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Nationalsozialistische Filmpropaganda – filmisch dekonstruiert | Geheimsache Ghettofilm | bpb.de

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Nationalsozialistische Filmpropaganda – filmisch dekonstruiert Untertitel: Ein Kommentar zu Yael Hersonskis Film „Geheimsache Ghettofilm“

Rainer Rother

/ 23 Minuten zu lesen

Der Film "Geheimsache Ghettofilm" wurde von zahlreichen Medien international gelobt, auch wurde das Werk mehrfach ausgezeichnet. Zugleich gab es auch Kritik an dem Film. Um eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Werk "Geheimsache Ghettofilm" zu ermöglichen und um die Diskussion in ihrer Gänze abzubilden, bietet das Dossier zwei Kommentare zum Film. Dabei kommen der Medienwissenschaftler Rainer Rother und der Historiker Dirk Rupnow zu sehr gegensätzlichen Bewertungen des Films.

Aliza Vitis-Shomron (im Bild) überlebte das Warschauer Ghetto. Sie und drei weitere Zeitzeugen haben sich die Aufnahmen aus dem Warschauer Ghetto von 1942 angeschaut. Yael Hersonski hat für ihren Film "Geheimsache Ghettofilm" die Reaktionen der Überlenden eingefangen (© Belfilms, Kamera: Itai Neeman and Yossi Aviram)

Rainer Rother sieht in Hersonskis Arbeit die Re-Lektüre der Aufnahmen im Warschauer Ghetto von 1942. Diese Aufnahmen machte sie zum Material einer filmischen Untersuchung. Dafür wählte die Regisseurin neue Perspektiven, wie zum Beispiel die Kommentierung des Filmmaterials durch Zeitzeugen. "Geheimsache Ghettofilm" liefere eine definitive Veränderung der Haltung zu jenen Bildern aus dem Jahr 1942, so Rother.

Jeglicher Verwendung von Filmbildern, die im Nationalsozialismus und im Auftrag der Nationalsozialisten entstanden, stellt sich das Problem, dass dieses "Material" alles andere als neutral ist. In vielfältiger Hinsicht ist es mit Bedeutung aufgeladen, in spezifischer Weise geformt, durchaus kein simples Dokument.

Für Regisseure, die auf das im Bundesarchiv überlieferte Material aus dem Warschauer Ghetto aus dem Mai 1942 zurückgriffen und -greifen, lautete die Frage, ob mit dem in der eigenen Arbeit hergestellten Kontext, der neuen Montage, mit Kommentar und unterlegter Tonspur den Bildern aus nationalsozialistischer Produktion eine Bedeutung abgerungen werden könnte, die diesen im ursprünglichen Zusammenhang der eingesetzten filmischen Strategien (Einstellungswahl, Montage, Kommentar etc.) gerade nicht zugedacht wurde. Schließlich, ob diese Täterbilder in einer Weise lesbar gemacht werden könnten, die den abgebildeten Opfern nicht erneut stereotypen und hetzerischen Zuschreibungen unterwirft.

Der 2010 von Yael Hersonski realisierte Film "Shtikat Haarchion" (hebräischer Originaltitel, der deutsche Titel lautet "Geheimsache Ghettofilm", der US-amerikanische "A Film Unfinished") wählt angesichts der Bilder aus dem "Ghetto"-Film eine völlig andere Perspektive, als sie bislang eingenommen wurde. Sie benutzt das Material nicht als Beleg für die Verbrechen der Nationalsozialisten, sondern sie befragt es auf die filmische Propaganda und auf mögliche Spuren von dieser nicht überformter oder deformierter Realität.

Erste Aufführungen des Films fanden im Programm internationaler Festivals statt – zunächst im Januar 2010 auf dem Sundance Film Festival, im Februar dann bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, in der Sektion "Panorama". Das Besondere an diesem Film wurde von der Filmkritik erkannt, so schrieb die New York Times: "The director Yael Hersonski, using generous clips from the Nazi movie and excerpts from diaries written by ghetto inhabitants, illustrates how the original footage was carefully staged, as evident by multiple takes of some scenes. In one section a healthy-looking woman walks past two pitiful waifs with apparent indifference, and then she does so again."

Einige Preise begleiten die Festivalkarriere des Films. Beim Sundance Filmfestival wurde 2010 die Cutterin Joëlle Alexis mit dem Preis für den besten Schnitt in der Kategorie "World Cinema Documentary Editing Award" ausgezeichnet. Ebenfalls 2010 erhielt Yael Hersonski den "Best International Feature Award" des International Documentary Film Festival in Toronto und die Writers Guild of America zeichnete die Regisseurin mit dem "Silverdocs Documentary Screenplay Award". Nach den Einladungen zu Festivals folgten Kinostarts in den USA (18. August 2010) und Großbritannien (30. Oktober 2010), Fernsehausstrahlungen zum Beispiel bei Arte im Dezember 2010 und später beim MDR, SWR und anderen, schließlich die Veröffentlichung auf DVD unter anderem in den USA (März 2011), Deutschland (Mai 2011) und Großbritannien (November 2011).

"Mich interessierte die Essenz der Realität in diesen Bildern"

Yael Hersonski stieß eher zufällig auf das "Ghetto"-Material, jedoch mit einem spezifischen Interesse. "Ich suchte nach einem Beispiel von existierendem Filmmaterial, weil mir ein Projekt vorschwebte, in dem ich Found Footage in neuer Weise analysieren und überprüfen wollte", so Hersonski. Ihr ursprünglicher Impuls war eher kinematographisch als historisch inspiriert und sie blieb ihm treu. Tatsächlich steht Hersonskis Film in der Tradition von Filmen, die "Found Footage" (in etwa "gefundenes Material", beschreibt das Filmgenre, das mit bestehendem Material anderer Filmemacher arbeitet) auf Entstehung und ästhetische Qualitäten hin analysieren, auch in der Nachfolge von Essayfilmen, in denen vorgefundene Bilder, Fotos oder bewegte Bilder, zum Ausgangsmaterial werden.

