Die Jahre zwischen 1968 und 1973 müssen als ein großer Umbruch im deutschen Kinderfernsehen angesehen werden, nicht nur bei der ARD, sondern auch beim ZDF. Die tradierten Kinderfernsehsendungen mit Bastelecken und Puppenspiel galten als nicht mehr zeitgemäß angesichts der in der Gesellschaft erörterten neuen Ideen der Kindererziehung, die mit der Studentenbewegung aufkamen. Das Kinderfernsehen wollte den Nachwuchs auf ein Leben in der Gesellschaft vorbereiten und die Welt aus kindlicher Perspektive in den Blick nehmen.
Es sollten nun stärker dokumentarische Bilder der Welt gezeigt und spannende Realitätsgeschichten erzählt werden. Zusätzlich ging es darum, für die Zuschauer bis sechs Jahre Vorschulsendungen anzubieten. Mit ihnen sollten herkunftsbedingte Wissensdifferenzen abgebaut und Chancengleichheit hergestellt werden.
Vorschulprogramme gegen die "Bildungskatastrophe"
Hier wirkte sich auch noch der Schock der von Pädagogen ausgerufenen "Bildungskatastrophe" aus, nach der Deutschland zu wenig Abiturienten und Akademiker ausbildete und damit seine Rolle als führendes Industrieland einbüßen würde. Dementsprechend begann man sich für die amerikanische Vorschulreihe "Sesame Street" (USA, ab 1969, in Deutschland ab 1971 "Sesamstraße") zu interessieren und plante weitere Vorschulsendungen: von den "Lach- und Sachgeschichten" beim WDR über "Maxifant und Minifant" (1972–1975) beim NDR bis zum "Feuerroten Spielmobil" beim BR (1972–1981). "Realitätsbewältigung, Identitätsfindung, soziales Lernen, Anregung von Phantasie und Kreativität, Vermittlung von Spaß und Abenteuer und nicht zuletzt die Förderung von Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit" waren nach Auskunft des Kinderfernsehredakteurs Dieter Saldecki die Zielsetzungen der Sendungen .
Anfang der 1970er Jahre stritten zwei öffentlich-rechtliche Lager, wie Fernsehsendungen für Kinder zu gestalten seien. Die eine Fraktion war der Meinung, wenn Kinder schon kostbare Zeit ans Fernsehen verschwendeten, dann müssten sie dabei auch etwas "fürs Leben" lernen. Die Redaktionen mit dieser Meinung (vor allem beim NDR) sorgten etwa dafür, dass 1972 die "Sesamstraße" ihren internationalen Erfolg auch in Deutschland fortsetzte. Ihre "Gegenspieler" saßen vorzugsweise beim WDR, wo Gert K. Müntefering einen viel zitierten Aphorismus prägte: "Kinderfernsehen ist, wenn Kinder fernsehen". Seine Botschaft war: Auch Kinder haben ein Recht auf Unterhaltung; das Fernsehen sollte keine Fortsetzung des Schulunterrichts mit anderen Mitteln sein.
"Die Sendung mit der Maus"
"Maus" und "Elefant" aus der "Sendung mit der Maus" in Erfurt. (Andreas Praefcke)
"Maus" und "Elefant" aus der "Sendung mit der Maus" in Erfurt. (Andreas Praefcke) Lizenz: cc by/3.0/de
"Maus" und "Elefant" aus der "Sendung mit der Maus" in Erfurt. (Andreas Praefcke) Lizenz: cc by/3.0/de
Als Musterbeispiel für gutes Kinderfernsehen gilt heute vielen Eltern "Die Sendung mit der Maus". Die im Untertitel sogenannten "Lach- und Sachgeschichten", vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) produziert und 1971 erstmals auf Sendung gegangen, sind so alt wie viele der Eltern junger Kinder selbst. Sie sind mit diesem Format aufgewachsen. Anderes Kinderfernsehen, das sich ebenfalls bis heute etabliert hat, kennen viele dagegen kaum. Bei rund 400 Programmstunden für Kinder pro Woche ist dies auch nicht erstaunlich. Über die Qualität vieler dieser Sendungen kann man sicher streiten, doch eine heftige Diskussion findet gegenwärtig nicht statt. Viele Experten glauben, dass das Fernsehen den Kindern wenig an Informationen über die Welt bringt, seine Betrachtung aber auch wenig schadet.
