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Gemeinsam mit Christoph Bialluch haben die Interviewpartnerinnen die Publikation Externer Link: "Rückkehrerinnen und ihre Kinder – Psychologisch-therapeutische Perspektiven zur Rehabilitation von Frauen und Kindern aus den ehemaligen Gebieten des sog. Islamischen Staates" erstellt. Sie ist in der Schriftenreihe von Violence Prevention Network (VPN) erschienen und kann auf der Website von VPN kostenfrei heruntergeladen werden.
Infodienst Radikalisierungsprävention: Warum haben Sie sich dazu entschieden, in Ihrer Publikation "IS"-Rückkehrerinnen und ihre Kinder zu thematisieren?
Kerstin Sischka und Dr. Claudia Lozano: Das ist eine gute Frage. Eigentlich gab es dafür mehrere Gründe. Besonders wichtig war es uns jedoch, auf die kollektiven psychologischen Prozesse aufmerksam zu machen, die Menschen dazu gebracht haben, in das "Kalifat" auszureisen und mit denen wir nun in jedem einzelnen Fall in der Rehabilitation umgehen müssen.
Als sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien und im Irak ausbreitete, folgten über 5.000 junge Menschen aus Europa dem Ruf zur Hidschra
Wenn man den "IS" primär aus einer Perspektive der Terrorabwehr betrachtet, ist das manchmal schwer nachvollziehbar, aber die Sogwirkung dieser Idee von Bruch und Neubeginn ist etwas, das wir noch besser verstehen sollten, wenn Deradikalisierung und Rehabilitation nachhaltig gelingen sollen. Die Suggestionen des IS trafen in den psychischen Tiefenschichten vieler junger Menschen auf Resonanz. Sie projizierten ihre höchst persönlichen Bedürfnisse in dieses Versprechen hinein und entwickelten illusionäre Vorstellungen: an einer historischen Mission teilhaben, den gedemütigten muslimischen Opfern helfen, Rache und Vergeltung üben, den kürzesten Weg ins Paradies nehmen, auf ewig mit dem besten Ehemann der Welt zusammenbleiben … All dies lagerte sich an das großartige Versprechen des Neubeginns an, so dass dieses eine umwälzende Wirkung in der Psyche entfaltete.
Wir sind überzeugt, dass die Rehabilitation und das Unterfangen einer Deradikalisierung diese psychologischen, oder besser psychodynamischen, Prozesse mitdenken sollte. Übrigens gab es ja ähnlich gelagerte Fantasien, Ideale und Vorstellungswelten beispielsweise auch bei vielen Menschen, die sich in den 1930er Jahren sehr vom Nationalsozialismus faszinieren ließen, und dies mündete in einen Vernichtungskrieg und Zusammenbruch.
Und so ist für Rehabilitation und Deradikalisierung auch die Frage wichtig, wie der Zusammenbruch sich in der Psyche derjenigen konstelliert, deren Traum gescheitert ist? Sie müssten ja eigentlich zutiefst desillusioniert sein, sich vom gescheiterten Ideal abwenden und dieses bestenfalls kritisch hinterfragen und sich ihre Schuld eingestehen. Aber natürlich ist dies keineswegs so linear, so simpel. Die Psyche ist da sehr kompliziert.
Wie also wird der Zusammenbruch verarbeitet? Wir wissen ja, wie schwer es für diejenigen war, die aktiv am Nationalsozialismus mitwirkten, sich innerlich das Scheitern und ihre Schuld einzugestehen, ihr großartiges Ideal aufzugeben und Verantwortung für ihre Beteiligung zu übernehmen. Die später geborenen Kinder und Jugendlichen hat das in den 50er und 60er Jahren tiefgreifend geprägt. Es wirkt in den Generationen bis heute fort; transformiert und überlagert von den nachfolgenden gesellschaftlichen Erfahrungen. Auch damit werden wir in der Rehabilitation umgehen müssen.
Fachkräfte sollten sich daher auch im Nachdenken über die Kinder und Jugendlichen, die den "IS" und die Zeit danach miterlebt haben, mehr mit diesen tieferen individuellen und kollektiven psychologischen Aspekten beschäftigen. Sicherlich werden die meisten Frauen mit Kindern im sicherheitsbehördlichen Sinne keine unmittelbare Gefahr für sich und andere darstellen. Womit wir aber rechnen müssen, ist, dass die Schwierigkeit der Auf- und Verarbeitung des Erlebten und der eigenen Taten sich auch auf die Kinder mit auswirkt. Möglich ist beispielsweise, dass Idealisierungen und bestimmte Narrative weiterwirken und weitergegeben werden. Mit unserer Publikation wollten wir aufzeigen, wie dies besser verstanden und bearbeitet werden kann.