Auf den Film beziehungsweise das Material von 1942 wurde sie dann von der Produzentin Noemi Schory hingewiesen. "Ich war wie elektrisiert davon. Etwas über das Filmemachen selbst darin bestürzte mich; es handelte sich nicht nur um das Aufsetzen der Kamera auf ein Stativ, um dann mit den Aufnahmen zu beginnen. Eine filmische Konzeption war sichtbar, ein Konzept, wie Großaufnahmen, Totalen und wie der Schnitt eingesetzt wurden."

Dieses Material provozierte Fragen, vor allem die nach der Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktion. "Mich interessierte die Essenz der Realität in diesen Bildern. Zum Beispiel: der Blick der gefilmten Menschen. So oft schauen sie in die Kamera. Und man hatte ihnen gesagt, wie sie sich verhalten, was sie tun sollten. Aber trotzdem: Diese Bilder zeigen, dass da noch etwas anderes ist, etwas, das allein ihnen gehört." Anders formuliert: Wo traditionell Kompilationen seit den ersten Werken dieses Genres (wie Esfir Shubs "Padenije dinastii Romanowych" – deutscher Titel "Der Fall der Dynastie Romanow", SU 1927, oder Leo Laskos zweiteiliger "Der Weltkrieg", D 1926/27) dem Material eine andere Bedeutung gaben, sucht Heronski nach "echten" Zeichen, die sich entgegen den Absichten der nationalsozialistischen Produktion in den Einstellungen niedergeschlagen hatten. Und sie macht die Inszenierung, in dem die Bilder 1942 einen vermeintlich eindeutigen Sinn erhielten, wieder nachvollziehbar.

Ihr Thema ist daher in erster Linie der Film – oder das nicht vollendete Material – aus dem Jahre 1942. Die ersten Kommentarsätze in "Geheimsache Ghettofilm" lauten: "Dies ist die Geschichte eines Films, der nie fertiggestellt wurde. Ein Film, der dem Dritten Reich als Propagandamaterial dienen sollte." Anhand der Fragen an diesen Film erschließt die Regisseurin die vermutlichen Intentionen der damals im Ghetto agierenden Filmemacher ebenso wie deren Blick auf die darin Gefangenen. Hersonski untersucht das Material.

Hersonskis Film ist ein Essay über die Aussagekraft propagandistischer Filmbilder, insofern kein Film über ein historisches Ereignis. Schon seine Gliederung setzt auf filmische Zeichen, nämlich Startband-Einzeichnungen, die jeweils den Anfang von Filmrollen identifizieren. Hersonskis Arbeit stellt filmische Verfahren sozusagen aus, mit der Konsequenz, dass diese insgesamt weder unreflektiert gelten noch verwendet werden. Der Film "liest" ein überliefertes Material und die ihm angemessene Rezeption durch die Zuschauer ist ebenfalls die "Lektüre".

Spurensuche zu einem unvollendeten Film

Hersonskis Film beginnt mit einer Fahrt in einem Kellergang, aufgenommen im Bundesarchiv. Darauf folgen ältere Aufnahmen eines Filmlagers mit vielen gestapelten Filmbüchsen, wobei die Kamera die Räume durchstreift und auf einer Rolle mit dem Stempel "Geheim" endet. Der Kommentar erzählt dazu nach den Anfangssätzen die Geschichte vom Fund des "Ghetto"-Films, der in den 1950er Jahren in der DDR zusammen mit anderen vor 1945 eingelagerten Filmen entdeckt wurde. Der "Ghetto"-Film war ohne Tonspur, Anfangstitel oder Abspann: ein Geheimnis.

"Geheimsache Ghettofilm" schafft in der Exposition zu Beginn eine bestimmte Spannung, eine Erwartung. Es wird von einem unvollendeten Film berichtet, bevor daraus erste Bilder zu sehen sind. Dann folgen Aufnahmen aus dem Rohschnitt von 1942, die Aufsicht auf eine belebte Straße, die, wie ein Schwenk zeigt, durch eine Mauer abgetrennt zu sein scheint. Zehn weitere Einstellungen aus dem "Ghetto"-Material schließen sich an – alle abgefilmt von einem Schneidetisch.

Diesen folgen Fahrten in einem modernen Filmlager, aufgenommen wiederum im Bundesarchiv – sie zeigen den Transport von Filmrollen mit einer Sackkarre. Schließlich beginnt der Vorspann mit den Credits und dem Filmtitel, dazwischengeschnitten sind Aufnahmen eines Projektors, der anläuft. Die Titel "Achtung" und "Geheime Kommandosache!" werden sichtbar. Erneut sieht man das Bild der Straße und der trennenden Mauer, diesmal nicht vom Schneidetisch abgefilmt, daher in veränderter Färbung und besserer Auflösung.

Damit verwenden Exposition und Beginn des ersten Teils Material unterschiedlicher Herkunft: Archiv-Aufnahmen, sowohl aus dem "Ghetto"-Film wie aus dem "Restmaterial" (aus letzterem stammen die beiden Titel "Achtung" und "Geheime Kommandosache!") und eigens im Bundesarchiv gedrehte Szenen. Man könnte sagen, der Anfang erscheint als solcher hervorgehoben. Der Kommentar thematisiert in diesen ersten Filmminuten den Status der Aufnahmen von 1942. In dem Moment, in dem die Zuschauer die damals gedrehten Einstellungen sehen, erfahren sie auch in Grundzügen deren Geschichte. "Es ist die Rohfassung des einzigen nationalsozialistischen Films aus dem größten von den Deutschen errichteten Ghetto: dem Ghetto von Warschau. […] Überliefert sind nur diese stummen, über 60 Minuten langen Sequenzen. Sie zeigen überraschend gut gekleidete, scheinbar wohlgenährte Juden kontrastiert mit nacktem Elend und Sterbenden auf den Straßen."

