Seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist das mediale Interesse an der Bundesliga, der Nationalmannschaft und dem Fußball im Allgemeinen stetig gestiegen. In den letzten Jahren wird dabei immer auch häufiger über Gewalt, Ultras und Rassismus in deutschen Stadien berichtet. In der Berichterstattung wird häufig ein verzerrtes Bild der Realität abgebildet und Diskriminierung wird auf die Dimensionen Gewalt und Rassismus reduziert. Dabei werden einzelne skandalträchtige Ereignisse medial ausgeschlachtet und als neuartige Phänomene dargestellt. Jedoch treten rechtsextremistische Phänomene schon immer in und um Fußballstadien auf. Sie haben sich in den letzten Jahren nicht verstärkt aber haben sich verändert (vgl. Blaschke 2012 b: 174). Während Neonazis in den 80er und 90er Jahren noch offen im Stadion agierten, ziehen sie sich in den Profi-Ligen weitestgehend zurück (vgl. ebd.).
Fußball im Allgemeinen, egal ob als Nationalmannschaft, in der Bundesliga oder im Amateurbereich, basiert immer auch auf dem Abgrenzungsmuster „Wir und die Anderen“ (vgl. Sundermeyer 2012: 289). Das Stadion oder der Sportplatz der Dorfmannschaft werden dabei zu Orten, an denen emotional besetzte Abwertungsmuster gegenüber Anderen von einer großen Masse toleriert werden. Im Rausch der Emotionen und teilweise unter Alkoholeinfluss werden diskriminierende Äußerungen schnell von Einzelnen auf eine breite Masse übertragen. In den deutschen Profi-Ligen sind rassistische Äußerungen der Zuschauer aufgrund der Modernisierung der Stadien (Sicherheitskonzepte) und in Folge der öffentlichen Ächtung, bis auf seltene Ausnahmen, verschwunden (vgl. Blaschke 2011: 10). In einer Zeit in der der Fußball im Profibereich vollständig kommerzialisiert ist, haben sowohl die Vereine als auch die Deutsche Fußball Liga (DFL) großes Interesse daran, mit negativer Berichterstattung hinsichtlich rassistischer Vorfälle über den eigenen Verein bzw. das Produkt Bundesliga nicht in Verbindung gebracht zu werden. Jedoch bezieht sich diese Ächtung in den meisten Fällen lediglich auf Rassismus und Gewalt. Andere Formen der Diskriminierung wie, Homophobie, Antiziganismus und Sexismus sind auf deutschen Sportplätzen und zum Teil auch in den Stadien der Bundesliga immer noch an der Tagesordnung, werden aber medial so gut wie nie thematisiert (vgl. Blaschke 2012a: 278 ff.). In der 1. und 2. Bundesliga agieren Rechtsextreme eher im Verborgenen und geben sich bewusst unpolitisch. In der Regel dienen die Arenen vielmehr als Rückzugsgebiet und als Orte der Vernetzung in denen nicht offensiv politische Anschauungen verbreitet werden (vgl. Blaschke 2011: 125).
