Ähnlich unklar wie der Kulturbegriff ist auch der Bildungsbegriff, dementsprechend variierte das Verständnis von Bildungssendungen im Fernsehen im Verlauf der Entwicklung. Seit der Gründung der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten 1948/49 ist Bildung im Programmauftrag verankert. Dieser Auftrag wurde in den Anfangsjahren allgemein als kulturelle Bildung (über die Künste) einerseits und als technisch-wissenschaftliches Wissen andererseits verstanden. Der Bildungsbegriff wurde in den 1960er und 1970er Jahren im Sinne eines vorschulischen, schulischen und 'erwachsenen' Lernens interpretiert . Schorb unterscheidet zwischen Kontextprogrammen (also Sendungen, die im Kontext des Schulunterrichts eingesetzt werden sollen), Kursprogrammen, in denen einzelne Qualifikationen (z. B. Fremdsprachenbeherrschung) eigenständig und unabhängig von der Schule angeeignet werden können, und Lehr- und Lernsystemen, die auch unabhängig vom Fernsehen verwendbar sind. Als Alternative zur Schulbildung erwies sich das Fernsehen jedoch mittel- und langfristig nicht .
Bildung als Angebot
Information und Bildung sind aus Sicht der Wissenschaft keine Eigenschaft von Sendungen oder Medieninhalten, sondern sind das Ergebnis eines Vermittlungsprozesses. An diesem Prozess haben die Zuschauer als Empfänger von Medieninhalten einen wesentlichen Anteil. Information und Bildung können von den Medien daher nicht einfach auf die Zuschauer "übertragen" oder "abgebildet" werden, sondern Medien machen den Zuschauer im wörtlichen Sinne Angebote. Ob diese Angebote als Informationen oder zum Wissenserwerb genutzt werden, hängt wesentlich von den Zuschauern ab.
Bildungsanspruch des Fernsehens und "Edutainment"
Von den 1980er Jahren an wurde der Bildungsanspruch des Fernsehens zum einen wieder als spezifischer Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten im Gegensatz zu den Programmangeboten der kommerziellen Anbieter verstanden. Zum anderen setzte sich die Auffassung von "informellen Bildungsangeboten" durch, also die Meinung, dass Fernsehsendungen unausgesprochen eine Tendenz zur Wissenserweiterung und zum Erwerb von Verhaltensformen und Handlungsweisen enthalten können, die vor allem in Verbindung mit Unterhaltung steht und die entsprechend auch als "Edutainment" bezeichnet wird . Damit sind Rateshows wie "Wer wird Millionär?" und Ratgebersendungen wie "Hobbythek" oder die neueren Reality-Shows und Mischformen gemeint, aber auch die damalige Ratgebersendung zu Rechtsfragen des DDR-Fernsehens "Fragen Sie Professor Kaul". Der Strafverteidiger thematisierte erstmals die Euthanasie-Morde im Nationalsozialismus für eine größere Öffentlichkeit in der DDR. Ob sich bei diesen Sendungen Lerneffekte einstellen und wenn ja, welche, ist umstritten, weil zu den Wissensfragen (etwa in Quizshows) oft Hintergründe nicht vermittelt und Zusammenhänge nicht hergestellt werden . Daher werden Wissenssendungen auch an entsprechender Stelle im Bereich "Interner Link: Information" behandelt. Bildung als Fernsehgenre war also von Beginn des Fernsehens an bis heute umstritten und könnte in einem engeren Sinne alleine auf pädagogisch-didaktisch strukturierte Sendungen (insbes. Schulfernsehen) bezogen werden. Dennoch ist ein genauerer Blick auf einzelne Bildungsangebote aufschlussreich, weil so die Bildungsabsichten des Fernsehens deutlich werden.
