„Landshut“-Entführung als „Höhe- und Wendepunkt“ des Linksterrorismus in Deutschland
Die Erinnerung an die Entführung und Befreiung der „Landshut“ im Jahr 1977, als die noch junge Bundesrepublik im „Deutschen Herbst“ dem Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) gegenüberstand, ist ein fester Bestandteil der medial vermittelten Erinnerungskultur in Deutschland.
„Mogadischu war ein Wendepunkt“, bilanzierte Gerhart Baum, FDP, der als Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium mit den Flugzeugentführer:innen verhandelt hatte.
Die „Landshut“ wurde zu einem Symbol für die Wehrhaftigkeit der jungen Bundesrepublik gegenüber einer terroristischen Bedrohung. Angesichts des glücklichen Ausgangs der Entführung wird selten thematisiert, dass die Bundesregierung im Zweifel dazu bereit gewesen wäre, die „Landshut“-Geiseln zu opfern.
Der gute Ausgang der Entführung und die Rettung fast aller Geiseln, erleichtert den Besu-cher:innen des „Lernort Landshut“ den Zugang zum Thema terroristische Gewalt. Dies ist eine große Chance, um am historischen Ort (jedenfalls in der historischen Lufthansa-Maschine), mit Hilfe von Zeitzeug:innen und auf der Grundlage einer durchdachten didaktischen Einbettung historische Lernprozesse anzustoßen. Wie können mit Hilfe auch der Berichte von Zeitzeug:innen, die die „Landshut“-Entführung vor 50 Jahren miterlebt haben und deren Erinnerungen historisch kontextualisiert und multiperspektivisch erschlossen werden, Lernprozesse hin zu einem historischen und politischen Denken angestoßen werden? Kann der „Lernort Landshut“ dabei helfen, die Gegenwart und ihre multiplen Krisen besser zu verstehen? Nur zwei Beispiele, um die Aktualität des Themas zu verdeutlichen:
Zum einen können die Motive der palästinensischen Terrorist:innen, die die „Landshut“ entführt haben, und die Verflechtungen bis in die Gegenwart erarbeitet werden. So ist es wichtig zu verstehen, dass die vier palästinensischen Flugzeugentführer:innen von 1977 christlich, islamisch und atheistisch geprägt waren. Mit der RAF in Deutschland verbanden die Entführer:innen der „Landshut“ ein international-sozialistisches und „anti-imperialistisches“ Weltbild. Die Feindschaft gegenüber Israel und den USA und die erstrebte „Befreiung Palästinas“ einte sie zwar, doch leitet die damalige Zusammenarbeit der linksterroristischen RAF mit palästinensischen Terrorist:innen nicht direkt zum islamistischen Terror über.
Der „Lernort Landshut“ bietet nicht zuletzt wegen des glücklichen Ausgangs der Entführung und der Möglichkeit, mit Zeitzeug:innen in Präsenz oder als Video zu arbeiten, sehr gute Voraussetzungen, um Wissen zu vermitteln und historische Denk- und Lernprozesse anzustoßen. Damit dies gelingt und die emotionale Begegnung zu historisch-politischem Denken führt, sollen im Folgenden die Chancen und Risiken der Arbeit mit Zeitzeug:innen in den Blick genommen und auf den „Lernort Landshut“ angewandt werden. Zunächst wird der Begriff der „Zeitzeug:innen“ geklärt, bevor auf die Chancen und Risiken der Arbeit mit Zeitzeug:innen im Schulkontext und auf empirische Studien hierzu eingegangen wird. Das didaktische Potenzial der Zeitzeug:innen am „Lernort Landshut“ wird anhand von vier Lernmodulen aufgezeigt, bevor zum Schluss ein kurzes Fazit gezogen wird.
