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M 01.05 Die EU – ein politisches Ungetüm hinter verschlossenen Türen? Intransparenz und Lobbyismus in der EU
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Ist Lobbyismus schlecht? Was steckt hinter der Kritik, die der EU am häufigsten entgegengebracht wird. Aus welchen Gründen wird der Lobbyismus in Brüssel kritisiert und warum gibt es ihn?
Häufig wird der EU und ihren Organen Kritik entgegengebracht. Diese Kritik bezieht sich meistens auf ihre demokratische Berechtigung, auf ihre unübersichtlichen Entscheidungsprozesse oder auf den nur schwer kontrollierbaren Einfluss auf die EU-Politik, zum Beispiel durch Wirtschaftsvertreter/innen. Drei Stichworte, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftreten, sind Demokratiedefizit, Intransparenz und Lobbyismus. Verstärkt werden diese Problematiken dadurch, dass in der EU, im Gegensatz etwa zum politischen System Deutschlands, die Exekutive (vollziehende Gewalt, Regierung) und Judikative (Rechtsprechung), mehr Einfluss haben als die Legislative (Gesetzgebung, Parlament).
Das Wort Demokratiedefizit wird häufig verwendet, um die Befürchtung auszudrücken, dass die EU eigentlich gar keine demokratische Regierung hat. Zwar werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments von den EU-Bürger/innen direkt gewählt. Doch oft wird bemängelt, dass die Befugnisse des Parlaments nicht ausreichen, um die EU als Ganzes demokratisch zu legitimieren. Viele andere wichtige Positionen und Organe werden von nationalen Ministern und Ministerinnen sowie Regierungschefs besetzt, die zwar in ihrem jeweiligen Land gewählt wurden, aber eben nicht von der gesamten EU-Bevölkerung. Das hat auch zur Folge, dass es keinen EU-weiten Wahlkampf gibt. Manche Politikexperten und -expertinnen meinen, dass es einen solchen Wahlkampf nicht geben kann, weil die Mitgliedsstaaten wegen ihrer unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zu uneinheitlich sind. Deswegen können sich keine gesamteuropäische Öffentlichkeit bilden. Andere glauben, dass das Gegenteil der Fall ist: Es existiert deshalb keine europäische Öffentlichkeit, weil es keinen EU-weiten Wahlkampf und außerdem kaum europäisch ausgerichtete Medien gibt.
Darüber hinaus wird manchmal beanstandet, dass der EU die in einer Demokratie übliche Opposition fehlt, welche eine sichtbare Alternative zur momentanen Regierung bietet. Eine Opposition ist auch dazu da, um die Regierung zusätzlich zu kontrollieren.
Vielen dieser Kritikpunkte liegt aber auch ein etwas unfairer Bewertungsmaßstab zugrunde, auch als „staatsanaloger Fehlschluss“ bezeichnet. So wird die demokratische Legitimation und Funktionsweise der EU meist im direkten Vergleich zu demokratischen Nationalstaaten bewertet, was dann zwangsläufig dazu führt, dass Verfahren und Legitimationsweisen als schlecht bewertet werden. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es sich bei der EU eben um ein ganz neues politisches Gemeinwesen handelt, was eben anders – und nicht zwangsläufig schlechter – als klassische Demokratien funktioniert.
Neben dem angesprochenen Demokratiedefizit hört man oft, dass die Entscheidungsprozesse der EU intransparent sind. Das liegt zum einen daran, dass die Vielzahl an EU-Verträgen und -Gesetzen ein schwer überblickbares Geflecht – auch als Mehrebenensystem bezeichnet – bilden. Hier wird manchmal bemängelt, dass die EU insgesamt zu bürokratisch ist. Andere Politikexperten und expertiinnen geben zu bedenken, dass die EU auch nicht bürokratischer oder unübersichtlicher ist als nationale Regierungen. Um diesen Vorwürfen nachzukommen, hat die EU viele Sitzungsprotokolle ihrer Organe öffentlich zugänglich gemacht.*
Zum anderen sind die durch EU-Organe getroffenen Beschlüsse in der Öffentlichkeit oftmals gar nicht präsent. Viele EU-Bürger/innen erfahren erst von ihnen, wenn sie schon in Kraft getreten sind . Dann wird bisweilen der Umstand kritisiert, dass es keine gesamteuropäische Öffentlichkeit gibt, die sich mit diesen Themen beschäftigen könnte. EU-Politiker/innen werden immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die allgemeine Unübersichtlichkeit und die Unkenntnis der EU-Bürger/innen ausgenutzt werden, um unliebsame Verordnungen möglichst unbemerkt zu beschließen.