Bildungsfernsehen der 1950er und 1960er Jahre in der BRD
Zu den frühen Bildungssendungen, die sich zu Beginn der Fernsehentwicklung häufig auf geisteswissenschaftliche Themen und Alltagsprobleme bezogen, kamen in West wie Ost Sendungen hinzu, die naturwissenschaftliche und vor allem auch technische Erfolge feierten. Seit den späten 1950er Jahren sind dies vor allem Sendungen zur Monderkundung und zur Raumfahrt. Im DDR-Fernsehen gab es schon 1957 eine Sondersendung zum Start des Satelliten "Sputnik" durch die Sowjetunion, im bundesrepublikanischen Fernsehen kamen vor allem Ende der 1960er Jahre zahlreiche Sendungen zur Mondlandung und zu Raketenstarts ins Programm. Zur Apollo-Mondlandung 1969 übertrug z. B. der WDR Bilder aus einem speziell gebauten Apollo-Sonderstudio (16. bis 24.7.1969). Auch das DDR-Fernsehen berichtete in oft umfangreichen Sendungen von den Raumfahrterfolgen, hier allerdings der Sowjetunion. Das Fernsehen vermittelte auf diese Weise eine naturwissenschaftlich-technische Aufbruchsstimmung – in West wie in Ost.
Fernsehangebote gegen die "Bildungskatastrophe"
Auslöser der Bildungsdiskussion in den 1960er Jahren waren in der Bundesrepublik vor allem zwei Bücher: "Die deutsche Bildungskatastrophe" (1964) von Georg Picht und "Bildung ist Bürgerrecht" (1965) von Ralf Dahrendorf, in denen die Notwendigkeit einer aktiven Bildungspolitik beschworen wurde, sollte Deutschland nicht seinen Status als ein führendes Industrieland verlieren. Neben zahlreichen Bildungsinitiativen, die auf den Schul- und Hochschulbereich zielten, fühlte sich auch das Fernsehen angesprochen, hatten doch die Rundfunkanstalten mit den ihnen im ZDF-Staatsvertrag zugestandenen Dritten Programmen die Möglichkeit, hier spezielle Angebote machen zu können. Dazu schienen ihnen audiovisuelle Lernprogramme, wie sie in dem weltweit diskutierten Schulfernsehen erprobt wurden, besonders geeignet.
Arbeitsgemeinschaft für Schulfunk und Schulfernsehen
1964 entstand eine ARD-Kommission für das Schulfernsehen, aus der dann 1972 die Arbeitsgemeinschaft für Schulfunk und Schulfernsehen hervorging, welche die Produktion von multimedialen Unterrichtswerken koordinierte. Die in speziellen Schulfernsehredaktionen der Sender entwickelten, zumeist mehrteiligen Kursangebote wurden zwischen den regional ausgestrahlten Dritten Programmen ausgetauscht. In wenigen Jahren entstanden ca. 1.500 Unterrichtsstunden. Sie machten die Bundesrepublik, obwohl sie sich erst spät dem Schulfernsehen zuwandte, zu einem führenden Land in der Produktion von audiovisuellen Lerneinheiten Für alle Unterrichtsfächer wurden Kurse angeboten, z. B. für Englisch und Französisch, dann auch für die Naturwissenschaften, für Geografie und andere, auch außerschulische Themenbereiche. Anfangs stellten die Sendungen abgefilmte Unterrichtsstunden dar. Seit den 1980er Jahren verstand sich das Schulfernsehen stärker als ein Partner der Lehrer denn als Lehrerersatz, so dass man sich von moderierten Studiosendungen stärker auf Dokumentationen und Features verlegte, wobei trotzdem noch auf eine leichte Integrierbarkeit in den Unterricht geachtet wurde.
Bildungsfernsehen in der DDR
Im DDR-Fernsehen gab es seit den frühen 1950er Jahren explizite Bildungssendungen, wobei dem Fernsehen vor allem in den 1960er Jahren eine bedeutende Bildungsfunktion zugesprochen wurde. Im Gefolge des kulturpolitischen Konzepts des Bitterfelder Weges, das darauf abzielte, Werktätigen einen aktiven Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen, sollte das Fernsehen eine besondere Bildungs- und Erziehungsaufgabe wahrnehmen . Neben informierenden Sendungen über Wissenschaftsthemen standen auch ökonomische Fragestellungen ("Wußten Sie schon?", seit 1953), Themen der Landwirtschaft ("Gute Saat – gute Ernte", seit 1953) und andere technisch-wissenschaftliche Inhalte auf dem Programm. Das Fernsehen der DDR, so der Medienwissenschaftler Torsten Hahn, wurde "zum Bildungsmedium im sozialistischen, dezidiert anti-bürgerlichen Sinne". Dabei knüpfte das Fernsehen in den 1960er Jahren vor allem an die Erwachsenenbildung an, ab 1961 unter dem Titel "Fernsehakademie", mit verschiedenen Einzelsendungen und Reihen (letztere vorwiegend für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht). Erster Sprachkurs war "Russisch für Sie". Die Fernsehakademie wurde in veränderter Konzeption ab 1974 unter dem Titel "Neue Fernseh-Urania" fortgeführt.
