Extremistische Akteur:innen greifen häufig aktuelle gesellschaftliche Debatten auf und nehmen diese zum Anlass, ihre Ideologie zu verbreiten. So zeigen Monitorings und Trend-Analysen empirischer Forschungseinrichtungen wie vom Modus – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung (modus | zad)
LGBTIQ*-feindliche Narrative in islamistischen Social-Media-Beiträgen
Es gibt charakteristische Argumentationen zu LGBTIQ*-Themen in den bekannten salafistischen und islamistischen Social-Media-Kanälen. Sie reichen von theologischen Argumentationen bis hin zu ideologisch-aktivistischen Inhalten und überschneiden sich oft.
a. Salafistische Narrative
Salafistische Akteure wie Ibrahim al-Azzazi, Abul Baraa (Islamcontent5778) oder Pierre Vogel thematisieren Homosexualität aus einer theologischen Perspektive heraus. Es geht um die Frage, ob Homosexualität im Islam erlaubt sei. Anhand von koranischen Versen begründen sie die Sündhaftigkeit von Homosexualität (für eine differenzierte Auseinandersetzung vgl. hierzu Klauda 2016, insbesondere S. 32-37 und Ghandour 2019, S. 70-78). Gleichzeitig betonen sie, dass Gedanken oder Gefühle zu einer gleichgeschlechtlichen Person von Gott nicht bestraft werden. Die Prüfung sei, den „Neigungen“ nicht nachzugeben. Dass dies im Rahmen des Möglichen sei, begründen sie mit dem Vers, dass Gott keiner Seele mehr aufgetragen habe, als sie tragen könne. Pierre Vogel geht einen Schritt weiter und sagt, dass auch ein Homosexueller, der seine Neigungen auslebt, Muslim sei, solange er anerkenne, dass dies im Islam eine Sünde sei (vgl. habibiflo 2023).
b. Narrative aus dem Hizb-ut-Tahrir-nahen Spektrum
Der Fokus der Externer Link: Hizb-ut-Tahrir-nahen Kanäle Generation Islam, Realität Islam sowie Muslim Interaktiv liegt hingegen auf der Konstruktion von „Wir–Ihr“-Gruppen, die mit einer moralischen Überlegenheit des Islams und der Muslim:innen und der moralischen Verwerflichkeit des „Westens“ verbunden wird (diese Narrative finden sich auch in Instagram-Beiträgen dieser Social-Media-Kanäle. Eine Analyse dazu finden Sie im im bpb-BeitragExterner Link: Islamistische Stimmungsmache in den Sozialen Medien). Daran schließt die Warnung vor dem Verlust der muslimischen Identität durch die vermeintliche „LGBTQ-Agenda“ an. Einzig der Zusammenschluss aller Muslim:innen und das Festhalten an den islamischen Moralvorstellungen würden vor diesen Gefahren sowie dem Assimilationsdruck schützen. Die Aufhänger für die jeweiligen Videos bilden in Politik und Medien kontrovers diskutierte Ereignisse, wie die Eröffnung der ersten LGBTIQ*-Kindertagesstätte in Berlin. Das Ereignis wird mit Schlagzeilen aus Tageszeitungen, zumeist der BILD, skandalisiert, um anschließend die Gefahr durch die „große LGBTQ-Lobby“, den „Westen“ oder den „totalitären Liberalismus“ hervorzuheben (Generation Islam 2022a, 3:48). Die Videos enden mit einem Aufruf an alle Muslim:innen, als Gemeinschaft zusammenzustehen und die „islamische Identität“ zu beschützen, denn die „LGBTQ-Agenda“ mache nicht „Halt vor unseren Kindern“ (Generation Islam 2023, Realität Islam 2022). Gerade Muslim Interaktiv zeichnet sich durch eine abwertende und verachtende Haltung gegenüber LGBTIQ*-Personen aus: „Homosexuelle oder bisexuelle Praktiken“ seien im Islam „absolut verboten“, und der „Westen“ wolle „diese abscheulichen Praktiken“ unter den muslimischen Jugendlichen „normalisieren“ (Muslim Interaktiv, TikTok 2023). Ein weiteres Charakteristikum der islamistischen Ansprache ist die Thematisierung der ‚westlichen‘ „Doppelmoral“ und die Konstruktion eines Opfernarrativs. Am Beispiel des Selbstbestimmungsgesetzes für trans-, inter- und nichtbinäre Personen und der Möglichkeit, auch als sehr junge Person Pubertätsblocker einnehmen zu können, wird die vermeintliche Haltung der Bundesregierung gegenüber kopftuchtragenden jungen Musliminnen „entlarvt“. Der Vorwurf: Die Bundesregierung traue transgeschlechtlichen Kindern zu, eine irreversible Entscheidung treffen zu können, jungen Musliminnen aber nicht, das Kopftuch freiwillig tragen zu wollen (Muslim Interaktiv TikTok 2023; Generation Islam YouTube 2022b).