Warum ist es wichtig, jetzt zu handeln und die Kinder sowie gegebenenfalls ihre Mütter aus Flüchtlingslagern wie dem syrischen Camp Al-Hol zurückzuholen?
Viele der Kinder leben jetzt schon fast zwei Jahre in den Internierungslagern – eine lange Zeit für Kinder, die das Extreme, was sie im "IS"-Gebiet erlebt haben, beginnt zu überlagern. Die Situation in Al-Hol ist für das Aufwachsen der Kinder äußerst schädlich: Es mangelt an gesunder Nahrung, sauberem Wasser, medizinischer Versorgung, Bildung, einem sicheren Wohnumfeld. Der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien und die Corona-Pandemie haben dies noch weiter verschärft. Kinder sind generell eine besonders schutzbedürftige Gruppe. Alle Kinder, ob nun syrische, irakische oder europäische Kinder, brauchen eine lebenswerte Perspektive. Was die Kinder mit Deutschlandbezug anbelangt, so konnten sie sich nicht entscheiden, mit ihren Müttern in den "IS" auszureisen. Sie sind Opfer der Entscheidung ihrer Eltern und sollten daher zurückkehren dürfen – und zwar mit ihren Müttern, die sich strafrechtlich verantworten sollten.
Hinzu kommt, dass die deutschen Staatsbürger – Männer und Frauen – die in das "IS"-Gebiet ausgereist oder sich dem "IS" angeschlossen hatten, in Nordsyrien nicht vor ein anerkanntes Gericht gestellt werden können.
Es wird auch unterschätzt, dass dieses Versagen von Recht und Humanität sich auch auf die nachfolgenden Generationen von Kindern und Jugendlichen auswirken wird, deren Mütter oder Väter aktuell davon betroffen sind. Schon heute zeigt sich, dass die deutschen Kinder in Al-Hol mehr oder weniger stark mit diesen Narrativen aufwachsen: "Euer Land will Euch nicht!", "Die Kurden haben Eure Väter entführt und inhaftiert", "Ihr seid die Löwen des Kalifats, von Euch hängt die Zukunft ab". Natürlich sind nicht alle Kinder dem gleichermaßen ausgesetzt, aber bei einigen wird es die Identität ein stückweit durchweben; je nachdem, ob sie bei ihren signifikanten Bezugspersonen eine "Gegenstimme" vorfinden. Zu sagen, diese Kinder wären ideologisch radikalisiert, wäre dennoch unangemessen. Es geht eher darum, dass sie extrem vulnerabel und traumatisiert sind. Außerdem ist die Identitätsentwicklung dieser Kinder noch immer ein prinzipiell offener Prozess, der sich mit neuen Erfahrungen verändert – gerade in der Adoleszenz, wenn sich Jugendliche dazu selbst positionieren und das reflektieren können. Diese Chance sollte man ihnen geben. Je länger wir jedoch zögern, desto ungünstiger werden die Voraussetzungen.
Und umso mehr kann die dschihadistisch-salafistische Bewegung davon profitieren. Schon jetzt gibt es Social Media-Kampagnen, wie "Deine Schwester im Gefangenenlager". Radikale Salafisten benutzen diese Frauen und Kinder als Mobilisierungsthema, an dem sie sich wieder stärken, ihr Schwarz-Weiß-Bild nähren und ihre Militanz legitimieren können. Das reicht bis hin zu einer Dämonisierung der Kurden und des Westens. Es werden auch Geschichtsmythen geschaffen, die das Potential haben, durch Generationen hindurch zu wirken und zukünftige Konfliktlinien wesentlich mitzubestimmen. Der Psychoanalytiker Vamik Volkan hat in dem Kontext von der Entstehung von "chosen glories" und "chosen traumas" gesprochen. So setzen sich Spiralen von Hass, Trauma und Vergeltung und Opfernarrativen immer weiter fort. Im schlimmsten Fall werden die auf diese Weise verlorenen Kinder und Jugendlichen in ein paar Jahren die "späteren Söldner" der kriegführenden Regionalmächte oder wenden sich direkt "IS"-nahen Gruppen zu. Wir sollten durch die Rückholung der Frauen und Kinder und auch der Männer einen Beitrag leisten, um dem entgegenzuwirken. Die Erwachsenen sollten hierzulande vor Gericht gestellt werden.