Herausbildung des "neuen sozialistischen Menschen"
Zu den kulturellen Programmangeboten der 1970er Jahre gehörten "Meisterwerke der Dresdner Gemäldegalerie" (1977–1979) und das "Literatur-Café" (1977-1979). Da letztlich der Anspruch des gesamten Programms darin bestand, den "neuen sozialistischen Menschen" heranzubilden, wurde kein großer Gegensatz zwischen Bildungssendungen und anderen Sendungen gesehen. Gleichwohl gab es insbesondere in den an erwachsene Zuschauer gerichteten Sendungen Bestrebungen, das Medium gezielt zu nutzen, um das technisch-naturwissenschaftliche Wissen der Zuschauer zu verbreitern und die technischen Kompetenzen in der Bevölkerung zu erhöhen. So wurde 1976 nach dem IX. Parteitag der SED in einer programmatischen Darstellung betont, dass Wissenschaft, Technik und Bildung im weitesten Sinne eine Schlüsselstellung einnähmen bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und der Schaffung von Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus Den Medien kam in der Vermittlung dieser Bereiche eine besondere Aufgabe zu, doch hatten die Bemühungen offensichtlich anfangs wenig Erfolg, da 1979 eine neue Kampagne unter dem Stichwort "Wissenschaft massenwirksam darstellen" ausgerufen werden musste .
Auch im DFF kam es in den 1970er Jahren zur Etablierung von Schulfernsehsendungen, wobei die zentrale Schul- und Unterrichtsplanung der DDR eine Verzahnung von Schule und Fernsehen in stärkerem Maße als im Westen gewährleistete. Vorbild war hier das ab 1965 ausgestrahlte sowjetische Schul- und Bildungsfernsehen, von dem anfangs auch viele Sendungen übernommen wurden. Die Schulfernsehsendungen wurden genauer auf die Lehrpläne der Polytechnischen Oberschulen (POS) abgestimmt, und umgekehrt die Unterrichtsabläufe auf die Schulfernsehsendungen. Themen und Unterrichtsgebiete für das DDR-Schulfernsehen waren: Chemie, ESP ("Einführung in die sozialistische Produktion"), Englisch ("English for you"), Geographie, Geschichte, Heimatkunde, Literatur, Physik, Staatsbürgerkunde und Russisch. Zusätzlich zu den Sendungen, die für Schüler gedacht waren (und anfangs auch nicht mitgeschnitten werden konnten, weil es noch keine Videorecorder im 'Consumer-Bereich' gab), gab es auch Sendungen zur Lehrer-Information, die zusätzliche Informationen zu den entsprechenden Sendungen vermittelten. Die Reihen liefen relativ lange und wurden häufig wiederholt, weil das Fernsehen der DDR nicht über ein derartiges Reservoir an Sendungen verfügte wie die dezentral und föderal produzierenden ARD-Anstalten. "English for you", die wohl bekannteste DDR-Schulfernsehreihe, umfasste zwei Kurse (1966-1969: 62 Folgen, 1978-1980: 55 Folgen).