Bei den Dreharbeiten im Warschauer Ghetto im Jahr 1942 sowie bei einem ersten Rohschnitt des Filmmaterials wurden bewusst die Kontraste zwischen arm und reich herausgestellt und teils inszeniert. Yael Hersonski gelingt mit ihrem Film "Geheimsache Ghettofilm" eine wichtige Re-Lektüre jener Aufnahmen, so der Medienwissenschaftler Rainer Rother. (© Bundesarchiv-Filmarchiv und Transit Film)

Hersonskis Montage legt großen Wert darauf, einerseits eine bestimmte Spannung zu erzeugen – nicht zuletzt dazu dienen die Vorspann-Einzeichnungen "Achtung" und "Geheime Kommandosache!". Andererseits gewinnt die Inszenierung von Erwartung, wobei das Hinführen des Zuschauers zu den alten Filmbildern transparent gehalten wird, deutlich den Charakter einer Narration. Dieser Beginn stellt seine ästhetische Formung, seine Inszenierung aus. Die Befragung des Materials, die fortan das Thema sein wird, verträgt sich nicht mit einem scheinbar naiven Vorgehen. Dass hier zudem mit einer nicht auflösbaren Unsicherheit über die Intentionen der NS-Filmmacher zu rechnen ist, verzeichnet der Kommentar: Nämlich, dass nicht eindeutig zu belegen ist, wieso im Ghetto gedreht wurde und wieso der Film nie zu Ende produziert wurde.

Schließlich wird der entscheidende Unterschied zu anderen Filmen, die auf die berühmt-berüchtigten überlieferten Bilder zurückgriffen, im Filmkommentar benannt: "Nach ihrer Entdeckung wurden die Filmsequenzen [von 1942] als Abbild des wahren Lebens im Ghetto verstanden. Wurden so in Dokumentationen verwendet, in Museen archiviert. Aus dem Propagandamaterial wurde historische Wahrheit. Doch was zeigen diese Bilder wirklich? Und was zeigen sie nicht?”

Hersonskis Film ist eine Re-Lektüre der Aufnahmen von 1942

Damit ist implizit das Ziel der Filmemacherin formuliert, denn in ihrem Film geht es nicht darum, die Geschichte des Warschauer Ghettos zu erzählen. Eher könnte man sagen, "Geheimsache Ghettofilm" versuche, in den im Mai 1942 mit eindeutiger Absicht aufgenommenen Filmbildern die Schichten der damaligen Realität wieder erkennbar zu machen.

Neben den überlieferten Aufnahmen – der Rohschnitt ebenso wie die "Outtakes-Rolle", also das Restmaterial, sowie die parallel entstandenen Amateuraufnahmen von Mitgliedern des Produktionsteams – sind es vor allem folgende Quellen, die Yael Hersonski in ihrer Re-Lektüre des "Ghetto"-Films einsetzt: Zunächst im Off von verschiedenen Sprechern zitierte Zeugnisse von Zeitzeugen, wie die Tagebücher Adam Czerniakóws, der zur Zeit der Dreharbeiten Vorsitzender des Judenrats im Warschauer Ghetto war, und Dokumente aus dem Ringelblum-Archiv (siehe hierzu das Interview mit Samuel Kassow zum Archiv: Interner Link: Die Wahrheit soll leben – das Untergrundarchiv im Warschauer Ghetto), in dem Ghettobewohner über die Aktivitäten des Filmteams berichten und sie kommentieren.

Hinzu kommen Aktenvermerke der NS-Behörden, zum Beispiel über die Versorgungslage im Ghetto oder das Eintreffen der Filmcrew. Außerdem werden die Aussagen des Kameramanns Willy Wist, des einzigen durch ein Dokument namentlich identifizierten Mitwirkenden an den Filmarbeiten 1942, als nachinszenierte Spielszenen eingefügt. Willy Wist wurde in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit Untersuchungen gegen deutsche Amtsträger in Warschau befragt. Schließlich bat Yael Hersonski Überlebende des Ghettos, die sich an die damaligen Dreharbeiten erinnern konnten, sich der Vorführung des überlieferten Materials auszusetzen und filmte dabei ihre Reaktionen.

Hersonskis filmische Untersuchung des unvollendeten Films bezieht sich also ausschließlich auf das überlieferte Material oder darauf bezogene Quellen und Erinnerungen. Der damals gedrehte Film ist das Geschehen, das Yael Hersonski verstehen will.

Befragung des Materials: Auflösung seiner Eindeutigkeit

In einer groben Unterscheidung können die vier von Hersonski im Film deutlich voneinander abgesetzten Teile so charakterisiert werden: Das erste Kapitel präsentiert zunächst sehr knapp Informationen zum Warschauer Ghetto und über das Filmprojekt von 1942. Mit Czerniakóws Tagebuch wird zum ersten Mal die Perspektive der Opfer auf die Dreharbeiten eingeführt. Erstes Beispiel für die Konfrontation von Filmbildern und Zeugnissen sind die mit Czerniaków inszenierten Aufnahmen in seinem Büro, wo er vermeintlich eine Gruppe von Rabbinern empfängt.

Weitere Einträge aus seinen Tagebüchern und korrespondierendes Filmmaterial folgen dem gleichen Prinzip, mit dem die scheinbare Evidenz der Filmbilder unterlaufen wird. Zu Czerniakóws Berichten treten schon hier die heutigen Erinnerungen der Überlebenden beim Betrachten der Ghetto-Filmaufnahmen. Zudem wird aus dem Wochenbericht vom Mai 1942 von Heinz Auerswald, Kommissar für den "Jüdischen Wohnbezirk" und zuständig für die Belange im Ghetto, eine Passage über den Beginn der Dreharbeiten aus dem Off zitiert.

