In den letzten Jahren sind Computerspiele und die Gaming-Community verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten, insbesondere im Kontext der Rechtsextremismusforschung und -prävention (vgl. u.a. Baeck/Speit 2020; Hoang/Prinz 2021). Das geschah nicht zuletzt, weil sich bei einer Reihe von Attentätern – Anders Breivik, David Sonboly, Stephan Balliet
Weit weniger bekannt sind – jenseits der vielzitierten „Call of Duty“-Ästhetik der Videos des „Islamischen Staats“ (IS) – die Versuche von Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus, sich Gaming zu Propagandazwecken nutzbar zu machen. Zwar widmete sich in den letzten zehn Jahren eine Reihe von Forscher:innen verstärkt dieser Thematik (vgl. u. a. Al-Rawi 2016; Dauber et al. 2019; Lakomy 2019; 2021; Rauscher 2020; Schlegel 2020). Der Fokus der Forschung lag dabei allerdings überwiegend auf den Medienstrategien des „IS“. Andere Gruppierungen wie zum Beispiel al-Qaida, Externer Link: Hizb ut-Tahrir oder Hisbollah sowie diesen nahestehende Akteur:innen in Europa wurden seltener in den Blick genommen. Zudem wird die Frage, wie sich der Einsatz von Gaming-Elementen mit den strengen religiösen Regeln im islamisch begründeten Extremismus verträgt, oftmals nur gestreift. Diese Frage ist aber nicht unerheblich, da Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus einen ganz anderen Bezug zu „Jugendkulturen“ und jugendlichen Lebenswelten haben als Akteur:innen des Rechtsextremismus.
Islamisch begründeter Extremismus und jugendliche Lebenswelten
Das Verhältnis des islamisch begründeten Extremismus zu Jugend und Jugendkulturen ist ambivalent: Einerseits nutzen sie Social Media, um ihre Botschaften zu verbreiten. So ist beispielsweise der „Islamische Staat“ bekannt für den souveränen Einsatz von (sozialen) Medien (vgl. Hegghammer 2017). Aber auch andere islamistische Gruppierungen oder Hizb-ut-Tahrirnahe Gruppen eignen sich jugendkulturelle Symboliken und Ästhetiken an. Die an Shooter-Games erinnernde Videoästhetik des „IS“, die Comic-Erklärvideos des YouTube-Kanals von Generation Islam oder auch die in Stencil-Optik gehaltenen, also an Schablonen-Graffiti erinnernden Flyer der „Nicht ohne mein Kopftuch!“-Kampagne von Generation Islam sind Beispiele. Themen, die Jugendliche interessieren, werden häufig von diesen Gruppierungen angesprochen, wie zum Beispiel Beziehungen, Handynutzung, Familie usw. Im Unterschied zum Rechtsextremismus kam es allerdings nie zu einem Versuch einer „Übernahme“ ganzer Jugendkulturen. Wohl auch, weil Vertreter:innen des islamisch begründeten Extremismus „typischen“ Elementen jugendlicher Lebenswelten, wie Musik, Partys, Sex, Drogen, Alkohol sowie Kleidungs- und Frisurexperimenten weit ablehnender gegenüberstehen als die rechten Szenen dies tun (vgl. u. a. die Aussagen von Baraa 2018; Generation Islam 2014; Generation Islam 2023). Bemerkenswert ist zum Beispiel an dem Video „TikTok in Deutschland“ von Generation Islam (2023), dass der „westliche“ Jugendbegriff einem vermeintlich islamischen Jugendbegriff gegenübergestellt wird: Im Westen würden Jugendliche viele Freiheiten genießen und trügen keine Verantwortung. Im Islam hingegen seien Jugendliche wichtig und noch mehr als ältere Menschen angehalten, Gesellschaft zu gestalten. Zugleich stecke in Jugendlichen, gerade aufgrund ihres Mutes, enormes Potenzial – weshalb Jugendliche auch schon immer eine große Rolle für den Aufruf zum Islam gespielt hätten. Das Verbot von Partys, Drogen und Sex geht also einher mit dem Angebot, tatsächlich als wichtige und ernstzunehmende Persönlichkeit angesehen zu werden – ein Angebot, das zweifellos viele Jugendliche anspricht.
