Deprivationstheorie
Ein wichtiger Ansatz, der sich mit der Entstehung rechtsextremer Orientierungen und Fremdenfeindlichkeit befasst, spiegelt sich in den Deprivationstheorien wider. Ausgangspunkt dieser Theorien ist, dass der gegenwärtige gesellschaftliche und soziale Wandel Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben habe Deprivation bedeutet wortwörtlich übersetzt „Beraubung". In der Soziologie bezeichnet Deprivation somit die Unterversorgung bestimmter Individuen oder Gruppen einer Gesellschaft mit lebenswichtigen oder für unbedingt notwendig gehaltenen Gütern, so dass das soziale Existenzminimum unterschritten wird (Fuchs-Heritz/Lautmann 1994, S. 134). Bei der Deprivation handelt es sich um eine Situation, die Frustration hervorruft, welche wiederum rechtsextremistische Orientierungen begünstigen. Gerade Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen werden hier durch vermehrt hervorgerufen. Die These lautet, dass die prekäre soziale Lage vieler Menschen zur Abwertung anderer Gruppen führt, weil eigene Benachteiligungsgefühle (relative Deprivation) dadurch kompensiert werden sollen (Wolf/Schlüter/Schmidt 2005, S. 64). Deprivation bezeichnet somit allgemein den Zustand der Entbehrung oder des Entzugs. Relative Deprivation bezieht sich dagegen auf die subjektive Wahrnehmung, gegenüber einer Vergleichsgruppe oder einer anderen bedeutenden Gruppe benachteiligt zu sein. Ein solches Gefühl basiert dabei nicht unbedingt auf einer tatsächlich vorhandenen Mängellage, sondern kann auch nur ein subjektives Gefühl sein. Die wahrgenommene Benachteiligung führt jedoch zur Identifizierung Schuldiger an der momentanen Situation und führt zur Gegenwehr gegenüber den vermuteten Verursachern (Fuchs/Lamnek/Wiederer 2003, S. 39). Die Deprivationstheorie versucht nachzuweisen, dass fremdenfeindliche Einstellungen und Gefühle der Benachteiligung im Zusammenhang stehen.
Aus: Diana Marczinzik: Erklärungsansätze für rechtsextremistische Straftaten, in: Heribert Ostendorf (Hrsg.) Rechtsextremismus. Eine Herausforderung für Strafrecht und Justiz. Baden-Baden: Nomos 2009. S. 35-49
Desintegration
Rechtextremismus ist danach eine durch Verunsicherung ausgelöste Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen. Die zunehmende Individualisierung von Lebenslagen und der damit einhergehende Verlust traditioneller Lebensformen (z.B. die traditionelle Familie), Kollektive (z.B. Kirche, Gewerkschaften) oder Milieus (z.B. das traditionelle Arbeitermilieu) eröffnen neue Möglichkeiten, bergen aber auch Gefahren in sich. Der Münchner Soziologe Ulrich Beck sprach 1986 im diesem Zusammenhang von der »Risikogesellschaft«. Diesem Ansatz folgend formulierte der Bielefelder Pädagoge Wilhelm Heitmeyer (1987) die These von den Desintegrations- bzw. Modernisierungsverlierern. Gesellschaftliche Desintegration bzw. der Zerfall traditioneller Verhaltensweisen und Werte werde ängstlich abgewehrt und komme politisch in der Akzeptanz rechtsextremistischer Einstellungen und Verhaltensweisen zum Ausdruck. Denn diese Konzepte versprächen dem Individuum vermeintliche Stabilität und feste Kategorien (z.B. Nation, Rasse).
Aus: Innenministerium der Landes NRW (Hrsg.): Rechtsextremismus. Ursachen und Gegenstrategien, (Mai 2003) Externer Link: http://www.mik.nrw.de/uploads/media/breurge_01.pdf (08.10.2013).
Arbeitsaufträge
Einzelarbeit
Lies dir den Erklärungsansatz sorgfältig durch.
Markiere zentrale Begriffe in dem Text und kläre die Begriffe, die du nicht verstehst. Fertige einen Spickzettel an, der die wichtigsten Informationen des Textes enthält.
Gruppenarbeit
Stellt euch nun gegenseitig (mithilfe eures Spickzettels) die drei verschiedenen Erklärungsansätze vor.
Bearbeitet danach gemeinsam das Arbeitsblatt M 03.09 und versucht mithilfe eurer Arbeitsergebnisse „Wenn…dann-Sätze“, wie im Beispiel aus M 03.05 zu formulieren.
Schneidet eure „Wenn…dann-Sätze“ aus und versucht sie nach den Themen „Familie und Individualebene“, Jugendkultur und Umgebung“ und „Gesellschaft“ zu sortieren.
Das Arbeitsmaterial ist Interner Link: hier als PDF-Dokument abrufbar