Der islamistische Kanal Realität Islam fällt in seinen Videos verstärkt damit auf, muslimische Aktivist:innen, Islamwissenschaftler:innen oder Träger der Präventionslandschaft zu diffamieren. So wird beispielsweise die muslimische Dragqueen und Aktivist:in kweengypsy
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl LGBTIQ* als auch der Feminismus als Gefahr für die „islamische Identität“ angesehen werden. Jede Art von Sexualität jenseits von Heterosexualität gilt im Verständnis islamistischer Akteur:innen als Symbol moralischen Werteverfalls und gefährdet gemeinsam mit dem Feminismus die natürliche Geschlechterordnung und damit die traditionelle Familie. Angesichts dieser Gefahren müsse das Bewahren der „islamischen Identität“ an erster Stelle stehen, was durch eine vermeintliche „LGBT*-Lobby“ und die „Assimilationsagenda“ der Bundesregierung aktiv verhindert werde. Die Ablehnung von LGBTIQ*-Personen und Feminist:innen wird somit als notwendiger Kampf gegen die Assimilation und als unumgänglicher Kampf für den Erhalt der muslimischen Identität inszeniert.
c. LGBTIQ*-feindliche Influencer
Solche Narrative sind nicht nur unter Islamist:innen weit verbreitet, sondern auch unter Rechtsextremist:innen (Hintergrundinformationen finden Sie im bpb-Beitrag Externer Link: Frauen- und Queerfeindlichkeit). In Weißenfels, Sachsen-Anhalt, wurde beispielsweise der erste Christopher Street Day durch Rechtsextremist:innen gestört, die den Hitlergruß zeigten und rechtsradikale Parolen riefen (mdr Sachsen-Anhalt 2023). Je sichtbarer die vielfältigen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten werden, desto mehr nimmt LGBTIQ*-Feindlichkeit in der der Gesellschaft zu. Überdies handelt es sich hierbei um kein Phänomen des extremistischen Randbereichs. LGBTIQ*-Feindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet und hat im Laufe weniger Jahre signifikant zugenommen (Kalkstein u. a. 2022, S. 253). In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, wie eng LGBTIQ*-Feindlichkeit mit Sexismus und weiteren Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit korreliert (ebd.).
