Ambitionierte Krimi-Reihen und TV-Movies
Die 1990er Jahre stellten einen Neuanfang der ambitionierten Fernsehfiktion dar. Das aufklärerisch-didaktische Themenfernsehspiel hatte zunächst ausgedient. Die Fernsehmacher wollten nicht mehr die Welt erklären, sondern sie auf eine emotionale Weise zeigen. Technisches Handwerk, filmische Ästhetik, Genre-Orientierung und eine Ausrichtung am populären Hollywood-Film waren neue Kriterien. Gesellschaftskritik war vor allem in Hinblick auf ein jüngeres Publikum, das mit Reihen wie "Wilde Herzen" (ARD) geködert wurde, weitgehend im Kino-"Look" verpackt. Die 'Traumfabrik' hielt als Vorstellungsmodell Einzug ins Fernsehen. Hans Janke, neuer Fernsehspielchef beim ZDF, suchte die "Qualität im Populären" und fand sie vor allem in 90-minütigen Krimis. Reihen wie "Bella Block" (ZDF, seit 1993) oder "Sperling" (ZDF, 1996–2007) schnitten gesellschaftspolitische Themen an und agierten mit brüchigen Helden, die gesellschaftlich Position bezogen. "Emotionalisierung" war eines der zentralen Gebote. Durch eine Standardisierung der Sendeplätze für die Fiktion erhoffte man sich einen höheren Wiedererkennungswert in einem durch die neuen Sender explosionsartig ausgeweiteten Programmangebot.
Reißerische Titel – emotionalisierte Handlungen
Der neue Trend wurde von den Privatsendern verschärft. Sie gingen mit TV-Movies wie "Schlag weiter, kleines Kinderherz" (RTL, 1994) oder "Natalie – Endstation Babystrich" (Sat.1, 1994 und vier weitere "Natalie"-Filme bis 2003) an den Start, die durch reißerische Titel und emotionalisierte Handlungen ihr Publikum fanden. "Der Sandmann" (RTL II, 1995), "Das Phantom" (ProSieben, 2000), "Der Tunnel" (Sat.1, 2000, 2 Teile), "Wambo" (Sat.1, 2001) oder "Das Wunder von Lengede" (Sat.1, 2003, 2 Teile) zeigten jedoch, dass qualitativ herausragende Produktionen auch bei den Privatsendern möglich waren und sich dabei Qualität und Quote nicht ausschlossen.
Fernsehen und Kino im Wechselspiel
Der Fernsehfilm orientierte sich am Kino. Umgekehrt gab es immer wieder Fernsehproduktionen wie "Allein unter Frauen" (SWR, 1991), "Nach fünf im Urwald" (SWR, 1995) oder "Alles auf Zucker" (WDR, 2004), die im Kino zu Kassenschlagern wurden. Der "amphibische Film" hat sich endgültig durchgesetzt. Die neue Generation von Filmemachern wie z. B. Lars Kraume ("Dunckel", ZDF, 1998; "Familienfest", ZDF, 2015), Hendrik Handloegten ("Paul is dead", ZDF, 1999), Hans Steinbichler ("Hierankl", BR, 2003) oder Christian Petzold ("Dreileben – Etwas Besseres als den Tod", Das Erste, 2011; Phoenix, BR, WDR, 2014) wechselt wie selbstverständlich zwischen den beiden Medien hin und her.
Filme von Graf und Wedel
Vorreiter war Regisseur Dominik Graf, der sich ab Mitte der 1990er Jahre ausschließlich dem Fernsehen verschrieben hatte. Mit rauen Polizei-Thrillern wie "Der Skorpion" (ZDF, 1997) oder "Eine Stadt wird erpresst" (ZDF, 2007), der "Tatort"-Variation "Frau Bu lacht" (BR, 1995), den "Polizeiruf"-Episoden "Der scharlachrote Engel" (BR, 2005), "Er sollte tot" (BR, 2006) und "Cassandras Warnung" (BR, 2011) machte er sich als Erneuerer des Genre-Fernsehens einen Namen. Auch Dieter Wedel nimmt mit seinen Mehrteilern "Der große Bellheim" (ZDF, 1993), "Der Schattenmann" (ZDF, 1996) und "Gier" (Das Erste, 2010) eine Ausnahmestellung ein. Die Fernsehfilme öffentlich-rechtlicher wie kommerzieller Herkunft waren in ihren qualitativ anspruchsvolleren Beispielen nur noch selten voneinander zu unterscheiden, weil sie oft von der gleichen Fernsehfilmproduktion hergestellt wurden, etwa der Firma teamworx von Nico Hofmann oder der Trebitsch Filmproduktion.