Im zweiten Teil tritt der Akt der Filmproduktion mit den Aussagen Willy Wists, der in einer Nach-Inszenierung von Rüdiger Vogler gespielt wird, selbst in den Vordergrund. Seine Aussagen vor einem Untersuchungsbeamten sind sehr zurückhaltend inszeniert. Es bleibt jederzeit erkennbar, dass es sich um die Inszenierung mit einem bekannten Darsteller handelt. Solch ein Re-enactment in historischen Dokumentationen ist ein zweischneidiges Mittel und in der Regel Ersatz für fehlende Bilder und/oder schriftliche Dokumente.

Das Nachstellen von Situationen wird vor allem eingesetzt, wenn es gilt, "Atmosphäre" zu schaffen. Entsprechend hat Hersonskis Inszenierung Kritik auf sich gezogen. Alllerdings ist nicht zu übersehen, dass sich Wists Aussagen in zweierlei Hinsicht von anderen Quellen unterscheiden, die jeweils im Off zitiert werden. Letztere stammen aus der Zeit der Dreharbeiten – sowohl die Berichte und Tagebucheintragungen der Opfer sowie die Vermerke der deutschen Besatzer. Zudem sind Wists Aussagen spätere Rechtfertigungen. Die Regisseurin wählte die Form des Re-enactments, weil sie die Person Willy Wist ambivalent halten, nicht zum Abziehbild des Bösen machen wollte.

Der dritte Teil des Films rückt historische Dokumente der Ghettobewohner in den Vordergrund. Die aus dem Ringelblum-Archiv ausgewählten Zeugnisse verweisen auf die Intentionen der Filmaufnahmen und sind erneut geeignet, das vermeintlich Dokumentarische der Einstellungen fraglich werden zu lassen. Zugleich werden Einstellungen aus dem Restmaterial zitiert, aus denen sich die mehrfachen "Takes", also die mehrfache Inszenierung von Situationen und damit die konsequente Inszenierung von "Alltäglichkeit" durch das Filmteam erweisen.

Der letzte Teil des Films zieht eine Art Resümee. Aus dem Amateurmaterial werden Szenen aus den Farbaufnahmen verwendet. Beginnend mit einer Begräbniszeremonie ist dieser Teil fast ganz dem Sterben im Ghetto gewidmet. Am Ende des Films (so auch im Rohschnitt) zeigt Hersonski abschließend Sequenzen von nebeneinander stehenden "reichen" und "zerlumpten" Juden. Mit dem Titel "Ende 4" folgt der Schluss – die letzten Bilder zeigen den Rücktransport der Filmrollen ins Archiv. Auch dies ein sehr deutlich "erzählendes" Ende, formal als Geste wie das Schließen eines Kreises angelegt. Dem Anspruch der Regisseurin gemäß hat sich die Wahrnehmung der Filmrollen auf diesem inszenierten Weg aus dem Archivregal und zurück deutlich verändert. Aus einem geheimnisvollen Fund ist ein in vielen Beziehungen entschlüsselter Film geworden.

Die Auseinandersetzung der Überlebenden mit dem „Ghetto“-Film

Auch die Bilder vom Sterben sahen sich die Überlebenden an. Yael Hersonski sagt über ihre Arbeit mit den Zeitzeugen und deren Bereitschaft zu dieser Konfrontation mit der Vergangenheit: "Ich habe Überlebende gesucht, die sich an die Filmaufnahmen von 1942 erinnern konnten. Und wir haben einige Zeugen gefunden – mehr, als wir nun im Film haben. Ich habe mit allen von ihnen gesprochen. Ihnen beschrieben, was wir tun würden und sie gefragt, ob sie am Film teilhaben könnten und wollten." Einige der Überlebenden wollten sich, so Hersonski, den Bildern von 1942 stellen, andere waren unsicher. Die Filmemacherin bat schließlich nur wenige um ihre Mitarbeit; nur jene, die sagten, sie wollten es nicht für Hersonski, sondern für sich selbst tun.

"Wir führten ihnen den Film vor, teilweise in Jerusalem, teilweise in Tel Aviv, jeweils in der dortigen Kinemathek." Der Drehort richtete sich nach dem Wohnort. Die Filmsäle schufen eine für Zeitzeugeninterviews untypische Situation. "Wenn man für eine historische Dokumentation mit Augenzeugen oder Zeitzeugen zusammenarbeitet, dann führt man normalerweise die Interviews in ihrem Haus oder dergleichen. Ich wollte die Konzentration auf den Film von 1942 legen. Deshalb kamen sie ins Kino. Sie setzten sich diesen Bildern außerhalb ihrer gewohnten Räume aus, in einem dunklen Raum, allein auf die Bilder aus der Vergangenheit blickend. Wir führten immer eine Rolle vor, unterbrachen dann und ich fragte, ob sie oder er weitermachen wollte oder lieber abbrechen. Wir filmten sie während der Vorführung der Rollen, aber hörten in den Pausen dazwischen auf. Was man in meinem Film schließlich sieht, sind die Reaktionen der Überlebenden im Kino auf die Aufnahmen von 1942; und in jeder Sequenz mit den Überlebenden sind die Bilder, die die Zuschauer meines Films sehen, die gleichen, die die Zeitzeugen sahen."

Zur Zeit der Filmaufnahmen waren die Überlebenden, die den Ghettofilm betrachten, noch Kinder. Sie kamen herum im Ghetto, suchten in den Abfällen nach Essbarem, schmuggelten Nahrungsmittel. Sie sahen das Leid, den Hunger und das Sterben. Diese Erinnerungen geben den Aufnahmen einen Kontext, in dem sie nie zuvor standen. Von den Tätern als Denunziation konzipiert, in späteren Kompilationen als Beweis für die verbrecherischen Taten eingesetzt, werden die Bilder von den Überlebenden im Lichte ihrer Erfahrungen bewertet, werden neu lesbar.

Die Überlebenden entreißen die Opfer ihrer Anonymität

Die Überlebenden stellen sich, konfrontiert mit den Bilder aus der Vergangenheit vor allem eine Frage: "Was ist, wenn ich jemand sehe, den ich kenne?" Die dem Ghetto Entkommenen sehen und erkennen in den Abgebildeten, die in filmischen Zuschreibungen immer wieder de-individualisiert werden, ihre Mitmenschen, ihre Leidensgenossen im alltäglichen Überlebenskampf. In einzelnen Fällen können sie sich an sie erinnern und sie, die Namenlosen, identifizieren. Ein Zeitzeuge ruft beim Anblick einer im "Ghetto"-Film oft zitierten Einstellung, in der eine abgemagerte Frau, ihr Kind auf dem Arm, eine belebte Straße auf- und abgeht: "Oh, ich erinnere mich an diese Frau. Immer ging sie mit ihrem Baby auf dem Arm hin und her und schrie. Bettelte um ein Stückchen Brot." Der Blick der Überlebenden auf den Ghettofilm ist der Versuch, die Ghettoinsassen den Zuschreibungen durch die NS-Filmemacher zu entwinden – nicht als namenlose Opfer, sondern als Mitgefangene.

In "Geheimsache Ghettofilm" erinnert sich der Zeitzeuge Yurek Plonski an die Frau im Bild - eine Szene aus dem Filmfragment "Ghetto". Für Rainer Rother ist diese Identifizierung ein wichtiges Element des Films "Geheimsache Ghettofilm". Denn durch das Erkennen, würden die Menschen im Film von namenlosen Opfern zu Mitmenschen und Leidensgenossen. (© Bundesarchiv-Filmarchiv und Transit Film)

Die Bedeutung der Identifikation geht über ein zufälliges Wiedererkennen hinaus. Sie ist das Resultat einer Rezeption, die einen völlig anderen Blick auf die Bilder darstellt als es ihre Verwendung in Kompilationsfilmen nahelegt. Ganz zu schweigen von der Rezeption, die dem Täterblick entsprach und die Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, vermutlich nach einer Sichtung des Rohschnitts, in seinem Tagebuch im August 1942 so zusammenfasste: „Einige grauenhafte Filmstreifen werden mir aus dem Ghetto in Warschau gezeigt. Dort herrschen Zustände, die überhaupt nicht beschrieben werden können. Das Judentum zeigt sich hier in aller Deutlichkeit als eine Pestbeule am Körper der Menschheit. Diese Pestbeule muß beseitigt werden, gleichgültig, mit welchen Mitteln, wenn die Menschheit nicht daran zugrunde gehen will.“

Der Unterschied der Perspektive schafft die filmische Dekonstruktion

Die Reaktionen der Überlebenden sowie die nachinszenierten Aussagen Wists tragen als zwei grundsätzlich verschiedene Perspektiven zur Dekonstruktion des überlieferten Materials auf besondere und durchaus neue Weise bei. Nicht obwohl, sondern weil sie kontradiktorisch sind, wird durch sie die filmische Konstruktion des "Ghetto"-Materials demontiert.

Die Aussagen von Willy Wist, der von einem sozusagen professionellen Gesichtspunkt aus und zugleich in der Verteidigungsposition gegenüber dem Verhörenden argumentiert, prägen noch etwas anderes. Auffallend ist das Streben, die Verantwortung abzuschieben. Er stellt sich als bloßen Auftragsempfänger dar, der von einem "Goldfasan" seine Anweisungen bekam und dem die aufzunehmenden Motive von Angehörigen der Schutzstaffel (SS) zugewiesen oder in Person zugeführt wurden. Sein Sprachduktus – er beantwortet Fragen gelegentlich mit knappem "jawohl" – untermauert diese Annahme.

Wists Klage über unzureichende Arbeitsbedingungen – "Wir hatten keine Möglichkeit, uns frei zu entfalten" – führt zu einer irritierten Nachfrage des Beamten. In dieser Anmaßung aber, seine Tätigkeit mit dem Hinweis auf mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten zu charakterisieren, liegt das Furchtbare seines Selbstverständnisses. Die Bemerkung, oft seien die Drehbedingungen unzureichend gewesen, es habe an Licht gefehlt, ist in Anbetracht dessen, was da gedreht wurde, von einer beängstigenden Verengung der Perspektive gekennzeichnet. Die Aufnahmen aus dem Ghetto, in denen in der Tat die "unzureichenden Drehbedingungen" augenfällig werden, weil die Szenerie von einem einzigen, die Kamerabewegungen mit vollziehenden Scheinwerfer ausgeleuchtet werden, gehören zu den schrecklichsten Dokumenten der Existenzbedingungen im Ghetto. Zeigen diese doch in unbeleuchteten Räumen zusammengepferchte Menschen, die geschwächt in Behelfsbetten dem Tode entgegensehen.

Wist hat in seinen Aussagen aber auch, vielleicht gegen seinen Willen, die Täterbilder, die zum Teil von ihm stammten, in anderer Weise definiert. Mit der Wendung "ich erinnere mich" während des Verhörs beschreibt er seine Tätigkeit als Kameramann nicht allein in der vorweggenommenen Abwehr von Anklagen. Ihm war die Propagandaabsicht des geplanten Films schon deswegen klar, weil die hergestellten Kontraste so offensichtlich waren. In zwei Fällen sind die Formulierungen, die er für seine Erinnerungen an die Dreharbeiten findet, von einer gewissen Ehrlichkeit. Zum einen Szenen in einem Ritualbad. Er bemerkt: "Es handelte sich wohl bei diesen Frauen um solche, die sich noch etwas besser ernähren konnten." Im Zynismus der Wendung klingt an, dass Wist vor seinen Erinnerungen nicht flüchten kann. Die Aufnahmen im Ritualbad, die eine bewusste Entweihung des Ortes waren, zeigen die unterdrückte Qual der gezwungenermaßen als Komparsen Agierenden. Ihre Scham, ihre Verletzlichkeit, ihr hilfloses Widerstreben. Dabei ist der Widerstand ausschließlich Opfer zu sein, klar erkennbar. Die Präsenz der Kamera ist für die Reaktionen der Frauen durchaus relevant. Yael Hersonski zwingt den Zuschauer, den Zwang der Inszenierung zu sehen und den Opfern in ihrer Scham und Qual nicht auszuweichen.

Zum anderen handelt es sich um eine im "Ghetto"-Film vergleichsweise lange Sequenz, die das Einsammeln von Leichen, ihren Transport zu einer Sammelstelle und schließlich ein tief ausgeschachtetes Massengrab zeigt, in das die Toten über eine Rutsche hinein geschmissen werden. Die Aufnahmen dienten sehr häufig als Material für Kompilationen. Yael Hersonski zeigt diese Aufnahmen, indem sie einerseits Reaktionen der Überlebenden einschneidet, andererseits die Perspektive von Wist zitiert: "Ich erinnere mich, dass ich ein Massengrab zu filmen hatte. In diesem Grabe war eine große Anzahl von Leichen aufgeschichtet. Ich kann nicht sagen, in wie vielen Schichten schon Leichen in dem Grabe waren, die sich unter der für mich sichtbaren Schicht befanden. Ich habe die Erinnerung, dass die Leichen auf einer Rutsche in das Grab befördert wurden." Er fügt hinzu, er habe die "bestimmte Erinnerung", dass "die Menschen nur noch Haut und Knochen waren", dass sie "einfach verhungert sind".

Einstellungen aus den Outtakes ergänzen, was Wist verschweigt: Jene Bilder des Massengrabs, die im Rohschnitt zu sehen sind, verlangten nach mindestens zwei Kamerapostionen. Eine, die das Grab, die Rutsche und die herangebrachten Rabbiner am Rand der Grube zeigt – hier stand die Kamera ebenerdig, außerhalb des Grabes. Von hier ließen sich auch die die Rutsche hinabgleitenden Leichen zeigen, von hier war der Blick ins Massengrab möglich. Nicht aber Nahaufnahmen, in denen die Stapelung der Leichen und das Bestreuen mit Kalk im Grab selbst festgehalten wurden. Diese Kameraposition befand sich im Massengrab: Der Kameramann stand für diese Bilder, die für eine reibungslose "continuity" sorgen sollten, auf den bereits verscharrten Toten. Er wurde übrigens wiederum aus einer (dritten) Kamerapostion im Massengrab von einem Stabmitglied gefilmt. Wist ging auf diese Situation im Verhör nicht ein. Und doch ist für seine Aussage diesmal weniger Verdrängung oder ein Gestus der Abwehr kennzeichnend als etwas anderes: die Macht der Erinnerung. In den Worten des Verhörs: "Die Ereignisse haben mich damals sehr beeindruckt, trotzdem ich ja viel zu sehen bekommen hatte. Sie haben mich noch eine ganze Zeitlang beschäftigt", so Wist.

Den Opfern blieb der Blick zurück

Eine besondere Bedeutung haben die Blicke der im Mai 1942 Abgebildeten in die Kamera. Die Einstellungen legen einerseits die Sicherheit, mit der das Team agierte, offen. Diese Bilder sind nicht heimlich aufgenommen, sondern von Eindringlingen, die über die Macht verfügten, erwünschte Aufnahmen herzustellen – ohne Eile, auch entdeckten sie die Filmsituationen nicht zufällig. Willy Wists Klage über unzureichende Lichtbedingungen verrät implizit, dass andere Einschränkungen nicht galten. Dem Team wurden die Ghettobewohner von der SS zugeführt; es agierte nach einem, ihm vielleicht unbekannten, Drehbuch, welches die arrangierten Szenen und die Kontraste der Montage in Sinne der Verdeutlichung jener nationalsozialistischen Konstruktion des "Jüdischen" enthielt.

Und doch konnte das Team nicht verhindern, dass die zu Objekten ihres Filmes gemachten Opfer sich auf ihre Weise in die Bilder einschrieben. Die zahlreichen Blicke in die Kamera sind Akte, in denen sich etwas nicht Kontrollierbares vollzieht, in denen sich die vermeintlichen Objekte der Aufnahmen in einem kurzen Moment der Kontrolle der Täter entziehen, sich als Subjekte behaupten, indem sie die Kamera fixieren: verstohlen manchmal, fast heimlich und wie zufällig, ein anderes Mal ganz offen und unverhohlen, selbstbewusst und herausfordernd.

Den Opfern blieb der Blick zurück, die Weigerung, die unsichtbare Grenze zu respektieren, jenseits derer erst die Inszenierung vollkommen und das Team als "unsichtbarer Beobachter" anerkannt ist. Darin besteht die Subversion der Blicke in die Kamera: Sie verweisen auf das Filmen selbst, das Arrangierte der Szenen, auf die von den Abgebildeten notgedrungen eingenommenen Rollen. Und indem die Blicke in die Kamera gerichtet werden, treffen sie den Betrachter des Films: Die Opfer blicken auf ihre Zuschauer, adressieren sie, zwingen sie, sich ihnen gegenüber zu verhalten.

Die sozialen Gegensätze sollten im Fokus stehen – so der Auftrag

Derartige "Blicke in die Kamera" fehlen in jenen Szenen, in denen "Reichtum" ins Bild gesetzt wurde, und in denen teils Darsteller herangebracht und ausstaffiert wurden oder Situationen arrangiert wurden. Sie fehlen in Czerniakóws Büro, beim Empfang in der gutbürgerlichen Wohnung, im Restaurant oder im Theater. Aber sie sind präsent in den Straßenszenen, bei Passanten, auf dem Markt, selbst in der mit beträchtlichem Aufwand ins Bild gesetzten Szene vom Auseinandertreiben einer Menschenmenge durch jüdische Ordnungskräfte. Diese Blicke wiederum kündigen die Verfügbarkeit auf.

Indem Yael Hesonski die Zeitzeugen den Filmbildern aussetzt, lässt sie auch alle demonstrativ Wohlstand präsentierenden Szenen fraglich werden. Dass auch im Ghetto wenige Menschen die Muße hatten, ein Sonnenbad zu nehmen, dass es auch dort wenige Reiche gab, das räumen die Überlebenden ein. Aber sie bestätigen nicht die den Bildern von den Tätern gegebene Bedeutung. Ergänzend zu einer Szene mit einem Metzger, der an einem Straßenstand Fleisch anbietet, erinnert sich ein Überlebender: "Menschen, die noch Wertsachen hatten oder Essen, konnten sich auch Essen kaufen. Zu überhöhten Preisen zwar, aber sie konnten sich etwas kaufen. Bis zu ihrem letzten Tag. Davon gab es vielleicht 20 oder 50. Aber die meisten Menschen hatten nichts zu essen oder anzuziehen." Und angesichts der Sonnenbadenden resümiert eine andere Zeitzeugin: "Was wollten die damit zeigen? Unterschiede? Natürlich gab es Unterschiede im Ghetto." Bitter vermerkt sie: Es habe viele Kontraste im Ghetto gegeben, die Menschen hätten getan, was sie konnten, um ihre Würde zu bewahren. Das sei der schreckliche Kontrast und das Paradox gewesen, geschaffen von den Deutschen.

Einige Aussagen der Überlebenden wurden von Kritikern als problematisch bezeichnet. Die Erinnerungen an Schmutz, Elend, an Leichen auf den Straßen, auch an die eigene Abstumpfung den Toten gegenüber, erschien manchen Kritikern als vom Film nicht genügend kontextualisiert und möglicherweise Missdeutungen Vorschub leistend. Es ist jedoch eine der großen Stärken von Hersonskis Film, die Reaktionen der Überlebenden auf die Bilder nicht zu kommentieren. Indifferenz gegenüber dem Übermaß des alltäglichen Leids wurde im Ghetto zu einer Überlebensnotwendigkeit und war ebenso ein Produkt der nationalsozialistischen Politik, wie das Morden selbst. Die Aufnahmen der Leichenberge und des Massengrabs können die Überlebenden heute kaum anschauen. So sagt eine Zeitzeugin: "Ich kann mir das nicht mehr ansehen. Ich bin dagegen nicht mehr immun. Heute kann ich weinen. Ich bin glücklich, dass ich heute weinen kann. Ich bin ein Mensch." Es ist die überwundene, im Ghetto aufgezwungene Indifferenz, die hier thematisiert wird – produziert im Angesicht eines Films, um die Opfer zu denunzieren.

Yael Hersonski erreicht mit diversen filmischen Verfahren eine definitive Veränderung der Haltung zu jenen Bildern aus dem Jahr 1942. Sie findet dafür ihren Halt in den Blicken der Passanten, ihre Perspektive in den Erinnerungen der Überlebenden. Sie rekonstruiert die Filmarbeiten und dekonstruiert deren Produkt, den unvollendeten nationalsozialistischen Propagandafilm.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die überlieferten Filmrollen, die 1954 in der DDR entdeckt wurden, waren ursprünglich nur mit dem Wort "Ghetto" beschriftet. Ersichtlich stellt das Material keinen zu Ende produzierten Film dar. Es fehlen Anfangs- und Endtitel sowie eine Tonspur. Dass es sich um einen Rohschnitt, ausgewählt aus umfangreicherem Material handelt, ist spätestens seit dem Auftauchen anderer Einstellungen 1998, die als "Reste" der damaligen Montage wirken, wahrscheinlich. Im Folgenden wird auf das seit 1954 bekannte Filmmaterial als "Ghetto"-Film verwiesen. Neben dem Restmaterial können auch zwei Amateurfilme mit Szenen aus dem Warschauer Ghetto den Aufnahmen der Langfassung zeitlich zugeordnet werden, die wahrscheinlich von Mitgliedern des Produktionsteams angefertigt wurden. Einer der Amateurfilme wurde in Farbe gedreht.

  2. Externer Link: http://www.nytimes.com/2010/02/14/movies/14dargis.html?pagewanted=all, aufgerufen am 27.5.2012. Die deutsche Übersetzung lautet: "Die Regisseurin Yael Hersonski zeigt, wie das Originalfilmmaterial sorgfältig montiert wurde und zwar ganz offensichtlich, denn einzelne Szenen wurden mehrfach aufgenommen. Sie nutzt ausführlich Ausschnitte aus dem Nazifilm und Auszüge aus Tagebüchern von Ghettoinsassen. In einer Filmsequenz geht eine gesund wirkende Frau anscheinend gleichgültig an zwei verwahrlosten und erbärmlich aussehenden Kindern vorbei – und dann geht sie noch einmal vorbei."

