Was ist didaktisch zu beachten?
Der Interner Link: Dokumentarfilm "Geheimsache Ghettofilm" ist nach Externer Link: FSK ab 12 Jahren freigegeben. Die bpb empfiehlt den Film ab 14 Jahren. Das didaktische Material wendet sich primär an Lerngruppen der Sekundarstufe II. Je nach Lernvoraussetzungen ist es auch möglich, das Material in der neunten oder zehnten Klasse der Sekundarstufe zu nutzen. Auch für die außerschulische Jugend- und Erwachsenenbildung bietet sich das Material an.
Der Dokumentarfilm hat eine Länge von 1 Stunde und 30 Minuten. Das Schauen des Films ist als Hausaufgabe beziehungsweise Teil von Modul 1 vorgesehen. Die Module 1 bis 3 bauen aufeinander auf, können aber auch unabhängig voneinander genutzt werden. Für den Einsatz der Module im Unterricht empfehlen wir eindringlich das Schauen des Films in kompletter Länge. Das Arbeiten allein mit Filmausschnitten widerspricht dem Anliegen des Films, Szenen und Bilder nicht ohne Kontext zu betrachten. Die in "Geheimsache Ghettofilm" gezeigten Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto dürfen keinesfalls als "objektive" Darstellung des Alltags im Ghetto missverstanden werden. Es sind Propaganda-Aufnahmen, die im unmittelbaren Kontext des Holocaust entstanden sind und daher als Teil des Genozids betrachtet werden müssen.
Aus der bpb-Mediathek: Thema Holocaust und Nationalsozialismus
Zu den fachlichen Lernvoraussetzungen dieses Lernangebotes gehört, dass sich die Lerngruppe mit dem Nationalsozialismus, insbesondere mit dem Antisemitismus und dem Holocaust auseinandergesetzt hat. Diese Gegenstände zählen zur inhaltlichen Obligatorik des Faches Geschichte in allen deutschen Bundesländern. Insbesondere die Konzentration der jüdischen Bevölkerung in abgeriegelten Wohnbezirken beziehungsweise Ghettos osteuropäischer Städte sollte der Lerngruppe in Grundzügen bekannt sein. Vorausgesetzt wird auch, dass die Schülerinnen und Schüler auf das Betrachten von emotional belastendem Filmmaterial aus dem Kontext des Holocaust vorbereitet sind. In den Lehrplänen des Sekundarbereiches II werden die Gegenstandsbereiche Nationalsozialismus, Antisemitismus und Holocaust in einer vertiefenden und größere Zusammenhänge erschließenden Weise aufgegriffen. Je nach Bundesland ist in den Fächern der historisch-politischen Bildung auch eine Auseinandersetzung mit Propagandaträgern als Instrumente der politischen Auseinandersetzung und Manipulationen vorgesehen.
Insgesamt wird mit dem vorliegenden didaktischen Angebot vor allem die Urteils- und Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler gefördert. Die Konstruktivität und Intentionalität propagandistischen Filmmaterials durchschauen zu können, gehört in unserem zunehmend durch audiovisuelle Medien geprägten Alltag zu den historisch-politischen Schlüsselkompetenzen.
Rechtliche Hinweise
Die didaktischen Materialien stehen Ihnen als "Open Educational Resources" zur Verfügung. Sie können diese als PDF oder als Open Document Text (.odt) herunterladen. Das odt-Format können Sie mit Microsoft Office nutzen. Ebenso mit der freien und kostenlosen Software Externer Link: Libre Office, die es für Mac, Windows und Linux gibt. Das Material steht unter der Externer Link: CC-Lizenz BY-NC-SA 3.0 DE. Das heißt, dass Sie das Material – mit Ausnahme der Zitate und Quellentexte – auch bearbeiten und verändern dürfen. Voraussetzung dafür ist die Nennung der Quelle sowie die Weitergabe unter derselben Lizenz.
Worum geht es inhaltlich?
Im Mai 1942 drehte ein NS-Filmteam im Warschauer Ghetto – etwa vier Wochen lang. Kurz bevor die ersten Deportationen begannen.
Das Warschauer Ghetto (mehr Informationen bietet der Text Interner Link: "Das Warschauer Ghetto" der Historikerin Andrea Löw) war im Herbst 1940 errichtet worden. Es war eins von über 1.000 Ghettos im deutschen Herrschaftsgebiet (mehr Informationen bietet der Text Interner Link: "Ghettos in Osteuropa – Definitionen, Strukturen, Funktionen" des Historikers Wolfgang Benz). Bis 1939 lebte in Warschau die größte jüdische Gemeinde Europas. Mit der Abriegelung des Ghettos waren die Juden Warschaus fortan gezwungen, innerhalb der Ghettomauern zu leben. Schätzungsweise 400.000 Menschen wurden dort eingeschlossen und überwacht. Auch Juden aus dem restlichen Polen oder auch aus Deutschland wurden unter Zwang in das Ghetto gebracht und eingesperrt.
Im Ghetto herrschte eine Politik der systematischen Unterversorgung, der Diskriminierung und der Gewalt. Knapp 100.000 Menschen starben im Warschauer Ghetto bis zum 21. Juli 1942, dem Beginn der Deportationen. Sie verhungerten oder starben an Krankheiten wie Fleckfieber oder Tuberkulose. Im Juli 1942 begannen die ersten Deportationen von Ghetto-Insassen in das Vernichtungslager Treblinka. Innerhalb weniger Wochen deportierten die deutschen Besatzer schätzungsweise 280.000 Männer, Frauen und Kinder, um sie zu ermorden. Über 10.000 Menschen wurden noch in Warschau erschossen, mehr als 11.000 Menschen in andere Lager deportiert. Das Ghetto wurde verkleinert. Im sogenannten Restghetto lebten noch etwa 60.000 Juden. Ende 1942 schlossen sich verschiedene Untergrundorganisationen des jüdischen Widerstands im Ghetto zusammen. Im April 1943 begann der bewaffnete Aufstand im Ghetto. Weitere Deportationen konnten zumindest für einige Tage verhindert werden. Doch der Widerstand wurde von deutschen Truppen niedergeschlagen. Im Mai 1943 wurde das Ghetto zerstört.
Im Mai 1942, wenige Wochen bevor die ersten Deportationen begannen, fanden die Dreharbeiten im Warschauer Ghetto statt. Dafür wurde wahrscheinlich ein gesonderter Filmeinsatztrupp zusammengestellt, das legen zum Beispiel Passierscheine für das Ghetto nahe. Bis heute ist unklar, wer die aufwendige Produktion in Auftrag gegeben hatte und was mit dem Material passieren sollte (Hintergründe bietet der Text Interner Link: "Das Filmfragment 'Ghetto' – erzwungene Realität und geformte Bilder" der Historikerin Anja Horstmann. In einem Tagebucheintrag von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 27. April 1942 heißt es: "Himmler betreibt augenblicklich die große Umsiedlung der Juden aus den deutschen Städten nach den östlichen Ghettos. Ich habe veranlasst, dass hier im großen Umfange Filmaufnahmen gemacht werden. Das Material werden wir für die spätere Erziehung unseres Volkes dringend brauchen." Doch es kann nur vermutet werden, dass sich der Eintrag (auch) auf Warschau bezieht.
Der Film wurde nie ganz fertiggestellt. Es entstand eine Rohfassung mit rund 60 Minuten Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Dieses Filmfragment tauchte in den 1950er-Jahren im Staatlichen Filmarchiv der DDR auf – ohne Tonspur. Später tauchte weiteres Filmmaterial auf: Restmaterial sowie Aufnahmen, die ergänzend zu den Dreharbeiten entstanden waren. Ausschnitte aus dem Filmfragment wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Dokumentarfilmen eher illustrativ genutzt, als vermeintlich objektives Abbild des Ghettos, ohne den Entstehungszusammenhang darzustellen.
Die israelische Regisseurin Yael Hersonski hat die Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto zum Gegenstand ihres Dokumentarfilms "Geheimsache Ghettofilm" gemacht (siehe das Interview mit Hersonski Interner Link: "Was passierte 'außerhalb' der Filmaufnahmen?"). Der Film aus dem Jahr 2010 trägt den hebräischen Originaltitel "Shtikat Haarchion" ("Das Schweigen des Archivs") und fand in den Medien international Lob und Anerkennung. Hersonski zeigt mit ihrem Film die Inszenierung des Filmmaterials und demaskiert die Ghetto-Aufnahmen, indem sie das Material hinterfragt und kontextualisiert.