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Infotainment und Boulevardisierung | Deutsche Fernsehgeschichte in Ost und West | bpb.de

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Infotainment und Boulevardisierung

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Infotainment – Vermischung von Information und Unterhaltung

Seit Ende der 1980er Jahre kam es im Fernsehen der Bundesrepublik durch die Konkurrenz von öffentlich-rechtlichem und kommerziellem Fernsehen zu neuen Programmentwicklungen, die sich unter anderem durch eine Tendenz zu einer verstärkten Ausrichtung aller Sendungen auf Unterhaltung auszeichnete. Die Vermischung von Information und Unterhaltung im Bereich der Nachrichten- und Informationsvermittlung führte zu Sendeformen und -formaten, die mit dem Begriff des Infotainment charakterisiert werden.

Boulevardthemen im Privatfernsehen

Vor allem die kommerziellen Sender versuchten dadurch, Interesse und Aufmerksamkeit beim Zuschauer zu erzeugen. Sie grenzten sich durch eine unterhaltsamere Präsentation von Nachrichten, ein bunteres Studiodesign, neue Begriffe bzw. Anglizismen (z. B. "News" statt Nachrichten) und durch einen lockeren, personalisierten Präsentationsstil von "Tagesschau" und "heute" ab. Die Themenwahl änderte sich, politische Themen wurden vereinfacht und leichter konsumierbar gemacht; schließlich immer häufiger auch durch Boulevardthemen ersetzt. Der Berichterstattung über Stars und Prominente wurde eine wachsende Bedeutung beigemessen. Schlagworte wie 'Entpolitisierung' und 'Kommerzialisierung' charakterisieren diese Entwicklung. Die 'Entertainisierung' der politischen Information ("Politainment") wurde als eine Ausrichtung auf die Zuschauer ausgegeben, die angeblich an der Politik desinteressiert waren .

Weiterhin führend: die "Tagesschau"

Politiker in TV-Talkshows: "Auf einen Schlag mehr Menschen, als man sie in allen Hinter- und Vorderzimmer- veranstaltungen pro Jahr zu Gesicht bekommt." (© AP)

Doch gerade den Nachrichtensendungen der kommerziellen Sender gelang es nicht, die unangefochtene Stellung der "Tagesschau" als führende deutsche Nachrichtensendung zu untergraben. Eine Kampagne von RTL und Sat.1, der "Tagesschau" nach 2000 wesentliche Zuschaueranteile durch eine Boulevardisierung der Nachrichten abzunehmen, war nicht erfolgreich, und die kommerziellen Nachrichtensendungen näherten sich wieder der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenpräsentation an. Auch wenn inzwischen RTL einen konstant höheren Marktanteil erreicht hat, bevorzugt ein großer Publikumsanteil weiterhin die Information durch die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Sender. Gleichwohl hat die Veränderung in der Themenstruktur der Fernsehinformation insgesamt auch vor dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht halt gemacht. Immer häufiger fanden sich in den 1990er Jahren Sendungen, die als Informationsangebote Themen aus dem sogenannten "Human-Touch-Bereich" (Prominenz und Lifestyle, Unglück und Verbrechen) anboten. Selbst in "altehrwürdigen" und vermeintlich seriösen Nachrichtensendungen wie "Tagesthemen" oder "heute" werden mitunter Nachrichten aus der "Promiwelt" präsentiert (vgl. Hintergrund-Information "Interner Link: Konvergenz in Nachrichtensendungen"). Jedoch haben die Narichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Sender weiterhin Hauptschwerpunkte in ihrer Themenstruktur bei "Politik", "Wirtschaft" und "Gesellschaft/Justiz" .

Politische Talkshows bei ARD und ZDF

Neben dem Frühstücksfernsehen am Morgen sind es wöchentliche Polit-Talks am Abend, die (gesellschafts-)politische Information und Unterhaltung mischen. Sendungen wie "Hart aber fair" (mit Frank Plasberg, Das Erste/WDR, seit 2001), "Anne Will" (Das Erste, seit 2007), "maischberger. die woche" (zuvor "Maischberger" und "Menschen bei Maischberger", Das Erste, seit 2003) und "maybrit illner" (ZDF, seit 1999) sowie teilweise "Markus Lanz" (ZDF, seit 2008) oder zuvor "Sabine Christiansen" (Das Erste, 1998–2007) sind populär und sorgen einerseits als "fidele Volkshochschule" für seriöses Infotainment. Sie geraten andererseits aber auch wegen der manchmal mehr nach Unterhaltungsfaktor und zu wenig nach sachlichen Kompetenzen ausgesuchten Gästen in die Kritik. Im Idealfall ermöglichen sie das Aufeinandertreffen verschiedener in der Gesellschaft vorhandener Meinungen. An den Themen der Politischen Talkshows lassen sich in der Rückschau die brisanten Ereignisse der vergangenen Jahre ablesen.

Fernsehduelle

Es hat lange gedauert, bis sich diese z. B. in Amerika sehr erfolgreiche Art der politischen Inszenierung auch in Deutschland durchgesetzt hat: Die Spitzenkandidaten, die um die Kanzlerschaft konkurrieren, treffen seit 2002 vor den Bundestagswahlen ein- oder mehrfach in einem TV-Studio aufeinander. Ihnen werden vor dem Live-Publikum von erfahrenen Moderatoren Fragen zu den wesentlichen politisch-gesellschaftlichen Fragen gestellt. Die Duelle werden inzwischen von den öffentlich-rechtlichen und den privaten Sendern gemeinsam durchgeführt und moderiert. Anders als in den USA stehen weniger persönlich Diskreditierungen als vielmehr Sachargumente im Vordergrund. Trotzdem kann aber entscheidend sein, wie sympathisch – und nicht wie sachkompetent – ein Kandidat bzw. eine Kandidatin ist – oder die Moderatoren. So hat sich die Vor- und Nachberichterstattung 2013 auch stark um die Frage gedreht, ob Mitmoderator Stefan Raab gut oder schlecht war – und nicht alleine, wie die Kandidaten Peter Steinbrück (SPD) und Angela Merkel (CDU) abgeschnitten haben.

