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Das Warschauer Ghetto

Andrea Löw

/ 10 Minuten zu lesen

Bis 1939 befand sich in Warschau die größte jüdische Gemeinde Europas – die Stadt war eine pulsierende Metropole auch des jüdischen Lebens. Nach dem deutschen Überfall auf Polen und während der Besatzung wurde im Herbst 1940 das Warschauer Ghetto errichtet: 400.000 Menschen wurden eingeschlossen und überwacht. Es folgte eine Politik der Unterversorgung, der Diskriminierung und Gewalt. Im Juli 1942 begannen die ersten Deportationen von Juden aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka.

Mai 1941: Ein Angehöriger der Ghettopolizei regelt im Warschauer Ghetto den Verkehr. Am 16. November 1940 wurde das Ghetto abgeriegelt. Fortan waren die Juden Warschaus gezwungen innerhalb der Ghettomauern zu leben. Auch Juden aus dem restlichen Polen oder auch aus Deutschland wurden im Ghetto von den deutschen Besatzern eingesperrt -– die Enge war erdrückend. Der Fotograf Ludwig Knobloch war Mitglied einer Propagandakompanie der Wehrmacht. (© Bundesarchiv, BILD 101I-134-0796-30 Foto: Knobloch, Ludwig / 25. Mai 1941)

Am 1. Mai 1942 schrieb der Vorsitzende des Judenrats im Warschauer Ghetto, Adam Czerniaków, in sein Tagebuch: "Morgens vor 8 ein Anruf vom Kommissar [Heinz Auerswald, der ab Mai 1941 für die Belange des Ghettos zuständig war], ich solle um 8 im Palais Brühl sein. In Verbindung mit der gestrigen Panik durfte ich befürchten, daß irgend etwas Schlimmes zu erwarten ist. Es stellte sich heraus, daß Propagandafunktionäre angekommen sind. Der Kommissar verlangte, daß ich vor ihren Augen einen Lagebericht über den Wohnbezirk abgebe, was ich getan habe. Sie beabsichtigen, diverse Abteilungen des Rats und den Wohnbezirk zu filmen." Die Aufnahmen, die im Mai 1942 im Warschauer Ghetto gedreht wurden, gaben den Anlass für den Dokumentarfilm "Geheimsache Ghettofilm".

Als die Filmaufnahmen begannen, bestand das größte Ghetto (weitere Informationen bietet der Hintergrundtext von Wolfgang Benz zu Interner Link: "Ghettos in Osteuropa") im besetzten Europa schon gut eineinhalb Jahre: Im Herbst 1940 hatten die Warschauer Juden den Befehl zur Bildung des Ghettos erhalten. Innerhalb von sechs Wochen mussten 138.000 Juden in den festgelegten Bezirk im Stadtzentrum umziehen, in dem bereits ein großer Teil der Warschauer Juden wohnhaft war, sodass im November 1940 400.000 Menschen im Ghetto eingeschlossen waren. Die im Bezirk lebenden Polen wiederum mussten sich im "arischen" Teil Warschaus eine neue Bleibe suchen.

Am 16. November 1940 wurde das Ghetto abgeriegelt. Damit drängten sich etwa 30 Prozent der Warschauer Bevölkerung auf 2,4 Prozent des Stadtgebiets. Das Ghetto umfasste 3,07 Quadratkilometer und war umgeben von einer gut drei Meter hohen, 18 Kilometer langen Mauer mit Stacheldraht. Die Kosten für deren Bau und die Sicherung mussten die Juden selbst tragen. Bewacht wurde das Ghetto auf der "arischen" Seite von deutscher und polnischer Polizei, auf der jüdischen Seite vom sogenannten Ordnungsdienst, einer jüdischen Polizeieinheit. Juden, die seit Oktober 1941 außerhalb des Ghettos ohne Passierschein angetroffen wurden, drohte die Todesstrafe.