In einzelnen Fällen benutzen rechte Kräfte Fußballstadien und ihr Umfeld auch zur Rekrutierung neuer Mitglieder. Dieses Phänomen konnte in den letzten Jahren z.B. bei Borussia Dortmund beobachtet werden (vgl. Sundermeyer 2013: 143 ff.). Negative Höhepunkte waren das Entrollen eine Plakates mit der Aufschrift „Solidarität mit dem Nationalen Widerstand Dorstfeld“ im Eröffnungsspiel der Bundesliga-Saison 2012/13 gegen Werder Bremen, kurz nach dessen Verbot durch den nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger. Des Weiteren wurden im Championsleaguespiel in Donezk am 13.12.2013 die Fanbetreuer, die sich aktiv gegen Rechts engagierten, von Neonazis aus den eigenen Reihen zusammengeschlagen. Seit diesen Vorfällen hat das Engagement der Dortmunder deutlich zugenommen. Borussia Dortmund ist keineswegs ein Einzelfall, weitere Beispiele von Vereinen aus der 1. und 2. Bundesliga die Probleme mit einer überdurchschnittlich großen Anzahl rechtsextremer Fans haben sind: Eintracht Braunschweig, Dynamo Dresden, 1860 München und Energie Cottbus (vgl. u.a. Blaschke 2011; Ruf 2013). Ein ganz anderes Bild bietet sich jedoch in den unteren Ligen und im Amateurbereich. Hier kommt es fast wöchentlich zu verbalen und körperlichen rassistischen Übergriffen über die keine mediale Berichterstattung stattfindet (vgl. Blaschke 2012b: 174). Dadurch ist der öffentliche Druck der auf den Vereinen lastet eher gering, so dass sich dem Problem kaum zugewandt wird. Des Weiteren fehlt den Vereinen meistens das Geld und auch das nötige Know-How um gegen rechtsextreme Fans vorzugehen. Beispielsweise existieren kaum Fanprojekte im Amateurbereich die sich mit den Problemfans auseinander setzen (vgl. Schwenzer 2007:9). Viele Clubs sind froh, überhaupt Zuschauer im Stadion zu haben und dulden daher auch rechtsextreme Anhängerschaft. Es existieren auch einzelne Beispiele in denen unterklassige Vereine und ihre Fans gezielt von Neonazis unterwandert werden. Dieses Phänomen ist häufig in strukturschwachen Regionen, in denen es wenige Arbeitsplätze und schlechte Perspektiven gibt, zu beobachten (vgl. ebd.; Ruf 2013: 125).
Rechtsextremismus, Ultras und Jugendkultur
In der medialen Debatte der letzten Jahre über Fußball, Gewalt und Rassismus wird häufig der Begriff „Ultras“ verwendet. Dies führt häufig zu der Annahme, dass die Ultras ein neues Phänomen wären. Die Ultrabewegung stammt aus Italien und in Deutschland bildeten sich bereits in den 90er Jahren die ersten Ultragruppierungen nach italienischem Vorbild (vgl. Gabler 2010: 56). Eine einheitliche Definition über Ultras existiert nicht, fest steht jedoch, dass es sich bei der Ultrabewegung mit ihren rund 25.000 Mitgliedern um die größte Subkultur bzw. Jugendkultur in Deutschland handelt (vgl. Ruf 2013: 24.). Ultras sind auch nicht durchweg politisch. Es existieren linke, politisch neutrale und rechtsoffene Gruppierungen (vgl. ebd.).
Wie ihr schon bei den Erklärungsansätzen auf der Individualebene (M.03.06.) gesehen habt, stellen sich Jugendkulturen häufig gegen die etablierten Anschauungen und Verhaltensweisen der Gesellschaft und der Eltern. Sie wollen Grenzen erproben, ihren eigenen Stil finden und Protest gegen bestehende Zustände artikulieren. Genauso verhält es sich auch bei den Ultras. Das einigende Ziel dieser Bewegung ist ihren Verein und ihre Stadt bestmöglich zu repräsentieren. Des Weiteren setzen sie sich für faire Eintrittspreise, fanfreundliche Anstoßzeiten und gegen die ausufernde Kommerzialisierung des Fußballs ein. Bei der Realisierung ihrer Ziele legen sie in manchen Fällen auch eine gewisse Radikalität an den Tag, beispielsweise bei der Verwendung von Pyrotechnik im Stadion, die typisch für Jugendkulturen ist. Ferner besitzen Ultras „Feindbilder“, wie die Polizei oder den Kommerz im Profifußball. Genau diese Eigenschaften der Ultrabewegung versuchen sich nun