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Informationen zur politischen Bildung Nr. 357/2023

Bühne für die Politik? Sportgroßereignisse zwischen Nation Branding und Sportswashing

Jürgen Mittag

/ 19 Minuten zu lesen

Während die Ausrichtung von Sportgroßereignissen lange Zeit vor allem mit ökonomischen Erwartungen verbunden war, nutzten zuletzt autokratische Regime diese Events verstärkt für politische Ziele.

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (r.) – hier im Gespräch mit dem Chef des DFB Bernd Neuendorf – trägt während des Spiels zwischen Deutschland und Japan bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar am 23. November 2022 demonstrativ die One Love-Armbinde. Dem deutschen Kapitän wurde dies zuvor verboten. (© picture-alliance/AP, Matthias Schrader)

Sportgroßereignisse erregen weltweite Aufmerksamkeit und schüren über Grenzen hinweg Emotionen. Fußball-Welt- und Fußball-Europameisterschaften, Olympische Spiele, Tour de France- und Formel 1-Rennen, aber auch einzelne Finals wie der Super Bowl im American Football, das Endspiel der UEFA-Champions-League, die Finalspiele der Cricket-Weltmeisterschaften oder das Tennisfinale von Wimbledon mobilisieren global Menschen. Das Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft verfolgen Schätzungen zufolge weltweit rund eine Milliarde Zuschauende an den TV-Schirmen und auf öffentlichen Plätzen, den Super Bowl etwa 800 Millionen und einzelne olympische Wettbewerbe wie das 100-Meter-Finale der Männer immerhin noch etwa 200 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.

Sportgroßereignisse, Medien und Kommunikation

Unter dem Begriff Sportgroßereignis wird eine erhebliche Bandbreite von geplanten, zeitlich begrenzten, einmaligen oder wiederkehrenden Sportveranstaltungen zusammengefasst. Als weltweit wichtigste Sportgroßereignisse gelten die Olympischen Spiele und die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft der Männer.

Neben dem Prestige der Events spielen auch die Kriterien Größe und Reichweite eine maßgebliche Rolle, weswegen Wettbewerbe von Ländergruppen wie die Commonwealth Games, kontinentale Sportwettbewerbe wie die Asian Games und die Pan American Games oder Multisportveranstaltungen wie die World Games (die Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten) ebenfalls als Sportgroßereignisse bezeichnet werden, jedoch als second- bzw. third-order-Events. Zugrunde gelegt werden hierbei Zahlen zu beteiligten Sportlerinnen und Sportlern, zum Veranstaltungsbudget, zu beteiligten Betreuenden oder Funktionären und vor allem zu Zuschauenden vor Ort sowie am Fernsehen und in den sozialen Medien.

In Deutschland werden die TV-Quotenrekorde eines Jahres regelmäßig von Sportübertragungen erzielt. Den Allzeitrekord für TV-Einschaltquoten in Deutschland hält gegenwärtig das von der ARD gesendete Finale der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2014 in Brasilien zwischen Deutschland und Argentinien:
Im Durchschnitt verfolgten 34,65 Millionen Menschen das Spiel; dies entspricht einem Marktanteil von 86,3 Prozent. Selbst bei einem schlechten Abschneiden der deutschen Fußballnationalmannschaft stehen ausnahmslos Fußballspiele oben auf der Jahresbestenliste.

Erstmals zeigte sich im Jahr 2022 hier aber ein anderes Bild: Obgleich das TV-Ranking 2022 von Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar dominiert wird, steht das Finale der Fußball-Europameisterschaft der Frauen im Londoner Wembley-Stadion mit 17,9 Millionen Zuschauenden in Deutschland an der Spitze.

Mit Blick auf diese Zahlen sind sportbezogene Großereignisse nicht nur Sportmega-Events, sondern immer auch Medien-Events mit erheblicher Reichweite und hohem Mobilisierungspotenzial. Der Kommunikationsrahmen der Sportgroßereignisse erstreckt sich dabei weit über das eigentliche Event hinaus: Mittlerweile nimmt der medial inszenierte Spitzensport im Alltagsleben zahlreicher Menschen einen immer größeren Platz ein und führt zur tage- oder sogar wochenlangen Beschäftigung mit dem Ereignis selbst, mit dessen Hauptfiguren und den Rahmenbedingungen. Das Erregungs- bzw. Emotionalisierungspotenzial ist ebenfalls beträchtlich: Sportgroßereignisse erreichen eine breite Öffentlichkeit, darunter selbst Menschen, die sich normalerweise wenig für die ausgetragene Sportart oder sogar überhaupt nicht für Sport interessieren.

Die Anteilnahme kann von kollektiver Trauer bis hin zu Begeisterungsstürmen und nationaler Euphorie reichen, so etwa geschehen, als der senegalesische Präsident den Sieg „seiner“ Mannschaft gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich im Eröffnungsspiel der WM 2002 zum Anlass nahm, einen Nationalfeiertag zu deklarieren. Das saudi-arabische Staatsoberhaupt, König Salman, tat es ihm 2022 gleich, als er bei der WM in Katar nach dem überraschenden 2:1-Sieg von Saudi-Arabien über den späteren Weltmeister Argentinien ebenfalls einen nationalen Feiertag ausrief. Hingegen stürzte die 1:7-Niederlage Brasiliens gegen Deutschland im Halbfinale der WM 2014 ein ganzes Land in kollektive Trauer.

Die zum Teil weltweite Anteilnahme hat zur Folge, dass Sportgroßereignisse über Wochen zentrale Themen in Medien und Öffentlichkeit sind und andere wichtige Termine dem Zeitplan des Sportgroßereignisses untergeordnet werden. Die umstrittene Weltmeisterschaft in Katar im Jahr 2022 bot im Hinblick auf den politischen Charakter der WM sogar mehrere Jahre im Vorfeld Anlass für Kritik und Protest.

Der Bedeutungszuwachs von Sportgroßereignissen lässt sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen, sondern speist sich aus einem ganzen Repertoire von Veränderungen. Hierzu zählen neue technische Verbreitungsformen im Gefolge von Satellitentechnik und Digitalisierung, eine zunehmende Konkurrenz der Medienanbieter in globalen Märkten und die Inanspruchnahme des Sports für Vermarktungs- und Inszenierungsstrategien der Wirtschaft. Nicht minder bedeutsam sind aber auch die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einer immer stärker pluralisierten sowie ereignisorientierten Bevölkerung.

Dass Sportgroßereignisse mittlerweile zur Essenz gesellschaftlicher Kommunikation zählen, hat dazu beigetragen, dass diese in zunehmendem Maße für Zielsetzungen in Anspruch genommen werden, die mit dem Sport nur mittelbar in Zusammenhang stehen. Sportgroßereignisse dienen einer immer größeren Anzahl von Akteuren als globale Bühne, auf der politische, soziale oder wirtschaftliche Interessen verfolgt werden. Dies erfolgt bisweilen direkt, oftmals auch kodiert, immer aber auf dem Resonanzboden des Sports, um mit Hilfe der weltweiten Begeisterung und Aufmerksamkeit für das Event sportfremde Ziele erfolgreich zu realisieren.

