Medienethische Diskussionen gab es insbesondere über zwei Formatentwicklungen. Diese entwickelten die privat-kommerziellen Programme seit den 1990-er Jahren mit dem Ziel der verstärkten Zuschauerbindung. Die Bezeichnung hierfür lautet "Affektfernsehen":
Talk- und Bekenntnisshows in den Nachmittagsprogrammen, beginnend mit "Hans Meiser" und "Ilona Christen" (1992/93 auf RTL) und mit "Arabella" (1994 auf ProSieben)
neue Unterhaltungsformate, beginnend mit der 24-Stunden-Beobachtung "Big Brother" ab 2000. Vor allem die auch als "Container-Show" bezeichnete Sendereihe löste eine heftige medienethische Debatte aus. Das Zurschaustellen von Privatheit wurde heftig kritisiert, viele sahen die Menschenwürde der Beteiligten verletzt und monierten, dass die Kandidaten unter einem zu starken psychischen Druck stünden, die ständige Beobachtung zu seelischen Belastungen führe.
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Viele dieser Sendungen bzw. Formate werden zum Bereich des "Reality-TV" gezählt (siehe auch den Bereich "Interner Link: Reality-TV").
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Neue Programmtrends
Intensiv wurden in der Öffentlichkeit die Tabubrüche diskutiert, die die intimen Bekenntnisse der Talkshowgäste bzw. die pausenlose Beobachtung von Menschen in prekären und dauerhaften Stress-Situationen mit Hilfe vieler Kameras mit sich brachten. Neben der Personalisierung, der Intimisierung und der Emotionalisierung war es vor allem der angeblich authentische Augenkitzel, der die Attraktivität, aber zugleich auch die ethische Problematik der Programme ausmachte.
Ab 2002, beginnend mit der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" (RTL), wurden diese affektiven Elemente mit zwei weiteren ökonomischen Elementen verbunden: mit der Ausbeutung des Wunsches, ein Star zu sein, und mit der cross-medialen Vermarktung der wegen dieses Wunsches öffentlich zur Schau gestellten besonderen Fähigkeiten zu singen und zu tanzen bzw. ab 2006 zu modeln ("Germany's Next Topmodel", ProSieben).
Debatten um "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" (RTL)
Vor allem um die Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" (RTL, seit 2004) wurde eine intensive medienethische Debatte geführt. Die Sendereihe wurde als "Ekelfernsehen" bezeichnet, ihr wurde vorgeworfen, sie würde die Menschenwürde der Beteiligten verletzen. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) sah jedoch keinen Verstoß gegen die Jugendschutzbestimmungen. In den Feuilletons kritisierten Psychiater einen Sadismus in der Sendung, der "Bund gegen Missbrauch der Tiere" protestierte, der FDP-Landtagsabgeordnete Dietrich von Gumppenberg erstattete eine Strafanzeige. Deutlich wurde daran vor allem, dass es immer noch gesellschaftlich Tabus gab und von zahlreichen Zuschauern ethische Grenzen gezogen wurden. Weitere, manchmal schon vor der Ausstrahlung heftig diskutierte Sendungen bzw. Formate betrafen Schönheitsoperationen (z. B. "The Swan – Endlich schön!", ProSieben, 2004; "I Want a Famous Face", MTV, 2004) oder waren umstrittene humoristische Formate wie "Jackass" (MTV, 2001) und "Popetown" (MTV, 2006).
Reality-TV Formate in der Kritik
In den letzten Jahren standen Interner Link: Scripted-Reality-Formate im Fadenkreuz der Kritik. Den Machern der Sendung "Frauentausch" (seit 2003, RTL II) wurde etwa vorgeworfen, die Teilnehmer bewusst zu täuschen und herabzuwürdigen. Jan Böhmermann deckte 2016 in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" (seit 2013, ZDFneo) die fragwürdigen Produktionsmethoden der RTL-Show "Schwiegertochter gesucht" (seit 2007, RTL) auf. Anhand zweier eingeschleuster Protagonisten wurde gezeigt, wie diese bewusst lächerlich gemacht und die redaktionelle Sorgfalt missachtet wurde. Als problematisch an Scripted Reality-Formaten wird auch angesehen, dass ein Teil der Zuschauer das Dargestellte für echt hält, obwohl die Geschichten fiktiv sind und die handelnden Personen Drehbuchanweisungen folgen. 2014 wurde auf Initiative der Landesmedienanstalten eine Kennzeichnung der Sendungen verpflichtend eingeführt. Während öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten weitgehend auf Scripted Reality-TV verzichten, boomen diese Formate bei privatwirtschaftlichen Programmen.
Von 2011 bis 2014 gab es eine juristische Auseinandersetzung um einen Fall von "Verletzung der Menschenwürde" im Fernsehen, ein schwerwiegender rechtlicher und medienethischer Vorwurf. Von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) war für die Sendung der "Die Super Nanny" vom 14.09.2011 (RTL, Ausstrahlung inzwischen eingestellt) diese "Verletzung der Menschenwürde wurde" festgestellt worden. Die für RTL zuständige Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) hat daraufhin eine Beanstandung ausgesprochen, gegen die RTL geklagt hatte, weil die Sendung zuvor von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) geprüft worden war. Die Klage wurde 2014 vom zuständigen Verwaltungsgericht Hannover zurückgewiesen und der "hohe Rang der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert" betont.