Was ist mit Blick auf die psychische Gesundheit der Kinder zu erwarten?
Es ist schön, dass Sie direkt nach der psychischen Gesundheit der Kinder fragen, denn diese ist ja viel breiter zu verstehen, als eine psychische Erkrankung, zu der man eine oder mehrere Diagnosen angeben würde. Kann ein Kind, das unter solchen Umständen im IS-Gebiet und in den Lagern aufgewachsen ist, wirklich gesund sein? Voraussetzungen für psychische Gesundheit sind, dass ein Kind ohne übergroße Ängste seine Umgebung erkunden kann, neugierig sein, seine Erfahrungen machen, spielen und lernen kann. Es ist wichtig, dass Kinder Menschen vertrauen können und mit dem Gefühl aufwachsen dürfen, von Erwachsenen gut beschützt und umsorgt zu werden. Wie soll das unter den potentiell traumatischen Bedingungen möglich sein? Das Lager Al-Hol ist ein permanentes Krisengebiet. Wie soll sich ein Kind dort sicher fühlen, ruhig schlafen und gesund aufwachsen können? Viele Kinder befinden sich in einem permanenten inneren Alarm- und Angstzustand. Schon in der Zeit während des "IS" und der akuten Kriegssituation mit Luftangriffen und Flucht war dies der Fall. Unter Bedingungen eines Lagers wie in Al-Hol ist es kaum möglich, wirklich zur Ruhe zu kommen, sich zu erholen und sich gut entwickeln zu können.
Gleichzeitig dürfen wir nicht davon ausgehen, dass alle Kinder mit Deutschlandbezug – sollten sie zurückkommen – durchweg schwer krank wirken werden. Das wird sich auch nicht im ersten ärztlichen oder psychotherapeutischen Gespräch in voller Komplexität zeigen, sondern oftmals erst im Laufe der Zeit. Worin das Leid, worin das Trauma besteht, und was das in den Kindern verändert hat, braucht Zeit, um verstanden und behandelt zu werden. Viele Kinder werden "Abwehrmechanismen" zur Bewältigung der Extremsituation entwickelt haben, die ihnen altersgemäß möglich sind. Dazu kann auch gehören sehr zurückgezogen und misstrauisch zu sein und keinem Erwachsenen Vertrauen zu schenken. Fachkräfte sollten sich nicht zu der Schlussfolgerung verleiten lassen, dass schweigsame Kinder gesunde oder resiliente Kinder sind. Häufig wird erwartet, dass traumatische Erlebnisse mit unreguliertem Ausagieren einhergehen, das in bestimmten Situationen getriggert wird. So etwas gibt es zwar häufig, aber die stillen Kinder, die "keine Probleme" machen, können in Bezug auf ihre Gesundheit manchmal sogar gefährdeter sein. Beispielsweise sind Depressionen und Suizidalität häufige Folgen solcher Erfahrungen. Da braucht es Sensibilität für das, was in der Innenwelt dieser Kinder wirklich los ist.
Es wäre sicherlich angemessen, zunächst einmal davon auszugehen, dass die meisten Kinder komplexe traumatische Belastungen mitbringen – zumindest so lange, bis das Gegenteil erwiesen ist. Es war ja oft nicht nur eine einzelne, konkrete Extremsituation, die die Kinder erlebt haben, sondern das Ganze war lang andauernd und ist vielschichtig. Speziell bei den Kindern, die bereits etwas älter sind. Das Gefühl für Zeit, die eigene Identität, den eigenen Körper und die Fähigkeit, vertrauensvolle Beziehungen aufzunehmen, können schwer beschädigt sein. Je länger die Kinder in den gefängnisähnlichen Lagern bleiben, desto weiter wird sich ihr Gesamtzustand verschlechtern. Die Kinder und Jugendlichen brauchen zuerst einmal Sicherheit sowie ein Umfeld, das sie stützt, ihnen Zeit gibt und versucht sie zu verstehen. Dazu würde auch gehören, dass ihre emotional bedeutsamen Bezugspersonen in Sicherheit sind – egal ob diese nun eine Haftstrafe erwartet oder nicht.
Welche Faktoren sind für eine erfolgreiche Rehabilitation der Kinder und ihrer Mütter wichtig?