Jenseits von ökonomischen Erwartungen ist der politischen Dimension von Sportgroßereignissen in jüngster Zeit verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet worden. Dies ist insbesondere auf den Umstand zurückzuführen, dass die Ausrichtung von Sportgroßereignissen bis zur Jahrhundertwende vorwiegend an große OECD-Staaten wie etwa Deutschland und Frankreich oder die Vereinigten Staaten und Japan vergeben wurde, es dann aber zu einer deutlichen Zäsur kam:

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts finden Sport-Megaevents verstärkt in den sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) statt, wie die Sport-Megaevents in Brasilien (Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2014, Olympische Sommerspiele 2016), in Russland (Olympische Winterspiele 2014, Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2018), in China (Olympische Sommerspiele 2008, Olympische Winterspiele 2022) und in Südafrika (Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2010) verdeutlichen. Zurückgeführt werden kann dies sowohl auf einen anhaltenden Rückgang von Bewerbungen aus den OECD-Staaten, als auch auf das verstärkte Interesse der BRICS-Staaten selbst.

QuellentextBRICS-Staaten

Aktuelle oder ehemalige Schwellenländer wie Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sind ökonomisch durch ein hohes Wirtschaftswachstum gekennzeichnet. Sie bilden eine lose verbundene Staatengruppe, die sich seit 2009 einmal jährlich mit dem Ziel trifft, Positionen abzustimmen und eine stärkere Einflussnahme in internationalen Organisationen zu erwirken. Trotz stark unterschiedlicher Staats- und Regierungsformen besteht unter den BRICS-Staaten ein hohes Maß an Interessenkonvergenz, das auch zur Gründung einer Entwicklungsbank und eines Reservefonds geführt hat. Zahlreiche weitere ehemalige Schwellenländer haben ihr Interesse an einer Mitgliedschaft im BRICS-Rahmen bekundet. Beschlossen wurde Ägypten, Äthiopien, den Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Argentinien als neue Mitglieder zum Jahresbeginn 2024 aufzunehmen.

Die internationalen Sportverbände haben sich bei ihren Vergabeentscheidungen bereitwillig auf die BRICS-Staaten eingelassen. Zum einen, weil die Staaten der OECD-Welt mittlerweile als weitgehend gesättigte Sportmärkte gelten, während den BRICS-Staaten, aber auch weiteren ehemaligen Schwellenländern in Asien und Afrika, erhebliches Wachstumspotenzial zugeschrieben wird. Zum anderen, weil in diesen oftmals autokratisch regierten Staaten die Umsetzung der Interessen der internationalen Sportverbände deutlich einfacher erfolgen konnte.

In zahlreichen Studien ist betont worden, dass die Strukturen der BRICS-Staaten aus demokratischer Perspektive zwar problematisch sind, für die internationalen Sportverbände jedoch gewissermaßen einen idealen Rahmen bilden: Hier müssen in der Regel keine Referenden zur Zustimmung der Bevölkerung abgehalten werden, man muss sich nicht mit der politischen Opposition des Landes auseinandersetzen und es bedarf auch keiner umfassenderen Zugeständnisse an Umweltverbände oder andere kritische Stimmen.

Ökonomische Erwartungen und Desillusionen

Zu den wiederholt angeführten Motiven für die Bewerbung um Sportgroßveranstaltungen zählt ein potenzieller wirtschaftlicher Mehrwert. Erhofft werden von der Ausrichtung des Events etwa neue Arbeitsplätze, ein Ausbau der Infrastruktur, eine Weiterentwicklung des Standorts oder eine Steigerung der Tourismuszahlen.

Die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2010 in Südafrika und das WM-Turnier der Männer 2014 in Brasilien sind Beispiele für Großveranstaltungen im Sport, bei denen die ursprünglichen wirtschaftlichen Erwartungen nicht erfüllt wurden. Nach der Euphorie des Jahres 2004, als Südafrika den Zuschlag zur Austragung der Weltmeisterschaft 2010 erhielt, mussten die prognostizierten Budgetüberschüsse und Touristenzahlen von ursprünglich 750 000 Besuchenden wiederholt nach unten korrigiert werden. Die Sicherheitslage, das südafrikanische Winterwetter und die globale Finanzkrise führten dazu, dass viele Fußballfans ihre Reise nach Südafrika absagten oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Nach Angaben der FIFA kamen schließlich 309 554 ausländische Reisende zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika. Nüchternheit kehrte auch hinsichtlich der Kosten für die Infrastruktur ein: Wurden im Jahr 2003 die Kosten für den Bau von Stadien in Südafrika noch auf rund 92 Millionen Euro geschätzt, investierte man am Ende rund 1,4 Milliarden Euro in Stadionneubauten.

Vier Jahre später zeigte sich bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien ein ähnliches Bild. Allein die Kosten für die Stadien überstiegen die ursprüngliche Planung um 263 Prozent oder 2,7 Milliarden Euro. Obwohl zunächst von der Regierung versichert worden war, keine staatlichen Mittel für den Stadionbau einzusetzen, wurden zur Finanzierung der Weltmeisterschaft vor allem Steuergelder aufgebracht, während die Gewinne bei den Unternehmen und bei der FIFA blieben. Ursprünglich hatten 49 Verkehrsprojekte im Raum gestanden, viele davon wurden jedoch nur zu Teilen oder gar nicht realisiert. Hierzu zählte auch Brasiliens Vorzeigeprojekt des ersten Hochgeschwindigkeitszuges Lateinamerikas zwischen São Paulo und Rio de Janeiro.

Kritische Einschätzungen wurden durch die fehlende Nachhaltigkeit noch untermauert: Die aus dem südafrikanischen Kontext entlehnten white elephants sind mittlerweile sprichwörtlich geworden, da sich vielfach kaum Nachnutzer für die im Alltagsgebrauch überdimensionierten Sportstätten finden. Das Cape Town Stadium in Südafrika verursacht hohe jährliche Wartungs- und Instandhaltungskosten von etwa drei bis vier Millionen Euro, ohne dass eine wirtschaftlich tragfähige Nutzung absehbar ist. In Brasilien stellte sich die Arena da Amazônia in Manaus, mitten im tropischen Amazonas-Regenwald, als problematisch heraus, da kein Erstligaclub existiert, der das 44 000 Plätze fassende Stadion ausreichend nutzen könnte. Selbst Olympiastadien, wie das „Vogelnest“ in Peking (siehe PDF, S. 32), werden heute nur selten für Sportereignisse genutzt und lassen sich bislang auch mit Kulturveranstaltungen nicht wirtschaftlich betreiben.

Das „Sommermärchen“ 2006 in Deutschland

Im Rückblick gilt die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2006 – trotz bisweilen dürftiger Fußballkost – als beispiellose Erfolgsgeschichte, die weit über den Fußball hinausreicht und zu einer veränderten Sicht auf Deutschland sowie zu veränderten Wahrnehmungsprozessen der Deutschen beigetragen hat. Dass Deutschland 2006 ein „Sommermärchen“ erlebte, hing nicht nur mit der erfrischenden Spielweise der deutschen Nationalmannschaft, dem Sommerwetter und der Begeisterung der Fans zusammen, sondern auch mit der Unterstützung, die das Ereignis durch Politik und Wirtschaft erhielt.