Verletzung der Menschenwürde im Reality TV
"[…] Die Folge thematisiert das psychisch und physisch gewalttätige Verhalten einer Mutter gegenüber ihren zwei- und fünfjährigen Mädchen: Vor laufender Kamera wird gezeigt, wie die Mutter ihre fünfjährige Tochter anschreit, ihr mit Schlägen droht, sie ignoriert und sie schließlich schlägt – ohne dass das Kamerateam eingreift. Diese problematischen Szenen werden insgesamt dreimal gezeigt, unter anderem auch in einem Teaser zur Sendung, dessen Zweck es ist, möglichst viele Zuschauer zu generieren. Das Kind wird in seinem sozialen Achtungsanspruch verletzt und zum Objekt der Zurschaustellung degradiert. Aus diesen Gründen stellt das Angebot in den Augen der KJM einen Menschenwürde-Verstoß dar und ist unzulässig. […] " Quelle: KJM-Pressemitteilung 07/2011 vom 14.04.2011 Externer Link: http://www.kjm-online.de/
"Bei verfassungskonformer Auslegung des § 20 Abs. 3 Satz 1 JMStV (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag) entfaltet die der Ausstrahlung 2011 vorausgegangene – für RTL günstige – FSF-Prüfentscheidung im Falle eines im Streit stehenden Verstoßes gegen die Menschenwürde im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV auch keine Sperrwirkung. Die KJM ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in einem solchen Fall nicht gehindert, die Sendung nachträglich zu beanstanden. Dies folgt aus dem hohen Rang der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert in Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). In einem solchen Fall muss nach Auffassung der Kammer ein Korrektiv gegenüber Prüfentscheidungen der FSF bestehen können.
Entgegen der vorausgegangenen Prüfentscheidung der FSF verstößt die Ausstrahlung der beanstandeten Sendefolge der Reihe 'Die Super Nanny' nach Auffassung der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover auch tatsächlich gegen die Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im Zeitpunkt der Ausstrahlung 4jährigen Sohnes. […]
In der Fernsehsendung wird ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben, in dem die erziehungsberechtigte Mutter gegen das einfachgesetzlich von § 1631 Abs. 2 BGB garantierte Recht ihrer Kinder auf gewaltfreie Erziehung sowie das Verbot körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigender Maßnahmen verstößt. […]
Nach Auffassung der Kammer verbietet die Menschenwürde der beteiligten Kinder vielmehr das wiederholte Darstellen einzelner an ihnen begangener Gewalthandlungen und insbesondere die Zusammenstellung einzelner dieser Handlungen in einen 'Teaser', um Zuschauer anzulocken. […]" Aktenzeichen: 7 A 4679/12
2016 sorgte RTL mit der Dating-Show "Adam sucht Eva – Promis im Paradies" für Aufregung, bei der Prominente nackt auf einer Südseeinsel gezeigt wurden.
Ein Problemfeld bleibt die Berichterstattung über Unglücksfälle, Kriege und Terroranschläge. Über das Internet wird der Zugang zu immer expliziteren Bildern von Interner Link: Gewaltakten möglich. Die redaktionell betreuten Angebote seriöser Fernsehanbieter müssen hier darauf achten, sich nicht in den Sog des Sensationalismus zu begeben. Besonders schwierig ist die Einhaltung medienethischer Standards bei Live-Übertragungen. Hinzu kommt in diesem Zusammenhang, Tätern (insbesondere Selbstmord-Attentätern) keine öffentliche Bühne und damit eine zusätzliche Motivation und Bestärkung für ihre Taten zur Verfügung zu stellen.
Insgesamt stehen die Fernsehanbieter hier in einem Wettstreit mit den Angeboten im Internet, die oftmals keiner (z. B. redaktionellen) Qualitätskontrolle unterliegen. Auch der für Onlinemedien zuständige Presserat, der ethische Standards für den professionellen Journalismus definiert, kann nicht verhindern, dass z. B. Profile in sog. Sozialen Medien für unsoziales Medienverhalten wie Diskriminierung oder Missachtung des Persönlichkeitsrechts durch die Veröffentlichung von Bildmaterial missbraucht werden.
Herausforderungen an die Medienpolitik im Zuge der Digitalisierung
Die Weiterentwicklung der Fernsehtechnik durch die Digitalisierung und die Verbindung mit anderen Telekommunikationstechnologien stellt neue Herausforderungen an die Medienpolitik: Zum einen, weil die traditionellen Abgrenzungen zwischen den Medien fallen. Damit stehen durch die Verfassung garantierte Schutzgebiete wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor neuen Herausforderungen. Zum anderen, weil sich hier potenziell neue Märkte öffnen, sich neue Öffentlichkeitsformen entwickeln und damit die zentralen Funktionen des Rundfunkmediums Fernsehen, die eine wichtige Informationsbasis für die Demokratie und die gesellschaftliche Verständigung liefern, zu verändern drohen. Durch die neuen Technologien können auch neue Formen demokratischer Beteiligung, etwa in den sogenannten sozialen Netzwerken entstehen.