Das Leben im Ghetto wurde vom 24-köpfigen Judenrat organisiert, einer von den Deutschen eingesetzten Institution. Vorsitzender war der Ingenieur Adam Czerniaków. Am 23. September 1939, lange vor der Errichtung des Ghettos, schrieb er über seine Ernennung zum Leiter der Kultusgemeinde, die noch durch den polnischen Stadtpräsidenten erfolgt war (die deutsche Anordnung zur Bildung des Judenrats folgte Anfang Oktober): "Eine historische Rolle im belagerten Warschau. Ich werde mich bemühen, ihr gerecht zu werden." Er konnte dieser Rolle im Grunde gar nicht gerecht werden, fand er sich doch in einer Situation, für die es keine historische Erfahrung gab. Er wollte Leben organisieren innerhalb eines Systems, in dem Überleben letztlich nicht vorgesehen war. Jegliche Autonomie war zudem eine Illusion. Czerniaków war in völliger Abhängigkeit von der deutschen Verwaltung in Warschau: Diese setzte den Rahmen und erteilte ihm Befehle, die er umzusetzen hatte.

Die Enge im Ghetto war erdrückend

Ende September 1939 marschierten deutsche Truppen nach Warschau ein. Ende Oktober wurde die Militärverwaltung von einer deutschen Zivilverwaltung abgelöst. Ludwig Fischer wurde Gouverneur des Distrikts Warschau, der Warschau und weitere Städte umfasste. Zunächst war vor allem Waldemar Schön als Leiter der Abteilung Umsiedlung im Amt des Gouverneurs für die Belange des Warschauer Ghettos zuständig, diese übernahm vom Mai 1941 an der Anwalt Heinz Auerswald als Kommissar für den "Jüdischen Wohnbezirk", so nannten die Deutschen das Ghetto.

Eine der wichtigsten Aufgaben des Judenrats war aus deutscher Sicht die Bereitstellung von Arbeitskräften und die Organisation von Arbeit im Ghetto selbst. Reichere Juden kauften sich von der Arbeitspflicht frei, von diesen Geldern bezahlte der Judenrat wiederum die Arbeiter. Von deutscher Seite aus regelte die Transferstelle, die im Dezember 1940 eingerichtet wurde, die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen dem Ghetto und der Außenwelt. Sie wurde zunächst von Alexander Palfinger, seit Mai 1941 von Max Bischof geleitet. Bischof unterstützte den Einsatz jüdischer Arbeitskräfte in Fabriken außerhalb des Ghettos und setzte sich für den Ausbau der Produktion im Ghetto selbst in Werkstätten und Fabriken ein, den sogenannten Shops. Zahlreiche deutsche Firmen profitierten von den billigen jüdischen Arbeitskräften, ebenso die Wehrmacht. Für die Ghettobewohner war es jedoch entscheidend, eine Anstellung zu finden, nur so konnten sie sich eine ärmliche Existenz sichern.

Der Judenrat war für sämtliche Bereiche jüdischen Lebens im Ghetto zuständig. Und so wuchs der Verwaltungsapparat rasch an, im Mai 1941 hatte der Judenrat 26 Abteilungen, darunter: Soziale Fürsorge, Gesundheitswesen, Berufsausbildung, Arbeit, Schulwesen, Industrie und Handel – um nur einige zu nennen. Adam Czerniaków, Vorsitzender des Judenrats, und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühten sich, das Leben im Ghetto zu organisieren. Dies war eine nahezu unlösbare Aufgabe, schaut man sich allein einige äußere Bedingungen an: Im März 1941, dem Zeitpunkt der dichtesten Belegung, lebten innerhalb der Ghettomauern etwa 460.000 Menschen, was eine Bevölkerungsdichte von fast 150.000 Personen pro Quadratkilometer bedeutete. Zeitzeugen berichteten, dass es teilweise kaum möglich war, die Straßen zu überqueren, weil es so voll war. Sieben bis acht Menschen lebten durchschnittlich in einem Zimmer, manchmal waren es bis zu 13 Personen.

