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Interessenvertretung und Lobbying in der Gesundheitspolitik | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Interessenvertretung und Lobbying in der Gesundheitspolitik

Michael Simon

/ 22 Minuten zu lesen

Gesundheitspolitische Entscheidungen haben Auswirkungen nicht nur auf Versicherte und Patienten, sondern auch auf die wirtschaftliche Situation einer Vielzahl von Unternehmen und Einrichtungen der medizinischen und pflegerischen Versorgung. Insgesamt werden in Deutschland gegenwärtig jährlich etwa 500 Mrd. Euro für das Gesundheitswesen ausgegeben und sind mehr als sechs Millionen Beschäftigte im Gesundheitsbereich tätig (Stand: 2023). Von daher ist es naheliegend, dass auf dem Feld der Gesundheitspolitik eine Vielzahl von Personen, Verbänden und Organisationen aktiv sind, um gesundheitspolitische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im eigenen Interesse zu beeinflussen.

Netz aus bunten Fäden (© dirkauskiel / www.photocase.de )

Interessenvertretung und Lobbying

Die Begriffe „Lobbyismus“ und „Lobbying“ sind zumeist eher negativ konnotiert. Interessenvertretung und Versuche der Beeinflussung politischer Entscheidungen sind jedoch per se weder positiv oder negativ. Sie sind in einer parlamentarischen Demokratie grundsätzlich legitim und legal, sofern dabei nicht gegen geltende Rechtsvorschriften verstoßen wird.

Zudem werden die Begriffe „Lobbyismus“ oder „Lobbying“ vielfach für alle Aktivitäten der Interessenvertretung und Beeinflussung von Politik benutzt. Diese pauschale Verwendung beider Begriffe ist jedoch wenig hilfreich, denn nicht jede Aktivität der Beeinflussung politischer Entscheidungen ist zugleich auch Lobbyismus.

Der Begriff des Lobbyismus oder Lobbying ist abgeleitet aus dem englischen „Lobby“ als Bezeichnung für das Foyer, den Empfangsbereich oder die Eingangshalle eines Gebäudes, z.B. eines Hotels oder eines Parlamentes. Der Begriff wurde ursprünglich geprägt für Gespräche zwischen Abgeordneten und Interessenvertretern in einer solchen Räumlichkeit. Folgt man diesem Begriffsverständnis, dann setzt Lobbying die direkte mündliche Kommunikation voraus, insbesondere im Rahmen eines Gesprächs. Formen der interessengeleiteten Politikbeeinflussung, die nicht im Rahmen einer direkten mündlichen Kommunikation erfolgen, sollten nach diesem Begriffsverständnis nicht als Lobbying oder Lobbyismus bezeichnet werden. Werden beispielsweise Briefe an Abgeordnete gesendet, Anzeigen in Tageszeitungen veröffentlicht, Statements oder Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen abgegeben etc., dient dies zwar der Interessenvertretung und soll politische Entscheidungen beeinflussen, es ist nach dem hier verwendeten Verständnis jedoch kein Lobbying.

Direkte Gespräche von Interessenvertreterinnen und -vertretern mit Abgeordneten, Ministerialbeamten, Ministerinnen und Ministern etc. über konkrete gesetzgeberische Vorhaben, die dazu dienen, Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu beeinflussen, sind nach diesem Begriffsverständnis hingegen dem Lobbying zuzuordnen. Dabei ist es gleichgültig wo und bei welcher Gelegenheit das Gespräch stattfindet. Es kann in einer Parlamentslobby stattfinden, einem Abgeordnetenbüro, einem Ministerium, in der Pause einer Diskussionsveranstaltung oder bei einem gemeinsamen Abendessen in einem Restaurant. Diesem Verständnis von Lobbying und Lobbyismus folgt auch das 2021 beschlossene Lobbyregistergesetz und das seit 2022 bestehende Lobbyregister des Bundestages und der Bundesregierung.

Aus den genannten Gründen wird hier im Weiteren unterschieden zwischen Interessenvertretung als allgemeiner Bezeichnung für die interessengeleitete Politikbeeinflussung und Lobbying als Bezeichnung für Politikbeeinflussung im Rahmen direkter Kommunikation zwischen Akteuren der Politik und staatlichen Verwaltung auf der einen und Interessenvertreterinnen und -vertretern auf der anderen Seite. Interessenvertretung ist folglich der übergeordnete Begriff für die Gesamtheit aller Aktivitäten der Politikbeeinflussung und Lobbying bezieht sich auf einen Teil dieser Aktivitäten, der allerdings durchaus von besonderer Bedeutung ist, da im Rahmen des Lobbying persönliche Beziehungen aufgebaut und über längere Zeit gepflegt werden können, die die Chancen auf eine erfolgreiche Politikbeeinflussung deutlich erhöhen.

Interessenvertretung und Lobbying in der Gesundheitspolitik erfolgt weit überwiegend durch Verbände und ihre Vertreter beziehungsweise die im Auftrag von Verbänden tätigen Organisationen und setzt insbesondere an dem Bedarf von Politikern und Ministerialbeamten nach Beratung sowie detaillierten und zuverlässigen Informationen an. Das Gesundheitssystem ist hochkomplex und in seiner gesamten Breite und Regelungstiefe kaum von einzelnen Politikern und Ministerialbeamten überschaubar. Vor allem große und finanzstarke Verbände können diesen Bedarf an Informationen schnell und für die Adressaten in Politik und Ministerien kostenlos befriedigen. Große Verbände verfügen über eigene Expertenstäbe und können gegebenenfalls auch externe wissenschaftliche Gutachten in Auftrag geben.

Lobbying als besondere Form der Interessenvertretung braucht zudem, um langfristig erfolgreich zu sein, dauerhafte persönliche Beziehungen zu Politikern und Ministerialbeamten und eine stabile Vertrauensbasis. Diese wird durch persönliche Kontakte zwischen Lobbyisten und ihren Adressaten in Politik und Ministerialbürokratie aufgebaut und kontinuierlich gepflegt. Sowohl Gesundheitspolitikerinnen und -politiker als auch die Beamten der ‚Arbeitsebene’, die Gesetzesentwürfe formulieren, sind häufig über viele Jahre, teilweise auch Jahrzehnte in diesem Feld tätig. In dem Maße wie sich durch Kontakte, Einladungen zu Veranstaltungen und Vorträgen etc. Beziehungen bilden und intensivieren, erhöhen sich auch die Chancen der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse. Dies gilt insbesondere für Kontakte zu Ministerialbeamten, denn es sind in der Regel die zuständigen Fachbeamten, die Gesetzentwürfe schreiben und dadurch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Gesetzesinhalte haben.

Lobbyismus wird in Deutschland keineswegs nur kritisch gesehen, sondern auch als ein Tauschprozess, der für Politik und Ministerialverwaltung Vorteile bietet. Aus Sicht von Abgeordneten können Kontakte zu Interessenverbänden und die von ihnen gelieferten Informationen beispielsweise die Abhängigkeit der Politik von den Fachinformationen der Ministerialbürokratie mindern. Aus Sicht der Ministerialbeamten kann eine sachkompetente Unterstützung durch Verbandsexperten dazu beitragen, Fehler zu vermeiden und handwerklich bessere Gesetzentwürfe zu schreiben.