Neonazis zu Nutze zu machen. Denn neben der Musik ist der Fußball die Jugendkultur an die Neonazis am einfachsten anknüpfen können (vgl. Blaschke 2011: 125). Autonome Nationalisten, die von ihrem Auftreten her den Ultras sehr ähnlich sind, versuchen in manchen Fällen die Ultras zu unterwandern und linke Ultragruppen aus den Stadien zu verdrängen. So hat es sich beispielsweise bei Alemania Aachen zugetragen. Die dortigen Ultras haben sich in zwei verschiedene Gruppierungen aufgeteilt die „Aachen Ultras“ und die „Karlsbande“. Die „Aachen Ultras“ setzen sich aktiv gegen Neonazis im Stadion ein wohingegen sich die „Karlsbande“ als „unpolitisch“ versteht, sich immer weiter zu den Autonomen Nationalisten öffnete und sich zu einer stramm rechten Gruppierung mit engen Kontakten in die Neonaziszene entwickelt. Regelmäßig wurden Angehörige der „Ultras Aachen“ durch Mitglieder der „Karlsbande“ und rechte Gesinnungsgenossen bei Auswärtsspielen oder sogar in ihren Wohnungen attackiert (vgl. Ulrich 2013). Selbst der Sportverein schützte die „Ultras Aachen“ nicht und bezog lange keine klare Stellung gegen die Karlsbande. Im Januar 2013 gaben die „Ultras Aachen“ auf und besuchen die Spiele auf dem Aachener Tivoli nicht mehr (vgl. ebd.). Dieses Beispiel steht stellvertretend für die Zerrissenheit vieler Fanszenen. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich in Braunschweig, Duisburg und Dortmund. In den letzten Jahren werden vermehrt Unterwanderungsversuche der Ultraszenen durch Rechtsextremisten beobachtet (Blaschke 2011: 12; Ruf 2013: 126). Hinzu kommt ein Konflikt mit rechten Hooligans. Die Hooligans haben sich mit dem Aufkommen der Ultras in den 90er Jahren immer weiter aus den Stadien zurückgezogen (vgl. Gabler 2010: 53). Jedoch drängen sie seit einigen Jahren wieder zurück. Sie verstehen sich als die eigentlichen „Herren“ der Kurve. Bei Hooligans handelt es sich meist um rechtsextreme Personen, die eng mit der Szene der Autonomen Nationalisten verbunden sind. Wenn sich Ultragruppierungen dann gegen rechtsextremes Gedankengut im Stadion positionieren, werden sie von den Hooligans mit Gewalt zum Schweigen gebracht. Das Hauptargument, welches die Rechten bei diesen Handlungen ins Feld führen ist, dass das Stadion unpolitisch sei und die Linken mit ihren politischen Forderungen den Frieden in den Kurven gefährden würden. Eine Einstellung die bei vielen Stadionbesuchern durchaus populär ist, obwohl sie auch von der rechtsextremen NPD vertreten wird. Beispiele für derartige Vorgänge gibt es unter anderem in Braunschweig, Duisburg, Düsseldorf, Aachen und Dortmund. Dabei werden die Ultras auch nicht von den Ordnungsdiensten der Vereine geschützt. Diese sind häufig von Personen aus der rechten Szene unterwandert und bieten ihren Kammeraden freie Agitationsmöglichkeiten innerhalb der Stadien (vgl. Ruf 2013: 131). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ultras eine gegensätzliche jugendliche Fangruppe umfassen. Es existieren viele verschiedene Ultraguppierungen mit verschiedenen politischen Positionen. Von Haus aus sind Ultras nicht rechtsextrem aber durch ihre Kleidung, ihre Agitationsformen und Feinbilder anschlussfähig für Rechtsextremisten. Im Ursprungsland der Ultras Italien, haben sich die meisten Ultragruppierungen zu rechtsextremen Gruppen transformiert (vgl. Gabler 2010: 56). In welche Richtung die Entwicklung in Deutschland gehen wird bleibt abzuwarten. Eine besondere Bedeutung besitzen die Vereine und die normalen Stadionbesuchern: Nur wenn sich Vereine der Problematik der Rechtsextremismus unter den eigenen Anhängern bewusst werden und aktiv dagegen vorgehen, und auch die normalen Stadionbesucher rechtsextreme Personengruppen und Positionen im Stadion kritisieren und gegen sie mit demokratischen Mitteln handeln, kann eine ähnliche Entwicklung wie in Italien verhindert werden.
Eigener Text