Viel zu geringe Essensrationen, die Enge und die katastrophalen sanitären Bedingungen führten zu Krankheiten, vor allem Flecktyphus breitete sich aus. Die Menschen im Ghetto wurden immer schwächer. Besonders betroffen waren die Zehntausenden Umsiedler, die aus anderen Orten des besetzten Polens, aber auch aus dem Deutschen Reich ins Ghetto zwangsverschleppt wurden und hier zumeist vollkommen mittellos ankamen und in überfüllten Sammelunterkünften, den "Punkten", hausen mussten.

Im Ghetto gründeten die Menschen zahlreiche Hilfsorganisationen, doch die Hilfe reichte nie aus

Sowohl der Judenrat als auch jüdische Hilfsorganisationen, vor allem die Jüdische Soziale Selbsthilfe, versuchten, die Not der Menschen zu lindern, etwa durch die Gründung von Suppenküchen, Krankenhäusern, Flüchtlings-, Waisen- sowie Altenheimen. Zahlreiche Initiativen zur Selbsthilfe kamen auch aus der Bevölkerung selbst, hier sind etwa die Hauskomitees zu nennen, die durch verschiedene Hilfsaktionen die Not der jeweiligen Bewohner im eigenen Haus zu lindern versuchten. Obgleich die Hilfsaktionen enorme Ausmaße erreichten – zeitweilig gab es zum Beispiel mehr als 100 Suppenküchen – konnten sie der fortschreitenden Verelendung der jüdischen Bevölkerung nur wenig entgegensetzen. Zu groß war der Bedarf, zu gering waren die zur Verfügung stehenden Mittel.

Ärzte und Krankenschwestern hatten nie ausreichende Mengen an Medikamenten zur Verfügung, um den sich ausbreitenden Krankheiten wirksam Herr zu werden, auch fehlten entsprechende Kapazitäten in den Krankenhäusern. Manch verzweifelter Mutter blieb nichts anderes übrig, als ihr krankes Kind auf die Stufen vor dem Spital zu legen, in der Hoffnung, das Personal werde sich dessen annehmen.

Die von der SS erzwungenen Lebensbedingungen im Warschauer Ghetto bedeuteten Hunger und Angst. Der in Warschau stationierte deutsche Soldat Heinrich Jöst machte das Foto am 19. September 1941. Er besuchte das Ghetto und fotografierte ohne Auftrag. Jöst hielt fest, das Kind sei zu schwach gewesen, um aufzustehen. Die Passanten seien weitergegangen –- es habe zu viele solcher Kinder gegeben. (© U.S. Holocaust Memorial Museum, mit frdl. Genehmigung v. Günther Schwarberg, 69946)

Der in großem Ausmaß betriebene Schmuggel zusätzlicher Lebensmittel ins Ghetto wurde für viele zur einzigen Überlebensmöglichkeit – stets im Angesicht des Todes, denn wenn deutsche Wachen die Schmuggler erwischten, erschossen sie sie oft an Ort und Stelle. Vor allem Kinder riskierten ihr Leben, um Nahrung ins Ghetto zu schmuggeln. Sie nutzten die geheimen Verbindungen unter der Erde zur "arischen Seite" und Mauerdurchbrüche benachbarter Häuser entlang der Ghettomauer; sie schmuggelten unmittelbar über die Ghettomauer hinweg, durch Maueröffnungen und an den Zugangstoren. Die Kinder avancierten dadurch mitunter zu den Ernährern ihrer Familien, was große Auswirkungen auf die Familienstrukturen und die traditionellen Rollenverteilungen hatte. Diese Tendenz wurde dadurch verstärkt, dass vor allem Männer in Arbeitslager außerhalb des Ghettos verschickt wurden, so dass Frauen und Kinder im Ghetto auf sich allein gestellt waren.

Während die große Mehrheit der Bevölkerung hungerte und pausenlos um ihre Existenz bangen musste, entstand im Ghetto eine neue soziale Oberschicht, die einen gewissen Reichtum erreichte. Besonders erfolgreiche Schmuggler, der Inhaber des Beerdigungsunternehmens, Gestapospitzel, aber auch Juden, die ihren Besitz hatten retten können sowie wichtige Persönlichkeiten innerhalb der Verwaltung konnten sich nahezu alles leisten. Für sie gab es Restaurants und Cafés. Diese neue Elite machte nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, doch vergrößerte ihre Existenz noch die Verbitterung und Verzweiflung der Hungernden. Diese sozialen Konflikte waren begründet in der Ghettoisierung durch die deutschen Besatzer und durch die Bedingungen des Ghettos.

Diese Bedingungen waren unmenschlich und grausam. Knapp 100.000 Menschen – etwa ein Viertel der Bevölkerung – starben im Warschauer Ghetto bis zum 21. Juli 1942, dem Beginn der Deportationen. Sie starben an den Folgen der Lebensbedingungen, sie verhungerten und erlagen Krankheiten wie dem Fleckfieber oder der Tuberkulose. In einzelnen Monaten starben 5.000 Menschen. Trotz oder gerade wegen dieser Bedingungen waren zahlreiche Menschen im Ghetto im Bereich der Kultur und Bildung tätig und auch ein lebendiges religiöses Leben wurde aufrecht gehalten. Geleitet von dem Bestreben, sich eine Gegenwelt zu der zerstörerischen und sinnlosen Welt des Ghettos zu schaffen, boten jüdische Künstler und Intellektuelle Konzerte und Theateraufführungen, veranstalteten Lesungen und Diskussionsrunden und organisierten Unterricht für die Kinder und Jugendlichen. Die Bedeutung dieser Aktivitäten kann, dies legen zahlreiche Selbstzeugnisse eindrucksvoll nahe, kaum überschätzt werden. Die im Ghetto Eingeschlossenen, von den deutschen Besatzern erniedrigt, setzten diesen Erfahrungen hiermit etwas entgegen, das mit ihrer früheren Welt vor 1939, mit Humanität und Kultur in Verbindung stand.

Ein Untergrundarchiv sollte das Leben und Sterben im Ghetto dokumentieren

In engem Zusammenhang damit stehen die Versuche der Menschen, Leben und Sterben zu dokumentieren, die Erinnerung an sie und ihre Leiden mitzubestimmen. Diese Motivation war der Hintergrund zahlreicher Tagebücher und Berichte – und der Auslöser für die Gründung eines Untergrundarchivs des Ghettos. Im November 1940 wurde in der Wohnung des Historikers, Zionisten und politischen Aktivisten Emanuel Ringelblum unter einem Tarnnamen die Gruppe "Oneg Schabbat" – "Freude am Sabbat" – ins Leben gerufen. Diese entfaltete eine eindrucksvolle Aktivität, der wir die wichtigsten Quellen zur Erforschung des Warschauer Ghettos, aber auch des Schicksals der Juden in Polen unter deutscher Besatzung insgesamt verdanken (weitere Informationen bietet das Interner Link: Interview mit Samuel D. Kassow "Die Wahrheit soll leben – das Untergrundarchiv im Warschauer Ghetto").

Auch die Mitglieder der Gruppe "Oneg Schabbat" erfuhren ab Ende 1941 von deutschen Massakern an Juden in den östlichen Landesteilen. Im Frühsommer konkretisierten sich die Hinweise auf eine Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Alle Versuche, das Leben der Menschen im Ghetto zu organisieren und Leben zu retten, fanden durch die Pläne der Nationalsozialisten ein jähes Ende: Am 22. Juli 1942 begann die Deportation der Warschauer Juden ins Vernichtungslager Treblinka. Adam Czerniaków, der bis dahin seine Pflichten als Vorsitzender des Judenrats erfüllt hatte, nahm sich einen Tag später, am 23. Juli, das Leben. Auf seinem Tisch fand man einen kurzen Brief an seine Frau, in dem es unter anderem heißt: "Sie verlangen von mir, mit eigenen Händen die Kinder meines Volkes umzubringen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sterben."