Von besonderer Bedeutung waren die "Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger", die dann bald unter dem Titel "Die Sendung mit der Maus" liefen . Ab 1971 ausgestrahlt, wurde die Sendung zu einer lang laufenden Serie, die von Beginn an eine große Popularität erreichte. Abweichend vom Konzept der "Sesamstraße" wurde hier eine Magazinform gewählt. Die Sachgeschichten in Form kleiner Dokumentarfilme erklärten Vorgänge und Phänomene der Welt und ließen Komplexes anschaulich werden. Sie wurden mit kleinen Miniserien verbunden, zumeist im Zeichentrick, aber auch mit Puppen (Der kleine Maulwurf, kleiner Elefant, der Hase und der faule Förster, Petzi und Käpt'n Blaubär). Käpt'n Blaubär endete häufig mit einer Lügengeschichte, die es dann als solche zu entlarven galt. Hinzu kamen Kinderlieder und anderen Elemente. Dieses Konzept ist bis heute gültig.
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Neue Figuren und große Themenvielfalt
Das Spektrum der Themen ist weit, die Skala reicht von Pflanzen bis zum Alten Rom, von der Bundestagswahl bis zu Tschernobyl (Sondersendung: "Die Atommaus"). Vor allem diese Zeichentrickszenen begeisterten die kleinen Zuschauer. "Pädagogische Ambitionen" vereinigten sich "mit spielerisch kreativen". Neben der Maus kamen als weitere Figuren 1975 ein Elefant und 1987 eine Ente hinzu sowie weitere Miniserien mit Zeichentrickfiguren wie "der kleine Eisbär", "Shaun das Schaf" oder die Figuren der Serie "Janoschs Traumstunde", die auf die Bilderbücher des Cartoonisten Janosch zurückgingen. Seit 1999 gibt es ergänzend zur Fernsehsendung auch Online-Angebote für Kinder und gibt es eine "MausApp" mit vielen Funktionen.
Preisgekrönt und erfolgreich besungen
Auch die leicht flapsige Art Armin Maiwalds, der anfangs die Sendungen moderierte, trug zum Erfolg der Serie bei. 1996 entstand anlässlich des 25. Geburtstages der Sendung auch ein spezielles Lied über die Maus ("Hier kommt die Maus", komponiert und gesungen von Stefan Raab), das es auf Platz 2 der deutschen Charts schaffte. Die Sendung erhielt rund 75 nationale und internationale Preise (unter anderem den Adolf-Grimme-Preis in Gold im Jahr 1988 und Pädagogikpreise wie den Comenius-EduMedia-Award 2019) und wird in fast 100 Ländern ausgestrahlt. Es gab Wanderausstellungen über die "Sendung mit der Maus", und die Maus-Figuren Maus, Elefant und Ente waren als Exponate im deutschen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover zu sehen, was die Beliebtheit der Sendung untermauert.
Dokumentarische Formen ab 1970
In den 1970er Jahren entstanden neben den genannten Kinderfernsehreihen auch Sendungen, die Kinder explizit dokumentarisch ansprachen. So entwickelte z. B. Dieter Kronzucker "1,2,3,4,5,6,7 Kinder in Bogota", und in den 1980er Jahren entstand im ARD-Programm auch ein auf das Ausland gerichteter "Weltspiegel für Kinder". Zusätzlich wurden in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Informationsreihen für Kinder gesendet, wie z. B. "Kunst für Kinder" (RB), "Sowieso, Der Traum vom Fahren oder Fliegen" (SWF) oder die kleine Reportage-Rreihe "Da schau her!" vom BR.
Wenig Aufmerksamkeit für Reportagen
Die dokumentarischen Reihen betrieben Weltvermittlung, stießen jedoch insgesamt weniger auf Aufmerksamkeit als erzählte Geschichten und gespielte Handlungen. Der Weg ging deshalb wieder zu fiktionalen Geschichten zurück, wie es sie schon beim Puppenspiel gegeben hatte, nur wurden sie jetzt anders erzählt. Bevorzugt wurden Geschichten, die vor allem in exotischen oder Fantasieräumen spielten – etwa "Kinder in der Kiste" (1986–1991), "Backstage" (BR, 1991–1993), "Geschichten vom Anderswo" (BR, 1988–1993) oder "Sei kein Frosch" (SWF, 1987–1991). In den 1990er Jahren hatte sich die Zahl der dokumentarischen Sendungen für Kinder weiter reduziert.
Es gibt, so resümierte der Redakteur Dieter Saldecki, "praktisch außer den Tierserien keine dokumentarischen Angebote mehr für ältere Kinder im ARD-Programm". Die Ursache dafür lag nicht zuletzt in den kommerziellen Kinderfernsehangeboten in den 1990er Jahren, die vor allem auf lang laufende Animationsfilmreihen setzten, so dass auch die ARD mit der Produktion von fiktionalen Angeboten nachzog.
In den 1970er und den folgenden Jahren setzte das ARD-Kinderfernsehen neben den Sendereihen für Vorschulkinder bei den Sendungen für die Zuschauer ab 6 Jahren verstärkt auf fiktionale Geschichten. Oftmals handelte es sich um narrativ filmisch aufbereitete Kinderserien, die von Abenteuern, Entdeckungen, Freundschaft und anderem mehr erzählten.
