Redaktion Infodienst: Ende dieses Jahres läuft die Förderung für das Externer Link: KN:IX aus. Worin bestand eure Hauptaufgabe als KN:IX und welche Rolle habt ihr mit der BAG RelEx darin eingenommen?
Rüdiger José Hamm: Die Hauptaufgabe des KN:IX bestand darin, die Kompetenzen im Themenfeld Islamismusprävention zu bündeln, und gemeinsam im Verbund mit den Kolleg:innen von Violence Prevention Network (VPN) und ufuq ist uns das gut gelungen. Ufuq war für die Primärprävention zuständig, VPN für die Sekundär- und Tertiärprävention. Unsere Rolle war die Koordination des Ganzen, die Netzwerkarbeit, das Einbringen der Stimmen und Perspektiven unserer Mitgliedsorganisationen. Wir haben uns auch als eine dienstleistende Struktur verstanden, die versucht, dem Feld einen gewissen Rahmen zu bieten. So konnten wir Kolleg:innen, Fachkräften, der interessierten Fachöffentlichkeit und sogar der interessierten, nicht fachlichen Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, einen möglichst niedrigschwelligen Einblick zu erhalten.
Jamuna Oehlmann: Als Dachorganisation für die zivilgesellschaftliche Islamismusprävention haben wir dazu beigetragen, die Landschaft voranzubringen, indem wir neue Netzwerke geschaffen, Expert:innen zusammengebracht und Themen gesetzt haben. Gemeinsam mit unseren Partner:innen haben wir uns mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die jeder Träger mitbringt, wirklich gut ergänzt. Unser Ziel war, die diversen Perspektiven, Methoden, Ansätze und Qualitätsstandards in der Islamismusprävention zusammenzubringen, weiterzuentwickeln und diese einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet auch Austausch in unterschiedlichen Formaten und Veranstaltungen, in Netzwerkrunden, digital und in Präsenz. Dabei haben wir Bedarfe und Problemfelder identifiziert und den Transfer in Fachöffentlichkeit, Regelstrukturen, Wissenschaft und Politik geleistet.
Redaktion Infodienst: Wenn ihr auf die letzten fünf Jahre zurückblickt, welche Lücken habt ihr identifiziert?
Jamuna Oehlmann: Ich glaube, einer der Dauerbrenner ist die Unsicherheit in der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Etablierung nachhaltiger Strukturen. Fachkräfte haben uns in den jährlichen Online-Bedarfsabfragen immer wieder gespiegelt, dass die Arbeit davon unterbrochen wird, sich Gedanken um die Zukunft zu machen. Das werden wir auch mit einem neuen Projekt nicht so einfach lösen können, aber mit mehr Ressourcen und mehr Personal können wir die Interessenvertretung für die Zivilgesellschaft verbessern und ihre Anliegen besser in der Politik platzieren.
Auch die Radikalisierung, zusammenhängend mit Diskriminierung, und die Diskurse, die sich daraus ableiten, sind wiederkehrende Themen. Ich bin seit acht Jahren in der Islamismusprävention tätig und dachte, diese Themen seien ausreichend diskutiert worden. Aber weil wir mit einer hohen Fluktuation von Fachkräften im Arbeitsbereich konfrontiert sind, stehen diese Themen immer wieder auf der Tagesordnung. Hinzu kommen neue Trends und Unsicherheiten, die diskutiert werden wollen. Vor allem aber hat uns in der Externer Link: BAG RelEx und im KN:IX das Thema der Online-Radikalisierung und der Online-Prävention beschäftigt. Wir haben uns gefragt, wie man Online-Prävention verbessern kann. Dafür muss man analysieren, welche Angebote es bereits gibt und welche Akteur:innen online tätig sind. In diesem Feld gibt es großen Wissensbedarf seitens der Fachbereiche und der Zivilgesellschaft.
Rüdiger José Hamm: Dem stimme ich zu. Der Online-Bereich stellt eine große Herausforderung dar. Es handelt sich um neuere Kommunikationsformen, mit denen wir, die über das Teenageralter hinaus sind, hadern. Das hat natürlich auch mit Zielgruppenansprache und Arbeitsstrukturen zu tun, denn für den Onlinebereich gilt nicht „nine to five“, sondern „twenty-four seven“.
Ein weiteres Thema ist der Umgang mit Künstlicher Intelligenz, etwa in Bezug auf Kommunikation, Propaganda und mögliche Anwerbestrategien. Wir arbeiten bereits an diesen Themen und hoffen, dass wir diese auch gemeinsam mit Kolleg:innen in Zukunft wirklich angehen können. In Bezug auf Lücken, die wir identifiziert haben, haben wir auch den Wunsch der Zivilgesellschaft wahrgenommen, die eigene Arbeit in Form von Evaluation noch besser als wirksam nachzuweisen.
Jamuna Oehlmann: Das ist kein Thema, mit dem sich Leute unglaublich gerne beschäftigen. Aber der politische Druck ist spürbar und wir konnten als KN:IX auch im Rahmen der Kooperation mit dem Projekt PrEval
Redaktion Infodienst: Wir wollen gerne Bilanz ziehen mit euch. Was hat das KN:IX für die Landschaft der Islamismusprävention erreicht?
Jamuna Oehlmann: Aufgrund der Ressourcen, die uns zur Verfügung standen, hat das KN:IX auf jeden Fall zur Professionalisierung beigetragen. So konnten wir Akteur:innen zusammenbringen, zum Beispiel als BAG RelEx im Rahmen von KN:IX, und im Bereich der Online-Prävention Qualitätsstandards gemeinsam mit den Akteur:innen der Online-Prävention erarbeiten. Das war nur möglich, weil KN:IX für diesen zweijährigen Prozess der Erarbeitung der Standards und dem Austausch über Onlineprävention von einer Finanzierung profitierte und weil wir auch die wertvollen Impulse von VPN und ufuq in diesen Prozess einbinden konnten.
Als relativ kleine Organisationen und kleines Netzwerk, bestehend aus drei Trägern, waren wir auch in der Position, flexibel zu reagieren. Aber natürlich funktioniert das nur mit einem engen Draht zu den Akteur:innen, einfach anrufen und fragen, wer braucht was, wie können wir unterstützen. Besonders in der Corona-Pandemie war das hilfreich, weil wir in der Lage waren ad-hoc zu reagieren. Auch nach dem 7. Oktober 2023 haben wir die Trägerlandschaft in Krisenzeiten unterstützt. Das zeigt, dass wir einerseits an langfristigen Themen wie zum Beispiel Antisemitismus gearbeitet haben und gleichzeitig auch auf akute Bedarfe und Bedürfnisse unserer Mitgliedsorganisationen in Krisen eingegangen sind.
Wir haben darüber hinaus viele Maßnahmen umsetzen und Themen bearbeiten können. Dazu zählten zum Beispiel Fragestellungen wie „Wie umgehen mit Rückkehrer:innen aus dem IS?“ oder „Faktoren von Radikalisierung und Radikalisierungsprozesse bei Jugendlichen, die von Ungleichwertigkeit und Diskriminierung betroffen sind“. Das Portfolio war wirklich breit gefächert. Die Evaluation zeigt, dass wir uns in den fünf Jahren mit insgesamt 189 verschiedenen Themen befasst haben. Zur Bilanz gehören auch viele Leute, die im Hintergrund wichtige Arbeit leisteten, sowie knapp dreißig Podcast-Folgen, zig Publikationen und zahlreiche Veranstaltungen.
Rüdiger José Hamm: Mit unseren Maßnahmen haben wir Zehntausende Menschen erreicht und es freut uns sehr, dass wir dafür positives Feedback bekommen. Deswegen bin ich überzeugt, dass das KN:IX eine Lücke hinterlassen wird. Das merken wir auch an den Nachfragen, wie es mit uns und unseren Angeboten weitergehen wird. Das regt zum Nachdenken an. Den meisten Trägern mangelt es an den nötigen zeitlichen Ressourcen, um gewisse Themen zu besprechen. Und wie Jamuna eingangs gesagt hat, hatten wir das Glück, über genügende Ressourcen zu verfügen. Ich glaube, es ist unheimlich wichtig, Räume zu schaffen, um Themen weiterzuentwickeln. Vor allem am Nahostkonflikt sieht man, dass auf allen Seiten Bedarf besteht. Im Zuge dessen kann es sich auch lohnen, einen selbstkritischen Blick auf die eigenen Ansätze zu werfen und diese zu optimieren.
Wenn wir Bilanz ziehen, glaube ich, dass wir es geschafft haben, diese Debatten zu führen, ohne dass es bei diesen emotionalen Themen zu dramatischen Szenen kam. Daran merkt man auch, wie groß das Interesse der Menschen aus der Praxis ist, sich selbst und das Feld weiterzuentwickeln.
Redaktion Infodienst: An welchen Erfolg oder welches Ereignis im Rahmen des KN:IX denkt ihr besonders gerne zurück?
Jamuna Oehlmann: Für mich persönlich sind die schönsten Ereignisse die Präsenzveranstaltungen. Im Fall von KN:IX hat jeder der drei Träger einen großen Fachtag pro Jahr veranstaltet. Es ist immer ein Highlight, wenn Kolleg:innen, mit denen man während des Jahres Kontakt hatte, zusammenkommen, sich austauschen, Ideen entwickeln und wir sehen, wie die Netzwerkarbeit Früchte trägt.
Was ich auch als Highlight bezeichnen würde, ist die Arbeit mit dem KN:IX-Beirat. Die ist leider nicht so öffentlichkeitswirksam, weil Beiratssitzungen nur wenige Ergebnisse liefern, die man nach außen präsentieren kann. Aber alleine schon die engmaschige Vernetzung zwischen Akteur:innen der Prävention, bis hin zu Peter Neumann vom King's College, ist ein großer Erfolg.
Rüdiger José Hamm: Zu meinen Erfolgserlebnissen gehört auch, dass wir viele Anfragen erhalten, um als Ansprechpartner:innen zu fungieren. Das zeigt, dass Expertise gefragt wird und wir fachliche Perspektiven in die Diskussionen um Islamismusprävention einbringen können.
Jamuna Oehlmann: Ich würde noch ergänzen, dass wir als BAG RelEx auf jeden Fall einen Meilenstein in Bezug auf Interessenvertretung erreicht haben, unter anderem durch die Berufung in die Taskforce Islamismusprävention des Bundesinnenministeriums. Das ist Teil unserer Arbeit von KN:IX. Denn es ist klar: Islamismusprävention in Deutschland geht nicht ohne Zivilgesellschaft und dass es seitens des Innenministeriums Interesse an unseren Positionen gibt, ist auf jeden Fall ein Erfolg.
Redaktion Infodienst: Ihr habt es selbst schon angesprochen, ihr hinterlasst eine Lücke und erhaltet aktuell viele Anrufe und Mails mit der Frage, wie es weitergeht. Gibt es schon eine Perspektive, wie und in welcher Form die Expertise, die ihr im KN:IX gebündelt habt, in Zukunft fortgeführt werden kann?
Jamuna Oehlmann: Das ist natürlich ein bisschen skurril, weil wir uns als Dachorganisation im Rahmen von KN:IX immer dafür stark machen, langfristige Perspektiven für Präventionsarbeit zu ermöglichen und nachhaltig zu arbeiten. Und trotzdem sind wir genauso in diesem Dilemma gefangen, alle paar Jahre einen Projektantrag zu stellen und uns auf externe Faktoren verlassen zu müssen. Einerseits, dass es Projekte wie Demokratie leben! gibt, das neu ausgeschrieben wird, und andererseits, dass auch die Ergebnisse, die wir im Rahmen von KN:IX produziert haben, so sichtbar sind, dass klar wird: Ein Netzwerk ist auf jeden Fall notwendig. Ich würde sagen, das haben wir geschafft.
Wir haben einen Antrag gestellt und hoffen sehr, dass wir ab Januar nahtlos anknüpfen können. Wir können die Arbeit natürlich nicht in der gleichen Form weiterführen, aber weiterentwickeln. Die Erwartung an die Kompetenznetzwerke ist aber auch, dieses Jahr einen guten Abschluss zu finden und die Lücken, die identifiziert wurden, explizit mit der Bundeszentralen Infrastruktur
Redaktion Infodienst: Über die Jahre sind zahlreiche Handreichungen und Expertisen im Rahmen des KN:IX entstanden. Wie kann man in Zukunft auf diese Publikationen, aber auch auf das Angebot von KN:IX plus zum Monitoring einschlägiger Social-Media-Kanäle zugreifen?
Jamuna Oehlmann: Wir sind gerade im Gespräch, wie wir die Publikationen auch langfristig zur Verfügung stellen können, weil die Themen auch weiterhin topaktuell sind. Unsere Publikationen werden auf jeden Fall über Kanäle weiter abrufbar sein. Ich kann noch nicht genau sagen, wo, aber ich gehe davon aus, dass wir entweder auf der neuen Projektwebseite oder auf unserer Website von BAG RelEx auch eine Rubrik dafür einrichten werden.
Unser Podcast bleibt weiterhin auf Spotify und allen anderen gängigen Podcastplattformen verfügbar. Das vor allem an Praktiker:innen der Präventionsarbeit gerichtete Angebot von KN:IX plus soll auch weiterhin verfügbar bleiben. Da VPN unseren Arbeitskreis ab 2025 verlassen wird, werden wir mit einem anderen, im Monitoring erfahrenen Team zusammenarbeiten und das Angebot von KN:IX plus weiterentwickeln. Aktuell sind wir allerdings noch mit der Planung der neuen Projektwebsite beschäftigt und überlegen, in welcher Weise dort ein „neues“ KN:IX plus integriert werden kann. Wir sind gleichzeitig wehmütig, aber auch optimistisch, dass KN:IX und KN:IX plus in ihrer altbekannten Form zu Ende gehen werden. Wir sehen die neuen Veränderungen als Chance, uns stetig weiterzuentwickeln und innovative Konzepte zu erproben.
Redaktion Infodienst: Wir danken euch für das Gespräch.