„Zeitzeug:innen“ und „Interviewpartner:innen“: Ein Definitionsversuch
Der Beitrag steht unter der Überschrift, wie mit den Erinnerungen von Zeitzeug:innen am „Lernort Landshut“ historische Denk- und Lernprozesse angestoßen werden sollen. Doch ist der Begriff der Zeitzeug:in zunächst zu klären und muss, wenn es um historisches Lernen geht, von den Interviewpartner:innen in wissenschaftlichen Oral History-Studien abgegrenzt werden. Hier werden mündliche Befragungen geführt, um die Sichtweisen und Perspektiven von Menschen, die über eine bestimmte Zeit, Ereignisse und Entwicklungen berichten können, zu dokumentieren und vergleichend und kontextualisierend zu untersuchen. Die Oral History ist als Methode in der Geschichtswissenschaft inzwischen anerkannt, wobei die Tücken des menschlichen Gedächtnisses und der Erinnerung sowie die fehlende empirische Repräsentativität berücksichtigt werden müssen. Insbesondere in den Bereichen der Alltags- und Mentalitätsgeschichte wird der Gewinn gesehen, denjenigen eine Stimme zu geben, die in der Öffentlichkeit und in den Medien weniger gehört werden.
Der Begriff Zeitzeug:innen hingegen ist eine deutsche Besonderheit und kann nicht mit Interviewpartner:innen gleichgesetzt werden.
Meist berichten Zeitzeug:innen in einem vordefinierten, erinnerungskulturellen Kontext von einer historischen Situation und bezeugen eine vorher bereits bekannte Sichtweise. Häufig werden sie in die Schule oder zu offiziellen Gedenkveranstaltungen eingeladen. In Ausstellungen, Museen oder in historischen Fernsehdokumentationen wird oft mit Videos von Zeitzeug:innen gearbeitet. Die Kultusministerkonferenz (KMK) empfiehlt, Berichte von Zeitzeug:innen in die schulischen Erarbeitung der beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert einzubinden, um die Wichtigkeit einer demokratischen und friedlichen Gesellschaft zu vermitteln.
Damit das Interview mit Zeitzeug:innen zum Ausgangspunkt für einen historischen Denk- und Lernprozess wird, muss es als eine mündliche Quelle verstanden werden, die unter Berücksichtigung der Quellenkritik und auf der Basis sozialwissenschaftlicher Methoden untersucht wird. Zeitzeug:innen unterscheiden sich auf verschiedenen Dimensionen, z. B. hinsichtlich des Themas, zu dem sie befragt werden (als Teil einer Gewaltgeschichte, Demokratiegeschichte, Alltagsgeschichte,…), der Rolle, die sie in der Vergangenheit eingenommen haben (als Opfer, Täter:in, Held:in, Beobachter:in,…), ihrer Nähe zu den berichteten Ereignissen (aktiv beteiligt, selbst beobachtend, informiert durch die Medien,…) und nach dem lebensgeschichtlichen Abstand zu den Ereignissen (jüngerer oder älterer Mensch; zeitliche Nähe und Ferne).
Quellenstatus. Die Aussage von Zeitzeug:innen ist sowohl eine Quelle, da die Erfahrungen in der Vergangenheit gesammelt wurden, als auch eine Darstellung, da in der Gegenwart erzählt wird, so dass auch später gewonnene Informationen, nachträgliche subjektive Deutungen und Sinnbildungen einfließen. Diese Ambiguität muss bei der Auswertung der Quelle berücksichtigt werden.
Narrativität. In den Berichten von Zeitzeug:innen drückt sich ein Grundprinzip des historischen Erzählens aus: der narrative und sinnbildende Charakter von Geschichte. Im rückblickenden Erzählen wird die eigene (Lebens-)Geschichte mit einem Sinn unterlegt, um hieraus eine Botschaft für die Zukunft zu formulieren. Insbesondere Zeitzeug:innen, die in der Schule befragt werden, wollen den Schüler:innen in der Regel eine Botschaft vermitteln.
Authentizität. In der Lebensgeschichte wird die „große Geschichte“ (an-)fassbar. Die leibhaftige Anwesenheit eines Menschen, der die Vergangenheit miterlebt hat, besitzt ein großes Motivationspotenzial für die Lernenden, was der Studie von Angvik und Borries (1997) zufolge allerdings bedeuten kann, dass Berichte von Zeitzeug:innen von Schüler:innen als glaubhafter wahrgenommen werden als Schulbuchdarstellungen.
