Das Filmarchiv des Bundesarchivs ist das zentrale deutsche Filmarchiv. Es sammelt deutsche Filme aller Genres seit Aufkommen des Bewegtbildes – also seit 1895 bis heute. Ausgenommen sind Fernsehproduktionen, da die Fernsehanstalten eigene Archive haben. Im Filmarchiv lagert auch das Filmfragment "Ghetto": Propaganda-Aufnahmen eines deutschen Kamerateams aus dem Frühjahr 1942 im Warschauer Ghetto. Das Material ist die Grundlage für den Film "Geheimsache Ghettofilm" von Yael Hersonski. In den 1990er Jahre hat das Filmarchiv von der Library of Congress in Washington ergänzend zu dem Filmfragment restliches Material erhalten. Diese Aufnahmen umfassen Sequenzen aus der Langfassung "Ghetto" sowie zusätzliche Szenen. Außerdem bewahrt das Archiv zwei Amateurfilme auf, die im direkten Umfeld der Dreharbeiten 1942 entstanden sind. Das Bundesarchiv-Filmarchiv hat die Regisseurin Yael Hersonski bei der Recherche zu ihrem Film "Geheimsache Ghettofilm" umfangreich unterstützt.
Im Filmarchiv des Bundesarchivs finden sich über 150.000 Filmtitel. Das Archiv ist eines der größten seiner Art weltweit. Wie kann ich mir diese riesige Sammlung vorstellen? Stehen im Archiv endlose Reihen mit Filmrollen oder große Safes?
Das Bewahren ist eine der beiden Hauptaufgaben von Archiven: Bewahren und zur Benutzung bereitstellen. Für die Bewahrung sind die klimatischen Bedingungen der Magazine, also der Lagerräume, ein ganz entscheidender Punkt. Wenn sie in unsere Magazine kommen, spüren Sie es: Kühl und mit einer geringen Luftfeuchtigkeit will Filmmaterial gelagert sein. Insgesamt verteilen sich unsere rund 150.000 Filme auf über eine Million Filmbüchsen. Es ist tatsächlich eine Herausforderung diese große Anzahl ordentlich zu organisieren.
Wir sortieren die Materialien, die in unser Archiv kommen, erst einmal nach technischen Charakteristika, also schwarz/weiß und Farbe, Positive und Negative, Bilder und Töne und so weiter. Nach diesen Eigenschaften getrennt werden sie dann in unterschiedlichen Magazinen, in unterschiedlichen klimatischen Bedingungen gelagert. Zunächst ist das eine Lagerung nach Numerus Currens – also nach fortlaufender Nummer. Später, wenn wir das Material eines Werkes inhaltlich bearbeitet und technisch konserviert haben, erhält jedes Filmwerk ergänzend eine zusammenfassende Nummer. Aber auch bei dieser aufgeteilten Lagerung in getrennten Räumen ist es schon beeindruckend, wenn man in ein Magazin kommt, in dem 20.000 oder gar 50.000 Filmbüchsen liegen.
Neben der Aufbewahrung: Welche klassischen Aufgaben übernehmen das Filmarchiv und seine Archivare? Welchen Auftrag erfüllt das Filmarchiv?
Das Bundesarchiv-Filmarchiv ist das zentrale deutsche Filmarchiv. Aber was ist ein Archiv überhaupt? Die Aufgabe eines Archivs ist das Bewahren und Bereitstellen von Dokumenten, denen bleibender Wert zukommt. Mit anderen Worten: Das Filmarchiv hat die Aufgabe, das deutsche Filmerbe zu archivieren, in seinen wesentlichen Teilen zu erhalten und zur Nutzung bereitzustellen.
Laut Bundesarchivgesetz hat Jedermann das Recht, Archivalien des Bundes zu nutzen. Tatsächlich Jedermann. Der deutsche Professor ebenso wie die Studentin aus Südafrika. Es gibt zwar ein paar Ausschlusskriterien, wie etwa den Erhalt des Materials zu schützen. Wenn es sich zum Beispiel um ein Unikat handelt, das durch die Nutzung gefährdet würde, können wir die unmittelbare Benutzung versagen. Wir bemühen uns aber, möglichst schnell eine DVD oder ähnliches für die Sichtung herzustellen. Vor diesem Hintergrund nutzen sehr viele Publizisten, Wissenschaftler, aber auch Privatleute die Archivalien des Bundesarchiv-Filmarchivs.
Zu den Aufgaben des Archivs zählt auch, dass Sie Filmemacher bei ihrer Arbeit unterstützen und beraten – bei Spiel- oder auch Dokumentarfilmen. Das gilt auch für den Film "Geheimsache Ghettofilm" von Yael Hersonski. In ihrem Film zeigt sie, wie Szenen im Warschauer Ghetto gestellt wurden. Sie entlarvt den filmischen Versuch der Stereotypisierung und Hetze. Szenen aus dem Filmfragment "Ghetto" wurden und werden in Filmen und im Fernsehen gezeigt, eher illustrativ und als Abbild des Lebens im Warschauer Ghetto. Wie bewerten Sie als Archivar und Leiter des Filmarchivs den Umgang mit Propagandabildmaterial?