Wie sehr auch Jugendliche für LGBTIQ*-feindliche und sexistische Narrative anfällig sein können, zeigt das Beispiel des berühmten Influencers und ehemaligen Kickboxers Andrew Tate. Tate hat sich mit Motivationsvideos zu Fitness, Finanzen und Frauen, in denen er sich LGBTIQ*-feindlich äußert, eine große Anhängerschaft aufgebaut. Auf X (ehemals Twitter) hat er 7,7 Millionen Follower:innen (Stand 25.08.2023), und auf TikTok wurden bis August 2022 Videos mit dem Hashtag „#Andrew Tate“ mehr als 13 Milliarden Mal aufgerufen (Huber 2023). Mit seiner Mischung aus toxischer Männlichkeit
Tate bekannte sich zwar zum Islam und inszenierte sich in den Sozialen Medien als praktizierender Muslim, aber tatsächlich wandte er sich dem Islamismus zu. Vor allem, weil er in ihm eine Entsprechung zu seinen LGBTIQ*- und frauenfeindlichen Ansichten gefunden hat. Es verwundert auch nicht, dass Tate in der islamistischen Szene als neuer Bruder herzlich willkommen geheißen wird. Generation Islam, beispielsweise, lobt in einem Reaction-Video
Was macht LGBTIQ*-Feindlichkeit für Jugendliche attraktiv?
In erster Linie bieten islamistische, ebenso wie andere extremistische und populistische Akteur:innen auch, einfache Antworten auf komplexe Fragen. Und nicht nur Jugendliche, sondern auch Männer und Frauen beschäftigen sich mit Fragen zu ihrer Rolle: Was bedeutet es in der heutigen Zeit, ein Mann bzw. ein feministischer Mann zu sein? Auch Frauen stellen sich weiterhin die Frage, ob sie eine ‚Rabenmutter‘ sind, wenn sie sich auf ihre Karriere fokussieren. Und je nach sozialem Milieu und Beruf können die Antworten sowie gesellschaftlichen und familiären Erwartungen unterschiedlich ausfallen. Indes werden auf den sozialen Plattformen, in Werbung, Filmen und Serien weiterhin traditionelle Rollenbilder vermittelt. Laut einer Untersuchung von Plan International verstärkt die intensive Nutzung sozialer Medien bei Jugendlichen die Zustimmung traditioneller Geschlechterrollen, wie die der Hausfrau oder des Familienernährers (Brandao et al., 2019, 5).
Zusätzlich bildet, laut der Soziologin Manuela Boatca (2004), vor allem für männliche Jugendliche aus prekären Milieus das Prinzip «Unterdrücken oder Unterdrückt-Werden» die letzte Möglichkeit eines positiven Selbstkonzepts. Oftmals haben sie keinen Zugang zu Ressourcen, die ein Ausprobieren, Neu-Denken oder Aufweichen „männlicher“ Identität ermöglichen. Gerade im Umgang mit Konfliktsituationen sind die Kommunikationsstrategien jener jungen Männer eingeschränkt, weswegen sie sich durch dominantes oder aggressives Verhalten durchzusetzen versuchen (vgl. Wippermann 2022, 234-252). Junge Männer als auch junge Frauen aus sozial prekären Milieus mit niedrigen Bildungsabschlüssen erfahren in den traditionellen Rollen eine Aufwertung, weshalb diese besonders attraktiv erscheinen. So beobachten wir in unserer Arbeit mit Jugendlichen, dass sie sich von der dominanten Männlichkeitsdarstellung, welche sich nicht dem Feminismus beugt, angezogen fühlen. Nach ihrer Vorstellung möchte der Feminismus Männer unterdrücken und zurechtweisen, sie sozusagen ‚entmännlichen‘ und Frauen zwingen, sich gegen ihre ‚Natur‘ für Karriere und gegen Kinder zu entscheiden.
