SWR-Sportredakteur Martin Thiel meint, dass ihre Herkunft manche Sportler mit mehr als nur einer Nationalhymne verbindet.
Natürlich sind Sportler stolz für ihr Land an den Start zu gehen. Und keiner kann sich den Emotionen entziehen die die Nationalhymne auslöst. Jeder Sportler wird mit stolzgeschwellter Brust da stehen, wenn sie erklingt. Aber in dieser Brust schlagen oft zwei Herzen. Gerade Sportler mit Migrationshintergrund haben Familie, Freunde in ihrer alten Heimat. Sie sind stolz auf ihre Herkunft. Warum sollen sie das leugnen? Die Sportler fühlen sich beiden Ländern verbunden.
Doppelte Herkunft
Ihr Leben findet oft zwischen zwei Welten statt, Das heißt, viele Deutsch-Türken, Deutsch-Italiener oder Deutsch-Griechen leben diese doppelte Herkunft in ihrem Alltag problemlos. Auf die Frage wer oder was sie sind, kommt oft die Antwort „beide Länder im Herzen zu haben“. Warum sollen sie also so tun, als gäbe es für sie nur die deutsche Seele, die deutsche Nationalhymne. Das wäre geradezu heuchlerisch. Und wollen wir Sportler, die nur aus Showzwecken die deutsche Hymne singen? Ist es nicht ehrlicher und besser, einen Jungen tunesischer Herkunft im Nationaltrikot zu haben, einen, der schwäbisch schwätzt und sich als Deutsch-Tunesier fühlt? Und für Deutschland spielt, weil er in Deutschland groß geworden ist. Niemand hat ihn je gezwungen, diese Identität aufzugeben. Und ich weiß nicht, ob Sami Khedira die tunesische Hymne singen würde.
Jerome und Mesut neben Fritz und Hansi
Warum muss man einen solchen Sportler in die Bredouille bringen und ihn zwingen, eine Hymne zu singen? Eine von zweien, die er hat. Aus Dankbarkeit? Muss Deutschland nicht dankbar glücklich sein, dass die Integration gelungen ist? Khedira steckt schon im Nationaltrikot, er bekennt sich zu einem Land, weil er sich als Sportler entscheiden muss. Im sogenannten "normalen Leben" gibt es diese Trennung wie gesagt nicht. Da gibt es eine duale Identität. Und das ist okay in einem toleranten, demokratischen Land. Deutsche Nationalspieler heißen eben nicht mehr nur Fritz, Karl-Heinz oder Hansi sondern Mesut, Sami und Jerome. Deutschland sollte stolz auf diese Spieler sein. Denn sie beweisen das Deutschland eine tolerante Demokratie ist. Geworden ist!
Tolerant sein
Geworden aus einer Diktatur, die unsere Hymne im Dritten Reich missbraucht hat. Aus historischen Gründen ist Nationalstolz in Deutschland eben nicht so selbstverständlich wie in Italien oder den USA. Wir sollten also tolerant sein und es jedem selbst überlassen, wie er mit seinem Emotionen in dem Moment umgeht, in dem die Hymne erklingt. Jeder sollte in einem freien Land frei entscheiden dürfen, ob er mitsingt oder nicht. Es vorzuschreiben wäre geradezu grotesk.
Aus: Thiel, Martin: Contra – Warum Sportler die Nationalhymne nicht singen müssen. Im Internet: Externer Link: http://www.swr.de/swr4/bw/programm/sag-wie-haeltst-du-s-mit-der-hymne/contra-warum-sportler-die-nationalhymne-nicht-singen-muessen/-/id=258008/did=10165952/mpdid=10165562/nid=258008/14qarj4/index.html (15.05.2014)
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