Es gibt bereits Strukturen, spezialisierte Träger und Netzwerke in Deutschland, die auf die Arbeit mit Rückkehrenden vorbereitet sind, sodass wir eigentlich schon auf einem guten Weg sind. Das Wesentliche wird aber sein, dass wir die Familien der Rückkehrenden und auch direkt die Mütter mit den Kindern für eine verbindliche Kooperation gewinnen. Das Beste wäre, wenn sie sich von Beginn an selbst mit der Rehabilitation identifizieren könnten, und die Verantwortung wahrnehmen, würden die damit verbunden ist. Das Problem ist allerdings: je mehr Zeit vergeht, desto größer werden die Verzweiflung und auch der Vertrauensverlust bei den Familien und den rückkehrwilligen Frauen. Manche wenden sich schon wieder von diesem Anliegen ab.
Günstig ist in jedem Fall, dass es mittlerweile in vielen Bundesländern Schnittstellen zwischen dem Sicherheitsbereich und dem Rehabilitationsbereich gibt. Es gibt beispielsweise die Rückkehrkoordinatoren; und zumindest für Berlin können wir sagen, dass die Einrichtung dieser Stelle mit Mitteln des BAMF eine außerordentlich kluge Entscheidung war. Die Arbeitsweise, wie sie in Berlin praktiziert wird, ist vielversprechend; insbesondere was ein koordiniertes, abgestimmte Vorgehen zur Einrichtung von Hilfenetzwerken betrifft. (Weitere Informationen zu den Rückkehrkoordinierenden finden Sie im Infodienst-Beitrag "
Hier braucht es aber bei allen beteiligten Akteuren eine große Klarheit über die eigene Rolle und die damit verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Grundlagen. Man muss als Fachkraft aus der Sozialarbeit, Familienhilfe oder auch Psychotherapie immer mit im Kopf haben, dass die eigene Arbeit mit Klientinnen und Klienten in einem Dreieck von öffentlicher Sicherheit, Klientenzentrierung und Helfersystem stattfindet. Man bewegt sich immer in einem Kontext, der auch von Sicherheitsaspekten geprägt ist. Gleichzeitig müssen auch die Sicherheitsbehörden in der Lage sein, das Helfersystem und dessen berufsrechtliche Grundlagen ein stückweit mitzudenken. Damit die Frauen und ihre Kinder auf einen guten Weg kommen können, ist das professionelle Zusammenwirken im Hilfe- und Sicherheitsnetzwerk wichtig – insbesondere auch, dass die beteiligten Akteure nicht gegeneinander arbeiten, sondern dass jeder in seiner Rolle versucht, den bestmöglichen Beitrag zu leisten. Dazu wird sicherlich auch die Bereitschaft gehören, sich mit kommunikativen Störungen, sozialer Distanz oder kulturellen Differenzen auseinanderzusetzen.
Es sollte bei allen Beteiligten das primäre Ziel sein, eine freiwillige Mitwirkung der Rückkehrerin zu erreichen. Den zurückkehrenden Müttern sollten auch die Vorteile für sich selbst und ihre Kinder nahegebracht werden. Das wird mit einem Teil der Rückkehrerinnen ohne weiteres möglich sein und mit anderen vielleicht eher schwierig oder unmöglich sein.
Ein weiterer Punkt, der für eine erfolgreiche Rehabilitation mitzudenken ist, ist der soziale Empfangsraum, in den die Frauen und Kinder hineinkommen. Ob das nun ein Teil der Herkunftsfamilie ist oder eine Wohneinrichtung als neues Umfeld, wo die Mütter mit ihren Kindern anfangen können, sich in ein neues Leben hineinzufinden. Viele der Mütter werden ohnehin zunächst einmal in Untersuchungshaft kommen und dann folgen Gerichtsprozesse und bei Verurteilung Haft- oder Bewährungsstrafen. Auch hier ist mitzudenken, was das für die Kinder bedeutet und wie sie unterstützt werden können, mit dieser Situation umzugehen. Generell wäre es aber kontraproduktiv, wenn die Frauen und ihre Kinder langfristig immer wieder auf ihren Status als "IS"-Rückkehrerin fixiert werden oder sogar Diskriminierung und Stigmatisierung erleben. Das Rehabilitationsangebot sollte ausreichend lebensnah und realistisch sein, um Variationen, Übersetzungen und Anpassungen im Verlauf der Begleitung vornehmen zu können.
Welche Akteure sollten in den Prozess eingebunden werden und welche Qualifizierung benötigen sie?
Das ist eine sehr komplexe Frage, und wir wollen noch einige Aspekte auf der Ebene der multiprofessionellen Zusammenarbeit hervorheben: Wie erwähnt sind ja immer drei Parteien an der Rehabilitation beteiligt: Klientin/Klient, Fachkräfte und das System Polizei/Justiz.