  3. Weitere Hinweise siehe Externer Link: http://www.imdb.com/title/tt1568923/releaseinfo, aufgerufen am 23.4.2012

  4. Yael Hersonski, Interview mit dem Verfasser, 6.2.2010. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt vom Verfasser. Alle Zitate von Yael Hesonski, die im folgenden ohne weiteren Nachweis erscheinen, stammen aus diesem Interview.

  5. Diese Gliederung ist angegriffen worden, weil sie sich offenkundig auf die vier Rollen bezieht, in denen der "Ghetto"-Film heute vorliegt, auch in der Kinemathek in Jerusalem, deren Kopie Hersonski benutzte. Ursprünglich lag das Material in acht Rollen vor. Das Einstellungsprotokoll bei Externer Link: http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?dfw00fbw000817.gd beruht auf dieser Fassung. Dort ist der Film unter dem Titel "Asien in Mitteleuropa" geführt, der auf den Memoiren von Jonas Turkow beruht, eines Überlebenden des Ghettos.

  6. Differenzierter ist hier der englische Filmkommentar: "Ironically after the war this film commissioned by the Nazis turned into a trustworthy document for any filmmaker or museum seeking to show what really happened, to tell the untellable. The cinematic deception was forgotten and the black and white images were engraved in memory as historical truth. From the frenzy of propaganda the images alone remain - concealing many layers of reality."

  7. Yael Hersonski, Interviews mit dem Verfasser vom 6.2.2010 und 24.4.2012.

  8. Der Kommentar schließt parallel zu diesen Aufnahmen mit den Worten: "Nach 30 Drehtagen packte das Team seine Kameras, Lampen und Tonausrüstung zusammen und verschwand. Weniger als zwei Monate später befahlen SS-Offiziere dem Vorsitzenden des Judenrats Listen zu schreiben mit tausenden von Namen zur unverzüglichen Deportation aus dem Ghetto. Vermutlich wusste Czerniaków, dass das Lager in Treblinka, wo seine Leute hingebracht wurden, ein Massengrab werden würde. Am nächsten Tag biss er auf die Zyanid-Kapsel, die er seit Kriegsbeginn bei sich trug. Als das Filmmaterial schließlich im Schneideraum seiner Auftraggeber landete, waren die meisten der Abgebildeten längst tot. Alles, was von ihnen blieb, sind ihre stummen Schatten auf einem Streifen Zelluloid."

  9. Elke Fröhlich (Hg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II/Bd. 5, München 1995, S. 391. Aus dem Tagebucheintrag geht nicht eindeutig hervor, dass sich Goebbels auf die Aufnahmen vom Mai 1942 bezieht.

  10. Zu sehen sind Frauen und Männer, die getrennt voneinander ein jüdisches Ritualbad nehmen. Aus dem Off wird aus einem Dokument jener Zeit zitiert: "Diese Woche fanden sie eine neue Methode, uns zu quälen. Zuerst haben sie ein Dutzend hübscher junger Mädchen in ein jüdisches Ritualbad gebracht. Dann holten sie Männer und brachten sie in das gleiche Ritualbad. Während ein Nazi eine Peitsche in seiner Hand hielt und über den Köpfen schwang, stand sein Kamerad mit Film-Zubehör in der Ecke."

  11. Yael Hersonski weist im Kommentar des Films in der englischen Sprachfassung darauf hin, dass Wist nach dem Krieg seine Filmaufnahmen vernichtete und nicht mehr als Kameramann arbeitete.

  12. "But the survivor testimony has become an unintentional flashpoint. While watching scenes in the ghetto film of garbage mounded outside an apartment building, one survivor explains that people had grown too weak to take the trash downstairs, so they dropped it out the windows. She adds, ‘Hungry people become apathetic’. Those words, and another survivor's recollection of having to look away as she stepped over corpses on the sidewalk, have concerned some historians.

    They should have been framed more carefully, not ‚left open to misinterpretation’, says Raye Farr, director of the Steven Spielberg Film and Video Archive at the U.S. Holocaust Memorial Museum.

    Portraying Jewish indifference ‚was part of the longstanding Nazi propaganda’, Farr says. ‚This is where it gets tricky, because you don't want to support the Nazi view. [...] I think the woman is speaking genuinely, but if you're putting this in a film where you're trying to debunk the propaganda, maybe you have to help that somewhere.’"

    Sarah Kaufman, New Holocaust movie, 'A Film Unfinished', is a testament to different types of survival, in: Washington Post, 23. September 2010

    Die deutsche Übersetzung lautet: "Die Aussagen der Überlebenden wurden jedoch unbeabsichtigt zu einem Spannungsfeld. Beim Anblick einer Szene des Ghettofilms, in der sich vor einem Wohnhaus ein Müllhaufen türmt, erklärt einer der Überlebenden, dass die Menschen irgendwann zu schwach gewesen seien, um den Müll nach unten zu bringen; sie hätten deshalb den Müll einfach aus dem Fenster geworfen. Er ergänzt: ‚Hungrige Menschen werden apathisch.’ Diese Worte und die Erinnerung einer weiteren Überlebenden daran, dass sie wegschauen musste als sie über Leichen auf dem Bürgersteig stieg, haben einige Historiker beunruhigt. ‚Sie [diese Worte] hätten sorgfältiger kontextualisiert werden müssen, um sie weniger stark ‚Misinterpretationen auszusetzen’", sagt Raye Farr, Direktorin des Steven Spielberg Film und Video Archivs des U.S. Holocaust Museums.

    Die Darstellung jüdischer Gleichgültigkeit‚ war Teil der anhaltenden Nazi Propaganda’, so Farr weiter. An diesem Punkt wird es heikel, denn man will ja nicht die Ansichten der Nazis untermauern. [...] Ich glaube, die Frau erzählt ganz ehrlich. Aber wenn man das in einen Film hineinnimmt, in dem man die Propaganda entlarven will, sollte man an anderer Stelle diesen Punkt verdeutlichen.’“

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