Boulevard- und Lifestylemagazine

Die Moderatorin des ARD-Boulevardmagazins "Brisant", Griseldis Wenner. (© AP)

Für Infotainment stand auch die Entwicklung neuer Sendeformate wie Boulevard-, Promi- oder auch Lifestylemagazine. Oft geprägt von reißerischer Berichterstattung, wurden persönliche Schicksalsschläge, Gewalt, Sex und Katastrophen zum Thema. Der Blick richtete sich dabei überwiegend auf die "Welt der Stars und Prominenten". Aber auch der einfache Bürger und Mensch wurde und wird in seinem Glück oder Unglück gezeigt. "Brisant" (ARD/MDR, seit 1994), "Leute heute" (ZDF, seit 1997), "Exclusiv – Das Starmagazin" (RTL, seit 1994) oder "taff" (ProSieben, seit 1995) sind Beispiele für diese Dauerbrenner beim Fernsehpublikum.

Problematische Aspekte des Infotainment

Das 'Unterhaltend-Machen' von Informationen erscheint für die gesellschaftliche Information und Kommunikation mit Hilfe der Medien dann als problematisch, wenn darüber die Sachlichkeit der Information verloren geht, wenn eine angemessene Darstellung komplexer Verhältnisse nicht mehr vorhanden ist und durch nebensächliche Nachrichten, wie z. B. über das Leben von Unterhaltungsstars, die ernsthafte Auseinandersetzung mit den wichtigen und zentralen Themen verdrängt wird (vgl. Hintergrund-Information "Interner Link: Agenda Setting"). Dann besteht auch eine Gefahr für das Gemeinwesen der Demokratie, weil die Bürger nicht mehr ausreichend über die öffentlichen Dinge, über die politisch entschieden werden muss, informiert sind. Dass Informationen ansprechend vermittelt werden können und nicht nüchtern und trocken aufbereitet sein müssen, ist damit nicht ausgeschlossen. Hier das richtige Maß zu finden, bleibt eine Aufgabe, der sich gerade auch die öffentlich-rechtlichen Sender verpflichtet fühlen müssen, bei denen die politische Information zum Auftrag der 'Grundversorgung' der Bürger gehört.

"Infotainment" im DDR-Fernsehen

Da das Entstehen des Infotainments zeitlich mit dem Ende der DDR zusammenfällt, entwickelten sich entsprechende Sendeformen dort nicht. Gleichwohl waren Vermischungen von Informationen und Unterhaltung in der Magazinform schon in den 1950er Jahren sowohl im Westen als auch im Osten – wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten – zu finden. Die Herausstellung von Prominenz galt in der DDR lange Zeit als "dekadente" und "menschenverachtende" Ausformung des "absterbenden Kapitalismus" und spielte deshalb keine Rolle. Katastrophen und Unglücksfälle wurden im DDR-Fernsehen zumeist verschwiegen. 1989 startet das DDR-Fernsehen mit dem Jugendmagazin "Elf 99" und der Einbettung von gesellschaftlich vermeintlich relevanten Themen in ein eher unterhaltsames Magazin den Versuch einer breiteren Ansprache jugendlicher Zuschauer, als notwendig erachtet angesichts eines in Stagnation und beginnender Auflösung begriffenen Landes auf der einen Seite und dem hohen Politisierungsgrad auf der anderen Seite.

Grenzen der "Spaßgesellschaft"?

Die Boulevardisierung stieß nach 2001 vorrübergehend an Grenzen, weil die mit den Begriffen "Infotainment" und "Entertainisierung" verbundene Tendenz, sich zu einer "Spaßgesellschaft" zu entwickeln, mit dem Attentat auf das New Yorker World Trade Center ihr Ende zu finden schien [4]. Die Welt und das Leben in ihr waren – so zeigte das Attentat – eben nicht leicht und lustig, sondern riskant und gefährlich. Doch auch weitere Terroranschläge in den nachfolgenden Jahrzehnten – nun auch in Europa bzw. Deutschland – oder eine weltweite Gefahrenlage wie die Corona-Pandemie 2020 bringen keine grundlegende Änderung. Zwar wird der Trend zur Boulevardisierung dann zeitweise in Frage gestellt. In einer gemäßigten Form wird eine nur oberflächliche Informationspolitik in den kommerziellen Programmen weiter betrieben, die öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme haben teilweise ihr Informationsangebot weiter ausgebaut, teilweise aber auch in Spartenprogramme ausgelagert. Bei den privaten Fernsehsendern wurde er durch die zunehmende Präsenz von "Reality-TV-Formaten" in den letzten Jahren jedoch wieder verstärkt. Hinzu kommt die zunehmende Konkurrenz durch Internetseiten und Soziale Medien, die den Druck auf die Fernsehlandschaft zur Boulevardisierung und zu vorschneller Berichterstattung bzw. dem Senden aus ethischer Sicht eigentlich unzeigbarer Bilder verstärken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dörner 2001.

  2. Vgl. Krüger/Zapf-Schramm 2016.

  3. Marcus Jauer im Jahrbuch Fernsehen 2012.

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