Emotionalität. Ein:e Zeitzeug:in tritt im Gespräch den Lernenden als Mensch gegenüber, dessen Erfahrungen und Erinnerungen nicht nur kognitiv, sondern auch emotional wahrgenommen werden. Je dramatischer und bedrohlicher die Ereignisse sind, von denen erzählt wird, umso größer die emotionale Anteilnahme der Zuhörenden.
Erinnerung. Erinnerung ist die Grundlage jeglicher historischer Erkenntnis; die Geschichtsschreibung in der Antike und im Mittelalter basierte auf den Berichten der Zeitgenoss:innen. Allerdings vollzieht sich Erinnerung in einem aktiven und rekonstruktiven Prozess: Bei jedem Abruf einer Erinnerung wird ein neues neuronales Netzprofil zusammengesetzt
Werden diese Besonderheiten von Zeitzeug:innen im Lernprozess explizit gemacht, bietet sich die Chance, mit Zeitzeug:innen Interesse/Neugierde an Geschichte(n) und an bestimmten Themen zu vermitteln/wecken sowie Praktiken des historischen Arbeitens einzuüben. Zum anderen können die Lernenden anhand der Arbeit mit „Zeitzeug:innen“ als Quelle und Darstellung etwas über die epistemologischen Grundlagen des historischen Denkens und Erzählens verstehen und historisch denken lernen.
Zeitzeug:innen im Schulkontext: Chancen und Risiken
Der emotionale Zugang über/durch den persönlichen Bericht von Zeitzeug:innen kann eine Brücke zu der Vergangenheit bauen. Über die Empathie mit und die Einfühlung in die Sichtweise der Zeitzeug:innen bietet sich ein Zugang zu dem/einem historischen Thema, der zu mehr Interesse, Neugier und Involviertheit führen, mit dem aber auch möglicherweise ein Verlust an kritischer Distanz einhergehen kann. Daher ist es wichtig, die Befragung von Zeitzeug:innen als einen Baustein im historischen Denk- und Erkenntnisprozess zu verstehen, und den subjektiven mündlichen Bericht zu prüfen, zu analysieren, zu reflektieren und zu kontextualisieren.
Das Unterrichtssetting mit Zeitzeug:innen im schulischen Kontext ist ebenfalls variabel und hängt von den didaktischen Schwerpunktsetzungen ab. Wenn ein Zeitzeug:innenprojekt durchgeführt wird, stehen das „entdeckende“ und „forschende“ Lernen und ein wissenschaftsorientierter Umgang mit Interviewdaten im Vordergrund; die Projektergebnisse werden häufig öffentlich gemacht und im Schulgebäude, bei schulischen Veranstaltungen oder auch extern präsentiert. Die Auswahl der Themen erfasst alle Facetten der Zeitgeschichte, die Auswahl der Befragten, die Befragung selbst, die Auswertungsmethoden und die Veröffentlichung der Ergebnisse sind vielfältig. Projekte mit Zeitzeug:innen können in der Organisation aufwendig sein. Weniger aufwendig ist es, Zeitzeug:innen in den Unterricht einzuladen und zu verschiedenen Themen der Zeitgeschichte zu befragen. Darüber hinaus werden Zeitzeug:innen häufig zu Gedenktagen (z.B. zum Mauerfall am 9. November) in die Schule eingeladen, um vor einer größeren Gruppe Auskunft über ihre Erlebnisse und Erinnerungen zu geben. Videos mit Zeitzeug:innen zu verschiedenen Themen der deutschen Geschichte stehen im Netz zur Verfügung (z.B. vom Haus der Geschichte, Bonn). Zeitzeug:innenbörsen stellen häufig nicht nur die Videos zur Verfügung, sondern vermitteln auch Kontakte (z.B. das Koordinierende Zeitzeugenbüro in Berlin) oder stellen Transkriptionen bereit. Der Besuch einer Gedenkstätte oder eines anderen außerschulischen Lernorts (z.B. ein Museum) bietet ebenfalls oft die Möglichkeit, um mit Zeitzeug:innen zu arbeiten. Gelegentlich werden Zeitzeug:innen in die Führung eingebunden (z.B. Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen) oder es werden Videoinstallationen mit Zeitzeug:innen zu verschiedenen Themen und Schwerpunkten angeboten (z.B. Stiftung Berliner Mauer).
Empirische Studien zur Wirksamkeit von Zeitzeug:innen
Auch wenn die Arbeit mit Zeitzeug:innen seit den 1980er Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil der Geschichtskultur und des Geschichtsunterrichts war und die Herausforderungen vielfältig beschrieben wurden
Die Arbeit mit Zeitzeug:innen wurde mit dem Hinweis auf Sherlock Holmes verbunden, der nicht allen Zeug:innen unbesehen glaubt, sondern Aussagen vergleicht und weitere Recherchen anstellt. Vor und nach der Unterrichtseinheit sowie nach ca. zwei bis drei Monate wurden die Lernenden zu ihrem Wissen und ihren historischen Kompetenzen befragt. Im Vergleich zwischen der Live-Gruppe und der Video-/ Textgruppe zeigte sich, dass die Lernenden in der Live-Gruppe zwar deutlich mehr Spaß an der Unterrichtseinheit hatten und meinten, etwas Wichtiges gelernt zu haben, dass sie jedoch das zentrale Lernziel der Einheit – die Notwendigkeit, Darstellungen, auch die von Zeitzeug:innen, kritisch zu dekonstruieren – weniger gut verstanden hatten als die Lernenden in der Video- und Text-Gruppe.
In einem Dissertationsprojekt wurde untersucht, wie die Lernerfahrung mit Zeitzeug:innen konzeptualisiert und empirisch erfasst werden kann. In dem Framework for Encountering Complex Historical Sources (historische Orte und Zeitzeug:innen) werden die Dimensionen der kognitiven, emotionalen und physischen „Involviertheit“ der Lernenden unterschieden.
Den Einfluss der Involviertheit der Lernenden bei der Zeitzeug:innenbegegnung auf die Effekte des Unterrichts untersuchen wir in einer weiteren randomisierten und kontrollierten Feldstudie, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. In einer Stichprobe von knapp 70 Gymnasialklassen der neunten Jahrgangsstufe wurde mit jeweils zwei Zeitzeug:innen der „Generation 1975“ gearbeitet: entweder live in der Klasse oder mit Videos.
Ein Zwischenfazit: Unter „Zeitzeug:innen“ werden verschiedene Typen subsumiert (z.B. Opfer, Held:innen, Alltagszeitzeug:innen), die von unterschiedlichen historischen Ereignissen berichten. Die direkte Begegnung mit Zeitzeug:innen (im Schulkontext) hat einen emotionalen Effekt auf die Lernenden und fördert deren Interesse und die Motivation, doch kann dem historischen Lernen, insbesondere dem kritischen und multiperspektivischen Denken, die Begegnung mit als authentisch wahrgenommenen Zeitzeug:innen abträglich sein. Wie mit den Zeitzeug:innen der „Landshut“-Entführung Grundsätzliches über die Vergangenheit und Geschichte(n) und über Terrorismus und Extremismus gelernt werden kann, wird im folgenden Kapitel dargelegt.
Didaktische Lehr-/Lernszenarien am „Lernort Landshut“
Die Zeitzeug:innen der „Landshut“-Entführung sind eine besondere Gruppe, da sie den glücklichen Ausgang einer lebensbedrohlichen Entführung erlebt haben und „Hauptfiguren“ einer Medieninszenierung geworden sind. Von den 86 Passagieren und fünf Crew-Mitgliedern der „Landshut“ waren 23 Deutsche. Während die etwa dreißig Mitglieder der GSG 9-Einsatztruppe mit der gelungenen Befreiungsaktion zu „Helden“ wurden, waren die Geiseln „Opfer“ eines Gewaltverbrechens.
Die Zeitzeug/-innen der Landshut-Entführung Aribert Martin, Jürgen Vietor und Diana Müll. (© bpb)
Die Zeitzeug/-innen der Landshut-Entführung Aribert Martin, Jürgen Vietor und Diana Müll. (© bpb)
Beide Gruppen wurden medial inszeniert. Als die Geiseln nach fünf Tagen Todesgefahr zurückkehrten, wurden sie am Flughafen offiziell begrüßt, bevor sie zu ihren wartenden Angehörigen durften.
Die Möglichkeit, in der ehemaligen Lufthansa-Maschine mit Zeitzeug:innen zu sprechen, dürfte eine besondere emotionale Wirkung auf die Lernenden haben. Die höhere Aufmerksamkeit der Lernenden kann zu einer tieferen Verankerung des Erlebten führen, gleichzeitig ist jedoch zu bedenken, dass eine höhere emotionale Involviertheit mit einer niedrigeren kognitiven Distanz einhergehen kann.
Ich schlage eine mehrstufige Erarbeitung in vier Modulen vor, die von der Begegnung mit den Zeitzeug:innen der „Landshut“-Entführung ausgeht.
Modul 1: Begegnung mit Zeitzeug:innen am Lernort: Re-Konstruktion der Ereignisse
Die Besonderheit der Zeitzeug:innen, die von einem glücklichen Ende berichten können, kann helfen, um Terror und Gewalt, den Umgang damit und die Folgen erfahrbar zu machen, ohne die emotional involvierten Lernenden zu überfordern. Grundsätzlich gilt, dass Lernende und Lehrkräfte sich in der Begegnung mit Zeitzeug:innen, die ihre Erinnerungen und ihre subjektive Wahrheit mit ihnen teilen, respektvoll verhalten. Die „De-Konstruktion“ der Erzählung selbst findet erst später statt. Das direkte Gespräch mit den Zeitzeug:innen bietet die Möglichkeit, bestimmte Themen zu vertiefen, z.B.: Wurden die fünf Tage zu einem lang andauernden Trauma der Person? Wann und wie wurde das Ereignis verarbeitet? Was oder wer hat einer Person geholfen? Wie schauen sie heute auf die Ereignisse? Was haben sie grundsätzlich über Terror und die Handlungsmöglichkeiten der Politik gelernt?
Darüber hinaus wäre es lohnenswert, mit den Zeitzeug:innen über die Medialisierung und Historisierung der „Landshut“-Entführung zu sprechen: Welche Rolle haben die Medien und die jährliche Berichterstattung über die Ereignisse im Jahr 1977 für sie persönlich gespielt? Wie sind sie mit dem medialen Interesse und mit ihrer „Berühmtheit“ umgegangen? Wie haben sie aus ihrer Erfahrung als Tatzeug:in mitgenommen – und was wollen sie den Lernenden mitgeben? Möglich ist es auch, mit Videos zu arbeiten, die auf der Website Externer Link: www.landshut77.de zu finden sind.
Modul 2: Re-Konstruktion der Situation – Herstellung des historischen Kontextes
In einem zweiten Schritt, ohne die Zeitzeug:innen, sollen die Lernenden den Bericht in einen größeren historischen Kontext stellen. Dabei sollten sie etwas über die politischen Zusammenhänge in den 1960er bis 1980er Jahren erfahren – über die Studierendenbewegung und die „außerparlamentarische Opposition“, über die Radikalisierung der Linken durch die Gründung der RAF bis zu dem Höhe- und Wendepunkt am 18. Oktober 1977. Auch die Nachgeschichte der RAF, die in den 1980er Jahren durch die Fahndungsplakate zwar in der Öffentlichkeit präsent war, aber ihre Unterstützung im linksalternativen Milieu verloren hatte und keine Gefahr mehr für einen gesellschaftlichen Umbruch darstellte, sollte erarbeitet werden. Dabei können die Lernenden den Zeitzeug:innenbericht mit weiteren Quellen und Darstellungen vergleichen, um mehr über die Vorgeschichte, den Verlauf und die Folgen der „Landshut“-Entführung zu erfahren. Der Bericht des oder der Zeitzeug:in wird hiermit zu einem Baustein (unter anderen) für die Re-Konstruktion der Vergangenheit in einer eigenen „Darstellung“ oder „Narration“.
Modul 3: De-Konstruktion der Erzählung der Zeitzeug:innen – Triftigkeitsprüfung Wie andere „Darstellungen“ oder „Narrationen“ (z.B. Schulbücher, Fernsehdokumentationen oder Deutungen der Lernenden) sind auch Erzählungen von Zeitzeug:innen Ergebnisse eines Re-Konstruktionsprozesses, die auf ihre empirische, narrative und normative Triftigkeit untersucht werden sollten.
Modul 4: Extremismus und Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland
Die Aktivitäten und Gewalttaten der RAF in den 1970er und 1980er Jahren können als Beispiel eines menschenverachtenden Terrorismus in den größeren Kontext von Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus gestellt werden. Zum einen ist eine Definition der Begriffe notwendig: Was bedeutet und was unterscheidet Terrorismus und Extremismus? Wie ist das Verhältnis von terroristischen und extremistischen Gruppen zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik? Welche Mittel werden für die Erreichung der jeweils eigenen Ziele eingesetzt? Was unterscheidet links- und rechtsextremistische Gruppierungen in ihren Zielen und in den eingesetzten Mitteln? Was zeichnet den islamistischen Terror und Extremismus aus? Perspektivisch wäre es wichtig, in Online-Archiven der historisch-politischen Bildung (z.B. im Zeitzeugenportal des Haus der Geschichte Deutschland) die Perspektive und die Erlebnisse der Opfer rechtsterroristischer oder islamistischer Gewalt zu Wort kommen zu lassen, um die Erlebnisse, Erinnerungen und Deutungen der Zeitzeug:innen der „Landshut“ mit den Gewalterfahrungen anderer Opfergruppen zu vergleichen.
Modul 5: „RAF“ als Teil der Erinnerungskultur in Deutschland
Die im Zusammenhang mit den Attentaten der NSU
Fazit
In dem Beitrag sollte deutlich werden, welches Potenzial in der Befragung von Zeitzeug:innen liegt und wie am künftigen „Lernort Landshut“ mit Zeitzeug:innen gearbeitet werden kann. Damit der Ort und die Lernarbeit dort auch fünfzig Jahre nach der Hochphase der RAF relevant bleiben kann, empfiehlt sich, einen nicht zu engen Fokus auf den Linksterrorismus zu legen, sondern den Blick zu weiten und ihn als einen Lernort zu gestalten, an dem ausgehend von der erfolgreichen Überwindung von (links-)terroristischer Gewalt erfahren werden kann, wie wichtig eine Demokratie ist, die sich gegen Terrorismus und Extremismus jeglicher Couleur schützen muss. Die „harte Hand“ des Staates im „Deutschen Herbst“ 1977 hat zum Erfolg geführt. Ein Blick auf die Zahlen: Die RAF war in den 1970er und 1980er Jahren insgesamt für 33 oder 34 Morde und für mehr als 200 Menschen Körperverletzungen verantwortlich.
Während seit den 1990er Jahren weniger als zehn Tötungsdelikte mit linksterroristischem Hintergrund registriert wurden, liegen die rechtsextremistisch motivierten Tötungsdelikte im gleichen Zeitraum im dreistelligen Bereich.
Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem Krieg gegen Gaza als Antwort der israelischen Regierung auf den mörderischen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 hat sich die Tonart in den Medien, der Politik und Gesellschaft weiter verschärft. Auf das Umfragehoch der AfD Anfang 2024 und die Enthüllungen von Correctiv über die Treffen von Rechtsextremist:innen hin, bei dem unter der Beteiligung von Mitgliedern der AfD über die „Remigration“ auch deutscher Bürger:innen gesprochen wurde, hat sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus im Januar/Februar 2024 hin eine Demonstrationsbewegung entwickelt, die in west- und ostdeutschen Städten Hunderttausende für die Verteidigung der Demokratie auf die Straße bringen. Dies ist ein Hoffnungszeichen dafür, dass der Wert der Demokratie von vielen erkannt, geschätzt und verteidigt wird.
Zu zeigen, dass und wie die Demokratie gegen Terror und Extremismus jeglicher Couleur wehrhaft gemacht werden kann, das könnte das zentrale Ziel des „Lernort Landshut“ werden. Der bpb wünsche ich viel Erfolg bei dieser wichtigen Arbeit.