Deutsch-tschechische Koproduktionen
Herausragend waren die Produktionen, die der WDR zusammen mit den tschechischen Studios in Barrandov herstellen ließ. Diese Verbindungen hatte vor allem Gert Müntefering, Leiter des WDR-Kinderfernsehens, aufgebaut. Beispielgebend war die Kinderserie "Pan Tau" (ab 1970–1988), von der insgesamt 33 Folgen ausgestrahlt wurde. Es handelte sich um ein "modernes Märchen", wie der Autor Ota Hofmann selbst sagte. Pan Tau, der immer lächelnde Mann mit Melone, Regenschirm und weißer Nelke im Knopfloch, war eine Figur, die zaubern und Dinge verändern konnte. Sie trat in Alltagssituationen der Gegenwart auf und zeigte sich nur Kindern, nicht aber Erwachsenen. Sie konnte zudem nicht sprechen (zumindest in den ersten Folgen nicht), sondern agierte tänzerisch und pantomimisch. Ihr Gegenspieler Alfons (auch er wurde von dem Pan-Tau-Darsteller Otto Šimánek gespielt) konnte jedoch sprechen. "Alle Märchenzüge, dass man unerschrocken, listig, mobil und robust im Umgang mit Kontrahenten sein muss, spielt er aus", schrieb der Kinderfernsehforscher Hans Dieter Erlinger .
Marionetten an realen Schauplätzen
Geschichten ähnlicher Art waren die Serien "Der Spatz vom Wallrafplatz" und "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt". "Der Spatz vom Wallrafplatz" wurde ab 1969 bis 1976 in 36 Folgen ausgestrahlt. Seine Besonderheit bestand darin, dass die Puppenfigur des Spatzen sich vom Rahmen der Puppenbühne löste und in der Stadt an realen Schauplätzen aufgenommen wurde. Durch diese Mischung von Realfilm und Puppenfigur wurde der Spatz so berühmt, dass irgendwann keine neuen Aufnahmen mehr von ihm gedreht werden konnten, weil sich immer gleich zahlreiche Schaulustige ansammelten.
"Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" (ARD, 1972) war eine vierteilige Puppenfilm-Geschichte von einem Jungen, einem Roboter und einem merkwürdigen Gerät zum Fliegen, das mit rotem Himbeersaft, später dann mit Lebertran betrieben wurde. Die Hauptfiguren waren Marionetten, doch sie agierten – dank Tricktechnik – oftmals vor realen Kulissen. Den jungen Zuschauern wurde durch die Vorbereitung von Robbi und Tobbi auf die Roboterprüfung "nebenbei" Wissenswertes über Luftfahrt, Geografie, Naturwissenschaften und Geschichte vermittelt.
WDR: Fernsehfilme für Kinder
Der WDR erprobte auch – da die Kinderfernsehredaktion nur über einen kleinen Etat verfügte – eine Zusammenarbeit mit der Fernsehspielredaktion des Senders. Hier entstanden in den 70er Jahren Fernsehfilme wie Ilse Hofmanns Verfilmung des Christine-Nöstlinger-Buches "Die Ilse ist weg" (1976) oder Wolfgang Beckers/Max von der Grüns "Vorstadtkrokodile" (1978). Dabei steht der Fernsehfilm "Die Vorstadtkrokodile" exemplarisch für eine neue Generation von Kinderfilmen in den 70er Jahren. So stammen auch die "Vorstadtkrokodile" nach der literarischen Vorlage des Autors Max von der Grün aus dem Arbeitermilieu. Sowohl die Szenerie als auch Dialoge und Thematik machen um soziale Probleme wie das des Bandendiebstahls jugendlicher Täter keinen Bogen und verdeutlichen so einen besonderen Realitätsbezug. Das Profil des ARD-Kinderfernsehens – ohnehin schon föderal angelegt, weil es aus Kinderfernsehredaktionen verschiedener Fernsehanstalten zusammengesetzt war – ging ab 1997 in dem neu gegründeten, mit dem ZDF gemeinsam betriebenen ARD/ZDF-Kinderkanal KiKA auf. Der Sender hat seitdem seinen Sitz in Erfurt, die Kinderredaktionen der ARD-Anstalten und des ZDF produzieren anteilig Beiträge für dieses Programm.
In Fortsetzung der tschechisch-deutsch-österreichischen Koproduktion "Pan Tau" standen dann auch in den 80er Jahren andere Märchenfilme aus dem Barrandov-Studio: "Luzie, der Schrecken der Straße" (1980), "Die Märchenbraut" (1981), "Die Besucher"(1984) und andere Produktionen begeisterten in den 1980er Jahren die kleinen und großen Fernsehzuschauer.
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