Das Problem der Nutzung der Expertise von Verbandsexperten und Lobbyisten ist und bleibt jedoch, dass die von Interessenverbänden bereit gestellten Informationen mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Interessen der durch diese Verbände vertretenen Unternehmen, Organisationen, Berufsgruppen etc. durchdrungen sind. Was in den bereit gestellten Informationen interessenneutrale Sachinformation ist und was interessengeleitete Darstellung, ist nicht immer auf den ersten Blick und leicht erkennbar. Die besondere Kompetenz erfahrener Interessenvertreter liegt gerade auch darin, Verbandsinteressen so in Sachinformationen einzukleiden, dass sie nur schwer als Teil einer Lobbying-Strategie erkennbar sind. Zudem vertreten Verbände möglicherweise die Interessen von Mitgliedern, die entweder als Wählerinnen und Wähler (Gewerkschaften, Berufsverbände) oder als Quelle von Spenden (z.B. Unternehmen, private Stiftungen) für Parteien und einzelne Abgeordnete von Relevanz sein können. In diesem Fall kann es für die Chance auf Wiederwahl oder die Einwerbung von Spenden hilfreich sein, Kontakte zu Interessenvertretungen zuzulassen oder sogar zu suchen und zu pflegen, um deren Interessen in einen Gesetzentwurf einzubringen.

Lobbyregister

Seit 2022 gibt es ein im Internet zugängliches und öffentlich einsehbares Externer Link: Lobbyregister für den Bundestag und die Bundesregierung, in das sich alle eintragen müssen, die zum Zweck der Einflussnahme auf politische Entscheidungen Kontakt zu Mitgliedern, Fraktionen oder Gruppen des Bundestages oder zur Bundesregierung aufnehmen. Grundlage des Registers ist ein Lobbyregistergesetz (LobbyRG), das im März 2021 vom Bundestag mit der Mehrheit der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beschlossen wurde. Das Lobbyregister soll die Einflussnahme auf politische Entscheidungen transparenter machen. Es wird von einer Abteilung der Bundestagsverwaltung (ZR6) geführt, zu deren Aufgabe auch die Überprüfung der Richtigkeit der Angaben und Einträge gehört.

Für Personen, die gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung Interessenvertretung regelmäßig oder auf Dauer oder geschäftsmäßig für Dritte betreiben, besteht eine Registrierungspflicht (§ 2 Abs. 1 LobbyRG).

Als Interessenvertretung im Sinn des Lobbyregistergesetzes gilt „jede Kontaktaufnahme zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf den Willensbildungs- oder Entscheidungsprozess der Organe, Mitglieder, Fraktionen oder Gruppen des Deutschen Bundestages oder zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf den Willensbildungs- oder Entscheidungsprozess der Bundesregierung“ (§ 1 Abs. 3 LobbyRG).

Von der Registrierungspflicht ausgenommen sind kommunale Spitzenverbände, politische Stiftungen, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie Personen, die an öffentlichen Anhörungen teilnehmen oder wissenschaftliche Gutachten oder Rechtsgutachten erstatten (§ 2 Abs. 2 LobbyRG).

Die Registrierung muss unverzüglich erfolgen, sobald eine registrierungspflichtige Interessenvertretung ausgeübt wird (§ 2 Abs. 1 LobbyRG).

Das Lobbyregistergesetz verlangt allerdings nur allgemeine Angaben wie die Namen der in der Interessenvertretung tätigen Personen, der beauftragenden Organisation, den Interessengebieten und finanziellen Aufwendungen für die Interessenvertretung. Konkrete Angaben zu einzelnen Kontakten werden nicht verlangt. Dies ist einer der zentralen Kritikpunkte am Lobbyregister von Bundestag und Bundesregierung. Denn nur wenn solche konkreten Angaben gemacht werden, wird ein sogenannter ‚exekutiver Fußabdruck‘ sichtbar und wird erkennbar, wer wann bei wem Einfluss auf ein bestimmtes Gesetzesvorhaben genommen hat. Diese Lücke versuchen Abgeordnete seit einiger Zeit dadurch zu füllen, dass sie zu einzelnen Gesetzen Anfragen an die Bundesregierung richten und Auskunft verlangen, welche Einflussnahmen von Interessenvertretungen es auf das betreffende Gesetz gegeben hat.

Ende April 2023 waren im Lobbyregister mehr als 30.000 Personen registriert, die nach dem Lobbyregister berechtigt sind, Interessenvertretung gegenüber dem Bundestag und der Bundesregierung auszuüben. In der Interessenvertretung tatsächlich aktiv waren zu diesem Zeitpunkt knapp 6.000 Interessenvertreterinnen und -vertreter, zum überwiegenden Teil Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Stiftungen und privaten Vereinen, darunter auch gemeinwohlorientierte Nichtregierungsorganisationen. Von diesen insgesamt ca. 6.000 Interessenvertreterinnen und -vertretern waren in der Statistik des Lobbyregisters Ende April 2023 etwa 30 Prozent dem Interessen- und Vorhabenbereich „Gesundheit“ zugeordnet. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass Interessenvertretungen häufig nicht nur in einem Interessen- und Vorhabenbereich aktiv sind, sondern auf mehreren Gebieten. Dies wird auch daran erkennbar, dass die Prozentangaben zu den Interessenbereichen auf der Internetseite des Lobbyregisters zusammen weit mehr als 100 Prozent ergeben. Das Spektrum der Organisationen und Personen im Interessenbereich „Gesundheit“ ist zudem sehr heterogen. Es reicht von Einzelpersonen, privaten Vereinen und Nichtregierungsorganisationen ohne eigene wirtschaftliche Interessen bis hin zu kommerziellen Lobbying-Agenturen und international tätigen Konzernen des Gesundheitsbereichs mit erheblichen eigenen wirtschaftlichen Interessen und erheblichen finanziellen Ressourcen, die sie für ihre Lobbyarbeit einsetzen können. Aus diesen Gründen ist die Gesamtzahl der aktiven Interessenvertreterinnen und -vertreter wenig aussagekräftig. Hinter ihr verbirgt sich ein hohes Maß an Heterogenität. Dies gilt auch in besonderem Maße für die Chancen auf Einflussnahme, denn die hängen insbesondere auch von den finanziellen Ressourcen ab, die eingesetzt werden können, um Personal und Sachmittel für Lobbying zu finanzieren.

Personen, die im Lobbyregister registriert sind und alle geforderten Angaben ordnungsgemäß gemacht haben, dürfen sich als „registrierte Interessenvertreterin“ oder „registrierter Interessenvertreter“ bezeichnen. Wird eine Registrierung verweigert, kann der Zugang zum Bundestag oder zur Bundesregierung verweigert werden. Ist eine Registrierung erfolgt, werden aber einzelne Angaben verweigert, wird die Verweigerung im Lobbyregister vermerkt. Verstöße gegen das Lobbyregistergesetz können als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden (§ 7 Abs. 3 LobbyRG). Auf Grundlage des Lobbyregistergesetzes hat die Bundesregierung einen Externer Link: Verhaltenskodex für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter beschlossen, der auch vom Bundestag übernommen wurde. Mit der Eintragung in das Lobbyregister akzeptieren Interessenvertreterinnen und -vertreter zugleich auch diesen Verhaltenskodex. Bundestag und Bundesregierung haben alle zwei Jahre einen Bericht über die Anwendung des Lobbyregisters vorzulegen (§ 9 Abs. 1 LobbyRG). Da das Gesetz zum 1. Januar 2022 in Kraft trat und nach seinem Inkrafttreten eine zweimonatige Übergangsfrist vorsah, ist der erste Bericht zum 31. März 2024 vorzulegen.

