Schwarz-Rot-Gold Fußball und Patriotismus von Cornelius Janzen
Deutschland, ein Fahnenmeer. Spätestens seit dem Fußballsieg gegen Griechenland ist der kollektive Rausch wieder da. Party-Patriotismus nennen Politiker und Medien das seit der WM 2006, weltoffen, unverkrampft und cool. "Ich finde Partypatriotismus ist für ein Land mit so einer düsteren Geschichte wie Deutschland - was den Nationalismus betrifft - etwas ganz Fantastisches", sagt Ulf Poschardt, stellvertretender Chefredakteur der "Welt am Sonntag".
Keilhauer: "Es gibt keinen gemäßigten Patriotismus"
Fußball ja, Patriotismus nein, danke - die Grüne Jugend will in München mit Aufklebern Fußballfans dazu bringen, auf nationale Symbolik während der Euro 2012 zu verzichten. Doch wer an der Selbstverständlichkeit des Zur-Schau-Tragens nationaler Symbolik rüttelt, landet schnell im Abseits. Ulf Poschardt bezeichnete die Aktivisten der Grünen Jugend in einem Artikel als "Antideutsche". Noch immer bekommt die Bundesgeschäftsstelle Hassmails von Fans, wie zum Beispiel diese: "Ihr seid richtig dumme, naive, kleine Arschlöcher. Schaut euch mal den Rest der Welt an, überall sonst ist man stolz auf sein Land". "Es gibt keinen gemäßigten Patriotismus", sagt Joel Keilhauer von der Grünen Jugend Bayern. "Es ist alles dasselbe. Es sind fließende Übergänge zum Nationalismus. Deswegen sehen wir nicht, dass es so etwas wie einen positiven Patriotismus gibt."
Aber ist Fußball denn nicht nur ein Spiel, bei dem das Runde ins Eckige muss und die Fans einfach ihren Spaß daran haben? Die Sozialpsychologin Dagmar Schediwy hat die Hypothese, "dass die Legende vom heiteren weltoffenen Fußballpatriotismus, die letzte große Erzählung ist, die dieses Land noch hat". Dagmar Schediwy hat im Zeitraum von 2006 bis 2011 während Weltmeister- und Europameisterschaften Interviews auf deutschen Fanmeilen geführt. Ihre Ergebnisse sind jetzt als Buch erschienen, das den Titel "Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold?" trägt. Darin betrachtet sie den neuen deutschen Fußballpatriotismus aus sozialpsychologischer Perspektive. Ihr Befund lautet, dass die nationale Überhöhung des Fußballevents auf die zunehmende wirtschaftliche Unsicherheit der Bevölkerung seit Hartz IV und Agenda-Politik zurückzuführen sei. "In dieser Gesellschaft, in der man eine Erosion des Sozialen feststellen kann, wo mit Hartz IV und der Finanzkrise die Gefahr eines Absturzes ins Bodenlose gewachsen ist, ist das Bedürfnis, sich seiner eigenen Zugehörigkeit durch die Bezugnahme auf die Nation zu versichern, immens gewachsen", stellt sie fest.
Sehnsucht nach verlorenem Wir-Gefühl
In einer Gesellschaft ohne gemeinsamen Nenner wird die Sehnsucht nach dem verlorenen Wir-Gefühl auf den Fanmeilen eingelöst. Seit 2006 tritt anstelle der Scham Stolz, der aufgrund der Nazi-Vergangenheit jahrzehntelang tabu war. Besonders für Jugendliche gehört Schwarz-Rot-Gold seitdem zum guten Ton. Seit 2006 ist der Stolz der Deutschen auf ihr "Vaterland" nachweisbar gewachsen - in einer Gesellschaft, in der Leistungsdruck und Individualisierung zunehmen. Schediwy erklärt das neue Streben nach Zugehörigkeit zur Nation mit Adorno und seiner Theorie der narzisstischen Kränkung. Wer im Alltag gedemütigt wird, sucht Zuflucht im Opium des Kollektivstolz. "Narzisstische Neurosen, also Neurosen, die mit dem Gefühl der persönlichen Unzulänglichkeit zusammenhängen, haben in dieser Gesellschaft enorm zugenommen", beobachtet Schediwy. "Die im Zwei-Jahres-Rhythmus anfallenden Fußballmeisterschaften bieten einfach die Möglichkeit, diesem Gefühl zu entfliehen, dass man persönlich ein Versager ist, der es persönlich nicht geschafft hat, in dem man einfach an den Erfolgen der Nationalmannschaft teil hat."
Der emotionale Bezug auf die Nation erhöht das Selbstwertgefühl - die Legende vom positiven Patriotismus jedoch lässt sich empirisch nicht halten. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer hat nach der WM 2006 eine Zunahme nationalistischer Einstellungen festgestellt - auch die Zahl rechtsextremer Straftaten stieg im selben Jahr auf Rekordniveau. Bei der WM 2010 wurde die multiethnische Zusammenstellung der deutschen Nationalmannschaft als Symbol für ein weltoffenes Deutschland gefeiert - kurz darauf avancierte Thilo Sarrazin zum Bestsellerautor. Erst Mitte Juni 2012 wurde mithilfe eines gefälschten Twitter-Accounts Nationalspieler Mesut Özil als Pass-Deutscher verunglimpft. "Ich habe schon während der WM 2010 die Fans gefragt, wie sie zu Nationalspielern mit migrantischem Hintergrund stehen", sagt Schediwy. "Eine Mehrheit hat das bejaht, aber es gab eine Skepsis, weil dann gesagt wurde, das ist dann keine Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft mehr, wenn das keine reinen ethnischen Spieler oder deutschstämmigen Spieler sind."
Misstrauen im Ausland
Im europäischen Ausland blickt man mit Argwohn auf Deutschlands neues Nationalbewusstsein. Das linksliberale Magazin "New Statesman" hat Kanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen als die gefährlichste Deutsche seit Hitler bezeichnet. Deutsche Dominanz weckt ungute Erinnerungen - auch abseits des Spielfelds. Joachim Gauck wünscht sich Nationalstolz als Ausdruck von Freude und Dankbarkeit über das Erreichte. "Der Stolz auf die eigene Nation ist immer mit der Abwertung anderer Gruppen verbunden", sagt Schediwy. Immer stehe der Vergleich zwischen einer und der anderen Nation im Vordergrund und es gebe einen Selbstwertsteigerungseffekt dadurch, dass man auf seine Nation stolz sei.
Deutschland gilt ökonomisch als Musterland, doch dieser Erfolg wurde mit der sozialen Polarisierung erkauft. Die Fanmeile ist der letzte Ort, an dem die Illusion der Gemeinschaft noch aufrechterhalten werden kann. "Das ist das Bedürfnis, dass alle an einem Gemeinschaftsgefühl teilhaben", sagt Schediwy. "Das ist etwas, was die mir geben wollen. Wollen Sie das haben? Intellektuell nicht, aber im Moment vom Gefühl her kann ich das annehmen, weil ich den Impuls, der dahinter steht, begreife." Der Fußball als Antwort auf die Frage, wo wir als Gesellschaft stehen - Dagmar Schediwys kritische Stimme kommt genau zur richtigen Zeit, denn erst langsam realisieren wir, wie der Neoliberalismus kollektive Identitäten verformt.
Aus: Janzen, Cornelius, Schwarz- Rot-Gold. Fußball und Patriotismus. Kulturzeit vom 25.06.2012, Im Internet: Externer Link: http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/163278/index.html (26.05.14)
Eine Druckversion des Arbeitsblattes steht als Interner Link: PDF-Datei zur Verfügung.