Schon die bis heute kritisch beleuchtete Vergabe der Weltmeisterschaft wäre ohne das abgestimmte Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft mit dem DFB nicht denkbar gewesen: Während die deutsche Verbandsvertretung um die Welt reiste und Lobbying für eine Ausrichtung in Deutschland betrieb, agierten Politik und Wirtschaft hinter den Kulissen. Durch Verträge und Abkommen mit den Staaten, deren Delegierte über die Vergabe der WM im Exekutivkomitee der FIFA zu entscheiden hatten, schuf man Rahmenbedingungen, die letztlich zur Vergabeentscheidung an Deutschland beitrugen.

In den folgenden Monaten steigerte sich Deutschland dann immer stärker in eine Weltmeisterschaftsbegeisterung hinein, sodass sich breite Teile des Landes spätestens beim WM-Eröffnungsspiel in einem kollektiven Rausch befanden. An der Euphorie hatten die Medien erheblichen Anteil, die umfassend über einen neuen Patriotismus berichteten, der unter anderem an Millionen schwarz-rot-goldener Fahnen im Straßenbild festgemacht wurde. Konstatiert wurde eine begeisternde, aufgeschlossene und lebensfrohe Stimmung im Land. Deutschland wurde auch von vielen ausländischen Fußballfans in einem neuen Licht gesehen, sodass sich sowohl Selbst- als auch Fremdwahrnehmung deutlich änderten. War das Nation Branding im Fall von Deutschland zunächst nur ein „Nebenprodukt“, so avancierte es in den kommenden Jahren bei anderen Sportgroßereignissen zu einem Kernziel.

Die Regenbogennation bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika

Südafrika gilt als Paradebeispiel für die Inanspruchnahme des Sports zum erfolgreichen Nation Branding und zur Identitätsstiftung. Obgleich der Übergang von der Apartheid zum demokratischen Rechtstaat weitgehend friedlich erfolgte, war das Land zu Beginn der 1990er-Jahre gesellschaftlich zutiefst gespalten. Als Südafrika dann aber 1995 die Rugby-Weltmeisterschaft ausrichtete und die Springboks sogar den Titel gegen die favorisierten Neuseeländer gewannen, kannte die Freude im gesamten Land kein Halten mehr. Der Auftritt des südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela im Rugby-Dress bei der Siegerehrung gilt als Meilenstein der südafrikanischen Geschichte.

Die identitätsstiftenden Bezüge wurden weiter zementiert, als das Land 1996 in Johannesburg als Gastgeber den Afrika-Cup gewann und 2010 die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer ausrichtete.

Trotz des Ausscheidens der Bafana bafana in der Vorrunde und mancher kritischer Berichte im Vorfeld über nicht rechtzeitig fertiggestellte Stadien, vermittelte die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 südafrikanische Kultur und Lebensfreude. Das Land erzielte infolgedessen einen erheblichen Imagegewinn. Als Nelson Mandela vor dem Finale der Fußball-WM in Südafrika den Rasen betrat, löste er nicht nur bei den knapp 85 000 Zuschauenden im Soccer-City-Stadion von Johannesburg einen Begeisterungssturm aus, sondern auch bei Millionen von Südafrikanerinnen und -afrikanern, deren Zusammengehörigkeitsgefühl über alle gesellschaftlichen Gruppierungen hinweg durch die Weltmeisterschaft einen erheblichen Schub erhielt. Der South African Social Attitudes Survey, der die Haltung südafrikanischer Erwachsener rund um die Weltmeisterschaft erhoben hat, konnte einen positiven Einfluss auf den nationalen Zusammenhalt und Nationalstolz messen.

Nation Branding und Sportswashing

Die globalen Präsentationsmöglichkeiten des eigenen Staates im internationalen Rampenlicht als leistungsstarkes und weltoffenes Land verbunden mit einer erhofften Zunahme an Bekanntheit und einem potenziellen Imagegewinn stellen für Ausrichtende von Sportgroßveranstaltungen zentrale Motive einer Bewerbung dar. Obgleich weder diese Zielsetzungen noch der Rückgriff auf den Sport neu sind, wird seit Beginn des 21. Jahrhunderts hierfür im öffentlichen Diskurs zunehmend der aus dem Marketing entlehnte Begriff Nation Branding verwendet und in einen politischen Kontext gestellt. Gerade für Schwellenländer wie die BRICS-Staaten besitzt diese Perspektive besondere Relevanz, da die Staaten über den Sport Botschaften übermitteln können und so in der internationalen Politik sichtbarer werden.

Politikwissenschaftlich gerahmt wird Nation Branding durch das Soft Power-Konzept. Diese aus der Analyse der internationalen Beziehungen stammende Bezeichnung wurde von dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph Nye 1990 in die Debatte eingebracht. Sie findet vor allem für Konstellationen Verwendung, in denen nationale Interessen nicht durch militärische oder wirtschaftliche Stärke durchgesetzt, sondern durch Überzeugung und Anziehungskraft vermittelt werden sollen.

Nye argumentiert, dass infolge der Globalisierung, die sich unter anderem in einer flächendeckenden Vernetzung moderner Medienformate widerspiegelt, auch Staaten auf kommunikativ vermittelte Einflussnahme setzen müssen. Die populäre Kultur, zu der Sport angesichts seiner medialen Anschlussfähigkeit und universellen Anziehungskraft zugeordnet werden kann, bietet sich hier in besonderem Maße an. Sport besitzt eine erhebliche Reichweite und damit das Potenzial, erfolgreiches Nation Branding zu betreiben, indem über den Sport nationale Interessen vermittelt werden.

Als kritisches Gegenstück zum Nation Branding ist zum Ende der 2010er-Jahre mit Sportswashing ein weiterer Begriff aufgekommen, der rasch in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Auch dieser Begriff lässt sich aus einem politikwissenschaftlichen Konzept ableiten. Mit Verweis auf das Konzept Sharp Power wird vor allem autoritären Regimen eine bewusste manipulative Nutzung von Soft Power-Ressourcen zugschrieben. Statt auf Anziehung und Überzeugung zu setzen, dominieren hier Ablenkung und Manipulation.

Der Begriff Sportswashing wurde zunächst von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Amnesty International im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Russland 2018 angesichts zahlreicher Verstöße des Landes bei Menschenrechtsfragen eingeführt. Im Zuge der Wahl des aserbaidschanischen Baku zum Ausrichter des UEFA Europa League Endspiels 2019 verbreiteten ihn dann britische Medien.

Mittlerweile wird Sportswashing immer dann reklamiert, wenn es darum geht, die eigene Reputation über den Sport zu verbessern, zugleich aber von Fehlentwicklungen vor Ort, unter denen Menschrechtsverletzungen besondere Bedeutung zukommt, abzulenken. In einigen Fällen ging es im engeren Sinne buchstäblich darum, das beschädigte eigene Image im Zuge akuter Krisenerscheinungen „reinzuwaschen“.

Letztlich lässt sich der Begriff Sportswashing weder trennscharf vom Nation Branding unterscheiden, noch beschreibt er etwas grundlegend Neues. Sportswashing hat es unter anderen Bezeichnungen schon immer gegeben. Ein bezeichnendes Beispiel sind die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, als das NS-Regime die Spiele als Bühne genutzt hat, um die Stärke des Deutschen Reiches zu präsentieren, zugleich aber vom totalitären Charakter des Regimes und der Judenverfolgung abzulenken (siehe Beitrag "Interner Link: Welche Entwicklungen prägten das Zusammenwirken von Sport und Politik?").