Bundestag und Bundesregierung waren keineswegs Vorreiter bei der Einrichtung eines Lobbyregisters in Deutschland. Zuvor hatten bereits mehrere Bundesländer eigene Lobbyregister eingeführt, so beispielsweise Externer Link: Brandenburg (2013), Externer Link: Rheinland-Pfalz (2011) und Externer Link: Sachsen-Anhalt (2014). Im zeitlichen Zusammenhang mit der Gesetzesinitiative des Bundestages folgten dann auch weitere Bundesländer wie Externer Link: Bayern (2022) und Externer Link: Berlin (2022).

Interessen und Interessenverbände im Gesundheitswesen

Auf dem Feld der Gesundheitspolitik existiert eine Vielzahl an Einzel- und Gruppeninteressen und demzufolge auch eine Vielzahl an unterschiedlichsten Verbänden. Verbände und Verbandsvertreter im Gesundheitsbereich verfügen jedoch nicht alle in gleichem Maße über die Möglichkeit einer erfolgreichen Einflussnahme auf gesundheitspolitische Entscheidungen. Die Unterschiede resultieren insbesondere aus einer unterschiedlichen Ressourcenausstattung, also vor allem den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, die für die Beschäftigung von Personal und die sachliche Ausstattung des Verbandes eingesetzt werden können.

Zudem unterscheiden sich Verbände in ihrem ‚politischen Gewicht’. Es gibt Verbände, die eine Alleinvertretungsstellung haben, da sie alle Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe (z.B. Ärztekammer), einer Gruppe von Leistungserbringern (z.B. Kassenärztliche Vereinigungen, Deutsche Krankenhausgesellschaft) oder alle Krankenkassen vertreten (Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV-Spitzenverband). Ein solches Vertretungsmonopol geht in der Regel einher mit einer Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen der in die zu vertretende Gruppe eingeschlossenen Ärzte, Krankenkassen etc.. Insofern zählen diese Verbände auch zu den finanziell bestausgestatteten Interessenverbänden im Gesundheitsbereich. Verbände und Interessenvertreter, die über kein Vertretungsmonopol verfügen, sind hingegen auf freiwillige Mitgliedschaften und Beitragszahlungen angewiesen. Aber auch unter ihnen finden sich erhebliche Unterschiede in der Finanzausstattung. So verfügen Verbände, die sich aus Mitgliedsbeiträgen abhängig Beschäftigter finanzieren (z. B. Berufsverbände der Gesundheitsfachberufe, Deutscher Pflegerat etc.) über deutlich weniger finanzielle Mittel als ein Dachverband privater gewinnorientierter Unternehmen (z.B. Verbände der Pharmaindustrie oder Medizingerätehersteller).

Die finanzielle Ausstattung eines Interessenverbandes oder einer Lobbyorganisation ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für deren Chance auf politischen Einfluss, insbesondere weil sie den Rahmen setzt für Umfang und Qualifikation des Personals sowie die Möglichkeiten, attraktive Veranstaltungen für politische ‚Entscheider’ auszurichten, auf denen der informelle persönliche Austausch ermöglicht und persönliche Netzwerke geknüpft und gepflegt werden können.

Im Folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten und einflussreichsten Verbände gegeben werden. Der Überblick erfolgt entlang einer Dreiteilung in Leistungserbringer, Kostenträger und Patienten (zu weiteren Informationen über die Organisation des Gesundheitssystems vgl. Simon 2021).

Verbände der Leistungserbringer

Die einflussreichsten Verbände auf der Leistungserbringerseite sind die Ärzteverbände und die Verbände der Krankenhausträger und unter diesen wiederum deren jeweiliger Spitzenverband.

Ambulante ärztliche Versorgung
Es gibt in Deutschland zahlreiche Ärzteorganisationen und -verbände, die berufspolitische und wirtschaftliche Interessen von Ärzten gegenüber der Gesundheitspolitik vertreten. Die beiden wichtigsten Organisationstypen sind die Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie sind vom Staat geschaffene und beaufsichtigte öffentlich-rechtliche Körperschaften, die Aufgaben einer mittelbaren Staatsverwaltung wahrnehmen und zugleich auch die berufspolitischen beziehungsweise wirtschaftlichen Interessen der in ihnen zusammengeschlossenen Ärzte vertreten. Diese Doppelfunktion ist ihnen durch Gesetz aufgetragen.

Ärztekammern gibt es in jedem Bundesland. Sie sind vor allem für die Regulierung und Beaufsichtigung der Ärzteausbildung und ärztlichen Berufsausübung zuständig. Die Landesärztekammern sind in der Bundesärztekammer zusammengeschlossen. Die Externer Link: Bundesärztekammer beschließt bundesweite Regulierungen, wie beispielsweise die Bundesärzteordnung und Weiterbildungsordnung der Ärzte, und ist die berufspolitische Vertretung der Ärzteschaft auf Bundesebene. Sie führt zudem die Ärztestatistik, deren Daten vom Statistischen Bundesamt und anderen staatlichen Behörden für die Gesundheitsstatistiken genutzt werden. Die Bundesärztekammer ist auch Vertretung wirtschaftlicher Interessen der Ärzteschaft. Sie verhandelt mit dem Verband der privaten Krankenversicherung über die Ausgestaltung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die Grundlage für die Honorierung der Behandlung von Privatpatienten ist. Als Interessenvertretung der Ärzte werden die Ärztekammern in der Gesundheitspolitik vor allem in Fragen der gesetzlichen Regulierung der ärztlichen Ausbildung aktiv, aber auch bei allen anderen Fragen der medizinischen Versorgung der Bevölkerung und bei Entscheidungen, die Auswirkungen auf die ärztliche Berufsausübung haben können. Die Bundesärztekammer gehört deshalb zu den am häufigsten zu Bundestagsanhörungen eingeladenen Organisationen.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVn) sind für die Regulierung der ambulanten ärztlichen Versorgung der GKV-Versicherten zuständig. Sie sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst, ihr Zuständigkeitsbereich erstreckt sich in der Regel auf ein Bundesland (Ausnahme: in NRW gibt es zwei KVn). Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben vom Staat den gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung einer ausreichenden und bedarfsgerechten ambulanten ärztlichen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übertragen bekommen und sind zentraler Verhandlungspartner der Krankenkassen bei Fragen der Ausgestaltung und Vergütung der ambulanten ärztlichen Versorgung. Um an der vertragsärztlichen Versorgung von GKV-Versicherten teilnehmen zu können, müssen Ärzte Mitglied der zuständigen KV sein. Sie benötigen eine Zulassung, die durch einen bei der KV angesiedelten und gemeinsam mit den Krankenkassen besetzten Zulassungsausschuss erteilt wird. Kassenärztliche Vereinigungen haben als Körperschaft des öffentlichen Rechts einerseits Aufgaben der mittelbaren Staatsverwaltung zu erfüllen, andererseits aber auch den gesetzlichen Auftrag, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsärzte wahrzunehmen (§ 75 SGB V). Dabei verfügen sie allerdings nicht über ein ‚Streikrecht’. Kassenärztliche Vereinigungen dürfen Vertragsärzte folglich nicht zu Kampfmaßnahmen aufrufen.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind auf Bundesebene in der Externer Link: Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zusammengefasst, die die Interessen der Vertragsärzte auf Bundesebene vertritt und bundesweit geltende Verträge mit dem GKV-Spitzenverband vereinbart.