Offener Zugang und Grenzen der Kommerzialisierung
Für die Medienpolitik geht es immer darum, den Zugang zu medialen Öffentlichkeiten auch bei technischen Veränderungen offen zu halten und einer durchgehenden Kommerzialisierung Grenzen zu setzen. So versuchte z. B. der Satellitenbetreiber Astra einige Jahre mit seiner sogenannten "Entavio"-Plattform den Zugang zu den satellitenvermittelten Programmen zu kommerzialisieren. Die Zuschauer sollten nur noch verschlüsselte Programme aus dem All empfangen und sich gegen eine scheinbar geringe monatliche Gebühr den Zugang freischalten lassen. In Zusammenarbeit mit mehreren Sendergruppen wie RTL und ProSiebenSat.1 wollte Astra sein System durchsetzen, doch das Bundeskartellamt äußerte dagegen Bedenken und untersagte zumindest ProSiebenSat.1 die Beteiligung an der "Entavio"-Plattform. Daraufhin kam das System nie richtig zur Entfaltung und konnte insgesamt nur zwei Jahre überleben (von 2007 bis 2009), weil die Zuschauer bei ihren gewohnten Zugängen zu den Programmen bleiben konnten.
Streit um Einspeisegebühren
Seit 2013 liegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Rechtsstreit mit den Kabelnetzanbietern. Hintergrund der Auseinandersetzung ist, dass ARD und ZDF nicht länger für die Einspeisung ihrer Programme in die Kabelnetze Gebühren entrichten. Zum 31.12.2012 hatten die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Verträge mit den Kabelgesellschaften gekündigt, nachdem sie zuvor jährlich bis zu 60 Millionen Euro an diese für die Ausstrahlung ihrer Programme gezahlt hatten. Laut ZDF-Intendant Thomas Bellut sei es nicht mehr zu rechtfertigen, dass Gebühren an Unternehmen gezahlt werden, die mit der Vermarktung der öffentlich-rechtlichen Programme gutes Geld verdienten.
Laut Rundfunkstaatsvertrag müssen die wesentlichen Angebote von ARD und ZDF über das Kabelnetz verbreitet werden. Die Kabelnetzbetreiber argumentieren jedoch, dass mit dem rechtlichen Zwang zur Verbreitung bestimmter Sender auch die Verpflichtung einhergeht, sich an den Kosten zu beteiligen. Falls keine Einspeisegebühren mehr bezahlt würden, drohen sie damit, bestimmte Dritte Programme und digitale Spartensender nicht länger auszustrahlen.
Nachdem die ersten Urteile zuungunsten der privaten Kabelnetzbetreiber ausgefallen waren, legte der Netzbetreiber Vodafone Kabel Deutschland im Juni 2015 vor dem Bundesgerichtshof erfolgreich Revision ein. Damit mussten sämtliche Verfahren wieder aufgerollt werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied im März 2016, dass Vodafone Kabel Deutschland und Unitymedia den öffentlich-rechtlichen Sender ARD-alpha weiter ohne Vergütung senden müssen. Das Gericht folgte damit der Argumentation des Senders, dass die Netzbetreiber mit dem Signaltransport ihre eigene rundfunkrechtliche Pflicht erfüllten und ohne die öffentlich-rechtliche Programme nicht marktfähig wären. Laufende Verfahren gibt es auch in anderen Bundesländern und ein abschließendes Grundsatzurteil in diesem Rechtsstreit ist bis jetzt (Stand: Oktober 2016) nicht erfolgt.
Vorteile nur für die Betreiber
Ein zusätzlicher Nutzen für den Zuschauer ist nicht erkennbar. Er liegt allein bei den Betreibern, die sich darüber Zugang zu den dort erzeugten Nutzungsdaten, den Programmpräferenzen und sonstigen Zuschauervorlieben erhoffen, die für den Online-Kommerz genutzt werden können. Zudem würde den Betreibern der Plattformen damit eine besondere Macht zukommen, weil sie als alleinige Herren über das Distributionsmedium festlegen könnten, mit welchen Programmen sie die Zuschauer bevorzugt beliefern. Sie wären damit die einflussreichsten "Gatekeeper" in der gesellschaftlichen Kommunikation.
Medienpolitische Regulierungen haben daher darauf zu achten, dass sich die wirtschaftlichen Interessen einzelner Akteure nicht negativ auf die Gestaltung medialer Öffentlichkeiten auswirken und diskriminierungsfreie Zugänge der Anbieter zu den Übertragungsmedien erhalten bleiben. Dazu dienen Kartellgesetze ebenso wie andere medienpolitische Rahmensetzungen.
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