahen die Deutschen als Sieger im Endspiel. 12,4% gaben bei dieser Frage "Spanien" an, wobei man davon ausgehen muss, dass einige Schülerinnen und Schüler die Befragung erst gegen Ende oder sogar kurz nach der Euro 2008 durchgeführt haben, als bereits einige Mannschaften ausgeschieden waren oder sogar der Sieger schon feststand. Während des Turniers waren nur 7,8% der Meinung, dass Spanien Euromeister wird (Stand der Zwischenauswertung: 18.06.08). Für die Niederländer votierten 12,3% der Befragten - bei der Zwischenauswertung waren es noch 14,5%. Portugal wurde am Ende immerhin noch von 9,4% (Zwischenauswertung: 11,9%) und Russland von 6,1% (Zwischenauswertung: 4,3%) als Favorit gehandelt. Die deutschen Jugendlichen waren zu 54,9% optimistisch, dass "ihre eigene" Mannschaft Europameister wird, dagegen nur 8,6% der Befragten aus Österreich. Hier scheint die Einschätzung um die sportliche Leistung der eigenen Nationalmannschaft den Ausschlag zu geben.
Fußball ist - besonders bei den großen internationalen Turnieren - ein "Mediensport". Dies zeigen die Ergebnisse auf die die Frage danach, wie die Spiele gesehen werden (siehe Abb. 2). Live im Stadion sind die Jugendlichen seltener dabei, häufig werden die Spiele im Fernsehen geschaut. Gerade bei denjenigen, die sich Fußballspiele vor allem bei Großereignissen ansehen, hat dabei der heimische Fernseher mit 38,7% inzwischen das Nachsehen gegenüber den "Public Viewing"-Angeboten (40,2%).
Gefragt nach ihrem Wissen über Fußball antworten über 61% der Jugendlichen mit "sehr viel" oder "viel". Der Anteil der Mädchen, die ihr Wissen als eher gering einschätzen, ist bei dieser Frage immer noch sehr viel höher als bei den Jungen (siehe Abb. 3). Auch bei den "aktiven Fußballern", die regelmäßig mit Freunden oder im Verein Fußball spielen, ist der Anteil der Mädchen verschwindend gering. Nur 5,6% von ihnen spielen "oft" oder "sehr oft" im Verein (Jungen: 29,1%), immerhin 29,1% der Mädchen spielen "oft" oder "sehr oft" mit Freunden (Jungen: 59,6%).
Im Zusammenhang mit internationalen Fußball-Turnieren interessieren sich die Jugendlichen vor allem für die Spiele und die Fußball-Stars (siehe Abb. 4): sowohl beim "sehr starken" wie auch beim "starken" Interesse liegen diese Antwortmöglichkeiten vor allen anderen. Auch die Begegnung mit Menschen erhält noch relativ hohe Werte, an den Ländern der EM-Teilnehmer sind die Jugendlichen am wenigsten interessiert.
Fans der Nationalmannschaft
Bei der Frage nach der für die Jugendlichen wichtigsten Mannschaft liegt die Nationalmannschaft bei allen Befragten mit 55,1% weit vor den Profimannschaften aus der 1./2. Bundesliga (15,8%) oder der eigenen Fußballmannschaft (10%). Den Ausschlag geben hierbei vor allem die Mädchen, die mit 62,5% der Nationalmannschaft weit überdurchschnittlich die Treue halten (siehe Abb. 5). 13,8% sind gar nicht Fan irgendeiner Fußballmannschaft; bei den österreichischen Jugendlichen sind es sogar 19,8%.
Noch deutlicher wird der Rückhalt, den "unsere Jungs" bei den Jugendlichen haben, wenn man die Frage "Bist du ein Fan der Nationalmannschaft deines Landes?" betrachtet. 61% aller Befragten bejahen diese Frage "auf jeden Fall", immerhin noch 24,6% "im Großen und Ganzen".
Bei der Auswertung nach dem Geschlecht ist erkennbar, dass die Nationalmannschaft für die Jungen von größerer Bedeutung zu sein scheint: 66,3% der männlichen gegenüber 54,9% der weiblichen Befragten sind "auf jeden Fall" Fan ihrer Nationalmannschaft. Deutsche Jugendliche sind mit größerer Überzeugung Fan ihrer Nationalmannschaft: 65,8% sagen "Ja, auf jeden Fall", bei den Österreichern nur 39,9%.
Fragt man nach den Gründen für das "Fan-Sein", findet die Aussage "weil sie für unser Land steht" mit 48,7% weitaus mehr Zustimmung als die Aussage "weil sie guten Fußball spielt" (8,8%). Besonders deutlich ist das bei den Jugendlichen aus der Alpenrepublik zu sehen (siehe Abb. 6). Immerhin 36,6% aller Befragten nennen aber "beides" als Grund für ihre Anhängerschaft.
Bei der Gruppe derjenigen, die sich nicht als Fan ihrer Nationalmannschaft sehen, finden sich vor allem die Jugendlichen, die sich überhaupt nicht für Fußball interessieren (32%). Als weitere Gründe gegen die Anhängerschaft werden vor allem die Identifikation mit einer anderen Nationalmannschaft (24,7%) und die Offenheit für alle Mannschaften, die guten Fußball spielen (18%) genannt (siehe Abb. 7). Herauszustellen ist hier noch die Meinung der österreichischen "Nicht-Fans", die zu 23,2% sagen, dass der Grund sei, dass die Nationalmannschaft keinen guten Fußball spielt. Bei den Deutschen meinten das lediglich 4,6% der Befragten.
Jugend und Nationalbewusstsein
Die Fußball-EM bietet - wie auch schon die Weltmeisterschaft - in den Augen der Jugendlichen eine gute Gelegenheit, Nationalbewusstsein unbefangen öffentlich zu zeigen. Dies wird auch am Ergebnis der Online-Befragung im Rahmen dieses Projektes deutlich.
Auf die Frage "Stell dir vor, du siehst ein Spiel deiner Nationalmannschaft: Kleidest oder schminkst du dich in den Nationalfarben?" stimmen 36,6% der Befragten "auf jeden Fall" und 29,5% "ja, vielleicht" zu. Nur für 12,9% kommt das "auf gar keinen Fall" in Frage. Vergleicht man die Antworten der beiden Geschlechter auf diese Frage, stimmen die Mädchen der nationalfarbenen Kleidung sogar noch häufiger zu als die Jungen – schwarz-rot-gold oder rot-weiß sind in Deutschland und Österreich zumindest während derartiger Sportereignisse scheinbar zum "Modetrend" geworden (siehe Abb. 8). Österreichische Jugendliche kleiden sich zu 41,9% "auf jeden Fall" in Nationalfarben. Bei den deutschen Befragten sind es mit 32,7% deutlich weniger.
Die farbenfrohen Fanauftritte werden mehrheitlich positiv bewertet: 35,7% aller Befragungsteilnehmer meinten "Jeder sollte zeigen, welchem Land er angehört" und 45,2% äußerten "bei einer EM gehört das einfach dazu". Auch diejenigen, die sich selbst nicht derartig kleiden würden, stehen den Fans in den Nationalfarben tolerant gegenüber: Der Aussage "Für mich selbst ist das nichts, aber die anderen können das ruhig machen?" stimmen 16,4% zu, nur 2,3% lehnen die Fan-Auftritte als "unpassend" ab.
Nicht nur die Nationalfarben, auch die Nationalhymne spielt bei der EM eine große Rolle. Mit der Frage nach den Empfindungen der Jugendlichen beim Abspielen der Hymne finden Gefühle wie Stolz (20,5%) oder Freude (17,3%) die weitaus größte Zustimmung. 19,7% der Jugendlichen singt die Hymne mit (siehe Abb. 9); bei den deutschen Jugendlichen sind es mit 20,9% mehr als bei den österreichischen mit 13,9%.Auch wenn es darum geht, einfach nur zuzuhören, liegen die deutschen Schülerinnen und Schüler mit 15,1% deutlich vor den österreichischen mit 8,9%. Negative Reaktionen wie "ich höre gar nicht hin", "ich kenne die Hymne meines Landes gar nicht" oder "ich drehe den Ton ab" werden von allen Befragten insgesamt nur sehr selten genannt.
Der Fragebogen enthält auch einige Fragen zur Verbundenheit mit dem Heimatland und zum Nationalstolz. Österreichische Jugendliche fühlen sich zu 60,2% "sehr eng" mit ihrem Land verbunden, bei den deutschen Schülerinnen und Schülern sind es 41,1% . Auf die Frage "Wie stolz bist du, Deutscher (bzw. Österreicher, Schweizer) zu sein?" antworten die meisten Jugendlichen zustimmend "sehr stolz" (34,8%) oder "ziemlich stolz" (43,5%). Die befragten Jungen sind im Vergleich zu den Mädchen noch etwas stolzer auf ihr Land: als "sehr stolz" bezeichnen sich 39,6% der Jungen, aber nur 29,1% der Mädchen (siehe Abb. 10). Auch bei beim Ländervergleich sind deutliche Unterschiede auszumachen (siehe Abb. 11).
Konkretisiert man die Frage und fragt danach, auf was die Jugendlichen im eigenen Land besonders stolz sind, bekommt der "Sport" bei weitem die meiste Zustimmung. Es folgen die "Art und Weise, wie die Demokratie funktioniert", der "politische Einfluss des Landes in der Welt" und die "gerechte und gleiche Behandlung aller gesellschaftlichen Gruppen" mit relativ hohen Werten. In der Zwischenauswertung zeigte sich, dass die (zu diesem Zeitpunkt noch fast nur aus Deutschen bestehenden Befragten) wenig stolz sind, wenn es um die "Geschichte" des Landes geht. Die These, dass es sich wahrscheinlich um ein typisch deutsches Empfinden handelt, kann zumindest im Rahmen dieser nicht-repräsentativen Befragung bestätigt werden. 38,6% der deutschen Befragten sind "überhaupt nicht stolz" auf die Geschichte ihres Landes, während sich bei den Österreichern lediglich 4,3% so strikt äußern. Dagegen sind 37% der befragten Jugendlichen aus Österreich "sehr stolz" auf die Geschichte und bei den Deutschen nur 11,4% (vgl. Abb. 12 und Abb. 13).
Der Stolz auf das eigene Land wird von den Jugendlichen mit überwältigender Mehrheit von "Nationalismus" abgegrenzt: Die Aussage "Man kann stolz auf sein Land sein und das hat nichts mit Nationalismus zu tun." erhält 90% Zustimmung, "Die Aussage "Ich bin stolz auf dieses Land" ist überholter Nationalismus." dagegen nur 10%. Bei den Mädchen ist die Zustimmung noch etwas höher als bei den Jungen (98,6% gegenüber 87,4%).
Das Thema "Sport und Nationalbewusstsein" bleibt auch nach der Fußball-Europameisterschaft 2008 spannend für die Beschäftigung im sozialwissenschaftlichen Unterricht. Große Sportereignisse, wie z.B. die Olympischen Spiele 2008 in Peking, bieten auch in Zukunft einen guten Anknüpfungspunkt für die (auch kritische) Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich.