'Fernsehgucken' war für Jugendliche stets ein besonderes Erlebnis gewesen. Doch spätestens seit den 1990er Jahren gehörte die Nutzung des Mediums für viele Heranwachsende zum 'normalen' Tagesablauf. Jugendorientierte Zielgruppenprogramme hatten seit Ende der 1980er an Bedeutung verloren. Durch Ausweitung der Programmstunden und Zunahme der Anbieter stand gerade dem jungen Publikum ein breites Angebot zur Verfügung.
Dessen Aufmerksamkeit richtete sich nun weniger auf einzelne Sendungen als auf ganze Sender und Sendesparten. Die insgesamt beliebtesten Programmsparten waren 1998 Spielfilme/Serien/Krimis und in den Jahren 2015 und 2019 Sitcoms/Comedy; noch beliebter sind alleine bei den Mädchen Scripted Reality-Sendungen bzw. Dokusoaps und bei den Jungen Comics/Zeichentrick/Animes (vgl. JIM-Studien der entsprechenden Jahre).
Sehr wechselhaft – bevorzugte Sender von 12- bis 19-Jährigen
in Prozent
RTL
ProSieben
ARD
ZDF
1998
25
29
6
-
2005
14
40
3
1
2010
16
44
2,5
1,5
2015
7
51
4
3
2019
10
28
8
5
Quelle: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2019, S. 36
Besonderen Zuspruch fanden auch der Musikkanal MTV und der 1993 neu hinzugekommene Musiksender Viva; beide lagen in der Gunst der jungen Zuschauer zeitweise weit vor ARD und ZDF. Diese gaben für viele als permanenter Strom von Tönen und Bildern den Hintergrund für häusliche Tätigkeiten ab und ergänzten oder ersetzten in dieser Funktion den Hörfunk.
Die Musiksender MTV und Viva
Am 1. Dezember 1993 entstand mit Viva ein einheimischer Konkurrent zu MTV. Unter dem Slogan "Viva ist deutsch" fand dieser sein Publikum und wurde zu einem wichtigen Forum für deutschsprachige Musiker. Wie zuvor bei MTV wurde die Werbung – Musikclips dienen letztlich keinem anderen Zweck, als den visualisierten Musiktitel zu verkaufen – zum Hauptbestandteil des Programms. Viva empfahl sich der Werbeindustrie mit den Worten: "Der Cliprhythmus, der das Viva-Programm bestimmt, erzeugt einen außerordentlichen Programmfluss. Ihr Werbespot wird eingebettet in ein magazinähnliches Umfeld, bestehend aus Videoclips, kurzen und zielgruppenaffinen Beiträgen, Moderationen, Programm- und Stations-Promotions. So wird Ihr Werbespot zum Infoclip, und Zappen wird überflüssig. Hohe Aufmerksamkeit, geringe Übersättigung und starke Werbeerinnerung ist ihrer Kommunikation bei Viva sicher" .
2004 wurde Viva von dem Medienkonzern Viacom übernommen, zu dem auch MTV seit 1985 gehört. Damit verbunden war neben zahlreichen Entlassungen eine rationalisierungsbedingte Neuausrichtung der Programminhalte zu Lasten der Musik: "Reality-TV ist billig, die neuen New Yorker Viva-Konzernherren von Viacom haben viel davon in ihren Archiven und diese Formate sorgen für höhere Einschaltquoten als das klassische Musikfernsehen" .
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Weitere Programme für Jugendliche im Privatfernsehen
Ebenfalls mit Blick auf die Jugendlichen agierte RTL II (seit 1993) und bestückte sein Programm vor allem mit japanischen (bis ca. 2005) und US-amerikanischen Serien, Spielfilmen und Doku-Soaps. Der Versuch, mit "Wildfang – Der Teenie-Talk" (1996–1997) eine Talkshow für jüngste Zuschauer einzurichten, blieb erfolglos – die Zielgruppe fand sich eher bei den nachmittäglichen Talkshows der großen Sender ein, zumal Reihen wie "Arabella" (1994–2004, ProSieben), "Bärbel Schäfer" (1995–2002, RTL) und "Oliver Geissen" (1999–2009, RTL) thematisch und inszenatorisch auf junge Zuschauer abzielten.
"Bravo TV"
Mehr Resonanz fand zunächst das Magazin "Bravo TV", ein Ableger der gleichnamigen Zeitschrift, der in Mitte der 80er anderthalb Jahre lang bei Sat.1 zu sehen gewesen war. Von 1993 bis Ende 2002 lief es bei RTLII (moderiert u. a. von Heike Makatsch). Ab 1. Februar 2003 übernahm das ZDF die Reihe, änderte das Konzept in Richtung "inszenierter (fiktionaler) Jugendserie" und siedelte die Themen als "Mix von Fiktion, Realität und Aktualität" ("BRAVO TV im ZDF", Pressemitteilung vom 29.01.2003) in einer gestellten Wohngemeinschaft an, blieb damit aber glücklos. Ab 2005 wurde die Reihe sonntagmittags bei ProSieben ausgestrahlt und thematisierte "Musik, Stars, Service, Information, Lifestyle und Beauty". Vor allem emotionalisierende Themen kamen ins Programm. "Gülcan [Karahanci, später Kamps] berichtet von schillernden Entertainment-Events, schaut hinter die Kulissen und trifft die Stars backstage" (ProSieben 2006). 2007 wurde die Sendung eingestellt.
Öffentlich-rechtliches Jugendprogramm
Auch wenn sich die öffentlich-rechtlichen Sender nicht wie die privatrechtliche Konkurrenz mit großen Teilen ihres Programms direkt an jüngere Zuschauer unter 49 Jahre wandten, weitete die ARD ihre jugendorientierten Angebote durch eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Programmredaktionen, insbesondere mit der Fernsehfilm-Abteilung, aus. "Kooperationen mit anderen Abteilungen der Rundfunkanstalten – besonders mit den Fernsehspielredaktionen – würden dem Jugendprogramm die Möglichkeit geben, 'Jugendthemen' von Zeit zu Zeit auch in der Form eines Spielfilms zu behandeln". Außerdem "können auf diese Weise speziell für die Zielgruppe 'Jugendlicher' produzierte Sendungen auch auf günstigere Sendeplätze – etwa des Abendprogramms – gelangen".
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Vorabendserien, Telenovelas, Soaps und Scripted Reality-Formate – der Übergang ins neue Jahrtausend
Jugendorientierte Vorabendserien, Telenovelas und Soaps wie "Verbotene Liebe" (1995-2015), "Sternenfänger" (2002) oder "Berlin, Berlin" (2002–2005) zielten in diese Richtung, mit unterschiedlichem Erfolg bei den jugendlichen Zuschauern. Bei den Privatsendern sorgte vor allem die Daily Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (GZSZ) ab 1992 für dauerhaft hohe Quoten, und mit der zweiten Daily Soap "Unter uns" (ab 1994) etablierte RTL auch gleich den zweiten Erfolgsgaranten beim jugendlichen Publikum. Wenige Wochen nach dem Start von "Unter uns" folgten in der ARD "Verbotene Liebe" und "Marienhof" – letztere wurde bis zu diesem Zeitpunkt lediglich zweimal in der Woche ausgestrahlt und gliederte sich ab 1994 in die Reihe der täglichen 'Seifenopern' ein. 2011 wurde "Marienhof" jedoch abgesetzt.
Der Sender Sat.1 startete im Jahr 2005 schließlich die erfolgreiche Telenovela "Verliebt in Berlin", die bis 2007 lief. Seit Mitte der Nullerjahre gibt es darüber hinaus verschiedene Scripted Reality-Formate wie "Laguna Beach" (2004–2006) oder "Berlin – Tag & Nacht" (ab 2011), die gezielt jugendliche Zuschauer ansprechen. Mit den verschiedenen fiktionalen Formaten wurden jugendadressierte Angebote zu einer konstanten Sendezeit werktäglich für Jugendliche abrufbar. (siehe auch Interner Link: Reality TV).
Einbindung des Internets bei NBC Giga
Mit NBC Giga entstand 1998 ein Sender neuen Stils, der durch die konsequente Einbindung des Internet zur aktiven Mitwirkung einlud. Ausgestrahlt zwischen 15.00 und 20.00 Uhr in einem Programmfenster auf NBC Europe (seit 2005 Das Vierte), informierte in der Live-Sendung eine kleine Schar junger "Netzreporter" über Neuigkeiten aus Showgeschäft, Unterhaltungselektronik, Mode, Sport und führte Interviews mit Gästen. Ein Schwerpunkt lag auf dem Thema "Computerspiele". Dabei war die Redaktion stets online und für die Zuschauer erreichbar, konnte spontan Fragen beispielsweise zu technischen Problemen beantworten oder anderweitig interaktiv reagieren. NBC Giga brachte Ablegerformate hervor wie die montags bis freitags um 20.00 Uhr ausgestrahlte interaktive Jugend-Talkshow "Giga real", in der in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung Themen wie "60 Jahre Kriegsende", "Studiengebühren" und "Sterbehilfe" diskutiert wurden. Inzwischen stellte Giga den Sendebetrieb im Fernsehen ein und existiert unter "giga.de" eine Online-Community zu seitdem nur noch als "Online-Magazin mit den Schwerpunkten Technik, Games und Entertainment".
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