Überblick
Dieses Modul gibt einen Überblick über die Bedeutung der Europäischen Union (EU) für die Gesundheitspolitik in Europa. Zunächst werden Grundmerkmale der Europäischen Union und der europäischen Integration erläutert. Hier stehen die wichtigsten Etappen des Integrationsprozesses (Kapitel
Das Kapitel
Das Programm dieser Lerntour
Die Titel der einzelnen Lernobjekte können Sie der folgenden Übersicht entnehmen.
Interner Link: Grundzüge des europäischen Integrationsprozesses Interner Link: Die Kompetenzen von EU und ihren Mitgliedstaaten in der Gesundheitspolitik Interner Link: Mechanismen europäischer Einflussnahme auf die Gesundheitspolitik in Deutschland Interner Link: Gestaltung einer europäischen Gesundheitspolitik Interner Link: Unbeabsichtigte Folgen des Integrationsprozesses
Lernziele
Dieses Modul verfolgt folgende Lernziele: Die Nutzerinnen und Nutzer sollen:
die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Nationalstaaten in der Gesundheitspolitik und ihren Teilgebieten kennenlernen;
nachvollziehen können, auf welchen Wegen die Europäische Union Einfluss auf die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten nimmt oder nehmen kann;
verstehen, in welcher Weise sich die europäische Integration auf die Versorgung, die Regulierung und die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens auswirkt beziehungsweise auswirken kann;
ein Verständnis für die Wechselwirkungen von EU-Ebene und mitgliedstaatlicher Ebene auf dem Feld der Gesundheitspolitik entwickeln.
Zusammenfassung
Die europäische Integration besteht in erster Linie in der Herstellung eines gemeinsamen Marktes. Politische Gestaltungskompetenzen auf europäischer Ebene bleiben dahinter zurück, vor allem auf dem Gebiet der sozialen Sicherung. So ist auch Gesundheitspolitik in der Europäischen Union vor allem eine Angelegenheit der Nationalstaaten. Auch in Deutschland werden gesundheitspolitische Entscheidungen primär in den nationalstaatlichen Institutionen getroffen. Allerdings lässt sich seit geraumer Zeit beobachten, dass die Europäische Union (EU) auf diesem Politikfeld eine wachsende Bedeutung erlangt und die Politik in den Mitgliedstaaten beeinflusst.
Dieser Bedeutungszuwachs ist auf unterschiedliche Prozesse zurückzuführen. So sind der Europäischen Union seit den 1980er-Jahren eine Reihe von Zuständigkeiten in der Gesundheitspolitik zugewiesen worden. Dazu zählen in erster Linie Kompetenzen zur Unterstützung der Mitgliedstaaten und zur Förderung ihrer Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Daneben kann die EU auf wenigen eng umgrenzten Feldern auch Rechtsvorschriften in Form von Mindestrichtlinien erlassen, nämlich beim Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und beim gesundheitsbezogenen Verbraucherschutz. Allerdings gilt bei allen Aktivitäten der EU grundsätzlich das Subsidiaritätsprinzip. Die EU darf also nur dann und insoweit tätig werden, als die betreffenden Probleme nicht besser auf einzelstaatlicher Ebene gelöst werden können. Wesentlich für die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ist, dass die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Gestaltung des Gesundheitssystems in vollem Umfang erhalten bleibt.
Der wachsende gesundheitspolitische Einfluss der Europäischen Union ergibt sich nicht aus der Erweiterung von Kompetenzen und ihrer bewussten Wahrnehmung, sondern auch aus unbeabsichtigten Folgen des Integrationsprozesses. Sie sind Folgen der Widersprüche zwischen europäischem Marktrecht und dem Sozial- und Gesundheitsrecht der Mitgliedstaaten. Weil das europäische Recht Anwendungsvorrang gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten genießt und der Integrationsprozess primär auf die Schaffung eines gemeinsamen Marktes ausgerichtet ist, greift das Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht des Binnenmarktes zunehmend auf die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten über. Ein wichtiger Motor dieser Entwicklung ist der Europäische Gerichtshof, der über einschlägige Rechtsstreitigkeiten verbindlich entscheidet.
Die absichtsvolle Wahrnehmung und Ausfüllung der gesundheitspolitischen Kompetenzen durch die Europäische Union erfolgt vor allem auf drei Wegen:
die Wahrnehmung von Kompetenzen im Bereich der Prävention, sowohl bei der Rechtsetzung als auch bei der Unterstützung der Mitgliedstaaten;
die Etablierung eines neuen Regulierungsmodus in der Gesundheitspolitik, nämlich der offenen Methode der Koordinierung;
den Versuch zur Schaffung eines europäischen Marktes für Gesundheitsdienstleistungen durch eine europäische Rechtsetzung.
Die unbeabsichtigten Nebenfolgen durch die Anwendung europäischen Marktrechts wirken sich vor allem in zweierlei Hinsicht auf das deutsche Gesundheitswesen aus:
Unter Berufung auf den freien Dienstleistungsverkehr erweitert die europäische Rechtsprechung die Rechte der Patientinnen und Patienten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Ausland und die entsprechenden Kostenerstattungspflichten der Finanzierungsträger.
Das europäische Marktrecht ist nur so lange nicht auf die Krankenkassen und die Kollektivverträge in der gesetzlichen Krankenversicherung anzuwenden, wie diese eine soziale Aufgabe wahrnehmen und im Sinne des europäischen Rechts nicht als Unternehmen anzusehen sind. Eine fortschreitende Privatisierung von Krankenbehandlungskosten und eine Verstärkung von Wettbewerbselementen bei der Reform des deutschen Gesundheitswesens droht diese Merkmale zunehmend infrage zu stellen.