Sportgroßereignisse in Russland und China

Welch vielschichtige Motive der kostenintensiven Ausrichtung von Sportgroßereignissen zugrunde liegen, aber auch die Ambivalenz von Chancen und Risiken ihrer Instrumentalisierung, zeigen vor allem die Beispiele Russland und China.

Von China wurde die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 gezielt als Soft Power-Instrument genutzt. Am 8. August 2008 verfolgten mehrere hundert Millionen Menschen weltweit die spektakuläre Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Peking, bei denen China in den folgenden Wochen nicht nur imposante neue Sportstätten und perfekt organisierte Wettbewerbe präsentierte, sondern auch den politischen und wirtschaftlichen Aufschwung des Landes. Im Zuge des Bewerbungsprozesses war noch mit einem Budget Pekings von rund zwei Milliarden US-Dollar für die Spiele kalkuliert worden. Am Ende wurden aber allein in Peking rund 40 Milliarden US-Dollar in Infrastrukturmaßnahmen investiert. China nutzte die Spiele von 2008 als wichtigen Impuls für Stadtentwicklung und Modernisierung.

Im Ausland weckten die Olympischen Spiele Pekings nicht nur aufgrund der wirtschaftlichen Dynamik des Landes großes Interesse, sondern auch, weil erstmals seit 1936 und 1980 wieder Spiele in einem nicht-demokratischen Staat stattfanden.

Insbesondere die Menschenrechtsthematik war von befürwortenden (in der Hoffnung auf mehr Freiheiten) wie kritischen (in der Erwartung verstärkter Repressionen) Stimmen bereits zuvor als Argument für oder gegen die Vergabe der Spiele an China ins Feld geführt worden. Konterkariert wurde Chinas Soft Power-Strategie dann durch die Proteste beim Olympischen Fackellauf gegen die Tibet-Politik des Landes sowie durch negative Schlagzeilen infolge von Zensur und der Festnahme von Bürgerrechtlerinnen und -rechtlern. 14 Jahre später, bei der Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2022, spielte das Soft Power-Konzept zwar neben der Entwicklung des Breiten- und Freizeitsports im eigenen Land und dem Ausbau der Wintersportindustrie weiterhin eine Rolle, die Strategie Chinas war aber weitaus stärker nach innen auf die Legitimation der chinesischen Kommunistischen Partei ausgerichtet.

Wladimir Putin, der seit dem Jahr 1999 abwechselnd als Präsident oder Ministerpräsident an der Spitze Russlands steht, verband mit der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2014 und die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 zwar auch eine Präsentation der wiedergewonnenen Stärken des Landes nach außen im Sinne des Nation Branding. Weitaus wichtiger erschien es ihm aber, die Sportgroßereignisse für innenpolitische und machtsichernde Ziele zu nutzen. Die Durchsetzung eines nationalen Narratives der russischen Stärke spielte dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Entwicklung eines umfassenden nationalen Großmachtpatriotismus.

Zu diesem Zweck investierte Russland rund 50 Milliarden Euro in die teuersten Winterspiele aller Zeiten und setzte erfolgreich darauf, die Spitze der Nationenwertung bei dem Medaillenspiegel zu erobern. Diese ging dann aber im Strudel eines der größten Staatsdopingskandale wieder verloren, als bekannt wurde, dass in Russland nicht nur ein staatlich gestütztes Doping-System verbreitet war, sondern während der Spiele auch in nächtlichen Aktionen Urinproben ausgetauscht worden waren.

Von Putin selbst wurden zudem die Wechselwirkungen zwischen Soft und Hard Power-Strategien im unmittelbaren Kontext der Olympischen Spiele gleich dreimal beansprucht: Zeitgleich mit der Eröffnung der Olympischen Spiele 2008 in Peking erfolgte der Einmarsch Russlands in Georgien, zwischen den Olympischen und den Paralympischen Winterspielen in Sotchi 2014 begann die Besetzung der Krim und im Jahr 2022 zum gleichen Zeitpunkt der Angriff auf die Ukraine. Offen bleibt, ob die Idee des sogenannten „Olympischen Friedens“ – der Verzicht auf bewaffnete Auseinandersetzungen vor, während und nach den Spielen – von Putin gezielt genutzt wurde, um Reaktionen der Konfliktparteien und der internationalen Gemeinschaft begrenzt zu halten.

Sportgroßereignisse im arabischen Raum

Neben den BRICS-Staaten sind in den letzten Jahren verstärkt Staaten aus dem arabischen Raum hinzugetreten, die noch strategischer und langfristiger auf den Sport und Sportgroßereignisse als politisches Instrument setzen. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Emirat Katar zu. Das Land hat seit der Unabhängigkeit 1971 seine Ressourcen wie Erdöl und das größte Erdgasfeld der Welt genutzt, um – gemessen am Pro-Kopf-Einkommen – zu einem der reichsten Länder der Erde zu werden.

QuellentextInvestitionen in den Sport: die Golfstaaten auf der Überholspur

[…] Die Investmentstrategie der drei größten Akteure in der Golfregion – Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate – ist auf Diversifikation ausgerichtet. Öl- und Gaseinnahmen sollen wie in einer gigantischen Waschmaschine umgewandelt werden in Beteiligungen an nationalen und internationalen Unternehmen in allen möglichen Sektoren. Kurzfristig Gewinne zu erzielen ist vor allem im Sportbereich nicht entscheidend, das zeigen die teilweise absurden Summen, die für Turniere und Spieler ausgegeben werden. Viel mehr geht es um Einfluss und darum, sich in der Innen- und Außensicht als moderne Länder zu präsentieren.

Eine Gesellschaft mit eher konservativem Lifestyle […], ein Land, in dem Sport im Freien aufgrund der Temperaturen eine echte Herausforderung ist und in dem Sport viele Jahre eher eine Nischenbeschäftigung war, soll auf diesem Weg ein neues Image bekommen und ganz nebenbei die eigene Bevölkerung gesunden: Fettleibigkeit ist in den Golfstaaten ein echtes Problem. Der Anteil der Menschen, die davon betroffen sind, hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten nahezu verdreifacht.

Aber selbstverständlich geht es auch um Kultur. Wenn ein Spieler wie Karim Benzema, der vor kurzem noch bei Real Madrid spielte und nun beim saudischen Verein Al-Ittihad unterschrieben hat (übrigens gegründet im Jahr 1927), sagt: „Mekka ist ganz in der Nähe, ich bin gläubig, also ist das wichtig für mich. Dort gehöre ich hin, dort werde ich mich am wohlsten fühlen“, ist das für die politischen Führer am Golf, aber auch für die Menschen in der Region, eine Bestätigung: Hier, in der islamischen Welt am Golf, ist der neue place to be.

Unvergessen ist in diesem Zusammenhang der Auftritt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, als er schon 2018 live im Fernsehen versprach – und zwar in sehr dramatischer Manier: „Ich denke, dass das neue Europa der Nahe Osten sein wird. Die nächste globale Renaissance in den nächsten dreißig Jahren wird im Nahen Osten sein, so Gott will.“ […]

Die finanziellen Ressourcen sind nahezu unendlich. Der staatliche saudi-arabische Investmentfonds PIF etwa verwaltet insgesamt ungefähr 620 Milliarden US-Dollar, davon sollen etwa 30 Prozent im Ausland investiert sein – das geht aus Unterlagen des US-Senats hervor, die im Zuge einer Anhörung zum saudischen Investment in die amerikanische PGA Tour im Golfsport öffentlich wurden.

Golf war die erste Sportart, die die Saudis komplett unter ihre Kontrolle brachten. Aufschlussreich ist jedoch in diesem Fall ein geweiteter Blickwinkel: Die etwa zwei Milliarden Euro, die bislang über die eigens gegründete LIV Tour in den Golfsport investiert wurden, spielen im großen Kontext kaum eine Rolle. Neben der 45-Milliarden-Dollar-Beteiligung am Vision Fund, dem größten Start-up-Fonds der Welt, dem Aufkauf des E-Mobilitäts-Unternehmen Lucid für 8,9 Milliarden US-Dollar oder einem Investment in die drei großen Gaming-Konzerne EA Sports, Activision und Take Two für insgesamt 7,5 Milliarden US-Dollar wirken die Sportinvestments auf einmal – wie man in der Finanzwelt ja wohl sagt – wie Peanuts.

300 Millionen Pfund für 80 Prozent der Anteile am Premier-League-Verein Newcastle United? Für Saudi-Arabien ein kleineres Investment als die Anteilskäufe beim Konzern Meta und bei Starbucks. […]

Die Investoren in Abu Dhabi hingegen konzentrieren sich fast ausschließlich auf ihren Fußballkonzern: Die City Football Group wurde als Vehikel beim Ankauf von Manchester City im Jahr 2009 etabliert, mittlerweile gehören elf Fußballvereine weltweit komplett oder teilweise zur Gruppe. Laut einer Bloomberg-Recherche formiert sich nun zudem eine Investmentgesellschaft mit Sitz in den Emiraten, um den Einstieg in die amerikanische Basketball-Liga vorzubereiten. Die NBA war bislang – wie fast alle amerikanischen Sportligen – höchst protektionistisch veranlagt, ist inzwischen allerdings offen für Minderheitsinvestoren bei den Vereinen. Eine Einladung an den Golf, die dort gerne angenommen wird.

Der katarische Sport-Investmentfonds QSI ist bereits aktiv geworden und ist im Begriff, je 20 Prozent am Basketball-Team Washington Wizards aus der NBA, dem Frauen-Team Washington Mystics aus der WNBA sowie am NHL-Eishockeyteam Washington Capitals zu kaufen. Überhaupt: Die Katarer sind weltweit die einzigen Investoren, die mit der saudischen Diversifikationsstrategie Schritt halten können: Paris Saint-Germain und der SC Braga (zu 21,67 Prozent) gehören im Fußball zum Portfolio, eventuell auch bald der englische Verein Manchester United, an dem Investoren aus Katar bestätigtes Interesse haben. Große Geldsummen fließen zudem über den Umweg Sponsoring aus Katar in den Sport. Und nicht zuletzt auch dadurch, dass die Sportwelt zu Besuch kommen soll: Die Aspire Academy ist eines der größten Trainingszentren für Spitzensportler weltweit, Jahr für Jahr kommen Vereine für ihre Trainingslager ins Land.

Auch im Fall Katar allerdings lohnt sich der Blick auf die Alternativen: Im Vergleich zu den großen Beteiligungen, die Investoren aus Katar ansonsten haben, sind auch hier im Sport vergleichsweise kleine Summen fällig. Investoren aus dem Land halten zum Beispiel allein in Deutschland Anteile im Wert von Milliarden Euro am Volkswagen-Konzern, an Siemens, Hapag-Lloyd und der Deutschen Bank. Nicht zuletzt deshalb wurde auch die kritische deutsche Haltung zum Sponsoring von Qatar Airways am Trikotärmel des FC Bayern am Golf hinterfragt – inmitten der weiter wachsenden Anzahl an Sponsoringabkommen war das mit dem FC Bayern eines der wenigen, das Katar von sich aus beendete.

Die Debatte rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar hat also durchaus einen bleibenden Eindruck hinterlassen und – zumindest im ersten Moment – zu mehr Einigkeit unter den Golfstaaten geführt. Die Kritik aus Europa sah man in der Region ausschließlich als Ausdruck von Missgunst und Rassismus. Der Gastgeber Katar erfuhr volle Solidarität, die Spiele des Nachbarstaates Saudi-Arabien wurden am Ort bejubelt, genauso der überraschende Erfolg der Marokkaner als einzige arabische Mannschaft in der Finalrunde – in Dubai wie in Tunis wie in Kairo. Ebenso viel Freude herrschte über das frühe Ausscheiden Deutschlands. […]

Die Finanzierung der großen Weltmeisterschaften und der Olympischen Spiele wird für westliche Demokratien immer schwieriger, für Saudi-Arabien und Katar sind es Ereignisse, die sich – ganz im Sinne der Waschmaschine – lohnen.

[…] Der Sport gehört längst nicht mehr nur dem Westen.

Felix Hasensteiner/Dunja Ramadan, „Wie sich der Golf den Sport kauft“, in: Süddeutsche Zeitung vom 15./16. Juli 2023

Seit Mitte der 1990er-Jahre wurde mit den beträchtlichen Mitteln des katarischen Staatsfonds eine Modernisierung und Diversifizierung eingeleitet, die durch den Ausbau der Infrastruktur die Transformation des Emirats zu einer Metropole für Touristen, Geschäftsreisende und vor allem für den Sport anstrebt. Das katarische Herrscherhaus ließ mit der Aspire Academy eine der größten Sportakademien der Welt bauen und richtet seither Jahr für Jahr namhafte internationale Sportwettbewerbe aus.

Mittlerweile gibt es nur noch wenige Sportarten, die noch keine Weltmeisterschaft in Katar ausgetragen haben. Auch die Formel 1 macht hier Station. Katar selbst wurde 2015 im Handball Vizeweltmeister und 2019 im Fußball Asienmeister. Das Emirat besiegte dabei etablierte Fußballnationen wie Südkorea und Japan. Die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2022 markierte den Höhepunkt dieses Prozesses.

Die politische Dimension dieser Strategie zeigte sich, als das Emirat während der sogenannten Katar-Krise 2017 bis 2021 durch die benachbarten Golfstaaten Saudi-Arabien, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten weitgehend isoliert wurde. Politische Beobachtende hielten in dieser Situation sogar zeitweilig eine Invasion durch Saudi-Arabien für möglich, sahen zugleich aber in der Sportstrategie – und der damit verbundenen Aufmerksamkeit und Unterstützung Katars – eine wichtige Absicherung des Emirats.

Für Katar hat sich trotz der mitunter massiven Kritik des „Westens“ an mangelhaften Menschrechtsstandards und vor allem der Situation der Arbeitsmigrantinnen und -migranten die Ausrichtung der WM gelohnt. Das kleine Emirat ist heute allgemein bekannt und hat sich zudem mit den benachbarten Golfstaaten arrangiert: Dies nicht zuletzt aufgrund der sportlichen Erfolge von Mannschaften aus dem arabischen Raum bei der WM 2022 und eines gewissen antiwestlichen Solidarisierungseffekts gegenüber der Kritik an Katar.

Saudi-Arabien verfolgt seit 2016 – auf den Spuren Katars – selbst eine umfassende Sportstrategie als Teil des nationalen Entwicklungsplans Vision 2030. Neben dem Ausbau der Sportindustrie, dem Kauf und der Vermarktung der globalen E-Sport-Ligen und der Aufwertung der heimischen Pro League durch Superstars wie Ronaldo oder Benzema spielen auch hier Sportgroßereignisse eine zentrale Rolle: Mit etwa der Ausrichtung des italienischen und spanischen Fußball-Super-Cups, einer hochdotierten Golf-Tour, Formel 1-Rennen und der Rallye Dakar hat Saudi-Arabien erste Ziele bereits realisiert, die durch die Bewerbung um weitere Sportgroßereignisse ergänzt werden sollen. Nach dem Zuschlag für die Klub-WM 2023 der FIFA und die asiatischen Winterspiele 2029 setzt man zudem auf die Bewerbung um eine künftige Fußball-Weltmeisterschaft 2030.

Saudi-Arabien wird absehbar nicht der letzte Staat sein, der sich des Soft Power-Potenzials des Sports bedient. Angesichts der im Vergleich zu Katar aber weitaus kritischeren Menschenrechtslage im Land – vor allem die Rolle der Staatsspitze beim Auftragsmord am Journalisten Jamal Khashoggi von der Washington Post und der Umgang mit Frauenrechten werden äußerst kritisch gesehen – scheinen weitere sportpolitische Debatten vorgezeichnet zu sein. Gerade im Fall von Saudi-Arabien dürfte dabei das Sportswashing-Konzept erneut ins Blickfeld geraten.

QuellentextWie lange kann Europa beim Weltfußball noch mithalten?

Der internationale Top-Fußball tritt in eine neue Ära ein. Aber niemand im europäischen und deutschen Fußball sagt das laut. Fans, Klubs, Verbände spüren oder wissen dies jedoch, wenn sie nach Saudi-Arabien schauen. Qatar war nur das Vorspiel. Noch ist nicht klar, wie der Top-Fußball zum Ende dieses Jahrzehnts aussehen wird. Doch sicher ist: Er wird dann nicht mehr so funktionieren und existieren, wie wir ihn in Europa seit Jahrzehnten kennen.

Die Tendenzen sind eindeutig. Der finanzielle Hunger der europäischen Klubs ist und bleibt groß. Doch in seinen Kernländern wächst der europäische Fußball nicht mehr. Medienerlöse stagnieren oder sinken tendenziell. Zudem ist der europäische Fußball in seinem Inneren immer stärker von Verteilungskonflikten geprägt. Im Kampf um Top-Formate im internationalen Fußball entsteht eine Dynamik, wie es sie laut international tätigen Experten bisher noch nicht gegeben hat. Auch, weil sich mit Amerika gerade ein weiterer Player im neuen globalen Attraktivitätswettbewerb positioniert. […]

Die Entwicklungen, die Europas bisher unbestrittene Hegemonie untergraben, lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Erstens: äußere Konkurrenten. Zweitens: Verschiebung der Wachstumsmärkte. Beide Entwicklungen werden flankiert und verschärft von einer schwindenden nationalen und europäischen Solidarität. […]

Die äußeren Konkurrenten lassen sich leicht benennen. Nachdem Qatar vorgemacht hat, was sich jenseits von „Sportswashing“ durch strategischen Kapitaleinsatz im Weltfußball geopolitisch und innenpolitisch bewegen lässt, erreicht Saudi-Arabien auf diesem Weg eine neue Stufe. Die finanzielle Wucht, mit der das Königreich agiert, hat selbst Nasser Al-Khelaifi die Sprache verschlagen, dem qatarischen Chef von Paris Saint-Germain und Chairman der European Club Association (ECA). […]

Saudi-Arabien will sich politisch und sportlich als neues Schwergewicht in der arabischen Welt mit Ausstrahlung nach Europa und Afrika positionieren. Im Fußball werden alle Investitionen und entsprechenden Initiativen von der Mission getragen, die WM 2030 auszurichten, spätestens 2034. Bis dieses Ziel erreicht ist, werden die Quellen nicht versiegen. […]

Die Frage, ob die Saudi Pro League ein ernsthafter Konkurrent für europäische Ligen werden kann, wird sich nicht zuletzt an der Frage entscheiden, wie Spieler im besten Fußballalter die Frage beantworten: Zerstöre ich meine Karriere, wenn ich nach Saudi-Arabien gehe – oder wird dort etwas aufgebaut, was für mich als junger und entwicklungsfähiger Spieler interessant ist? […] „The Athletic“ hat zuletzt Spielerberater der Premier League zum Thema befragt, die Hälfte sah darin gute Nachrichten für die geschäftliche Seite des Fußballs. Ein Berater beschreibt das Dilemma so: „Gefällt es mir moralisch und ethisch? Nein. Aber es gibt ein Gefühl von Unvermeidlichkeit.“

Die UEFA in Person ihres Präsidenten Čeferin spielte die arabische Herausforderung noch Ende August herunter. „Wir hatten ähnliche Ansätze von China, das Spieler am Ende ihrer Karriere kaufte und ihnen viel Geld bot. Das Ergebnis: Der chinesische Fußball hat sich danach nicht weiterentwickelt und sich nicht für die WM qualifiziert.“ […]

Čeferins Vergleich zwischen China und Saudi-Arabien hinkt an allen Ecken und Enden. Der Verband und die Pro League beschäftigen mittlerweile Experten, die auch schon für die UEFA und der FIFA gearbeitet haben. Die Dinge laufen professionell. Das Ziel: nachhaltiger als China investieren. […]

Professionelle Vermarkter sehen hinter diesem Konkurrenzangebot einen langfristigen Plan. In Europa sei der Blick stark auf den traditionellen Fan ausgerichtet, den „Stadiongeher“, der sich einmal in seinem Leben in einen Verein verliebt und ihm treu bleibt. Vor allem außerhalb Europas gebe es viele Fans, die Fußball weniger gebunden verfolgen, vor allem junge Fans, die von Social Media geprägt sind. Sie folgen zwar mitunter auch einem Verein, begeistern sich aber außerdem für Stars – und folgen ihnen: zu anderen Vereinen, zu anderen Ligen. Die Strategie der Pro League setze daher im ersten Schritt konsequent auf glamouröse Megastars. So könne man traditionellen europäischen Ligaspielen, bei denen fast nur die Fans der jeweiligen Klubs einschalten, im direkten Duell Quote streitig machen. […]

Die Wachstumsmärkte im Fußball haben sich in den vergangenen Jahren verschoben. Und sie dürften sich weiter verschieben, weg von Europa. Das starke Wachstum, das der europäische Top-Fußball braucht, stammt schon in den vergangenen Jahren nicht mehr aus den Heimatmärkten. Die Premier League ist vor allem sehr erfolgreich mit ihrer globalen Auslandsvermarktung, die spanische La Liga durch ihre Expansion nach Südamerika. Der Bundesliga mangelt es an diesen Resonanzräumen. […]

Michael Horeni, „Die Welle kommt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. September 2023. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Bewerbungs- und Vergabeprozedere von Sportgroßereignissen

Angesichts der Bedeutung von Sportgroßereignissen stellt deren Vergabe mittlerweile eine der wichtigsten sportpolitischen Entscheidungen dar. Vor allem im Fall des Internationalen Olympischen Komitees und des Fußballweltverbandes FIFA sind diese Entscheidungen mit einem hohen Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit verbunden. Weit geringer als das Event und der eigentliche Vergabeakt ist indes der mehrjährige vorbereitende Bewerbungsprozess im öffentlichen Bewusstsein verankert.

Die Vergabe von Sportgroßveranstaltungen ist ein Meilenstein, auf den sowohl der ausrichtende Verband als auch das gastgebende Land jahrelang und unter erheblichem Ressourceneinsatz hinarbeiten müssen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich ein immer umfangreicheres, aufwändigeres und dichteres Netzwerk von Vorgaben durch die Weltverbände entwickelt. Es gibt jedoch keine einheitlichen Standards zur Vergabe, sondern vielfältige Vergabepraktiken und Kriterien, die je nach Verband und Veranstaltung stark variieren.

Maßgeblichen Einfluss auf das Vergabeprozedere der Olympischen Spiele übte der Korruptionsskandal im Zuge der Vergabe der Olympischen Winterspiele 2002 an Salt Lake City aus. Der Zuschlag der 19. Olympischen Winterspiele an die US-amerikanische Stadt erfolgte 1995. In den folgenden Jahren berichteten die Medien punktuell über Rückstände beim Bau der Wettkampfstätten, fehlerhafte Vergabeverfahren und einzelne Betrugsfälle. Von systematischer Korruption war jedoch keine Rede. Nach dem Bericht eines lokalen Fernsehsenders Ende 1998 kam jedoch ein Skandal ins Rollen, der die „Rundumbetreuung“ von IOC-Mitgliedern und deren Familien in Form von Gratiskäufen in US-Supermärkten, kostenlosen Hotelübernachtungen und kostenfreien Studienplätzen an US-Universitäten offenlegte.

Als dann Marc Hodler, langjähriges IOC-Mitglied und Präsident des Internationalen Skiverbandes, auf einer Exekutivtagung des IOC erklärte, dass keine der jüngsten Olympia-Vergaben rechtmäßig verlaufen sei, brachen die Dämme. Hodler sprach von systematischer Korruption, bei der Agenten um die Welt fliegen und Stimmen von IOC-Mitgliedern anbieten würden. In den sich anschließenden Ermittlungen wurden zahlreiche Vorwürfe bestätigt und weitere Missstände bekannt. Angesichts des mit dem Skandal verbundenen Verlusts an Akzeptanz sah sich das IOC nicht nur zu einer grundlegenden Reform seiner eigenen Strukturen, sondern auch zu einem veränderten Vergabeverfahren veranlasst

Der Vergabeprozess sieht ein mehrstufiges Verfahren vor. Zunächst müssen die Bewerber sich in einem nationalen Vorauswahlverfahren qualifizieren. Das jeweilige Nationale Olympische Komitee entscheidet, welche Stadt des Landes als Kandidatenstadt ausgewählt wird. Das Internationale Olympische Komitee leitet dann einen Auswahlprozess ein, um zu ermitteln, welche Bewerber offiziellen Kandidatenstatus erhalten. In einer nächsten Phase erstellen die Bewerber ein offizielles Bewerbungsbuch, das umfangreiche Informationen enthält, darunter Dopingkontrollen, Verkehrsplanung und weitere relevante Aspekte. Zudem müssen die Bewerber finanzielle und rechtliche Zusagen bezüglich Haftung und Ausfallbürgschaften machen. Für die Bewerbung zu den Winterspielen 2022 summierte sich das Bewerbungsmaterial zu 7000 Seiten.

Nach Abgabe des Bewerbungsbuches sucht eine Evaluierungskommission die Kandidatenstädte auf und erarbeitet eine detaillierte Beurteilung. Der Bericht dient als Grundlage zur Benennung jener Kandidaten, über die dann schlussendlich die Session, die „Legislative“ des IOC, nach weiteren Präsentationen der Bewerberstädte entscheidet. Diesem Beschluss folgt die Unterzeichnung des Host-City-Vertrags.

Dieses Bewerbungsprozedere ist vom IOC in den vergangenen Jahren als Reaktion auf eine zunehmend schwierigere Bewerberlage wiederholt angepasst worden. Angesichts immer größerer und damit auch immer teurerer Olympischer Spiele hatte sich der Kreis potenzieller Ausrichter verringert. So hatten sich für die Winterspiele 2022 alle Bewerber aus demokratischen Staaten zurückgezogen, sodass dem IOC am Ende nur die Wahl zwischen dem kasachischen Almaty und Peking blieb. In mehreren Referenden hatten zuvor die Bürgerinnen und Bürger anderer potenzieller Bewerber- und Kandidatenstädte ihren Widerstand gegen eine Bewerbung bekundet. Vor diesem Hintergrund wurde mit der im Jahr 2014 vom IOC-Präsidenten Thomas Bach eingebrachten „Olympischen Agenda 2020“ ein Konzept für einfachere Bewerbungsverfahren sowie flexiblere und kostengünstigere Spiele aufgegriffen.

Mit der 2019 verabschiedeten New Norm für Olympiabewerbungen ging das IOC noch einen Schritt weiter und beschloss eine weitere Vereinfachung und Flexibilisierung des Prozederes. Neben einer Reduzierung der Garantien und der formalen Vorgaben – so sind nunmehr unter anderem Regionen und grenzüberschreitende Wettbewerbe zugelassen, während bisherige Vorgaben für Zuschauerkapazitäten gekappt wurden – sieht die New Norm auch eine stärkere Unterstützung für die Bewerberstadt durch ein Dialogverfahren des IOC vor. Vor allem von deutscher Seite wurde moniert, dass dieses neue Verfahren wenig transparent sei. Bevor Deutschland sich überhaupt zu einer offiziellen Bewerbung der geplanten „Rhein Ruhr City“-Initiative für die Olympischen Spiele 2032 hatte aufschwingen können, war seitens des IOC schon die Entscheidung getroffen worden, mit Brisbane als vorrangigem Dialogpartner über die Ausrichtung der Spiele zu verhandeln. Australien erhielt dann auch den Zuschlag.

„Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen“

Mit dem Scheitern der Bewerbung für 2032 schaut Deutschland mittlerweile schon auf den siebten vergeblichen Anlauf um eine Ausrichtung von Olympischen Spielen seit 1986 zurück. Die Ursachen für den Misserfolg sind vielfältig: Fehlende Stimmen in der Schlussabstimmung, (Berchtesgaden für 1992, Berlin für 2000 und München für 2018), keine Zulassung zur Schlussabstimmung (Leipzig für 2012) und gescheiterte Referenden (München für 2022 und Hamburg für 2024) dokumentieren, welche Bandbreite an Herausforderungen mit der Bewerbung um Olympische Spiele verbunden ist.

Wachsende Grundsatzkritik an den internationalen Sportverbänden, Zweifel am Kosten-/Nutzen-Verhältnis sowie Fragen zu Umweltaspekten werfen auch Überlegungen zum grundsätzlichen Stellenwert des Sports in Deutschland auf. Dies umso mehr, wenn Bedenken der lokalen Bevölkerung hinsichtlich jahrelanger Baustellen, Gentrifizierungsprozessen und finanziellen Einbußen für kleinere Vereine und den Breitensport im Raum stehen. Dass eine Debatte über die Rolle von Sportgroßereignissen und die Ziele des deutschen Spitzensports in Politik und Gesellschaft bislang noch nicht – oder zumindest nicht hinreichend – geführt wurde, markiert eine der kommenden sportpolitischen Aufgaben.