Auch das Gesetzgebungsverfahren in der EU wird manchmal als intransparent oder sogar undemokratisch kritisiert. So kommt es oft noch vor der ersten Lesung von Gesetzesentwürfen im Parlament zu einem sogenannten informellen „
Der Begriff Lobbyismus beschreibt den Umstand, dass Interessenvertretungen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Viele große Unternehmen, aber auch Stiftungen und Umweltorganisationen beschäftigen Lobbyisten und Lobbyistinnen. Deren Aufgabe besteht meist darin, persönliche Beziehungen zu Abgeordneten, Minister/innen oder Kommissar/innen zu pflegen. Diese Beziehungen werden von Lobbyisten und Lobbyistinnen dann dazu genutzt, Regelungen und Gesetze im Sinne ihres Arbeitgebers zu beeinflussen. Viele Politiker/innen müssen oft Entscheidungen treffen, zu denen ihnen das nötige Fachwissen fehlt. Dann bieten Lobbyisten und Lobbyistinnen für sie eine gute Möglichkeit, sich über bestimmte Sachverhalte informieren zu lassen. Im Idealfall trägt Lobbyismus also dazu bei, dass Politiker/innen zwischen möglichst vielfältigen Argumenten unterschiedlicher Interessengruppen abwägen können, bevor sie eine Entscheidung treffen. Problematisch ist dabei die Tatsache, dass niemand einen vollständigen Überblick über die vielen europäischen und außereuropäischen Interessenvertretungen im Europaviertel in Brüssel hat. Außerdem kann man nie genau sagen, wer weshalb eine bestimmte politische Entscheidung beeinflusst hat. Zudem können Bestechungsversuche seitens der Lobbyisten und Lobbyistinnen nicht immer ausgeschlossen werden, da ihre Kommunikation mit Politiker/innen häufig nicht öffentlich stattfindet.
Um mehr Klarheit und Übersichtlichkeit zu erlangen, hat die EU einen Verhaltenskodex für Lobbyisten und Lobbyistinnen aufgestellt und ein Transparenz-Register angelegt, in dem sich Interessenvertretungen registrieren lassen können. Dieses Transparenz-Register ist für alle EU-Bürger/innen einsehbar.** Unter dem Stichwort Externer Link: "Lobbyismus" kannst du auf der Seite der LzB Baden-Württemberg noch einmal ausführlicher nachlesen, wie Lobbyismus allgemein funktioniert. Insgesamt bleibt das Thema Lobbyismus in der EU aber hochumstritten. Im Jahr 2022 wurde die EU-Parlamentsabgeordnete Eva Kaili wegen mutmaßlicher Bestechlichkeit festgenommen, was die Debatte von über den Umgang der EU mit Lobbyismus und Intransparenz noch einmal angeheizt hat.
Autoren: Selina Kalms, 2024 aktualisiert von Franziskus von Lucke.
Weiterführende Informationen:
*Externer Link: http://www.europarl.europa.eu/committees/de/calendar.html">Sitzungskalender des Europäischen Parlaments mit Links zu den Liveübertragungen
Lexikoneintrag zum Demokratiedefizit im Eur-Lex: Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/summary/glossary/democratic_deficit.html?locale=de
bpb-Lexikoneintrag zum
Interner Link: Demokratiedefizit im Europalexikonbpb-Dossier Lobbyismus:
Interner Link: Starbucks oder Café au Lait: Lobbyismus in Washington und Brüssel im Vergleich bpb-Lexikoneintrag zum Externer Link: Lobbyismus. HanisauLand
Vorurteile über die EU auf dem Prüfstand:
bpb: Spicker Politik:
Interner Link: 7 Vorurteile gegen die Europäische Union (EU) Krumme Gurken, Teuro und Bürokraten (taggesschau.de): Externer Link: https://www.tagesschau.de/europawahl/eu-vorurteile100.html
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Jeder Text besteht aus mehreren Abschnitten. Gliedere beim genauen Lesen den Text in Abschnitte und finde für jeden Abschnitt eine Überschrift, in der du so knapp wie möglich den Inhalt wiedergibst.Schritt: Hauptaussagen formulieren
Formuliere nun in eigenen Worten die Hauptaussagen (auch Thesen genannt) des Textes und schreibe sie auf.
B.A Kulturwissenschaft (Universität Koblenz-Landau)
Studiert im M.A Soziologie (WWU Münster)
Institut für Soziologie der WWU
Team Forschen mit GrafStat
Dr. Franziskus von Lucke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.
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