Die folgenden drei Aufsätze sind dem Buch "Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer" aus dem Jahr 1993 entnommen. Verfasst von der polnischen Historikerin Ruta Sakowska. Publikation der Gedenkstätte Externer Link: Haus der Wannsee-Konferenz.
"Was hat sich bei uns in den Kriegsjahren verändert?", so lautete der Titel einer Umfrage, die das Ringelblum-Archiv (weitere Informationen bietet der Hintergrund
Aufsatz des Schülers Beniek Frylingsztajn
Vor zwei Jahren, schon bevor der Krieg ausbrach, wohnte ich mit meinen Eltern und Geschwistern in Warschau. Mein Vater klebte Tüten, und er verdiente zwar nicht viel, aber Hunger kannten wir nicht, und es ging uns sehr gut. Als ich größer war, gaben mich die Eitern zur Schule, wo ich sehr gut lernte und gute Noten erhielt.
Kurz vor Kriegsausbruch, im August, fuhr ich nach Jarosław in die Sommerkolonie, wo ich bis zum 18. September blieb. Als ich aus der Kolonie zurückkam, war schon Krieg. Die Kampfhandlungen endeten mit der Belagerung Warschaus und dem Einrücken der deutschen Truppen in die Hauptstadt. Warschau hat aus diesem Grund sehr gelitten, weil sehr viele Menschen getötet wurden, es gab viele Verwundete, und sehr viele Leute hatten kein Dach über dem Kopf mehr. In unser Haus fiel eine Bombe und zerstörte die ganze Wohnung. Meine Mutter und meine kleine Schwester entgingen wie durch ein Wunder dem Tod, weil mein Vater und mein Bruder eine Stunde vorher in die Wohnung gingen, um sie zu wecken und nach unten zu bringen, denn die Geschosse fielen ohne Pause, und es war Nacht.
Nach der Besetzung Warschaus durch die Deutschen fing mein Vater an, mit Süßigkeiten zu handeln, er klebte Tüten, und meine Brüder, der eine ist 18, und der andere 21 Jahre alt, gingen auf die [deutschen] "Dienststellen" arbeiten und es ging uns leidlich. Aber als der jüdische Wohnbezirk gebildet wurde
Einige Wochen nach dem Tod der Eltern unternahm das Hauskomitee Bemühungen, uns, das heißt mich und meine Schwester, in einem Heim unterzubringen, und zwar mit gutem Erfolg, denn einige Tage später wurden wir in dem Tagesinternat untergebracht, in das meine Schwester und ich bis jetzt gehen, und ich bin deswegen sehr zufrieden, denn es gibt hier mehrmals am Tag etwas zu essen. Hier sind auch Erzieherinnen, die für uns Unterricht halten, und die Frau Leiterin ist auch Erzieherin der Gruppe, in der ich bin und alle älteren Kinder. Aber ich glaube, wenn auf der Welt Ruhe und Frieden herrschen, und wenn jeder von uns zu seinen normalen Beschäftigungen wie vor dem Krieg zurückkehrt, jeder zu seinem Ziel, das er sich ausgesucht hat, dann werden wir den Erzieherinnen, und besonders der Frau Leiterin, für ihre Mühe und Sorge danken können, daß wir diese böse Zeit überstanden haben.
AŹIH: Ring I, Nr. 39. Handschriftliche Abschrift im Archiv des Ghettos.
aus: Ruta Sakowska, "Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer", Publikation der Gedenkstätte Externer Link: Haus der Wannsee-Konferenz, 1993, Seite 138-139.
Aufsatz der Schülerin Minia Mądra
Vor dem Krieg wohnten wir in Lipno
Am 1. September 1939 brach der Krieg aus. Bis zum 23. September wohnten wir noch in unserer Wohnung; am 23. September wurden wir aus unserer Wohnung gejagt und auf den Platz getrieben. Der Landrat des Kreises Lipno rief alle Männer auf den Platz und führte eine Durchsuchung durch. Denen, die Geld bei sich hatten, wurde es weggenommen. Es wurde der Befehl gegeben, daß alle Juden die Stadt verlassen müssen. Viele Menschen fuhren nach Plonsk, aber die Mehrzahl fuhr nach Warschau, darunter auch wir.
Die Einwohner von Warschau nahmen uns schlecht auf. Drei Nächte irrten wir durch die Straßen, bis man uns sagte, wir sollten zur Dzielna-Straße gehen, wo ein "Punkt"
In der Nowolipki-Straße 76 saßen wir vier Wochen lang in Trauer. Nichts wollten wir mehr machen, und wir fingen an, alles zu vernachlässigen. Als das meine Tanten sahen, bemühten sie sich, daß wir zu ihnen in die Elektoralna-Straße 5 ziehen konnten. Nach dem Umzug von der Nowolipki-Straße in die Elektoralna-Straße ging es uns nicht schlecht, denn wir bekamen kostenfreie Mittagessen und jede ein Stück Brot. Nach diesem Unglück gelang es ihnen, mich in dem Tagesinternat unterzubringen, wo ich viermal am Tag Mahlzeiten bekomme. Aber meine Trauer werde ich niemals im Leben vergessen.
AŹIH: Ring I, Nr. 39. Handschriftliche Abschrift im Archiv des Ghettos.
aus: Ruta Sakowska, "Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer", Publikation der Gedenkstätte Externer Link: Haus der Wannsee-Konferenz, 1993, Seite 139-140.
"Wie es unserer Familie erging" umfasst zwei Berichte von Waisenkindern aus dem Heim in der Śliska-Straße 12, Sie finden hier den Bericht von Zanwel Krigman. Aufgezeichnet während einer Befragung unter Kindern über das Schicksal jüdischer Familien in den Jahren von Krieg und Okkupation, durchgeführt von Mitgliedern des Untergrundarchivs im Warschauer Ghetto, zwischen April und Juli 1942.
Bericht von Zanwel Krigman
Zanwel Krigman, geboren 30. Juni 1929 in Piaseczno, Sohn von Szlojme und Hudesa, geborene Fagol. Vater: Friseur (eigener Betrieb). Wohnten in einem Zimmer. Geschwister: zwei Brüder und eine Schwester. Der Vater starb im September 1939 an Tuberkulose.
Aus Piaseczno wurden wir im Februar 1941 vertrieben.
Am anderen Tag um acht Uhr packten sie uns in Autobusse und brachten uns nach Warschau, in den "Punkt" Bagno-Straße 1. Mutter wußte sich nicht zu helfen, sie starb im März 1942 vor Hunger, der kleine Bruder starb schon im April 1941, die Schwester im Februar 1942, der andere Bruder im März 1942. Jetzt habe ich niemanden mehr, alle sind verhungert.
Bis Mitte 1941 war es noch einigermaßen erträglich, ich fuhr mit der Bahn nach Piaseczno und schmuggelte von dort Kartoffeln, rote Rüben und Geld, alle "Gojim"
Traurige Erlebnisse. Einmal schnappte mich ein Gendarm oder ein Junak
Ich kümmerte mich um meine Mutter. Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre sie noch früher gestorben. Zu Beginn des Krieges flohen wir mit Papa in Richtung Lublin. Die Deutschen schnappten uns und setzten uns gefangen, drei Tage lang hungerten wir, dann ließen sie uns los.
Und dieser Hunger in Warschau, und der Übergang auf die "andere Seite", immer diese Schüsse, die Junaken, die Deutschen, Angst gab es genug. Einmal schnappten mich polnische Polizisten, sie nahmen mich in eine Schenke mit und machten mich betrunken. Die ganze Nacht durch schlief ich.
Die angenehmsten Erlebnisse. Als ich "nicht verbrannte" Ware von der anderen Seite brachte. Vor dem Krieg war es angenehm, mit unserem Wirt in den Wald zu fahren. Die Fahrten mit Papa nach Warschau waren auch sehr schön.
Was ist Krieg? Das Schlimmste, dann kommt das ganze Volk ins Elend. Die einen haben Nutzen vom Krieg, und die anderen sterben. Wenn der Alte noch lebte, dann gäbe es keinen Krieg. Er hätte dem Deutschen gegeben, was er haben wollte, und es nicht zum Krieg kommen lassen.
Welche Pläne? Welche Pläne kann man jetzt haben? Die Zeit wird schließlich zeigen, was ich machen kann.
AŻIH: Ring I, Nr. 44. Handschriftliche Abschrift im Archiv des Ghettos.
aus: Ruta Sakowska, "Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer", Publikation der Gedenkstätte Externer Link: Haus der Wannsee-Konferenz, 1993, Seite 197-198.