Die Entwicklung des Bildungsfernsehens in der BRD bis heute
"Telekolleg" für die Erwachsenenbildung
Neben dem Schulfernsehen startete das Bayerische Fernsehen 1967 das "Telekolleg", das im Rahmen der Erwachsenenbildung die Möglichkeit schuf, die Mittlere Reife zu erwerben. Unter dem Motto "Mit dem Telekolleg kommt die Schule nach Hause" erhielten junge Erwachsene die Möglichkeit einer zweiten Bildungschance und einer Verbesserung ihrer beruflichen Perspektiven. Das Lernen geschah vielfach in Lerngruppen, die die Volkshochschulen parallel organisierten. Das Projekt war beispielhaft innerhalb des sonst eher festen bundesdeutschen Schulsystems und richtete sich vor allem an Frauen. 1984 wurde dieses "Telekolleg" wegen mangelnder Nachfrage eingestellt, bis dahin hatten aber immerhin 22.000 Teilnehmer die Mittlere Reife erworben. Ab 1972 kam das Telekolleg II hinzu, bei dem die Teilnehmer die Fachhochschulreife erwerben konnten. 2002 wurde das Telekolleg umgestellt und das "Telekolleg Multimedial" (Externer Link: http://www.br.de/telekolleg/index.html) eingeführt, das von den Kulturministerien der Länder Bayern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz und dem BR getragen wird. Die zu den Lehreinheiten gehörenden Sendungen werden vom Bayerischen Fernsehen (Drittes Programm) und ARD-alpha, dem Bildungskanal der ARD, ausgestrahlt. Gleichzeitig wird für das individuelle Lernen in starkem Umfang das Internet genutzt.
Weniger Bildungsangebote durch Umbau der Dritten Programme
In den späten 1970er Jahren begann der Umbau der Dritten ARD-Programme in Vollprogramme. Die ARD-Sender wollten sich mit der Umorganisation auf die kommende Konkurrenz durch kommerzielle Programme einrichten und mit zusätzlichen Vollprogrammen das Terrain besetzen. Vorreiter dieser Entwicklung war der Bayerische Rundfunk mit seinem Dritten Programm (Bayerisches Fernsehen), der unter der Leitung von Walter Flemmer zunächst seine regionale Berichterstattung ausbaute, dann insgesamt das Programm zu einem regionalen Vollprogramm machte . Damit wurden die Schulfernseh- und Bildungsprogramme nach und nach reduziert, stattdessen wurden mehr Unterhaltungsangebote, Fernsehfilme und regionale Angebote ins Programm genommen. Der Rückgang der Schulfernsehreihen lag aber letztlich auch in der geringen Nutzung der Angebote durch die entsprechenden Zielgruppen begründet. Schulfernsehen wird heute noch vom Bayerischen Rundfunk (BR) produziert (und auf ARD-alpha gesendet) sowie gemeinsam vom Südwestrundfunk (SWR) mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR). Die Sendungen werden morgens ausgestrahlt, z. B. in den Dritten Programmen des WDR und des SWR zwischen 6.00 und 9.00 Uhr unter dem Titel "Planet Schule". Sie sind speziell zum Mitschneiden gedacht und darüber hinaus auch online abzurufen über das sehr informative und umfassende Portal "Externer Link: planet-schule.de". Hier werden viele Sendungen bzw. Videos angeboten, zumeist eingebettet in vielfältige Informationsangebote zu einem Thema. Ähnlich verfährt auch der Hessische Rundfunk, der sein Wissens- bzw. Schulangebot im Internet bündelt unter Externer Link: "WissenPlus+". Zu nennen ist auch der – allerdings nicht speziell für Schulen entwickelte – Externer Link: ARD-Bildungskanal "alpha". Diese Angebote zeigen, dass das Internet wesentlich vielfältigere Möglichkeiten eröffnet, bei denen Fernsehsendungen nur einen – allerdings sehr anschaulichen – Teil ausmachen. Ein umfassenderes Dossier bzw. ein "Wissenspool" (siehe Externer Link: planet-schule.de) kann weitere Medienformen (Text, Bild, Audio) und darüber hinaus digitale Lernprogramme gezielt einbinden. Abschließend sei angemerkt: Zu den informellen Bildungsangeboten, wie sie Schorb 1994 definierte, gehören auch unterhaltsam aufbereitete Wissens- und Wissenschaftssendungen. Sie werden im Themenbereich "Interner Link: Information" vorgestellt.
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