Das Film-Fernseh-Abkommen (BRD)
In den 1970er Jahren war es das Film-Fernseh-Abkommen, das Kinoproduzenten und ARD/ZDF näher zusammenrücken ließ. Es wurde 1974 zwischen der deutschen Filmwirtschaft, der Filmförderungsanstalt und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen geschlossen. Das Abkommen führte es dazu, dass sich die Fernsehanstalten an der Filmförderung beteiligten, dafür in den Gremien an der Auswahl mitwirkten und auch dramaturgisch die geförderten Projekte betreuten. Dadurch wurden die Fernsehanstalten zum Geburtshelfer einer neuen Ära des westdeutschen Kinos, zu dem bald international renommierte Filmemacher wie Wim Wenders, Werner Herzog, Volker Schlöndorff oder Rainer Werner Fassbinder gehörten. Diese Filme wurden zunächst eineinhalb Jahre lang im Kino gezeigt und danach auf Fernsehspielplätzen im Fernsehen.
Kino-Fernseh-Koproduktionen
Der auf diese Weise entstehende "amphibische Film", wie ihn WDR-Fernsehspielchef Günter Rohrbach nannte
Gesellschaftskritik und Subjektivität
In den 1970er Jahren wurde das politisch-didaktische Fernsehspiel in der Bundesrepublik entschärft. Dazu trugen sowohl die politischen Rahmenbedingungen bei, die sich angesichts von gesellschaftlichen Krisen (Öl- und Wirtschaftskrise 1973, der Terrorismus der RAF und die Terroristenbekämpfung durch den Staat) auch auf die Fiktion im Fernsehen auswirkten (Debatte um die politische Ausgewogenheit im Programm ab 1974), als auch eine Abnahme des Publikumsinteresses an politischer Fiktion. Die publizistische Breitenwirkung des Fernsehfilms nahm insgesamt ab, nicht aber seine thematisch-ästhetische Vielfalt.
Neue Realismuskonzepte
Neue Realismuskonzepte verabschiedeten sich von der Utopie und ihren fiktionalen Darstellungen. Ein den sozialen Phänomenen direkt zugewandter Realismus wie in Uwe Frießners "Das Ende des Regenbogens" (WDR, 1979) wollte die Gesellschaft zeigen, wie sie ist. Die Ideale einer auf soziale Veränderung argumentierenden Fiktion wurden in den Berliner Arbeiterfilmen ("Liebe Mutter, mir geht es gut", WDR, 1972) thematisiert. Explizite Gesellschaftskritik war noch immer en vogue, wurde aber wie bei Wolfgang Menges "Das Millionenspiel" (WDR, 1970) und "Smog" (WDR, 1973) oder in Rainer Erlers Wissenschafts-Thrillern "Das blaue Palais" (ZDF, 1974–1976) und "Fleisch" (ZDF, 1979) in genrespezifische Spannungsdramaturgien verpackt.
Literaturverfilmungen und "neue Helden"
Mehrteilige Literaturverfilmungen wie Lenz' "Deutschstunde" (2 Teile, NDR, 1971) oder Fontanes "Der Stechlin" (3 Teile, NDR, 1975) gehörten zu den fernsehtypischen Hervorbringungen dieses Jahrzehnts, die andere als sozialkritische Sichtweisen etablieren sollten. Der Mensch rückte stärker als bisher in den Fokus der Fernseherzählungen. Die Idee vom kollektiven Sozialen trat zugunsten der individuellen Erfahrung zurück. Eberhard Fechners dokumentarische Methode, mittels Zeitzeugen der deutschen Geschichte ein Gesicht zu geben, die er in Filmen wie "Klassenphoto" (NDR, 1971) und "Comedian Harmonists" (NDR, 1976) perfektionierte, spiegelte ein neues Verständnis von Subjektivität und Erkenntnis. Verlierer, Unangepasste, abseits der Gesellschaft stehende Figuren waren die neuen "Helden". Sie begegnen dem Zuschauer beispielsweise als Transvestit und debile Alte in Peter Beauvais' "Im Reservat" (ZDF, 1973) oder als desillusionierte "Jungs" in dem Obdachlosen-Drama "Die große Flatter" (3 Teile, WDR, 1979).