Neben den Ärztekammern, den KVn und der KBV gibt es eine Vielzahl privatrechtlich verfasster Ärzteverbände und -organisationen, darunter vor allem Berufsverbände, wie beispielsweise den Hartmannbund oder Virchow-Bund, und medizinische Fachgesellschaften. Sie spielen in der Gesundheitspolitik allerdings nur eine eher randständige Rolle. Eine Sonderstellung nimmt in gewisser Weise der Marburger Bund ein, der als ärztlicher Berufsverband entstand und mittlerweile als gewerkschaftliche Organisation der Krankenhausärzte Tarifverträge mit den Vereinigungen der Krankenhausträger schließt.

Zwar treten KBV und KVn nach außen als einheitlicher Akteur auf, intern stehen sie jedoch vor der schwierigen Aufgabe, zum Teil erhebliche Interessengegensätze zu einer einheitlichen Position zusammenzuführen. So gab es in der Vergangenheit mehrfach bei Fragen der Verteilung des Honorarvolumens Auseinandersetzungen innerhalb von KVn beispielsweise zwischen Haus- und Fachärzten oder zwischen einzelnen Facharztgruppen. Als der Versuch einer bundesweiten Angleichung regional unterschiedlicher Vergütungshöhen unternommen wurde, führte dies zu Konflikten zwischen den KVn verschiedener Bundesländer.

Krankenhausversorgung
Neben den Verbänden der niedergelassenen Ärzte gehören die Verbände der Krankenhausträger zu den einflussreichsten Interessenverbänden in der Gesundheitspolitik, auch wenn dies in der öffentlichen Berichterstattung eher selten erkennbar wird.

Wichtigste Interessenorganisation des Krankenhausbereichs ist die Externer Link: Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Sie ist der Dachverband der Krankenhausträger, in dem alle bedeutenden Trägerverbände zusammengeschlossen sind, wie beispielsweise die kommunalen Spitzenverbände, die Wohlfahrtsverbände, der Verband der privaten Krankenhausträger etc. Anders als die Kassenärztlichen Vereinigungen ist die DKG keine Körperschaft, sondern ein privatrechtlich organisierter Verein. Dennoch wird die DKG von der Gesundheitspolitik in vielen Bereichen wie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts behandelt, beispielsweise indem in Gesetzen festgelegt wird, dass die von der DKG geschlossenen Verträge mit dem GKV-Spitzenverband für alle zur Versorgung von GKV-Versicherten zugelassenen Krankenhäuser ‚unmittelbar verbindlich’ sind. Der Einfluss der DKG wird nur selten durch öffentliche Aktionen erkennbar, er stützt sich eher auf die Beziehungen zwischen DKG und den für die gesetzliche Regelung der Krankenhausfinanzierung zuständigen Fachbeamten im Bundesministerium für Gesundheit und Fachpolitikern der verschiedenen Parteien. Ähnliches gilt für die Landeskrankenhausgesellschaften und die für den Krankenhausbereich zuständigen Länderministerien.

Auch die DKG steht vor dem Problem, unterschiedliche und teilweise sogar gegensätzliche Interessen verschiedener Mitgliedsorganisationen und Krankenhausgruppen zu einer einheitlichen Verbandsposition zusammenzuführen. Deutlich wurde dies beispielsweise bei der Diskussion über Mindestanforderungen bei der Versorgung von Frühgeborenen. Dabei traten vor allem die Universitätskliniken dafür ein, die Anforderungen zu erhöhen und damit die Zahl der zugelassenen Zentren zu reduzieren. Krankenhäuser mittlerer Größe lehnten dies jedoch entschieden ab, da sie damit rechnen mussten, dadurch von der Teilnahme an der Versorgung von Frühgeborenen ausgeschlossen zu werden.

Arzneimittelversorgung
Für den Bereich der Arzneimittelversorgung sind vor allem die Verbände der Arzneimittelhersteller und der Apotheker von Bedeutung. Die Interessenvertretung der Arzneimittelhersteller erfolgt seit einigen Jahren nicht mehr durch einen gemeinsamen Spitzenverband, sondern durch drei Verbände, die unterschiedliche Gruppen von Arzneimittelherstellern mit zum Teil gegensätzlichen wirtschaftlichen Interessen vertreten:

Zwar gibt es weiterhin gemeinsame Interessen aller Arzneimittelhersteller. Durch die in den letzten 10-20 Jahren erfolgte zunehmende Regulierung der Arzneimittelpreise, die Einführung und den Ausbau von Rabattverträgen für Nachahmerprodukte (Generika) und die Einführung einer Nutzenbewertung sowie zentraler Preisverhandlungen für patentgeschützte Arzneimittel haben sich die Gegensätze vor allem zwischen den Generikaherstellern und den forschenden Arzneimittelfirmen zunehmend verschärft.

Zum Einfluss von Pharmaverbänden

Wenn über den Einfluss der Pharmaindustrie auf die Gesundheitspolitik diskutiert wird, dann ist damit zumeist der Einfluss der forschenden Arzneimittelhersteller und ihres Verbandes gemeint. Er war früher in der Tat sehr einflussreich und konnte beispielsweise vor ca. 20 Jahren über eine Intervention beim damaligen Bundeskanzler erreichen, dass ein geplantes Gesetzesvorhaben in zentralen Punkten im Sinne der Pharmaindustrie geändert wurde. Der Einfluss des VFA hat in den letzten Jahren jedoch deutlich gelitten und im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zum Arzneimittelmarktneuordungsgesetz (AMNOG) konnte der VFA nicht verhindern, dass eine Nutzenbewertung und zentrale Preisverhandlungen für patentgeschützte Arzneimittel beschlossen wurden. Von der Pharmaindustrie und vom Verband wurde dies als schwere Niederlage gewertet. Der Verband beschloss daraufhin, sich neu aufzustellen und wechselte die Geschäftsführerin aus.

Eine weitere traditionell recht einflussreiche Interessengruppe im Bereich der Arzneimittelversorgung sind die Apotheker und ihre Spitzenorganisation, die Externer Link: Bundesvereinigung der Apothekerverbände (ABDA). Die Lobbymethoden der Apothekerverbände gerieten im Dezember 2012 durch einen ‚Datenspionageskandal’ im Bundesgesundheitsministerium (BMG) stärker in den Blick der Öffentlichkeit und in die Kritik.

„Datenspionage“ im Bundesministerium für Gesundheit als Lobbying-Methode

Da die Apothekerverbände auffällig früh und gut über geplante Gesetzesvorhaben des Ministeriums informiert waren, wurde 2012 im BMG nach einer Datenlücke gesucht. Die Ermittlungen führten zu dem Ergebnis, dass ein im BMG tätiger externer IT-Fachmann im Auftrag eines ehemaligen Mitarbeiters des ABDA, der mittlerweile eine Lobbing-Agentur betrieb, Daten und Emails der BMG-Führung kopiert hatte, die dann an den ABDA weitergeleitet wurden.