Der Film von Yael Hersonski basiert auf einer qualifizierten, vernünftigen, insgesamt ausgezeichneten Art, mit den Dokumenten umzugehen. Es war eine Freude, sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Es kommt aber auch vor, dass Autoren Material aus der NS-Diktatur zur reinen Bebilderung nutzen oder die Verwendung der historischen Realität nicht entspricht. Beides ist natürlich nicht wünschenswert. Die Aufgabe von Archiven ist aber zunächst einmal, das authentische Material zur Verfügung zu stellen. Wie die Benutzer dann damit umgehen, ist unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es Historiker, die nicht quellenkritisch genug arbeiten. Aber die Qualität der Arbeit können wir erst nach der Fertigstellung beurteilen. Hier sind uns Grenzen gesetzt, aber das gilt für Archive ganz allgemein.
Wenn die Quellenkritik fehlt oder auch die Sensibilität im Umgang mit Propagandabildmaterial, mangelt es dann an Bewusstsein oder setzen sich Filmemacher über Bedenken hinweg, um möglichst starke, emotionale Bilder verwenden zu können?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird solide mit dem Material umgegangen. Die einzelnen Ausreißer haben unterschiedliche Hintergründe: Da kommt Schlamperei ebenso vor wie Sensationssucht. Aber um hier korrigierend einzuwirken, dafür braucht es einen öffentlichen Diskurs.
Fehlt solch eine öffentliche Diskussion Ihrer Meinung nach?
Der Umgang mit Archivmaterial wird diskutiert, aber noch nicht ausreichend. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Qualität der deutschen Fernsehlandschaft insgesamt zurzeit nicht ausreichend diskutiert wird.
Eine weitere Aufgabe des Archivs ist es, den Fundus wachsen zu lassen. So auch im Fall des Filmfragments "Ghetto": Hier hat das Archiv in den 1990er Jahren weiteres Material angekauft. Sucht das Filmarchiv weltweit aktiv nach Material? Oder werden Ihnen Dokumente angeboten?
Beides kommt vor. Häufig wird uns Material angeboten. Darunter ist auch manches, das entbehrlich ist. Und selbstverständlich suchen wir auch gezielt nach Dokumenten.
Die Aufgabe des Archivs erstreckt sich über die gesamte Filmgeschichte von 1895 bis heute. Das heißt, dass auch der Kontakt zu Produzenten ein häufig genutzter Weg ist, um die Bestände des Filmarchivs zu ergänzen. Nehmen Sie zum Beispiel das Filmwerk von Erwin Leiser, das das Bundesarchiv angekauft hat. So wie die Filme vieler anderer Filmmacher und Produzenten.
Natürlich kontaktieren wir auf der Suche nach älteren Produktionen auch andere Archive. Zumeist Filmarchive, aber zum Beispiel auch Industriearchive. Oder nehmen wir als Beispiel die Wochenschauen: Die Kinowochenschauen in Deutschland wurden zum Teil auch durch private Unternehmen produziert. Zum Beispiel durch die 20th Century Fox of Germany, die in der Zwischen- und Nachkriegszeit wie andere Unternehmen eine Serie deutscher Wochenschauen produzierte. Auch hier sind wir aktiv geworden und haben die Dokumente übernommen.
Ein weiterer wichtiger Weg, um an Materialien zu gelangen, sind die internationalen Verbände der Filmarchive. Da gibt es den europäischen Verband, Association des Cinémathèques Européennes (ACE), und den internationalen globalen Verband, die Fédération Internationale des Archives du Film (FIAF). Mit diesen Verbänden stehen wir in engem Kontakt und können so Kollegen weltweit ansprechen.
Der Fundus des Filmarchivs wächst also stetig. Wer hat eigentlich das Recht an dem gesammelten Material?
Das Urheberrecht ist recht komplex. Man unterscheidet zwischen dem Schutz des Werkes gegen entstellende Veränderung und den Leistungsschutz- oder Nutzungsrechten. Getrennt davon ist das Eigentumsrecht an dem körperlichen Filmmaterial zu sehen. Für das Filmarchiv ist vor allem das Recht am Eigentum des Materials entscheidend. Wir geben für die Benutzung außerhalb unserer Räume niemals Material frei, wenn der Eigentümer der Nutzungsrechte nicht seine Zustimmung erklärt hat. Dieses Nutzungsrecht liegt in der Regel beim Produzenten, gelegentlich sind diese Rechte auch an die Kreativen, beispielsweise an den Regisseur, zurückgefallen. Bei Privataufnahmen gilt die Privatperson, die den Film gemacht hat als Produzent, also liegen dort auch die Nutzungsrechte.