"Im familiären Kleinen das gesellschaftliche Große"
Regisseur Rainer Werner Fassbinder (links) bei Dreharbeiten in München 1980. (© AP)
Regisseur Rainer Werner Fassbinder (links) bei Dreharbeiten in München 1980. (© AP)
Im familiären Kleinen das gesellschaftliche Große aufscheinen zu lassen, war das Prinzip einiger populärer 1970er-Jahre-Produktionen. Unvergessen sind die Zweiteiler von Dieter Wedel um die Familie Semmeling: "Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims" (3 Teile, NDR, 1972) und "Alle Jahre wieder" (3 Teile, NDR, 1976). Sie handelten von den Versuchungen der Konsumgesellschaft, denen sich der Normalbürger nur schwer entziehen kann, und den ungewollten Verstrickungen bei der Realisierung seiner Wünsche. Wedel gelang es, in diesen Familiengeschichten das Alltägliche glaubwürdig zu schildern und seine Protagonisten nicht an den Spott des Zuschauers zu verraten. Ähnlich detailgenau schildert Eberhard Fechner in seinen nicht weniger unterhaltsamen Verfilmungen der Romane Walter Kempowskis, "Tadellöser & Wolff" (2 Teile, ZDF, 1975) und "Ein Kapitel für sich" (3 Teile, ZDF, 1979) das Alltagsleben einer Rostocker Reedersfamilie im Dritten Reich und in den ersten Jahren nach Kriegsende. Die Tonlage war ungewöhnlich: Fechner gelang eine realistische Satire mit literarisch-filmischer Pointierung.
Filme von Fassbinder und Lemke
Viel Beachtung fanden die außergewöhnlichen Fernseharbeiten von Rainer Werner Fassbinder. Die Kunst der Stilisierung und das Spiel mit dunklen Bildern trieb er allerdings in dem Science-Fiction-Zweiteiler "Welt am Draht" (WDR, 1973) und in der 14-teiligen Literaturverfilmung "Berlin Alexanderplatz" (WDR, 1980) so weit, dass ihm ein Großteil der Zuschauer nicht mehr folgen mochte.
Der Regisseur Klaus Lemke hingegen kultivierte in seinen Fernsehfilmen das Unperfekte: Mit seinen schonungslosen Sozialdramen mitten aus dem Milieu ("Rocker", ZDF, 1971) und seinen kultverdächtigen Volksstücken mit bayerischem Laiendarsteller-Flair ("Idole", ZDF, 1975; "Amore", WDR, 1977) stand er für die popkulturelle Vielfalt der 1970er Jahre.
Der Schauspieler Götz George als "Schimanski" (© picture-alliance, Eventpress)
Der Schauspieler Götz George als "Schimanski" (© picture-alliance, Eventpress)
Die westdeutsche Kriminalfilm-Reihe "Tatort" (ARD)
Innovativ war zu Beginn der 70er Jahre auch das Konzept wechselnder Ermittler im "Tatort". Die ARD-Reihe ist ein Kind des westdeutschen Föderalismus. Ermittelt wird zumeist in den Landes-Metropolen. Ursprünglich gar nicht als Reihe von dieser Dauer geplant, entstand diese nach einer Idee des WDR-Fernsehspielredakteurs Gunther Witte. Er bündelte einige Einzelfilme der ARD-Fernsehspielredaktionen zu einer eigenen Reihe, um der ZDF-Serie "Der Kommissar" mit Erik Ode etwas entgegenzusetzen. Nach dem ersten Erfolg wurde die Reihe systematisiert, so dass in den einzelnen Regionen der Bundesrepublik unterschiedliche Kommissare zum Einsatz kamen. Die ersten Kriminalfilme waren sehr auf die bundesdeutsche Realität bezogen. Sie bildeten durch die föderale Struktur die bundesdeutsche Gesellschaft in einer fast schon repräsentativen Weise ab. Bereits der erste Tatort "Taxi nach Leipzig", Erstausstrahlung in der ARD am 29.11.1970, thematisierte das deutsch-deutsche Verhältnis; Sturkopf Trimmel (gespielt von Walter Richter) ermittelte illegal im Osten. Besonders Kommissar Finke ("Reifezeugnis", 1977), der hoch im Norden ermittelte und Kommissar Haferkamp aus Essen kamen in den 1970er Jahren beim Zuschauer gut an. Schwer hatte es der Kölner Zollfahnder und 'Westentaschen-007' Kressin, aber auch Schimanskis Duisburger Rüpelart polarisierte. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) war Schimanski einer der erfolgreichsten Tatort-Kommissare überhaupt. Doch nicht nur bei den Ermittlern (z. B. "Tatort Münster") eröffnen die Vielzahl der beteiligten Sendeanstalten und die daraus resultierende große Anzahl an Redakteuren, Drehbuchautoren und Regisseuren dem Tatort bis heute eine große Bandbreite von Möglichkeiten bei Figuren, Drehorten und erzählten Geschichten. Anerkennung dafür sind nicht nur hohe Zuschauerzahlen, sondern auch die wiederholte Auszeichnung mit einem Grimme-Preis (z. B. 2015, 2014, 2011, 2009)