Von einigen Akteur:innen aus dem islamisch begründeten Extremismus werden die Begriffe Jugend, Teenager und Jugendkultur als „westliche“ Begriffe problematisiert oder gar abgelehnt. In ihren Darstellungen ist das auffällige Verhalten von Jugendlichen gesellschaftlich bedingt. Mit dem Begriff „Teenager“ und den damit verknüpften Vorstellungen würden junge Menschen geradezu die Erlaubnis erteilt bekommen sich auszuprobieren. Das aber sei nichts anderes als ein Produkt der kapitalistischen Konsumgesellschaft, die in Jugendlichen eine Kundengruppe entdeckt habe (vgl. Generation Islam 2019b).
Tatsächlich stimmt der Befund, dass sich die Begriffe Jugend und Jugendkultur erst im Europa und den USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts entwickelten, und zwar im Kontext der Gefängnisseelsorge und Jugendfürsorge. Es sind also keine überhistorischen oder wertfreien Begriffe. Gleichwohl verweist gerade der Entstehungskontext darauf, dass mit „Jugend“ vor allem in den ersten Jahrzehnten „Problemjugend“ gemeint war und nach wie vor das „Ausprobieren“ auch in westlichen Gesellschaften nicht uneingeschränkt positiv betrachtet wird (vgl. Roth 1983; Savage 2021). Die von Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus vorgebrachte Kritik lässt ihren Zweck erkennen: Jugendliche haben sich den Erwartungen der Erwachsenen und der „Tradition“ zu beugen, sie sollen sich für die Religion (auf-)opfern und nicht in einer Phase der Rebellion verschiedene Lebensentwürfe ausprobieren. Warum insbesondere soziale Medien bei aller Ablehnung dennoch genutzt werden, begründet ein Vertreter von Generation Islam damit, dass es illusorisch sei zu glauben, muslimische Jugendliche wären nicht auch zum Beispiel auf TikTok unterwegs. Daher würde es darauf ankommen, auf der App mit islamischen Inhalten präsent zu sein (vgl. Generation Islam 2023)
Islamisch begründeter Extremismus und Gaming
Die Vorteile eines Einsatzes von Games(-Elementen) bei der Ansprache junger Menschen sehen daher auch Vertreter:innen des islamisch begründeten Extremismus. Dennoch ist das Verhältnis zu Gaming und zur Nutzung der Games-Kultur ambivalent. Auf Social Media aktive Akteur:innen im Bereich des islamisch begründeten Extremismus vertreten dabei Einstellungen, die sich bereits seit über 20 Jahren sowohl auf englischsprachigen (vgl. z.B. islamqa.info 2012) als auch auf deutschsprachigen Fatwa-Seiten finden lassen (vgl. u. a. Fatwa-Zentrum o.D.; Fragen an den Islam 2016), die als extrem konservativ oder als Wegbereiter des islamisch begründeten Extremismus gelten.
Demzufolge gehört Gaming neben Filmen, Serien und Popmusik erst einmal zu den abzulehnenden Entgleisungen der westlichen Welt, die gar als fitna (Glaubensabfall, Sünde) eingeordnet werden (vgl. Baraa 2016; 2021; Generation Islam 2019a; El-Kamili 2020; Ibrahim 2021). Tatsächlich werden teilweise schon Kartenspiele, Würfelspiele und auch Schach oder Tavla
Spiele für muslimische oder muslimisch gelesene Gamer:innen?
Nicht nur islamische Rechtsgelehrte oder Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus treibt die Frage nach dem Verhältnis von Islam und Gaming-Kultur um. Auch muslimische – oder muslimisch gelesene – junge Menschen weltweit beschäftigen sich mit der Frage, wie und wo sie sich in der Gaming-Kultur verorten können (vgl. Halter 2006). Da Spiele – insbesondere die kostenintensiven sogenannten Triple A Games – vor allem in westlichen Staaten entwickelt werden und die Branche trotz positiver Entwicklungen in den letzten Jahren nicht gerade als diversitätssensibel gelten kann (vgl. Malkowski & Russworm 2017), bieten insbesondere Shooterspiele und RPGs (Role Playing Games mit komplexer Geschichte und Figurenentwicklung) in den allermeisten Fällen wenig Identifikationspotenzial für sich als muslimisch verstehende und von antimuslimischem Rassismus betroffene Menschen.
Meme, das auf dem Discord-Server „Muslim Enhancement“ geteilt wurde. Der porträtierte „Chad“ spielt keine Spiele, in denen die US-Armee als „die Guten“ dargestellt werden.
Meme, das auf dem Discord-Server „Muslim Enhancement“ geteilt wurde. Der porträtierte „Chad“ spielt keine Spiele, in denen die US-Armee als „die Guten“ dargestellt werden.
Im Gegenteil: In den meisten Shooter-Games ist der spielbare Charakter ein US-amerikanischer Soldat, muslimisch gelesene Personen tauchen als Feinde auf. Ausnahmen stellen die Spiele „Counter Strike“ und „Insurgency“ dar, welche es ermöglichen, neben den „Sicherheitskräften“ auch die „Rebellen“ (im Spiel „Counter Strike“: „Terroristen“
Prominentes Thema von Spielen, die sich dezidiert an muslimisch gelesene bzw. arabische Spieler:innen richten, ist der Israel-Palästina-Konflikt. Dazu gehören „Stone Throwers“ (2001), „Under Ash“ (2001) und „Under Siege“(2011) sowie das Spiel „Fursan al-Aqsa: Knights of the Al-Aqsa Mosque“
Spielwelten des islamisch begründeten Extremismus
Auch die Spiele, die von Gruppierungen des islamisch begründeten Extremismus entwickelt werden, setzen oftmals auf eine Umkehr der Machtverhältnisse, so etwa das bereits erwähnte Spiel „Special Force“ (2003), das von der Hisbollah entwickelt wurde (vgl. Danon/Eilat 2007; Tawil Souri 2007). Das Spiel verspricht „eine Schlacht, die den Anfang vom Ende der Existenz der Zionisten darstellt“ und „den Mythos der unbezwingbaren Armee zertrümmert“. Damit sind diese Spiele vor allem mit antisemitischen Narrativen aufgeladen. Jugendliche spricht das wie bereits beschrieben an, was möglicherweise nicht nur die Attraktivität der Hisbollah in ihren Augen erhöht, sondern auch die Bereitschaft, außerhalb des Spiels gegen die „Feinde“ zu kämpfen (vgl. Harnden 2004). Die meisten Spiele im Kontext des islamisch begründeten Extremismus wurden kurz nach der Jahrtausendwende entwickelt, überwiegend von al-Qaida. 2006 nutzte al-Qaida Gaming, indem sie den Shooter „Quest for Saddam“ in ein Spiel namens „Quest for Bush“ umwandelten und das Setting einfach umdrehten. 2008 nahm der Künstler Wafaa Bilal weitere Modifikationen an dem Spiel vor und nannte es „Night of Bush Capturing – a Virtual Jihadi“ (vgl. al-Rawi 2016). Darüber hinaus wurden die Spiele „Ummah Defense“ 1 und 2 sowie „Maze of Destiny“ produziert. Spielziel von „Ummah Defense“ ist die Errichtung eines weltweiten Kalifats, welches die Ummah vereint. „Ungläubige“ wird es in dieser Welt nicht mehr geben (vgl. Souri 2007; Brachman 2006). Auch die Hisbollah produzierte neben „Special Force“ andere Spiele, so etwa „Holy Defense“ (2018). Inhalt dieses Spiels ist die Verteidigung von Heiligtümern gegen den „IS“ in Syrien einerseits und die Verteidigung gegen „das amerikanisch-zionistische Projekt“ andererseits.
Das Spiel „Huruf“ (Buchstaben) wird dem „IS“ zugerechnet, wobei es sich hier weniger um ein Unterhaltungsspiel handelt, als mehr eine Lern-App, die mit Gamification – also spielerischen Elementen, die die Motivation erhöhen – arbeitet. Zu diesen spielerischen Elementen gehört das Feature, dass Spieler:innen bei erfolgreichem Absolvieren von Lektionen die „Belohnung“ erhalten, im Spiel eine Großstadt wie Berlin, Paris oder New York zu bombardieren und sich dafür feiern zu lassen (vgl. Rauscher 2020). Vom „IS“-Ableger im Maghreb wurde das Spiel „Muslim Mali“ herausgegeben, indem es darum geht, in einem mit „IS“ markierten Flugzeug über die Wüste zu fliegen und so viele französische Flugzeuge wie möglich abzuschießen, bevor man selbst stirbt. Am Spielende wird der Spieler als Märtyrer des Dschihad gepriesen (vgl. Servais 2016; Deridder/Servais 2023).
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Spiele und Modifikationen von dschihadistischen Gruppierungen zum einen produziert werden, um Gegen-Narrative (z. B. die Hisbollah als Verteidiger des Glaubens und der Region) zu verbreiten beziehungsweise zu unterstützen und damit vor allem junge als muslimisch gelesene Menschen abzuholen. Zum anderen werden die Spiele aber auch teilweise zu Rekrutierungszwecken genutzt.
Computerspiel-Ästhetik und Modifikationen
Jenseits von konkreten Spielen existieren vor allem diverse Videos und Memes, die die Bildästhetiken von Computerspielen aufgreifen, schwerpunktmäßig im Umfeld des „IS“. Von Gaming-affinen Jugendlichen, die sich bereits im Hinwendungsprozess zum islamisch begründeten Extremismus befinden, werden bestimmte Spielwelten als anziehend empfunden. So scheint zum Beispiel das Spiel „Insurgency“ beliebt zu sein, vor allem da darin, wie bereits erwähnt, die Möglichkeit besteht auch Milizen zu spielen, die an die Taliban oder al-Qaida erinnern. Die auf der Plattform Steam aktive Gruppe „Female Muslim Gamers“ kommentierte das Spiel so zum Beispiel mit: „You can kill infidels but sadly, there is no suicide vest.“ Ästhetische Anleihen wurden im Umfeld von al-Qaida und dem „IS“ in der Spielproduktion vor allem bei den Spielen „Counter Strike“, „Call of Duty“ und „Grand Theft Auto“ gemacht (vgl. Prucha 2012), deren Beliebtheit unter Jugendlichen sich seit Jahrzehnten hält.
Die Akteure, die sich Gaming-Ästhetik zunutze gemacht haben, sind also vor allem dschihadistische Gruppen. Nach den frühen Nullerjahren wurden allerdings keine Spiele mehr produziert. Lakomy vermutet, dass der „IS“ schlicht nicht über das technische Know-how verfügte (vgl. Lakomy 2019). Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Gruppierungen nicht über die finanziellen Mittel verfügten. Lakomy (2019) und Robinson/Whitacker (2021) zufolge hat der Einsatz von Modifikationen in den letzten 15 Jahren zugenommen. Diese Bearbeitung bereits existierender Spiele dürfte weniger kostenintensiv sein. Zudem bleibt die bereits andiskutierte Frage, ob das Entwickeln von Spielen und die Verbreitung dieser, selbst im Namen „der Sache“, überhaupt erstrebenswert und vereinbar wäre mit den selbstauferlegten religiös konnotierten Regeln und Verboten.
Aktuell arbeitet im deutschsprachigen Bereich vor allem die Gruppe Muslim Interaktiv mit der Ästhetik von Videospielen, und zwar vorrangig in den Teasern zur Video-Reihe „Muslim Interaktiv setzt Zeichen“: Hier wird von den Elementen, die an Computerspiel-Ästhetik erinnern
Gaming-Plattformen – Vernetzung im islamisch begründeten Extremismus
Genutzt werden von Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus auch die Gaming-Plattformen Discord und Steam (vgl. Schlegel 2020). Während sich auf Steam die Modding-Community trifft (Menschen die sich über Spiele vernetzen oder ihre politische Haltung mittels Profilgestaltung bebildern) lassen sich auf Discord diverse Server zu den unterschiedlichsten Themen finden. Oft geben schon die Server-Namen – etwa „Council of Truth“, „Islam – The Golden Age“ oder „Dar as Salaf“ – Hinweise auf die politische Ausrichtung der Gruppen, die diese Server gestalten. Im deutschsprachigen Raum betreibt zum Beispiel „Botschaft des Islam“ den Server „Islam Community“ und unterhält auch den Twitch-Kanal „Islambotschaft“. Beide werden allerdings kaum bespielt. Die schiitische Gruppe „Al Batul“, die dem Islamischen Zentrum Hamburg
Den Content betreffend entsteht ein Eindruck, den auch TikTok-Videos und YouTube-Shorts von einschlägigen Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus (z. B. Abul Baraa, Sheikh Ibrahim) hinterlassen. Das Format selbst ist auf Jugendliche ausgerichtet, die Präsentation des Inhalts jedoch eher nicht. Die Server dienen dem Anschein nach vor allem dazu, auf YouTube-Vorträge und ähnliches zu verweisen beziehungsweise Fragen zur Religion, Lebensführung und dem korrekten Praktizieren der Religion zu beantworten. Gaming zu thematisieren ist dort eher unüblich.
Meme zeigt Pepe the Frog im Style der Izz ad-Din al-Qassam Brigaden der Hamas.
Meme zeigt Pepe the Frog im Style der Izz ad-Din al-Qassam Brigaden der Hamas.
Etwas anderes sind die Discord-Server, die tatsächlich von Gaming-affinen muslimischen Personen aufgebaut wurden, zum Beispiel „Combat“ (deutschsprachiger Server) und „Muslim Enhancement“ (internationaler Server, der sich mit der Modifikation des Spiels „Crusader Kings“ beschäftigt). Diese sind nicht einer radikalisierten Gruppe zuzuordnen, allerdings werden dort häufiger auch antisemitische, verschwörungsideologische, sexistische und queerfeindliche Aussagen getätigt, und sie werden mitunter auch von radikalisierten Personen frequentiert. Hier lassen sich auch Meme-Symboliken finden, die aus der Alt-Right-Szene
Gamification des Terrors?
Akteur:innen des islamisch begründeten Extremismus, insbesondere des dschihadistischen Spektrums, nutzen zwar zum Teil Film- und Videospielästhetik, um ihre Botschaften zu verbreiten – mit dem „Islamischen Staat“ als herausragendstem Beispiel, aber lässt sich – wie im Falle des Rechtsextremismus – von einer „Gamification des Terrors“ (Sieber 2022, S.44) sprechen? In Bezug auf den „IS“ ist das sicher zutreffend. Das vom „IS“ oder in dessen Umfeld entwickelte Spiel „Salil al-Sawarem” (das wie bereits erläutert sehr wahrscheinlich nie produziert wurde) wurde unter anderem mit folgendem Satz beworben: „Your games which are producing from you, we do the same actions in the battlefields !!”(sic) (vgl. Hall 2014). Der Satz kann auch als Einladung verstanden werden, sich nicht mit dem virtuellen Morden für die „falschen Sachen“ aufzuhalten, sondern im Namen Allahs auf ein reales Schlachtfeld zu ziehen. Dafür sprechen auch Kommentare von „IS“-Kämpfern. So twitterte etwa 2014 Junaid Hussain 2014 von Syrien aus: „You can sit at home and play call of duty or you come and respond to the real call of duty … the choice is yours“ (zitiert nach McDonald 2018). Abu Sumayyah Al-Britani, ein Brite, der sich 2013 dem „IS“ anschloss, sagte 2014 in einem Interview, der Kampf für den „IS” sei besser als das Spiel Call of Duty: „It’s actually quite fun….It’s better than Call of Duty” (Lucas 2014).
Aber auch jenseits dschihadistischer Gruppen lassen sich Beispiele für die Gamification von Gewalt finden: 2016 gründeten junge Männer in Großbritannien im Zuge ihrer Hinwendung zum islamisch begründeten Extremismus eine WhatsApp-Gruppe und begannen, Angriffe („raids“) auf sogenannte Zauberer („sorcerer“)
Extremismusprävention mittels Gaming?
Eine Präventionsarbeit in Bezug auf islamisch begründeten Extremismus bedarf eines rassismuskritischen Ansatzes (vgl. u.a. Baer et al 2020; el Sayed 2023; Bidaya 2022). Das gilt ebenso, wenn Ansätze mittels Gaming gestaltet werden sollen. Insofern bietet sich die Auseinandersetzung mit Islam-Darstellungen oder Porträtierungen muslimischer und muslimisch gelesener Figuren in verschiedenen Spielen als Ausgangspunkt für die politische Bildung an. In den letzten Jahren sind in einer Reihe von Projekten Spiele für die Präventionsarbeit entwickelt worden. Zu diesen zählen das Spiel „Hidden Codes“ der Bildungsstätte Anne Frank, das Spiel „Decount“ von Bloodirony (entwickelt in Kooperation mit der Beratungsstelle Extremismus in Österreich) und das Spiel „Adamara: Harsh Waters“ sowie der dazugehörige Editor, welche im Rahmen des Projekts „Call of Prev“ von Cultures Interactive e. V entwickelt wurden. In diesen Projekten werden verschiedene Aspekte von Hinwendungsprozessen – so etwa der Einsatz von Symbolen („Hidden Codes“), das Nebeneinander verschiedener Konfliktverarbeitungsstrategien („Decount“) und Gruppenkonstruktionen („Adamara: Harsh Waters“) aufgegriffen.
Im Projekt „Call of Prev“ stellte sich der Editor als wirksamstes Tool heraus, da er den Jugendlichen erlaubt, selbst aktiv zu werden und eigene Spielwelten zu entwerfen (vgl. Cultures Interactive e. V. 2023). Dieser Zugang ist auch im Rahmen analoger Angebote möglich: Zum Beispiel, indem Jugendliche zu ihren Lieblingsspielen befragt oder aufgefordert werden, eine eigene Spielwelt und -geschichte zu entwerfen. Anhand der Figurendarstellung in Spielen lässt sich wiederum (fehlende) Diversität diskutieren – hier kann ein Bilderspiel ein geeigneter Einstieg sein. Gaming-Ansätze können somit helfen, einen niedrigschwelligen Zugang zu schaffen und die Jugendlichen zum Reflektieren und Austausch über verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten einzuladen. Perspektivisch wäre zu überlegen, wie muslimische und rassismuskritische Gamer:innen, Modder:innen und Spieleentwickler:innen in die politische Bildung und Prävention involviert werden könnten.
Fazit und Ausblick
Aufgezeigt wurde, dass Spiele und Spielästhetiken trotz der kritischen Haltung etlicher Akteur;innen im Bereich Islamismus gegenüber Spielen dennoch genutzt werden. Zudem stellen Discord- und Steamgruppen für Vertreter:innen des islamisch begründeten Extremismus konkrete Möglichkeiten dar, sich weltweit zu vernetzen und insbesondere auch mit jungen Menschen in Kontakt zu treten. Von einem generellen Radikalisierungspotenzial durch Gaming kann trotz der vielfältigen Nutzung von Gaming-Elementen allerdings nicht gesprochen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Faktoren der Gamification bei bereits radikalisierten Personen die Umsetzung in die Tat unterstützen (vgl. Robinson/Whitaker 2021). Ferner ist die Wahrnehmung von Spielen und deren Radikalisierungspotenzial auch an bestimmte Spieler-Typen gebunden – nicht alle passionierten Gamer:innen neigen zu Ego-Shooter-Spielen (vgl. Schlegel 2021). Wie im Fall von Rechts-Rap (vgl. Groß 2023) scheint es also eher so zu sein, dass die Musik – beziehungsweise die Spiele – geeignet sind, bestehende Gedanken und Gefühle einer bereits radikalisierten Person zu verstärken.