Wichtige Akteure neben den Sicherheits- und Justizbehörden sind bei der Aufnahme der Rückkehrenden zunächst der Kinder- und Jugendnotdienst oder Kinderschutzbeauftragte beim zuständigen Jugendamt; dann Ansprechpartner für den Gesundheitsbereich und natürlich die zivilgesellschaftlichen Facheinrichtungen zur Deradikalisierungs- und Ausstiegsbegleitung. Diese Akteure sollten gemeinsam mit den zurückkehrenden Frauen und ihren Familien den Rehabilitationsprozess auf den Weg bringen. Das heißt zunächst einmal, dafür zu sorgen, dass die Ankunft und die ersten Wochen gut abgesichert sind und in dieser Zeit ein Rehabilitationsplan mit fachlich empfohlenen Maßnahmen erstellt wird. Jeder muss darin seine eigene Rolle kennen und diese muss auch den anderen Akteuren transparent gemacht werden.
Letztlich sollten alle an der Rehabilitation Beteiligten eine grundlegende Vorstellung über die Motive und Erfahrungen haben, die Menschen in den "IS" geführt haben können und darüber, wie sich eine Mitwirkung, Zeugenschaft und Traumata in den Biographien verbinden können. Es sollte auch Sensibilität vorhanden sein für das, was die Kinder erlebt haben können und was das für ihre Entwicklung bedeuten mag. Überhaupt sollten alle Akteure, einschließlich der sicherheitsbehördlichen, auch das Kindeswohl mit im Blick haben. Dazu gehört auch Grundwissen über kindliche Entwicklung, Traumata, Entwicklungsstörungen und Familiendynamiken.
Günstig ist, wenn Fallkonferenzen in regelmäßigen Abständen stattfinden können, deren Kerngruppe aber überschaubar gehalten werde sollte. Solche Fallkonferenzen sind zunächst einmal eine formalisierte Liaison von Sicherheitsbehörden und denen, die die Anbahnung von Rehabilitationsleistungen verantworten. Es geht darum, günstige Bedingungen für eine Deradikalisierung und soziale Integration zu schaffen, aber natürlich auch um eine Früherkennung und ein Management von Risiken.
In den Fallkonferenzen sollten nur diejenigen zusammenkommen, die entweder direkt mit den Zurückkehrenden und ihren Kindern und Herkunftsfamilien zusammenarbeiten oder die die Schnittstelle beispielsweise in den Gesundheits- oder Bildungsbereich herstellen. Wir finden auch, dass ein Vertreter für den Gesundheitsbereich von Beginn an dazugehört, weil die Gesundheitsversorgung insbesondre für die Kinder sehr zentral ist. Die Schnittstelle zur Gesundheitsversorgung sollte dazu beitragen, dass die Rückkehrerin und ihre Kinder fachlich adäquat an die Versorgung angebunden werden und entsprechende diagnostische, ärztliche oder therapeutische Leistungen erhalten. Dies kann den Rehabilitationsprozess wesentlich unterstützen. Das kann die Anbindung bei einem Kinderarzt oder sozialpädiatrischen Zentrum sein, aber auch die Vermittlung von Psychotherapie oder eine Anbindung im sozialpsychiatrischen Versorgungssystem. Allerdings sollten beispielsweise Ärztinnen oder Psychotherapeuten, die direkt mit den Rückkehrerinnen und ihren Kindern zu tun haben, nicht an Fallkonferenzen teilnehmen (müssen), weil sie den Patientenschutz wahren müssen und nicht unter Druck geraten sollten, über ihre Patientinnen oder Patienten zu sprechen.
Es geht hier um ein komplexes Setting, wenn man an der Schnittstelle von öffentlicher Sicherheit und Rehabilitation arbeitet. Da kann es durchaus auch widerstreitende Interessen, Einschätzungen und Erwartungen der Sicherheitsbehörden und der Rehabilitationsakteure geben. Umso wichtiger ist, dass die Moderation solcher Fallkonferenzen von allen Seiten respektiert wird, Vertrauen inne hat und professionell und neutral ist. Das kann durchaus eine staatliche Stelle sein, die aber im besten Fall etwas Äquidistanz zu allen Seiten hat. Sie muss auch abwägen können, an wen wann welche Informationen weitergegeben werden und wann Fallkonferenzen auch außerordentlich einberufen werden sollten. Dabei sind Erfahrung und Qualifizierung im Bereich der Koordination und des Managements eines solchen komplexen multiprofessionellen Systems durchaus von Wert, gerade wenn es um das Spannungsfeld von öffentlicher Sicherheit und Klientenzentrierung geht.
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