Ambulante und stationäre Langzeitpflege
Die verbandliche Interessenvertretung der Pflegedienste und Pflegeheime ist vergleichsweise heterogen und zersplittert. Es gibt keinen gemeinsamen Spitzenverband, und die Vertretung erfolgt über die verschiedenen Verbände der jeweiligen Trägergruppen. So werden die Pflegeeinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft durch die verschiedenen kommunalen Spitzenverbände mit vertreten und die freigemeinnützigen Einrichtungen über die jeweiligen Wohlfahrtsverbände wie beispielsweise die Diakonie, Caritas, das DRK etc. Auch die Vertretung der privaten Einrichtungen erfolgt nicht über einen gemeinsamen Verband, sondern durch mehrere unterschiedliche. Dies gilt nicht nur für die Bundesebene, sondern auch für die Landesebene und kommunale Ebene. Verglichen mit dem Einfluss von KBV, DKG oder GKV-Spitzenverband ist der Einfluss der Einzelverbände des Pflegebereichs relativ gering.

Verbände der Kostenträger

Die Kosten des deutschen Gesundheitswesens werden vor allem von der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der privaten Krankenversicherung getragen (Simon 2021). Für beide Arten der Krankenversicherung gibt es je einen Spitzenverband, der die Interessen seiner Mitgliedsorganisationen vertritt.

Die Krankenkassen als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind in kassenartenspezifischen Verbänden organisiert, wie beispielsweise dem AOK-Bundesverband, dem BKK-Bundesverband oder dem Verband der Ersatzkassen (vdek). Die Verbände der verschiedenen Kassenarten werden durch den Externer Link: GKV-Spitzenverband vertreten. Während die Spitzenverbände der verschiedenen Kassenarten privatrechtlich organisiert sind, ist der GKV-Spitzenverband eine durch Gesetz geschaffene Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er muss einerseits die Interessen der Gesamtheit aller Krankenkassen vertreten, hat andererseits aber auch – ähnlich wie die KBV – Aufgaben der mittelbaren Staatsverwaltung wahrzunehmen. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört der Abschluss von bundesweit geltenden Rahmenverträgen und Vereinbarungen mit den Spitzenverbänden der Leistungserbringer. Die von ihm mit den Spitzenverbänden der Leistungserbringer, wie KBV oder DKG, abgeschlossenen Verträge sind unmittelbar verbindlich für alle Krankenkassen.

Wie die anderen Spitzenverbände steht auch der GKV-Spitzenverband vor dem Problem, dass er unterschiedliche und teilweise auch widerstreitende Interessen seiner Mitgliedsorganisationen zu einer möglichst einheitlichen Position zusammenführen muss. Krankenkassen stehen in einem zunehmend schärfer werdenden Wettbewerb zueinander, konkurrieren zumeist um dieselben Mitglieder und haben insbesondere bei der Frage der Verteilung der Mittel des Gesundheitsfonds unterschiedliche Interessen. Dies tritt beispielsweise in Diskussionen über die Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs (RSA) zutage. Im RSA sind die Kriterien festgelegt, nach denen die Gelder des Gesundheitsfonds auf die einzelnen Krankenkassen verteilt werden. Jede Veränderung des RSA führt zu Änderungen der Mittelverteilung. Folglich gab und gibt es Krankenkassen, die für eine Reform RSA eintreten, weil sie sich davon höhere Einnahmen erwarten, und Kassen, die eine Reform ablehnen, weil sie Einnahmeverluste befürchten.

Die etwa 50 umsatzstärksten Unternehmen der privaten Krankenversicherung sind im Externer Link: PKV-Verband zusammengeschlossen. Er agiert als deren Spitzenverband und wird seit einigen Jahren auch zunehmend in die Entscheidungsstrukturen der gemeinsamen Selbstverwaltung eingebunden. So ist beispielsweise gesetzlich vorgegeben, dass die zentralen Entscheidungen über die jährliche Weiterentwicklung des DRG-Fallpauschalensystems für Krankenhäuser gemeinsam von DKG, GKV-Spitzenverband und PKV-Verband zu treffen sind.

Patientenorganisationen

In der Gesundheitspolitik sind auch Verbände aktiv, die sich als Interessenvertretung der Patienten begreifen. Die gesonderte Vertretung von Patienteninteressen wurde in den letzten etwa 20 Jahren zunehmend institutionalisiert, indem durch Gesetz die Beteiligung von Patientenvertretern an wichtigen Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung vorgeschrieben wurde. Der wichtigste Schritt in dieser Richtung war die Einführung einer Patientenvertretung im Externer Link: Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Allerdings wurde den Patientenvertretern kein Stimmrecht, sondern nur ein Mitberatungs- und Antragsrecht eingeräumt.

Bei einer Beteiligung von Patientenvertretern an Entscheidungsgremien der gemeinsamen Selbstverwaltung wie auch bei der Einbeziehung in gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse ist die Frage der Legitimierung und Auswahl zu beantworten: Welche Organisationen sollen auf Grundlage welcher Kriterien als legitime Patientenvertretung anerkannt und beteiligt werden? Die Bundesregierung löste dieses Problem, indem sie die Kriterien für eine Anerkennung als Patientenvertretung in einer ‚Patientenbeteiligungsverordnung’ festgelegt hat. Zu den anerkannten Patientenorganisationen gehören danach beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Selbsthilfegruppen, der Deutsche Behindertenrat und der Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Über die staatlich anerkannten Patientenorganisationen hinaus gibt es zahlreiche Patientenorganisationen und Zusammenschlüsse von Selbsthilfegruppen, zumeist für einen eingegrenzten Kreis von Patienten, die an einer bestimmten Erkrankung leiden. Diese Organisationen haben häufig auch zum Ziel, die Interessen ihrer Mitglieder in die Gesundheitspolitik einzubringen und gesundheitspolitische Entscheidungen zu beeinflussen. Der Stellenwert insbesondere von Selbsthilfegruppen wurde in der Vergangenheit durch gesundheitspolitische Entscheidungen mehrfach gestärkt, beispielsweise indem die Krankenkassen verpflichtet wurden, einen bestimmten Teil ihrer Ausgaben zur Unterstützung von Selbsthilfegruppen einzusetzen.

Allerdings hat das positive Bild von Selbsthilfegruppen darunter gelitten, dass Pharmaunternehmen gezielt einzelne Selbsthilfegruppen finanziell unterstützten und versuchten diese für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich positiv auf den Umsatz eines Medikaments auswirken kann, wenn Selbsthilfegruppen für dessen Anwendung werben und gegebenenfalls auch Druck auf die Politik ausüben, damit das entsprechende Medikament in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen wird oder darin verbleibt.

Insgesamt ist festzuhalten, dass Patientenorganisationen in der Gesundheitspolitik eine nur randständige Rolle spielen und wenig Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen ausüben können.

Lobbying und soziale Ungleichheit

Die Chancen der Einflussnahme auf gesundheitspolitische Entscheidungen sind zwischen den Verbänden im Gesundheitsbereich sehr ungleich verteilt. Es gibt ‚Big Player’ und eher randständige ‚Mitspieler’. Die Unterschiedlichkeit der Chancen ist vor allem auf die sehr ungleiche Ressourcenausstattung zurückzuführen.

Zu den finanzstarken Verbänden im Gesundheitsbereich können grundsätzlich vor allem Dachverbände gerechnet werden, deren Mitglieder finanzstarke Unternehmen, Unternehmensverbände oder Verbände von Einrichtungsträgern sind. Auch Verbände von relativ gut verdienenden Berufen im Gesundheitswesen wie Ärzten und Apothekern zählen zu den eher ressourcenstarken Verbänden.