Massenmord und der jüdische Widerstand

Die Deportationen begannen. Jeden Tag wurden 7 bis 10.000 Menschen in Güterwagen verschleppt. Innerhalb weniger Wochen, bis zum 21. September, deportierten die deutschen Besatzer schätzungsweise 280.000 Männer, Frauen und Kinder aus Warschau in das Vernichtungslager Treblinka und ermordeten sie dort – über 10.000 wurden noch in Warschau erschossen, mehr als 11.000 Menschen in andere Lager deportiert.

Nach den großen Deportation lebten im verkleinerten "Restghetto" noch etwa 60.000 Juden, offiziell gemeldet waren lediglich 35.000. Diese hatten Arbeitsausweise, die sie noch eine Zeit lang berechtigten, zu leben, um zu arbeiten. Beziehungen waren wichtig, um die lebensrettenden Kennkarten zu bekommen; erbitterte Kämpfe entbrannten darum, wenn Betriebe verkleinert werden sollten. Manche Juden flohen auf die "arische" Seite Warschaus und tauchten bei polnischen Bekannten unter. Während des Zweiten Weltkriegs lebten etwa 28.000 Juden in Warschau zeitweise im Versteck, die meisten von ihnen waren nach den Deportationen im Sommer 1942 aus dem Ghetto geflohen.

SS-Einheiten haben im Warschauer Ghetto Widerstandskämpfer festgesetzt. Am 19. April 1943 begann der bewaffnete Aufstand im Ghetto: Die Frauen und Männer konnten weitere Deportationen zumindest für einige Tage verhindern, doch ihr Kampf war aussichtslos. Das Foto gehört zum Stroop-Bericht und diente der Dokumentation der Unterdrückung des Widerstands. (© National Archives and Records Administration, College Park Instytut Pamieci Narodowej, Public Domain)

In dieser Zeit riefen jüdische Jugendorganisationen die Jüdische Kampforganisation ŻOB (Żydowska Organizacja Bojowa) ins Leben, angeführt von dem 33-jährigen Mordechai Anielewicz. Ende 1942 gelang es, die verschiedenen Untergrundorganisationen im Ghetto zu vereinen, eine Kommission zur Koordinierung des jüdischen Widerstands unter dem Kommando von Mordechai Anielewicz, Marek Edelman und anderen konstituierte sich. Die Aktivisten verhandelten mit dem polnischen Widerstand, um Waffen zu bekommen, sie verfassten Aufrufe und Berichte über das Schicksal der Deportierten. Als am 18. Januar 1943 wieder eine "Umsiedlungsaktion" begann, stießen die deutschen Polizeieinheiten auf Widerstand: Die Menschen im Ghetto versteckten sich und die Aktivisten der Jüdischen Kampforganisation ŻOB leisteten bewaffnete Gegenwehr. Schätzungsweise 5.000 Menschen wurden dennoch deportiert, 1.170 Menschen wurden noch im Ghetto erschossen. Die Deutschen brachen die "Aktion" nach wenigen Tagen ab, überrascht vom Widerstand. Sowohl die Mitglieder der Jüdischen Kampforganisation als auch die übrige Bevölkerung bereiteten sich nun auf die nächste Deportation vor; die Kämpfer organisierten weitere Waffen, die übrigen Ghettobewohner bauten Bunker und richteten sie ein.

Am 19. April 1943 rückten SS-Verbände ins Ghetto ein, wieder wehrten sich die jüdischen Kämpfer – der Aufstand begann. Die deutschen Truppen mussten sich zunächst überrascht zurückziehen. Die für die Deportationen bereitgestellten Waggons blieben leer; diejenigen Menschen, die nicht kämpften, waren entweder geflohen oder versteckten sich in Bunkern.