Untersuchungen zu jungen Frauen sind zwar weniger umfangreich, machen aber deutlich, dass auch hier die Klarheit und Eindeutigkeit der Geschlechterrollen die Attraktivität ausmacht. Wie Baron et al. (2023) aufzeigen, scheinen – ähnlich wie bei jungen Männern – die schwer miteinander zu vereinbarenden gesellschaftlichen Rollenerwartungen (erfolgreiche Karrierefrau, attraktive Partnerin, gute Köchin, engagierte Mutter, Hausfrau und Interior-Expertin) die Idealisierung und Akzeptanz traditioneller Geschlechterrollen zu begünstigen. Anstatt sich mit den vielfältigen Möglichkeiten und den damit einhergehenden Herausforderungen auseinandersetzen zu müssen, bieten islamistische und vor allem salafistische Narrative eine klare Orientierung, die mit einer Aufwertung der Geschlechterrollen einhergeht. Die junge Frau kann sich ausschließlich auf ihre Ehe, die Hausarbeit und Mutterschaft konzentrieren. In ihrem Reich ist sie die Königin. Auch der junge Mann hat seine Verantwortlichkeiten und Aufgaben. Er ist der Ernährer und Beschützer. Die Aufwertung der traditionellen Familie, verbunden mit einer religiösen Gesellschaftsordnung, führt dazu, dass andere Lebensentwürfe und Familienmodelle, z. B. bestehend aus zwei Vätern, ihre Daseinsberechtigung verlieren. Die Klarheit und Eindeutigkeit der Rollenerwartung werden mit dem Wegfall individueller Freiheit erkauft.
Es zeigt sich also, dass die Attraktivität salafistischer und islamistischer Ansprachen im Kontext sexueller Identität, weniger in ihrem konkreten Inhalt zu suchen ist, sondern vielmehr in ihrer Verheißung, eindeutige Formen sexueller Identität und damit eindeutige Familienbilder zu schaffen. Die Aversionen, welche LGTBIQ* im Allgemeinen entgegengebracht werden, speisen sich demzufolge weniger aus den konkreten Ausformungen der einzelnen Lebensentwürfe an sich, sondern vielmehr daraus, wofür sie stehen: Eine Aufweichung bestehender sexueller Identitätskonzepte, verbunden mit einer Pluralisierung von Lebensentwürfen und Familienmodellen, welche zum einen mehr Vielfalt und Freiheit bedeuten, aber viele Jugendliche offenbar auch verunsichern und herausfordern. Präventionsarbeit muss jener Verunsicherung Rechnung tragen und die Herausforderungen für die Jugendlichen ernstnehmen, damit Jugendliche die zunehmende Fluidität der Geschlechterrollen nicht als Risiko, sondern als Chance erkennen können.
Ansätze der Präventionsarbeit – Bindung kommt vor Bildung
In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargelegt, welche Bedürfnisse Influencer wie Andrew Tate oder salafistische und islamistische Akteure bei jungen Menschen – insbesondere jungen Männern – ansprechen. Sie geben auf komplexe Fragen einfache Antworten. Dabei sind die Fragen, die sie stellen, legitim. Genauso sind die von ihnen benannten Herausforderungen für junge Menschen in der Regel nicht von der Hand zu weisen. Doch ihre Antworten propagieren ein „Wir“ gegen „Die“. Sie sehen in den Emanzipationsbewegungen und der damit einhergehenden Aufweichung traditioneller Rollenkonzepte keinen Zugewinn an Freiheit, sondern eine Gefahr. So kommen Jugendliche auf den sozialen Plattformen von Fragen zu Geschlechterrollen sowohl auf islamistischen und rechtsextremistischen Seiten als auch auf Seiten von Influencern wie Andrew Tate schnell mit LGBTIQ*- und frauenfeindlichen Inhalten in Berührung. Daher ist es in der pädagogischen Arbeit wichtig, mit jungen Menschen genau zu solchen Themen ins Gespräch zu kommen. Den Jugendlichen muss ein Raum geboten werden, ihre Fragen zu stellen und über ihre Bedenken sowie Sorgen bezüglich ihrer sexuellen Orientierung oder Identität sprechen zu können. Allgemein sollte in der pädagogischen Arbeit in erster Linie ein offenes und wohlwollendes Gespräch im Vordergrund stehen. Räume zu schaffen, damit Jugendliche über Werte, Freundschaft und Partnerschaft diskutieren und sich austauschen können, kann hilfreich sein; genauso wie der Austausch zu Fragen wie, „Für welche Werte stehst du?“, „Welche Werte sind dir in einer Freundschaft wichtig?“ und „Wie wollen wir leben?“. Und falls Jugendliche auf diese Fragen mit einer Antihaltung reagieren, geht es in erster Linie darum, das Motiv der Jugendlichen nachzuvollziehen. Worum geht es? Was steckt hinter der Antihaltung? Ist es möglicherweise Provokation, Protest oder bereits Propaganda? Dabei sollten die Jugendlichen nicht beschämt werden.
