Die radikale Rechte in Deutschland nach 1945 Demokratie, Pluralismus und deutsch-deutsche Verflechtungen
Sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR verstanden sich nach der doppelten Staatsgründung im Jahr 1949 als Staaten und Gesellschaften, die die Geißel des Rechtsextremismus überwunden hatten. Das NS-Regime vermeinte man auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nicht nur hinter sich gelassen zu haben, mehr noch, seine sozialen, kulturellen und ideologischen Pfründe schienen zerschlagen, seine Machtbastionen besiegt worden zu sein – durch die Alliierten des Zweiten Weltkriegs und mit ihnen durch die liberal-kapitalistische Demokratie einerseits wie durch den realexistierenden Sozialismus andererseits. Radikal rechte Positionen, Mobilisierungen, Parteien und Gewaltexzesse störten allerdings das Bild von der gefestigten westlichen Demokratie auf der einen und dem antifaschistischen Konsens auf der anderen Seite des sich rasant manifestierenden Systemgegensatzes. Tatsächlich konnten in der Bundesrepublik die rechten politischen Formierungen der ersten Jahre mit dem (alliierten) Durchgreifen in den frühen 1950er Jahren in die Schranken gewiesen werden; nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei festigte sich das bürgerliche Parteienspektrum und verloren rechte Parteien massiv an Zustimmungswerten. Alte NS-Eliten konnten prosperieren, so sie sich dem minimaldemokratischen Konsens unterwarfen. Auch in der DDR fügten sich vormalige Nationalsozialisten in großer Breite dem sozialistischen System ein. Doch das rechtsextreme Potenzial brodelte weiter und erwies sich als reaktivierbar: die Hakenkreuzschmierwelle 1959/60, die Wahlerfolge der NPD in den 1960er Jahren, die rechtsintellektuellen Aufbrüche der 1970er Jahre, der jugendkulturelle Neonazismus in der DDR und der bundesrepublikanische Rechtsterrorismus der 1980er Jahre, die rechtsextreme Gewalt, die die Vereinigungsgesellschaft charakterisierte, die Neugruppierung des Rechtsintellektualismus in den 1990er Jahren – nicht nur sie zeugten davon, wie falsch die Selbstwahrnehmung beider deutscher Gesellschaften war.
Diese Selbstwahrnehmung fand ihren Niederschlag in der Historiographie. Die Geschichte der radikalen Rechten fristete in der Bundesrepublikforschung ein Randdasein und wurde mit wenigen Ausnahmen, die zumeist den öffentlichen Aufmerksamkeitswellen folgten, den Politik- und Sozialwissenschaften überlassen. Im Großen und Ganzen wurden, beginnend in den 1980er Jahren, Kontinuitäten über 1945 hinaus thematisiert, die Geschichte der radikalen Rechten als Nachgeschichte des Nationalsozialismus erzählt, die aus generationellen Gründen indes in den 1970er Jahren auszulaufen schien. Dazu trug in erheblichem Maße die Orientierung an dem progressiv gedachten Modell liberal-kapitalistisch demokratischer Entwicklung bei, die sich in der Formel von der deutschen Ankunft „im Westen“ verdichtete. Die DDR-Historiographie zog es vor, sich – abgesehen von einer Ausnahme – nicht mit dem Phänomen zu beschäftigen, das mit dem marxistisch-leninistischen Geschichtsmodell so gar nicht kongruent war.
Erst in den letzten zehn Jahren begann sich die Zeitgeschichte in Deutschland im Dialog mit den Sozial- und Politikwissenschaften mit der radikalen Rechten intensiver auseinanderzusetzen, nicht zuletzt weil die rechtspopulistischen Aufbrüche der Gegenwart nach zeithistorischer Einordnung und Erklärung verlangten und der Verweis auf den Nationalsozialismus dafür nicht mehr griff. So entstanden und entstehen vor allem Qualifikationsarbeiten, die einzelne Phänomene beleuchten und Licht ins historische Dunkel der rechten Szene bringen. Es fehlt allerdings an einer synthetisierenden Perspektive, die die Forschungsergebnisse der Einzelstudien in den weiteren historischen Zusammenhang zu integrieren vermag und damit die radikale Rechte als genuinen Bestandteil der Geschichte des doppelten wie des vereinigten Deutschland nach 1945 analytisch fassbar macht.
Die Tagung lotet solche Perspektiven aus. Sie diskutiert ausgewählte Entwicklungsachsen der deutschen Geschichte seit 1945 und wendet sie auf die radikale Rechte. Sie fragt nach den rechten Potenzialen von Liberalisierung, Demokratisierung, Individualisierung und Pluralisierung, nach rechten Anverwandlungen und Aneignungen jenseits eines holzschnittartigen Backlash-Modells; sie nimmt eine konsequent deutsch-deutsche Perspektive ein; sie zeichnet rechten Transnationalismus und Internationalismus nach; sie interessiert sich für ideologische Übergangsbereiche und Mischungsverhältnisse sowie für rechtsextreme Aktionsformen in unterschiedlichen Räumen und gesellschaftlichen Kontexten; sie blickt auf Erfahrungen von Brüchen und Transformationen und deren rechte Verarbeitungsmodi. Nicht zuletzt stellt sie die Frage nach der Integration der radikalen Rechten in die „großen Erzählungen“ der deutschen Geschichte seit 1945.
Die Tagung lädt zu kurzen, thesenstarken Impulsreferaten ein und strebt eine konzise und analytisch fokussierte Diskussion an.
Hinweise zur Veranstaltung
Veranstaltungsadresse:
Institut für Zeitgeschichte München–Berlin
Leonrodstraße 46b
80636 München
Veranstalter:
Bundeszentrale für politische Bildung und das Externer Link: Institut für Zeitgeschichte München–Berlin
Zielgruppe:
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Schwerpunkt Rechtsradikalismus/Rechtsextremsimus
Pressekontakt:
Journalistinnen und Journalisten wenden sich bitte an die
Anmeldung:
Teilnahmegebühr: Teilnahme ohne Übernachtung: 10,00 Euro
Teilnahme mit einer Übernachtung im Einzelzimmer (02.-03.04.2025): 50,00 Euro
Teilnahme mit zwei Übernachtungen* im Einzelzimmer (01.-03.04.2025): 100,00 Euro
* Die Teilnahmeoption mit zwei Übernachtungen ist nur dann möglich, wenn eine Anreise am Vortag der Veranstaltung notwendig ist. Die Notwendigkeit ist in dem Fall gegeben, wenn eine pünktliche Anreise zum Veranstaltungsbeginn nur bei einem Reiseantritt vor 06:00 Uhr möglich ist.
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