Von erheblichem Vorteil für die finanzielle Ausstattung eines Verbandes ist es, wenn er auf einer Pflichtmitgliedschaft von Berufsgruppen oder finanzstarken Organisationen basiert und Pflichtbeiträge erheben kann. Dies ist beispielsweise bei den Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassenverbänden der Fall. Zur Gruppe der ressourcenstarken Verbände sind sicherlich auch die Verbände der Pharmaindustrie zu rechnen sowie die Apothekerverbände und Dachorganisationen der Wohlfahrtsverbände. Finanzstarke Verbände sind insbesondere deshalb im Vorteil, weil sie einen umfangreichen Stab fest angestellter Mitarbeiter finanzieren können und in der Lage sind, gegebenenfalls auch gut dotierte Gutachten oder Studien in Auftrag zu geben und attraktive Fachtagungen auszurichten.

Über deutlich weniger finanzielle Ressourcen verfügen insbesondere Verbände, die nicht auf einer Pflichtmitglied einer Berufsgruppe oder Organisationsart beruhen und deren sozioökonomische Basis von Berufen oder Unternehmen gebildet wird, deren Einkommen beziehungsweise Umsätze vergleichsweise eher durchschnittlich oder unterdurchschnittlich sind.

Pflegekräfte protestieren am 23.01.2014 vor der Eröffnung des Deutschen Pflegetages in Berlin. Der Deutsche Pflegerat (DPR) organisiert den Kongress als zentrale Veranstaltung für die Pflegebranche. (@picture alliance / dpa)

Sehr deutlich wird dies beispielsweise an den Verbänden der Pflegeberufe und dessen Dachverband, dem Deutschen Pflegerat. Zwar stellen die Pflegeberufe die mit Abstand größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, ihre Verbände gehören aber zu den ressourcenschwachen Verbänden und verfügen insgesamt betrachtet nur über relativ geringe Einflusschancen.

Es bleibt somit festzuhalten, dass Interessenvertretung und Lobbying in der Gesundheitspolitik in starkem Maße auch durch soziale Ungleichheit geprägt ist und die Chancen der Beeinflussung gesundheitspolitischer Entscheidungen insbesondere mit den Einkommen und finanziellen Ressourcen der jeweiligen Interessengruppe korrelieren.

Adressaten und Ansatzpunkte des Lobbying in der Gesundheitspolitik

Für Interessenvertretung und Lobbying in der Gesundheitspolitik sind vor allem bestimmte Stellen der institutionellen Strukturen sowie des politischen Entscheidungsprozesses von Bedeutung. Als Grundsatz gilt auch in der Gesundheitspolitik, dass Lobbying möglichst früh im Entscheidungsprozess ansetzen sollte und vor allem auf Akteure zielen sollte, die besonderen Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen haben.

Politiker und Ministerialbeamte als Adressaten des Lobbying

Zu den wichtigsten Adressaten des Lobbying in der Gesundheitspolitik sind auf Bundesebene die gesundheitspolitischen Sprecher der Regierungsfraktionen und die zuständigen Fachbeamten im Gesundheitsministerium zu zählen.

Unter den Abgeordneten des Bundestages sind für Lobbying vor allem die gesundheitspolitischen Sprecher der Regierungsfraktion und Obleute der jeweiligen Fraktionen im Gesundheitsausschuss von besonderem Interesse. Aber auch die Fachpolitiker der Oppositionsparteien sind Adressaten des Lobbying, insbesondere wenn die Regierungsfraktionen über keine Mehrheit im Bundesrat verfügen und die Opposition über den Bundesrat Änderungen von Gesetzentwürfen erzwingen oder Gesetzesvorhaben verhindern kann. Zudem müssen Interessenvertreter in Rechnung stellen, dass die gegenwärtigen Oppositionspolitiker die zukünftigen Mitglieder der Regierungsfraktion sein können, und der gesundheitspolitische Sprecher oder die Sprecherin der aktuellen Oppositionspartei nach der nächsten Wahl unter Umständen Gesundheitsministerin oder -minister oder Staatssekretärin oder Staatssekretär wird.

Die zweite sehr wichtige Adressatengruppe sind die zuständigen Ministerialbeamten der ‚Arbeitsebene’ im Gesundheitsministerium, vor allem die Referentinnen und Referenten. In diesen Positionen arbeiten häufig sehr qualifizierte Fachleute, die einen bestimmten, eingegrenzten Bereich der Gesetzgebung in der Regel über viele Jahre, teilweise auch über Jahrzehnte verantwortlich bearbeiten. Sie sind es in der Regel, die Gesetzentwürfe formulieren, unabhängig davon ob der Impuls aus dem Ministerium selbst kommt oder von den Mitgliedern einer Parlamentsfraktion. Fachbeamtinnen und Fachbeamte genießen nicht selten auf Grund ihres Fachwissens, und natürlich vor allem auch wegen ihres Einflusses auf Gesetzentwürfe, weit über die Ministeriumsgrenzen hinweg Ansehen und Aufmerksamkeit. Sie werden häufig zu Tagungen und Kongressen der Verbände eingeladen, um über aktuelle Planungen oder ein gerade beschlossenes Gesetz zu referieren und mit den Verbandsexperten zu diskutieren. Die Einladung zu einem Vortrag auf einer Verbandstagung ist ein häufig eingesetztes Mittel des Lobbying. Dabei können neue Beziehungen geknüpft oder bestehende gepflegt werden. An Referenten aus dem Bereich der Politik werden dabei auch Honorare gezahlt, teilweise auch recht hohe, die zur Finanzierung der jeweiligen politischen Tätigkeit beitragen können.

Ansatzpunkte des Lobbying im politischen Prozess

Unterteilt man den politischen Prozess in verschiedene Phasen, so liegt der Schwerpunkt des Lobbying in der Gesundheitspolitik vor allem in den ersten Phasen des politischen Prozesses. Auch für Lobbying in der Gesundheitspolitik gilt, dass die Einflussnahme möglichst frühzeitig erfolgen sollte, weil die Änderung von Gesetzesvorhaben umso schwieriger wird, je weiter deren parlamentarische Beratung bereits vorangeschritten ist.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für frühzeitige Interventionen die regelmäßige Beobachtung der Politik und Ministerialverwaltung ist. Nur so können Gesetzesvorhaben bereits vor ihrer Manifestierung in Papieren und Referentenentwürfen erkannt und beeinflusst werden. Ein solches ‚Monitoring’ ist umso besser möglich, je mehr persönliche und regelmäßige Kontakte zu den maßgeblichen Fachpolitikern der Regierungsfraktionen und Beamten des zuständigen Ministeriums bestehen. Ist dies der Fall, können Lobbyisten bereits erste Vorüberlegungen registrieren und durch Gespräche und gezielte Bereitstellung von Informationen Vorhaben in eine gewünschte Richtung lenken oder durch Hinweise auf mögliche Probleme zu verhindern suchen.

In der Gesundheitspolitik zeigt sich in den letzten Jahren ein deutlicher Trend dahin, dass vor allem große Interessenverbände wie Krankenkassenverbände, die KBV oder die DKG initiativ werden, um bestimmte Themen als Probleme auf der politischen Agenda zu platzieren. Dies kann umso besser gelingen, wenn das betreffende Thema in der Medienberichterstattung aufgegriffen und breit behandelt wird. Um dies zu erreichen, werden zunehmend häufiger auch wissenschaftliche Studien und Gutachten in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse werden den Medien präsentiert, und je breiter die Resonanz auf eine Studie in der Medienberichterstattung ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Thema von der Politik aufgegriffen und auf die gesundheitspolitische Agenda gesetzt werden.