Geschlechtersensible pädagogische Ansätze
Eine große Herausforderung beim Aufwachsen ist die eigene Geschlechtsidentität auszubilden und sich mit der eigenen sexuellen Orientierung auseinanderzusetzen. Dabei können die gesellschaftlichen und auch familiären Erwartungen die Jugendlichen herausfordern. Was macht eine Frau*, einen Mann* aus? Wo stehe ich, wo gehöre ich hin? Jugendliche wünschen sich Orientierung. Die bis heute vorherrschenden geschlechterbezogenen Stereotype und sexistischen Zuschreibungen in Bildung, Kultur, Medien und Politik bilden ein gesellschaftlich akzeptiertes Fundament, an das verschiedene Akteur:innen mit ihren biologistischen und antifeministischen Narrativen Anschluss finden können. Es bedarf mehr pädagogischer Angebote, bei denen Jugendliche geschlechterbezogene Stereotype, Geschlechterverhältnisse sowie geschlechterspezifische Ungleichheiten reflektieren und sich Wissen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie zu geschlechtersensibler Sprache aneignen können, die inklusiv und nicht-diskriminierend ist. Zudem braucht es einen Raum, in dem Jugendliche über Männlichkeit ins Gespräch kommen. Ohne eine positiv konnotierte Projektionsfolie können sie die Kritik an „toxischer” Männlichkeit als persönlichen Angriff wahrnehmen und das Gefühl bekommen, es sei falsch, so zu sein, wie sie sind. Wie Boatca (2004) gezeigt hat, bietet das traditionelle Männerbild gerade Jugendlichen aus prekären Milieus eine der letzten Ressourcen für Selbstwirksamkeit. Folglich braucht es eine Diskussion über Männlichkeit. Wenn beispielsweise Männlichkeit mit Stärke assoziiert wird und dadurch attraktiv erscheint, kann Stärke als Wert beibehalten werden. Gleichzeitig sollten deren Ausformungen wie Dominanz, Autoritarismus und Gewalt infrage gestellt und mit alternativen Assoziationen wie Hilfsbereitschaft oder Resilienz verknüpft werden. Der kritische und reflektierte Umgang mit festgeschriebenen Rollenmustern kann Jugendlichen dabei helfen, sich von starren Identitätskonzepten zu lösen und eine ihren Bedürfnissen entsprechende sexuelle Identität zu entwickeln. Die Kategorie LGBTIQ* bietet durch ihre „Aufweichung“ starrer Geschlechterrollen durchaus eine Aussicht auf neue Möglichkeiten der Identitätskonzeption. Gleichzeitig braucht es für cis-Jungen, aber auch für cis-Mädchen
Gleichzeitig ist die Geschlechtsidentität tief im Selbstkonzept verankert und wirkt damit auch emotional stabilisierend. Das heißt, Jugendliche könnten durch derartige pädagogische Angebote dazu angeregt werden, gegen die Intuition ihrer Emotionen zu handeln. Diese Intuition beruht auf Handlungs- und Deutungsmustern, welche während der Sozialisation in einer konkreten Lebenswelt verinnerlicht wurden und sich dort als funktional erwiesen haben. Es ist in der pädagogischen Arbeit also notwendig, zu reflektieren, inwieweit die aufgezeigten Alternativen sich in der Lebenswelt jener Jugendlichen überhaupt realisieren lassen. Ebenso stellt sich die Frage, was Jugendliche dazu bewegen sollte, ein alternatives Identitätskonzept von „Männlichkeit“ anzunehmen, wenn ihr bisheriges dominantes Verhalten legitim und obendrein erfolgreich ist. Es bedürfte hier neben dem Aufzeigen von Alternativen auch einer Förderung der Ambiguitätstoleranz.
Medienkompetenz fördern
Jugendliche verbringen inzwischen einen Großteil ihrer Freizeit auf sozialen Plattformen. Dort kommen sie nicht nur in Kontakt mit Influencer:innen, die Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika bewerben, sondern auch mit Inhalten und Fake News von extremistischen Gruppen. Umso wichtiger ist es daher, die Medienkompetenz von Jugendlichen zu fördern, sodass sie Inhalte einordnen und kontextualisieren sowie Fake News und Verschwörungserzählungen erkennen können. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, mit Jugendlichen über Influencer:innen ins Gespräch zu kommen und ihnen zu verdeutlichen, dass sie letztendlich Unternehmer:innen sind und in erster Linie an ihren Follower:innen Geld verdienen wollen, auch wenn sie diese direkt ansprechen und sich als Freund:in inszenieren. Ebenso fördert ein Austausch darüber, warum sie gerade diesen Influencer:innen folgen und ob sie die Inhalte mit ihren eigenen Wertvorstellungen vereinbaren können, die kritische Reflexion. Gemeinsam kann nach weiteren (alternative) Influencer:innen gesucht werden, die lebensweltorientierte Inhalte posten, aktiv sind und ebenfalls eine hohe Reichweite haben.
Auch das Thema Hate Speech ist weiterhin aktuell. Laut Studien nehmen Jugendliche auf sozialen Plattformen regelmäßig hasserfüllte Kommentare wahr (vor allem in Bezug auf sexuelle Orientierung), wodurch sie sich selbst nicht mehr trauen, ihre Meinung öffentlich zu teilen (mpfs, JIMplus 2022). Hier bedarf es vor allem einer Aufklärung über Beratungs- und Meldestellen und der gemeinsamen Erarbeitung von Handlungsstrategien, damit Jugendliche reaktionsfähig sind, wenn sie auf den sozialen Plattformen beleidigt und bedroht werden.
Alle aufgeführten Punkte zeigen, wie wichtig es geworden ist, die Diskurse bezüglich sexueller Identität mit Jugendlichen zu führen und hierbei auch stets im Blick zu behalten, wie diese Diskurse auf den sozialen Plattformen geführt werden; denn dort verbringen Jugendliche einen Großteil ihres Alltags. Die Narrative um sexuelle Identität in den Sozialen Medien prägen das Normverständnis bezüglich der Geschlechterrollen von Jugendlichen entscheidend mit.
Zugleich ist für die pädagogische Arbeit ebenfalls von Bedeutung, die Lebenswelt zu berücksichtigen, in welcher die Jugendlichen sozialisiert werden. Denn hierdurch prägen sich jene Deutungs- und Handlungsmuster aus, auf deren Grundlage die Jugendlichen wiederum die Beiträge in den Sozialen Medien beurteilen. Genau hier muss die pädagogische Arbeit jedoch einen sensiblen Umgang mit den unterschiedlichen Wertvorstellungen finden und selbstkritisch reflektieren, von welcher (normativen) Grundlage sie selbst ausgeht. Erst, wenn es pädagogischer Präventionsarbeit gelingt, nicht einfach ein vermeintlich ‚richtiges‘ Werteverständnis vorzugeben und offensichtlich darauf hinzuarbeiten, sondern stattdessen Räume zu schaffen, in denen Jugendliche über Werte, Freundschaft und Partnerschaft diskutieren und sich austauschen können, fühlen sich Jugendliche ernst genommen; und erst wenn Jugendliche sich ernst genommen und wertgeschätzt fühlen, haben pädagogische Fachkräfte eine Chance, auch diese Jugendlichen zu erreichen.