QuellentextDer Einfluss des Klimawandels auf den Sport

[…] Gletscher, die für den Trainingsbetrieb gesperrt werden, abgesagte Weltcuprennen, der Klimawandel wird auch im professionellen Skisport immer präsenter. Im August 2022 sagt Skirennläuferin Mikaela Shiffrin in einem Interview mit dem „Walliser Boten“ aus der Schweiz: „Der Unterschied zum letzten Jahr ist ziemlich drastisch.“ Sie warnte: Vielleicht liege der Zeitpunkt, wenn sie nicht mehr auf Gletschern trainieren könnten, in naher Zukunft. Womöglich dauere es auch nicht mehr lange, bis man Skifahren nicht mehr als praktikablen Sport ansehen könne. Die Frau, die täglich auf dem Weiß trainiert, ist erschrocken von den Veränderungen der vergangenen Jahre. Schmelzende Gletscher, wenig Schnee.

Reto Knutti ist selbst Skifahrer, Schweizer und Klimaphysiker an der ETH Zürich. Er ist niemand, der das Skifahren verbieten will. „Die Schneefallgrenze steigt, die Schneemenge nimmt ab“, sagt er. Um 400 Meter habe sich die Schneefallgrenze bereits verschoben. Das heißt: Eigentlich müsste man alle Skigebiete höher setzen. Nur kann man ja nicht die Infrastruktur von hier nach da versetzen, wie man Häuser bei Monopoly setzt. Knutti rechnet damit, dass der Trend sich fortsetzen wird. In 40 Jahren könnten es weitere 400 Meter sein – trotz Versuchen, den Klimawandel aufzuhalten.

Was bedeutet das für den Moment? Schon jetzt ist es schwierig für Skigebiete, die unterhalb von 1500 Metern liegen. Knapp unterhalb von 2000 Metern gehe es gerade noch, sagt Knutti. Über 2000 Meter sei es noch recht sicher. Die Zukunft: höher, höher, höher, am besten auf 3000 Metern.

An Skifahren ist ohne künstliche Beschneiung nicht mehr zu denken. Die kann helfen, aber nicht dauerhaft. „Ein beschneiter Kilometer kostet eine Million an Baukosten“, sagt Knutti. Wenn es zu warm ist, bringe auch das nichts mehr. Wenn ein Skigebiet 100 Tage pro Jahr Schneebedeckung hat, gilt es als schneesicher. Geht die Rechnung nicht auf, lohnt es sich nicht mehr. „In den tiefen Lagen ist das jetzt schon der Fall“, sagt Knutti. Die Frage ist also: Wo ergibt Skifahren überhaupt noch Sinn? Und wer kann es sich noch leisten? Knutti denkt, dass der Sport irgendwann an deutlich weniger Orten in hohen Lagen möglich sein wird. […]

Tourismusexperten in Orten wie Oberstdorf überlegen sich deswegen schon seit Langem, wie sie Touristen durch andere Angebote binden können. Nur noch dreißig Prozent der Gäste fahren Ski. Also: Wandern, Mountainbiken, Paragliding, geführte Schneeschuhtouren, Langlaufen – aber für Letzteres braucht man wieder Schnee.

Wer sich in den Schaufenstern der Geschäfte im Ort umschaut, findet dort nicht nur Skier. Wanderstöcke, Schuhe, Funktionskleidung. Die Auslagen sind Schaufenster in die Zukunft, sie zeigen, wie der Ort sich verändert. Martin Kiesel, 63 Jahre, erinnert sich an Winter, wo er Langlaufski ins Fenster stellte – und schon waren sie weg. Am Anfang des Winters: ausverkauft.

Und er erinnert sich an Winter, in denen vor der Haustür die Loipenspur bereit war und man von dort durch die Wiesen gleiten konnte. Das kann noch kommen, der Winter hat erst angefangen. Trotzdem fällt ihm auf, wie die Leute denken. Schnee – Langlauf, Langlauf – Schnee, eine Verbindung, die fest in den Köpfen ist.

Die Käufe seien zurückgegangen, sagt Kiesel, der seit 35 Jahren das Sportgeschäft in Oberstdorf führt. Langlauf und Skifahren würden schwieriger. „Wir müssen damit leben, wie es ist“, sagt er. Hinter ihm im Regal stehen die Skischuhe in bunten Farben – unberührt. Die Leute würden sich fragen: Wo kann man langlaufen? Und dann nicht mehr an Oberstdorf denken, sondern nach Südtirol und in die Dolomiten fahren.

Vor ein paar Tagen hat Kiesel mit einem befreundeten Hotelier gesprochen. Beide waren sich einig: Weihnachten lief gut, die Hotels waren voll. Doch nun bleiben die Gäste aus, von denen sie auch leben: die, die kurzfristig buchen, wenn Schnee liegt. „Das Loch wird länger werden, wenn’s keinen Schnee gibt“, sagt Kiesel. Der Klimawandel sei nicht wegzureden. Kiesel sagt das sehr ruhig und bestimmt, als ob er sich schon viele Gedanken darüber gemacht hat. Er blickt dabei ernst, aber nicht zu ernst, obwohl es um seine Existenz geht.

Kiesel passt sich an. Eigentlich ist er Experte für Langlaufski, aber wenn es so weitergeht, wird das Sortiment kleiner. Mehr Wandersachen, mehr Radsportkleidung, Kletterausrüstung. […]

Stefanie Sippel, „Letzte Abfahrt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Januar 2023. Online: Externer Link: https://www.faz.net/aktuell/sport/wintersport/wintersport-und-klimawandel-wie-wird-die-zukunft-aussehen-18593975.html © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Als Baustein hierfür ist das federführend von BMI und DOSB erarbeitete Konzept „Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen“ vorgestellt worden, das darauf zielt, Deutschlands Erfolgschancen bei Bewerbungen um Sportevents zu verbessern. Auf seiner Mitgliederversammlung Ende 2023 hat der DOSB beschlossen, der Öffentlichkeit 2024 ein Detailkonzept vorzustellen. Nicht übersehen werden sollte aber auch, dass mit den Special Olympics World Games 2023, der UEFA EURO 2024, der Handball-Europameisterschaft der Männer 2024, den Rhine-Ruhr FISU World University Games 2025 (Universiade) und der Handball-Weltmeisterschaft der Frauen 2025 zahlreiche prominente Sportgroßereignisse in Deutschland stattfinden. Zudem scheinen die Zeichen der Zeit grundsätzlich auf Veränderung zu stehen: Nach zwei Dekaden der Dominanz von BRICS-Staaten werden Sportgroßereignisse wie die kommenden Olympischen Spiele (Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032) und Fußball-Weltmeisterschaften (Kanada, Mexiko und USA 2026; Spanien, Portugal, Marokko als Hauptgastgeber 2030) wieder vorwiegend in OECD-Staaten ausgetragen.

Prof. Dr. Jürgen Mittag (geb. 1970); Universitätsprofessor für Politik und Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln; Jean Monnet-Professor und Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Forschungsthemen: Sportpolitik und -geschichte; Sportentwicklung zwischen kommunaler und internationaler Ebene; europäische Integration und politische Systeme in vergleichender Perspektive; Politische Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Vereine und soziale Bewegungen; Tourismus- und Freizeitforschung, Sozial- und Wohlfahrtspolitik.