Der Widerstand wurde gebrochen und der "jüdische Wohnbezirk" ausgelöscht

Nach heftigen Straßenkämpfen in den folgenden Tagen begannen die Deutschen, die Häuser im Ghetto in Brand zu setzen, um die Versteckten auszuräuchern. In der Miła-Straße 18 befand sich der Kommandobunker der Jüdischen Kampforganisation. In quälender Enge und Hitze diskutierten die hier Versammelten über Rettungsmöglichkeiten, versuchten, nicht zu resignieren. Am 8. Mai 1943 wurde der Bunker belagert. Einige waren vorher entkommen, Mordechai Anielewicz und viele andere nahmen sich das Leben.

Etwa 13.000 Juden wurden während des Aufstandes erschossen oder sie starben in den Bunkern. Fast 7.000 wurden in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Die verbleibenden etwa 36.000 Menschen wurden in andere Lager gebracht, vor allem nach Majdanek. Am 16. Mai sprengte der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop, der das Oberkommando über die deutschen Truppen während des Aufstandes innehatte, eigenhändig die Große Synagoge in der Tłomackie-Straße – ein symbolischer Akt, mit dem er das Ende des Ghettos und mit ihm das Ende der jüdischen Bevölkerung Warschaus demonstrierte. Der sogenannte "Stroop-Bericht", adressiert an Reichsführer-SS Heinrich Himmler, ist überschrieben mit dem bekannten Satz: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr."

Die größte jüdische Gemeinde Europas, die vor dem Krieg etwa 400.000 Menschen gezählt hatte, war, bis auf einige versteckt oder auf der "arischen" Seite Warschaus lebende Juden sowie einige Überlebende in verschiedenen Lagern, vollständig ausgelöscht worden.

Quellen / Literatur

Corni, Gustavo: Hitler´s Ghettos. Voices from a beleaguered Society 1939-1944, London 2002.

Martin Dean (Hrsg.): Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933-1945, Vol. 2: Ghettos in German-Occupied Eastern Europe, Bloomington 2011.

Christoph Dieckmann/Babette Quinkert (Hrsg.): Im Ghetto 1939-1945. Neue Forschungen zu Alltag und Umfeld (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 25), Göttingen 2009.

Barbara Engelking/Jacek Leociak: The Warsaw Ghetto. A Guide to the Perished City, New Haven/London 2009.

Yisrael Gutman, The Jews of Warsaw, 1939-1943. Ghetto, Underground, Revolt, Brighton 1982.

Samuel D. Kassow, Ringelblums Vermächtnis. Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos, Reinbek bei Hamburg 2010.

Andrea Löw, Leben im Warschauer Ghetto und die Bedeutung des Ringelblum-Archivs, Vortrag 2004 (PDF)

Michman, Dan: Angst vor den "Ostjuden". Die Entstehung der Ghettos während des Holocaust, Frankfurt am Main 2010

Guy Miron (Hrsg.), The Yad Vashem Enzyclopedia of the Ghettos During the Holocaust, Jerusalem 2009, 2 Bde.

Ruta Sakowska: Menschen im Ghetto. Die jüdische Bevölkerung im besetzten Warschau 1939-1943, Osnabrück 1999.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im Warschauer Ghetto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków, München 1986, S. 249.

  2. Im Warschauer Ghetto, S. 4.

  3. Im Warschauer Ghetto, S. 285.

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Die Historikerin Dr. Andrea Löw arbeitet am Institut für Zeitgeschichte in München. Löw forscht zur Geschichte der Judenverfolgung unter den Nationalsozialisten, insbesondere zur Ghettoisierung im besetzten Polen und zu jüdischen Selbstzeugnissen aus den Ghettos. Zuletzt erschien 2013 "Das Warschauer Ghetto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung" gemeinsam verfasst mit Markus Roth, 2012 der von ihr bearbeitetedritte Band im Editionsprojekt "Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945": Deutsches Reich und Protektorat, September 1939 -September 1941, 2011 ihr gemeinsam mit Markus Roth verfasstes Buch "Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939-1945" sowie 2006 ihr Buch "Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten".