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Infodienst Radikalisierungsprävention: Frau Binzer, welche Rolle spielen Social-Media-Plattformen bei der Verbreitung islamistischer Ideologien?
Isabel Binzer: Social-Media-Plattformen sind für Jugendliche ein selbstverständlicher Bestandteil ihres alltäglichen Lebens. Entsprechend finden sich auch islamistische Gruppierungen auf allen großen Social-Media-Kanälen. Sie wissen genau, wie sie ihre Zielgruppe erreichen können und haben sich in den letzten Jahren erfolgreich an Trends und Formate in den Sozialen Medien angepasst.
Islamist:innen können Jugendlichen dort direkt und auf Augenhöhe begegnen, indem sie Themen aus deren Lebenswelt aufgreifen. Gleichzeitig bieten die Plattformen die Möglichkeit, sich zu inszenieren – beispielsweise als streng religiöse, vorbildliche Muslim:innen, die vermeintlich das offizielle Sprachrohr für Menschen muslimischen Glaubens darstellen. Letztlich agieren Islamist:innen genau wie andere Influencer:innen. Sie nutzen audiovisuelle Möglichkeiten, um schnell und unkompliziert möglichst viel Reichweite zu generieren.
Wir haben beobachtet, dass insbesondere während der Corona-Pandemie viele salafistische Akteure oder Anhänger:innen der
Auf welchen Plattformen sind islamistische Akteure aktuell besonders aktiv? Und wie hat sich das innerhalb der letzten Jahre verändert?
Während vor zehn Jahren Facebook, YouTube und Twitter für islamistische Akteure eine große Rolle spielten, wurden diese in den letzten Jahren weitgehend von bild- und videolastigen Diensten in ihrer Bedeutung ersetzt – wie Instagram und TikTok. Lediglich YouTube hat nicht an Relevanz verloren. Im Fokus stehen heute Bilder, Kurzvideos und schnelles, kurzlebiges Entertainment.
Inzwischen gibt es auf Instagram und TikTok zahlreiche Accounts islamistischer Akteure, die gängige Trends, Mittel und Formate aufgreifen, um die eigenen Ideologien zu verbreiten. Hierzu zählen etwa Q&As, Hashtags und Reels.
Welche Akteure sind auf welchen Plattformen vertreten? Gibt es Gruppierungen, die besonders viel Aufmerksamkeit bekommen?
Hier muss zwischen drei islamistischen Lagern differenziert werden: den dschihadistischen, den salafistischen und den Hizb-ut-Tahrir-nahen Gruppierungen. Viele denken bei der Bezeichnung „Islamist:innen“ immer noch zuerst an Dschihadist:innen wie Anhänger:innen des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS). Dabei handelt es sich um Akteure, die den militanten Dschihad glorifizieren, offen Hass und Gewalt propagieren und gegen Ungläubige hetzen.
Diese Praktiken wurden in den letzten Jahren auf allen großen Social Media-Plattformen deutlich erschwert – etwa durch die Verschärfung von Community-Richtlinien. Dschihadistische Angebote auf Social Media sind daher selten geworden. Eher noch vertreten sind Dschihadist:innen auf Telegram. Auf Telegram landet alles, was auf anderen Social-Media-Plattformen unsagbar geworden ist. Denn dort wird verhältnismäßig wenig reguliert, wenn überhaupt. Aber auch hier hat es in den letzten fünf bis zehn Jahren viele Rückschläge für die Szene gegeben – etwa große Löschaktionen. Während Telegram einst ein sicherer Hafen für Akteure des Dschihadismus war, ist die Szene auch dort inzwischen geschrumpft.
Welche Gruppierungen sind stattdessen viel auf Social Media unterwegs?
In den Sozialen Medien deutlich weiter verbreitet sind Accounts, die der sogenannten Hizb ut-Tahrir nahestehen, wie etwa „Muslim-Interaktiv“, „Realität Islam“ oder „Generation Islam“. Diese Akteure verfolgen das Ziel eines Kalifats, also eines Zusammenschlusses muslimischer Nationen. Das bedeutet jedoch nicht primär, die Politik in Deutschland stürzen zu wollen. Vielmehr geht es darum, über teils subtile Wege bei den Rezipierenden eine bestimmte innere Haltung zu erzeugen. Nichtsdestotrotz äußern sich diese Akteure auf Instagram und TikTok auch offen demokratiefeindlich und verbreiten problematische Ansichten.
Sie hetzen gegen bestimmte Menschengruppen oder rufen dazu auf, sich in die eigene (muslimische) Community zurückzuziehen. Meist geschieht das unter einem vermeintlich aktivistischen Deckmantel, zum Beispiel, indem die Personen behaupten, sich gegen antimuslimischen Rassismus einzusetzen. Vor allem diese Gruppierungen sind es, die in den letzten Jahren Aufmerksamkeit gewonnen haben und bei jungen Menschen unheimlich gut ankommen. Auf TikTok erhalten sie teilweise Klicks im Millionenbereich.
Hinzu kommen Accounts aus dem salafistischen Spektrum. Hierzu zählen etwa Pierre Vogel, Abul Baraa oder Abu Rumaisa, aber auch neuere Gesichter wie Ibrahim el Azzazi. El Azzazi überzeugte auf TikTok seit etwa September 2021 durch sein populäres Frage-Antwort-Format: Um hohe Klickzahlen zu generieren, wird eine provokante Frage zu einem alltäglichen Thema gestellt, zum Beispiel: „Darf ein Muslim Geburtstag feiern?“ oder Scherzfragen wie „Darf man im Himmel Döner essen?“. El Azzazi liefert meist in zwei Sätzen eine einfache, mundgerechte Antwort darauf. Andere Videos greifen dann problematische Themen auf, etwa zu Nichtmuslim:innen, die nicht zum Freund genommen werden dürften oder zur Vielehe. Gerade in der schnelllebigen TikTok-Generation ist dieses Format mit seiner Schwarzweiß-Logik beliebt. Ibrahim el Azzazi ist nicht mal 30 Jahre alt und wirkt durch sein religiöses Gewand charismatisch. Mit seinen ultrafundamentalistischen Ansichten ist er ein Vorbild für viele junge Menschen. Ein populärer Account mit Kurzvideos von u. a. el Azzazi, der zuletzt über 350.000 Abos verfügte, wurde im Sommer 2023 von TikTok gesperrt. El Azzazi ist dort allerdings solo mit seinem Format weiterhin erfolgreich.
Allgemein lässt sich sagen, dass sowohl die Hizb-ut-Tahrir-nahen Accounts als auch die salafistischen Akteure auf allen beliebten Plattformen aktiv sind. Sie treten dort in der typischen Influencer-Manier auf, teilen Links in der Bio oder verlinken Inhalte in Stories. Man kann nicht sagen, dass einzelne Social-Media-Dienste nur bestimmten Gruppierungen vorbehalten sind.
Warum sind diese Plattformen gut dazu geeignet, islamistische Inhalte zu verbreiten und junge Menschen anzusprechen?
Zum einen bieten Social-Media-Plattformen die Möglichkeit, direkt mit der eigenen Community in Kontakt zu treten. Über Abstimmungen, Fragefunktionen oder Kommentare bekommen User:innen das Gefühl, dass ihre Meinung zählt und sie Teil von etwas Größerem sind. Außerdem basiert die Kommunikation auf Instagram und TikTok auf Bildern, Kurzvideos und wenig Text. Die Inhalte sind visuell sehr ansprechend und bieten die Möglichkeit, schnell auf aktuelle Ereignisse einzugehen. Das machen sich auch Islamist:innen zunutze, indem sie sich aktuelle oder kontroverse Themen für die eigene Propaganda aneignen. Dies geschieht etwa mithilfe provokanter Überschriften, die die Jugendlichen abholen. Oder sie kapern Hashtags, indem sie unter ihren Beiträgen populäre Schlagworte nutzen und damit neue Menschen auf ihre Profile lenken. Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert – beispielsweise der Angriffskrieg in der Ukraine oder aktuell der Hamas-Angriff auf Israel –, können die Gruppierungen ohne viel Aufwand Stellung dazu beziehen. Wir beobachten, dass die Jugendlichen das in den Kommentarspalten sogar regelrecht von den Accounts einfordern. Auf diese Weise können sie schnell Infos samt subjektiver Einordnung bekommen, ohne viel lesen zu müssen. Bilder und Kurzvideos ersparen der Zielgruppe langwierige Recherchen.
Hier grenzen sich TikTok und Instagram von YouTube ab. YouTube wird in der islamistischen Szene eher für etwas längere Ansprachen und Botschaften genutzt. Hier geht es darum, langfristige, tiefgreifende Botschaften mit längeren, vermeintlich stichhaltigen Argumentationen zu unterfüttern.
Was für Videos sind das, die speziell für Youtube erstellt werden?
Auf YouTube kann man vor allem drei Arten von Inhalten beobachten. Zum einen wären da die Predigten – das ist der Klassiker. Sie sind weiterhin beliebt, weil die Jugendlichen von zuhause aus an einer Predigt teilnehmen können. Im Fokus stehen meist typische Fragen des muslimischen Alltags und seiner Regeln.
Die zweite Kategorie sind Videos, in denen visuell ansprechende, teilweise schon fantasyhaft wirkende Naturszenen gezeigt werden. Ich bezeichne sie als „epische Geschichtsvideos“. Die Bilder werden von Erzählungen aus dem Koran oder islamischen Geschichten sowie emotionalen
Hinzu kommen Interviews – sie betrachten wir als dritte Kategorie auf YouTube. Die Interviews sollen bei den Betrachter:innen den Anschein erwecken, dass es sich bei den Antworten um wahre, geprüfte Tatbestände handelt. Denn eine Person wird üblicherweise interviewt, weil sie als Autorität bzw. Experte gilt. So berichtet etwa ein bei jungen Menschen beliebter Rapper in einem Interview davon, wie er zurück zum Islam gefunden habe. Seine Antworten passen natürlich zur islamistischen Ideologie des Accounts. Oft führen islamistische Akteure auf YouTube auch Interviews mit sich selbst, indem sie eigene Fragen beantworten. Auf diese Weise inszenieren sie sich als Experten und verleihen ihren Aussagen Wichtigkeit.
Mithilfe welcher Narrative und Formate versuchen islamistische Gruppen auf den Plattformen Einfluss zu nehmen?
Das zentrale Narrativ islamistischer Ansprache in den Sozialen Medien ist das einer Verschwörung des „Westens“ gegen „den Islam“. Damit geht die Vorstellung einher, dass die westliche Gesellschaft, Politik und Medien Muslim:innen feindlich gegenüberstehen und einen gemeinsamen Plan gegen sie verfolgen. Nach dieser Logik herrscht eine gesellschaftliche Spaltung – also das klassische „Wir-Ihr-Narrativ“.
Auf der einen Seite stehen die „guten Muslim:innen“, die sich vermeintlich in der Opferposition befinden. Und auf der anderen Seite steht der „böse Westen“, der häufig nicht näher benannt wird. Um dieses Feindnarrativ zu untermauern, werden häufig Aussagen rechter Politiker:innen instrumentalisiert oder Zitate aus dem Kontext gerissen. Entsprechend stellen es die Gruppierungen so dar, als repräsentierten diese Aussagen die Meinung der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland. Daraus leiten Islamist:innen die vermeintlich logische Konsequenz ab, dass sich Muslim:innen von dieser Mehrheitsgesellschaft abschotten müssen.
Welche aktuellen Diskurse greifen die Accounts auf, um dieses Narrativ zu verfestigen?
Aktuell thematisieren islamistische Akteure verstärkt den Angriff der Hamas auf Israel. Sie reihen die Ereignisse in ihr dualistisches Weltbild ein, in dem Muslim:innen vom „Westen“ unterdrückt und attackiert würden. Israel sei der wahre Aggressor und "Terrorist". Derweil sei der „Westen“ und auch Deutschland blind für das Leid der Palästinenser:innen oder nehme es sogar bewusst in Kauf.
Der Überfall der islamistischen Terrororganisation Hamas wird ignoriert, relativiert oder sogar als gerechtfertigt dargestellt. Dabei geht es den islamistischen Akteuren aber vor allem darum, das Thema auf ihre Weltsicht und Agenda zuzuschneiden, etwa die Vereinigung der Muslim:innen in einem Kalifat, wie es das Ziel von Hizb-ut-Tahrir-nahen Gruppen ist.
Ein Thema wird insbesondere von den Hizb-ut-Tahrir-nahen Accounts immer wieder vereinnahmt: der Diskurs rund um antimuslimischen Rassismus. Die Schwierigkeit dabei ist, dass viele der geäußerten Kritikpunkte grundsätzlich berechtigt sind. Antimuslimischer Rassismus ist ein reales und schwerwiegendes Problem in unserer Gesellschaft.
Die Islamist:innen treten vermeintlich aktivistisch auf unter dem Vorwand, sich gegen antimuslimischen Rassismus einzusetzen. Mit dieser Strategie verbreiten sie ihre eigene Propaganda im Schafspelz. Denn im gleichen Atemzug werden demokratiefeindliche Protestaktionen gestartet oder die demokratische Gewaltenteilung in Frage gestellt. Oder es wird gegen marginalisierte Gruppen gehetzt, etwa gegen queere oder jüdische Menschen.
Ein weiteres aktuelles Trendthema islamistischer – und auch rechtsextremer – Propaganda ist Queerfeindlichkeit. Hass und Ablehnung durch islamistische Akteure richten sich insbesondere gegen schwule Männer und Menschen mit Transidentität. Sie werden in der islamistischen Propaganda oft mit Pädokriminalität und Krankheiten in Verbindung gebracht. Das mündet zum Teil in einer völligen Entmenschlichung und Abwertung dieser Personen. Ihnen wird beispielsweise das Höllenfeuer gewünscht. Auch hier finden wir viele Verschwörungstheorien, beispielsweise die einer sogenannten „LGBTQI-Lobby“, die den Plan verfolge, Kinder in den Schulen zu indoktrinieren. Das Narrativ, Kinder schützen zu müssen, taucht sehr oft in islamistischer Propaganda auf. Wir beobachten hier Parallelen zu rechten Ideologien.
Solchen Behauptungen werden oft religiöse Zitate aus dem Koran gegenübergestellt. Auf diese Weise inszenieren sich die Accounts als vermeintlich religiöse Instanz, die für Jugendliche seriös und glaubhaft wirken soll. Wenn diese Autorität nun behauptet, Transmenschen bedrohten unsere Kinder, dann entsteht bei den Rezipient:innen der Eindruck, dass dies auch stimmen muss.
Wie können Jugendliche erkennen, ob es sich bei Inhalten um islamistisches Gedankengut handelt?
Das ist die große Schwierigkeit. Den offenen, gewalttätigen Islamismus gibt es in den Sozialen Medien nicht mehr so häufig. Mit Kalaschnikows bewaffnete Männer, die zum Kampf aufrufen, tauchen deutlich seltener in den Timelines auf, so wie etwa zuletzt beim tödlichen Angriff auf zwei Menschen in Brüssel am 16. Oktober. Insgesamt hat hier aber ein Wandel stattgefunden. Hätte ich mich vor fünf oder zehn Jahren dazu geäußert, hätte ich auf typische Zeichen wie die „IS“-Flagge hingewiesen. Heute ist es in der Regel nicht mehr so leicht, islamistische Inhalte auf den ersten Blick zu erkennen.
Es lohnt sich, einen genauen Blick auf die Aussagen der Postings zu werfen. Werden dort pauschale Freund-Feind-Schemata aufgebaut? Wird dort von einer Verschwörung gegen „den Islam“ gesprochen? Beruhen die Aussagen auf extremen Einzelbeispielen, die bewusst herausgepickt wurden? Kommen auch mal Gegenstimmen zu Wort?
Letztlich geht es immer darum, welche Botschaft mit dem Inhalt verbunden wird. Natürlich muss antimuslimischer Rassismus adressiert werden. Ist die Botschaft aber „alle Menschen in Deutschland hassen Muslim:innen“, dann sollte ich stutzig werden. Wenn offen vom „Kalifat“ oder einem „muslimischen Staat“ die Rede ist oder dazu aufgerufen wird, dass alle Muslim:innen aus Deutschland flüchten sollten, dann wird es problematisch. Auch wenn gegen bestimmte Menschengruppen gehetzt oder Menschen abgewertet werden, ist eine Grenze erreicht. Zudem stellt sich die Frage, ob die vertretenen Positionen mit Werten und Prinzipien unserer Demokratie vereinbar sind. Etwa, was die Rechte von Andersdenkenden und Andersgläubigen betrifft.
Generell sollte man genau hinschauen und sich im Zweifel an Hilfe- oder Beratungsstellen wenden. Auch Reports von jugendschutz.net klären über verschiedene Facetten islamistischer Onlinepropaganda auf und bieten Orientierung.
Welche Verantwortung tragen die Plattformbetreiber beim Schutz junger Menschen?
Angesichts von islamistischen oder anderen potenziell gefährdenden oder beeinträchtigenden Angeboten müssen sich Plattformen dem Schutz von Kindern und Jugendlichen widmen. Tatsächlich tut sich auch einiges. Die Plattformen passen durchgehend ihre Richtlinien an.
Ein Beispiel: TikTok hat damit begonnen, bestimmte Hashtags zu sperren, die aus dem islamistischen Kontext kommen. Den User:innen wird der Hinweis angezeigt, dass dieser Inhalt möglicherweise gegen die Community-Richtlinien verstößt. Man kann darüber diskutieren, ob das die beste Lösung ist. Die Akteure können andere Schreibweisen in den Hashtags verwenden und etwa einzelne Buchstaben durch Zahlen ersetzen. Der eigentliche Inhalt ist immer noch online, wenn auch schwerer auffindbar. Aber es ist sicherlich ein Anfang.
Insgesamt sind die Maßnahmen zum Jugendschutz noch verbesserungswürdig. Wir bei jugendschutz.net verweisen immer wieder darauf, dass es altersgerechter Voreinstellungen bestimmter Funktionen und einer funktionierenden Altersverifikation bedarf. Zum Beispiel, damit man in einem bestimmten Alter nicht von Fremden angeschrieben werden kann oder bestimmte Videos für jüngere Altersgruppen ausgeblendet werden. Besonders sollten Tools, mit denen man Beiträge melden kann, effektiver und niedrigschwelliger werden. Bei YouTube etwa können nur registrierte User:innen Beiträge melden.
Im Bereich Islamismus wäre es gut, wenn bei der Suche nach problematischen Begriffen auf seriöse Bildungsangebote verlinkt würde. Auf diese Weise würden Jugendliche nicht mit extremistischen Inhalten alleine gelassen.
Gibt es Fälle von islamistischer Propaganda, bei denen jugendschutz.net eingreift?
Jugendschutz.net wird aktiv, wenn Inhalte gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verstoßen. Dementsprechend auch, wenn etwa zu menschenfeindlichen Handlungen oder Gewalt aufgerufen wird. Beispielsweise wurde letztes Jahr die Pride Parade in Istanbul gewaltsam von der Polizei niedergeschlagen. Diese Vorfälle wurden in deutschsprachigen islamistischen Kreisen befürwortet. Es wurden Forderungen laut, so etwas auch in Deutschland zu machen. Wenn gewaltsame Sanktionen gegen Menschengruppen gefordert werden, bewegen wir uns im strafrechtlichen Bereich und es müssen Maßnahmen ergriffen werden. Ist es uns in solchen Fällen möglich, einen deutschen Anbieter zu ermitteln, bereiten wir in der Regel ein Aufsichtsverfahren vor und geben den Fall an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ab.
Wie können Pädagog:innen und Fachkräfte, die mit jungen Menschen arbeiten, islamistischer Online-Propaganda entgegenwirken?
Das Wort, das an dieser Stelle immer wieder fällt, ist Medienkompetenz. Ebenso wichtig finde ich es, Jugendliche im Umgang mit Informationen besser zu schulen. Das gilt nicht nur für junge Menschen. Desinformationen spielen auch in anderen Altersgruppen eine Rolle, und sie sind auch in anderen extremistischen Milieus relevant. Was es braucht, ist Informationskompetenz. Das bedeutet, Quellen im Internet kritisch zu hinterfragen und sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Dazu gehört auch, dass insbesondere junge Menschen lernen, wo man sich seriös informieren kann, wie man richtig recherchiert, und dass man immer verschiedene Quellen heranziehen sollte.
Pädagogische Fachkräfte könnten sich im Unterricht beispielsweise Fake News anschauen und diese mit den Schüler:innen dekonstruieren. Insbesondere die Rückwärtssuche von Bildern oder Faktenchecker sind hilfreiche Tools. Und Pädagog:innen könnten zeigen, wie schnell heutzutage mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) Desinformationen erstellt werden können. Kritisch hinterfragt werden sollten Bilder, die bei der Rückwärtssuche zu keinem Ergebnis führen. Es könnte sich auch um ein KI-generiertes Bild handeln, das auf den ersten Blick täuschend echt wirkt. Hilfreich kann es sein, ein Bild durch Heranzoomen auf Fehler und Unstimmigkeiten zu untersuchen, etwa bei den Körperproportionen – viele Künstliche Intelligenzen haben z. B. noch Schwierigkeiten mit Händen. Wenn sich Lehrer:innen unsicher fühlen, können sie sich an externe Beratungsstellen wenden oder Medienpädagog:innen einbeziehen.
Vor allem aber sollten Schulen Antidiskriminierungsstrukturen und Unterstützungsangebote stärker ausbauen. Es muss der Raum dafür geschaffen werden, dass junge Menschen mit Rassismuserfahrung ihre Anliegen ansprechen können und ernst genommen werden. Viele islamistische Gruppierungen sind deswegen so erfolgreich, weil sie diese Themen aufgreifen und an Erfahrungen von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte anknüpfen. Pädagog:innen müssen aktiv dazu beitragen, Diskriminierung und Vorurteilen in der Schule entgegenzuwirken. Denn hierbei geht es um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht vernachlässigt werden darf.
Auch ist es wichtig, dass Lehrkräfte im schulischen Alltag politischen und historischen Ereignissen Platz einräumen. Es geht dabei gar nicht immer darum, alle Widersprüche aufzulösen. Jugendliche sollten lernen, dass es in Ordnung ist, eine differenzierte Sichtweise zu haben. Und dass man manchmal Ambivalenzen aushalten muss, denn unsere Welt ist komplex.
Das Interview führte Maren Kirsch.
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