QuellentextAgenda-Setting durch Verbände

Spiegel: Die Abgeordneten entscheiden doch selbst, welche Debatten sie führen wollen.

Lauterbach: Das läuft teilweise sehr raffiniert. Ein Beispiel: Die AOK hat ein Interesse daran, den derzeitigen Risikostrukturausgleich innerhalb der Krankenkassen zu ändern, weil sie aus ihrer Sicht davon nicht genug profitiert. Also hat sie ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das wurde auf Parlamentarischen Abenden vorgestellt, es gab Diskussionen in der Fachpresse, das ganze Programm. Die Politik kann dann schwer sagen, darüber reden wir jetzt nicht

Quelle: Auszug aus einem Spiegel-Interview mit Karl Lauterbach (damals gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion) in: Spiegel, Nr. 52 vom 22.12.2012, S. 23

Öffentliche Anhörung von Sachverständigen im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages im Jahr 2011. (© Deutscher Bundestag)

Liegt ein Gesetzentwurf vor und befindet sich in der parlamentarischen Beratung, so sind wichtige Ansatzpunkte der Interessenvertretung in der Gesundheitspolitik die Beratungen des Gesundheitsausschusses und vor allem dessen Verbands- und Expertenanhörungen sowie die Beratungen der zuständigen Bundesratsausschüsse. Wie auch in anderen Politikbereichen üblich, werden gesundheitspolitische Gesetzentwürfe in der ersten Lesung des Bundestages nicht diskutiert, sondern direkt an die Ausschüsse verwiesen. Dort finden die entscheidenden Beratungen statt und es werden Änderungsanträge eingebracht, auch von den Regierungsfraktionen. Als Grundsatz kann gelten, dass kein größerer Gesetzentwurf den Gesundheitsausschuss so verlässt, wie er in ihn hineingegeben wurde. Für Lobbying kann in dieser Phase von besonderem Nutzen sein, wenn es gelingt, die Vertreter der Regierungsfraktion für bestimmte Änderungsanträge zu gewinnen. Die Beratungen des Gesundheitsausschusses werden mit der Abstimmung über eine Beschlussempfehlung für das Plenum des Bundestages abgeschlossen. Diese Abstimmung im Gesundheitsausschuss ist von entscheidender Bedeutung, da in der anschließenden dritten Lesung des Bundestages die Regierungsmehrheit in der Regel der Ausschussempfehlung folgt.

In der Gesundheitspolitik ist auch die Phase der Umsetzung von Gesetzesbeschlüssen von besonderer Bedeutung für die Interessenvertretung. In gesetzlichen Regelungen für den Gesundheitsbereich werden häufig nur allgemeine Grundsätze festgeschrieben, und die Konkretisierung allgemeiner Vorgaben wird der so genannten ‚gemeinsamen Selbstverwaltung’ übertragen. Diese besteht auf der Bundesebene aus dem GKV-Spitzenverband und den Spitzenverbänden der jeweiligen Leistungserbringer, also vor allem der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder eines anderen dafür zuständigen Verbandes der Leistungserbringer. In dieser Phase müssen vor allem die einzelnen Kassenarten und die betroffenen Leistungserbringer daran interessiert sein, über die Ausgestaltung der anstehenden vertraglichen Vereinbarungen frühzeitig informiert zu sein, um sie in ihrem Interesse beeinflussen zu können. Entsprechend sind in dieser Phase des Politik-Zyklus nicht mehr Politiker und Ministerialbeamte Adressaten des Lobbying, sondern die Spitzenverbände und deren zuständige Mitarbeiter.

Methoden und Erscheinungsformen des Lobbying in der Gesundheitspolitik

Lobbying in der Gesundheitspolitik bedient sich des gleichen Spektrums an Methoden und Instrumenten wie sie auch aus anderen Bereichen bekannt sind.

Aufbau und Pflege persönlicher Kontakte

Von besonderer Bedeutung sind auch in der Gesundheitspolitik persönliche und langfristig angelegte und kontinuierlich gepflegte Kontakte zu Fachpolitikern, deren Parlamentsmitarbeitern und zu den zuständigen Fachbeamten in Bundes- oder Länderministerien. Langfristig stabile Beziehungen lassen sich letztlich nur auf einer Vertrauensbasis aufbauen und erfordern wechselseitigen Nutzen im Rahmen ausbalancierter Tauschprozesse.

‚Externe Personen‘ im Ministerium und personelle Wechsel

Diese Tauschprozesse beschränken sich nicht nur auf den Austausch von Informationen, sondern schließen auch den Austausch von Personen ein. So wurde bereits mehrfach bekannt, dass Mitarbeiter großer Verbände des Gesundheitsbereichs zeitweilig im Gesundheitsministerium tätig waren, dort ein eigenes Büro hatten und an der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen mitwirkten. In den letzten Jahren wurde beispielsweise bekannt, dass mehrfach Mitarbeiter von Krankenkassenverbänden zur Unterstützung in das BMG abgeordnet waren. Der Einsatz sogenannter ‚externer Personen’ in den Bundesministerien wird in einem jährlichen Bericht des Innenministeriums dokumentiert. Das Internetportal Externer Link: Lobbypedia bietet eine Zusammenstellung der in diesen Berichten enthaltenen Angaben, differenziert nach Ministerien. Darunter finden sich auch Angaben zum Einsatz externer Personen im Gesundheitsministerium.

Der Austausch von Personen erfolgt nicht nur von den Verbänden in das Parlament oder das Ministerium, sondern auch in umgekehrter Richtung. Immer wieder wechseln Gesundheitspolitiker und Beamte des BMG direkt oder kurz nach ihrem Ausscheiden aus der Politik oder dem Ministerium zu einem Verband oder einer anderen in der Interessenvertretung aktiven Organisation wie beispielsweise Anwaltskanzleien oder PR-Agenturen. Ein solcher Wechsel ist für das betreffende Unternehmen oder den Verband von mehrfachem Nutzen. Der neue Mitarbeiter oder die neue Mitarbeiterin verfügt nicht nur über sehr gute Kenntnisse der Entscheidungsstrukturen der Gesundheitspolitik, sondern auch über Kontakte zu früheren Kolleginnen und Kollegen, die für Lobbying genutzt werden können.

Beispiele für den Wechsel zwischen Ministerium und Akteuren der Interessenvertretung

Eine langjährige Geschäftsführerin des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller war zuvor Staatsekretärin und wurde nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin dieses Verbandes Gesundheitssenatorin eines Bundeslandes. Ihre Nachfolgerin auf dem Posten der Geschäftsführerin des VFA war zuvor Gesundheitsministerin eines Bundeslandes und danach Vorstandsvorsitzende einer großen Ersatzkasse.

Der 2009 neu berufene Abteilungsleiter für Grundsatzfragen der gesetzlichen Krankenversicherung im Gesundheitsministerium war zuvor führender Mitarbeiter im PKV-Verband, und sein Vorgänger im BMG war zuvor leitender Mitarbeiter im AOK-Bundesverband.

Nach dem Regierungswechsel 2005 verließ der vorherige Unterabteilungsleiter für den Bereich Krankenhausfinanzierung das BMG und wurde Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Nach dem Regierungswechsel 2009 wechselte der für die GKV zuständige leitende Beamte des BMG, der zuvor in einem Krankenkassenverband tätig war, zunächst zu einer Lobbyingfirma und übernahm danach die Funktion des Geschäftsführers eines Krankenkassenverbandes.

Im Frühjahr 2019 ging der langjährige Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung im BMG in den Ruhestand und wurde kurze Zeit später Mitglied einer Anwaltskanzlei, die auf den Bereich Medizinrecht und Wirtschaftsrecht im Gesundheitswesen spezialisiert ist. Anwaltskanzleien, die frühere leitende Ministerialbeamte als Kanzleimitglieder oder Partner gewinnen, werden dadurch als Berater für Interessenverbände besonders attraktiv.

Im Mai 2022 wechselte der Leiter des Stabsbereichs Politik beim GKV-Spitzenverband zum BMG und wurde dort neuer Abteilungsleiter für die Abteilung „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“.

Dies sind nur einige Beispiele für häufig stattfindende Wechsel zwischen Ministerien und Interessenvertretungsorganisationen oder Unternehmen. Solche Wechsel sollten jedoch nicht pauschal als Erscheinungsform des Lobbying gewertet und kritisiert werden. Entscheidend ist in jedem einzelnen Fall, wie sich die wechselnde Person nach dem Wechsel verhält und wie sie das zuvor erworbene Wissen einsetzt.

Wissenschaftliche Gutachten und Studien als Mittel der Politikbeeinflussung

Ein in den letzten Jahren zunehmend eingesetztes Instrument der Einflussnahme auf gesundheitspolitische Entscheidungen ist die Beauftragung von einzelnen Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Instituten mit der Erstellung von Gutachten oder Studien, die Verbandsforderungen und -positionen stützen sollen. Ein Vorteil dieser Methode der Einflussnahme ist dabei, dass Verbandspositionen dadurch die ‚höheren Weihen’ einer wissenschaftlichen Begründung erhalten können. Allerdings reagieren die Verbände der ‚Gegenseite’ bei wichtigen Themen in der Regel mit der Beauftragung anderer Wissenschaftler zur Erstellung von Gegengutachten. Der strategische Vorteil liegt jedoch in der Regel bei der Verbandsseite, der es gelungen ist, als erste ein entsprechendes Gutachten in den Medien und auf der gesundheitspolitischen Agenda zu platzieren.

Die Möglichkeit, wissenschaftliche Studien und Gutachten in Auftrag zu geben, ist allerdings in starkem Maße davon abhängig, wie gut die finanzielle Ausstattung des jeweiligen Verbandes oder der Organisation ist. Größere Studien mit Honoraren von mehreren Zehntausend oder sogar mehr als Hunderttausend Euro können nur vergleichsweise finanzstarke Verbände oder Unternehmen erstellen lassen. Auch an diesem Punkt zeigt sich die in hohem Maße sozial ungleiche Verteilung der Chancen für erfolgreiche interessengeleitete Einflussnahmen auf politische Entscheidungen.

Exklusive Netzwerke und ‚fachlicher Austausch’

Lobbying braucht den persönlichen Kontakt, und um diesen herzustellen und zu pflegen, sind informelle Netzwerke, Fachtagungen, Kolloquien, abendliche Empfänge etc. von großem Nutzen. Dementsprechend existieren auch auf dem Feld der Gesundheitspolitik zahlreiche Netzwerke und finden regelmäßige Insider-Veranstaltungen statt, für die in der Regel keine öffentliche Werbung gemacht wird und die teilweise auch nicht öffentlich zugänglich sind, sondern nur Mitgliedern und ausgewählten, gesondert eingeladenen Persönlichkeiten offenstehen.

Die wichtigen und einflussreichen Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Lage sind, die wirklich einflussreichen Akteure verschiedener Bereiche zusammenzuführen. Im Idealfall treffen dort die gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Bundestagsfraktionen mit den Vorständen der Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen, der DKG, der KBV und der großen Unternehmen des Gesundheitsbereiches sowie den in der Politikberatung etablierten Wissenschaftlern zusammen. Solche exklusiven Netzwerke in der Gesundheitspolitik sind beispielsweise die

Ihre Mitgliederlisten und Besetzungen von Präsidien, Vorständen, Beiräten, Arbeitskreisen etc. lesen sich wie ein Who-is-Who der Gesundheitspolitik und des Verbandslobbyismus. Beide Vereine sind jedoch nicht nur der breiteren Öffentlichkeit, sondern auch vielen Fachjournalistinnen und -journalisten weitgehend unbekannt.

Neben den gesundheitsspezifischen Netzwerken sind in der Gesundheitspolitik auch andere auf verschiedene Politikfelder ausgerichtete Organisationen tätig, deren erklärtes Ziel es ist, politische Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zu ihnen zählt beispielsweise die Bertelsmann Stiftung, die Stiftung Marktwirtschaft oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Die "Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung" (GVG)

In der GVG sind eine Vielzahl einflussreicher Persönlichkeiten des Gesundheitsbereichs und der Gesundheitspolitik Mitglied. Zu ihren Mitgliedern gehören neben Einzelpersonen zahlreiche große Unternehmen der Gesundheitsbranche, sowie Einzelverbände und Spitzenverbände des Gesundheitsbereichs. In ihrem Vorstand und Präsidium sitzen Vertreter der wichtigsten Verbände und ausgewählte Wissenschaftler wie beispielsweise Mitglieder des Gesundheitssachverständigenrates.

Die GVG veranstaltet regelmäßig Fachtagungen zu aktuellen Themen der Gesundheitspolitik, zu der die einflussreichen Gesundheitspolitiker der Bundestagsfraktion und auch der Gesundheitsminister nicht nur eingeladen werden, sondern auch erscheinen, Vorträge halten und auf Podien mit den Verbandsakteuren diskutieren.

Quellen / Literatur



Zur Einführung in die Funktionsweise der Gesundheitspolitik:

  • Rosenbrock, Rolf; Gerlinger, Thomas (2023): Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung. 4., überarbeitete Auflage. Bern: Hogrefe.



Zur Einführung in die Strukturen des Gesundheitssystems:

  • Simon, Michael (2021): Das Gesundheitssystem in Deutschland. Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. Bern: Hogrefe.



Zum Thema Interessenvertretung und Lobbyismus:

  • Kleinfeld, Ralf; Zimmer, Annette; Willems, Ulrich (2008): Lobbying. Strukturen. Akteure. Strategien. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

  • Leif, Thomas; Speth, Rudolf (2013): Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

  • Lösche, Peter (2007): Verbände und Lobbyismus in Deutschland. Stuttgart: Kohlhammer.

  • Speth, Rudolf; Zimmer, Annette (2015): Lobby Work. Interessenvertretung als Politikgestaltung. Wiesbaden: Springer VS.



Fussnoten

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Prof. Dr. Michael Simon lehrte von 1998 bis 2016 mit den Arbeitsschwerpunkten „Gesundheitssystem “ und „Gesundheitspolitik“ in den Pflegestudiengängen der Fakultät V der Hochschule Hannover (vormals: Evangelische Fachhochschule Hannover).

Eine Liste der Veröffentlichungen von Michael Simon finden Sie unter diesem Link:
Externer Link: https://f5.hs-hannover.de/ueber-uns/personen/lehrende/prof-dr-michael-simon/