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Infodienst Radikalisierungsprävention: Inwiefern spielt Datenschutz im Arbeitsbereich Prävention islamistischer Radikalisierung eine Rolle?
Marcel Komarek: Zunächst sollte man sich verdeutlichen, dass in dem Arbeitsbereich eine Vielzahl von Akteuren aktiv ist, mit jeweils unterschiedlichen Aufträgen, Handlungsweisen und Handlungslogiken. Es gibt zivilgesellschaftliche Akteure wie Beratungsstellen und Deradikalisierungsprogramme, es gibt staatliche Akteure wie Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft, Ministerien oder auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit der Beratungsstelle Radikalisierung. Bei diesen Akteuren arbeiten wiederum einzelne Personen mit unterschiedlichen Wirkungsverständnissen und beruflichen Hintergründen. Diese vielfältigen Akteure bieten großes Potenzial, mit ihren jeweiligen Aufträgen und Kompetenzen zur gemeinsamen Aufgabe, nämlich der Bekämpfung der Radikalisierung von Personen und dem Schutz der Allgemeinheit, beizutragen.
Alle Akteure arbeiten mit personenbezogenen Daten, die aus gutem Grund besonderem Schutz durch verschiedene Regelungen unterliegen. Dafür braucht es einen gemeinsamen Rahmen. Und den größten Rahmen bieten die gesetzlichen Regelungen, die ein hohes Maß an Objektivität bieten, aber auch mit Spielräumen verbunden sind.
Warum ist es in der Beratungsarbeit notwendig, personenbezogene Daten zu erheben und welche sind das?
Um ihrer eigentlichen Arbeit – dem Beratungsauftrag – nachzukommen, müssen die meist zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen personenbezogene Daten wie Namen und Kontaktmöglichkeiten sowie Notizen zu den Beratungsgesprächen aufnehmen. Diese sind für den internen Gebrauch bestimmt. Dabei geht es zum einen um Daten der Person, die Rat sucht, aber häufig auch um Daten von Dritten, über die gesprochen wird. Wenn beispielsweise eine Mutter die Beratungsstelle anruft, weil sie sich Sorgen macht, dass sich ihr Sohn oder ihre Tochter radikalisiert, werden nicht nur Daten der Mutter, sondern notwendigerweise auch Informationen über das Kind aufgenommen. Wichtig ist hier, dass die Beratungsstellen von Anfang an transparent kommunizieren, dass sie die Daten aufnehmen und in welchen Fällen sie Informationen an Dritte (z. B. Behörden) weitergeben müssen.
Wann kommt es zum Austausch personenbezogener Daten zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und staatlichen Stellen wie Sicherheitsbehörden? Wie steht es mit der Verschwiegenheitspflicht?
Grundsätzlich haben Beratungsstellen und Beratungsfachkräfte darüber zu schweigen, was sie im Rahmen vertraulicher Gespräche erfahren. Hier kommen verschiedene gesetzliche Regelungen ins Spiel:
Zunächst müssen die Beratungsstellen als Institutionen stets die datenschutzrechtlichen Regelungen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten beachten (insbesondere die Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung und des Bundesdatenschutzgesetzes).
Darüber hinaus unterliegen Angehörige bestimmter Berufsgruppen der strafgesetzlichen Verschwiegenheitspflicht aus § 203 StGB. Dies betrifft in unserem Arbeitsfeld zum Beispiel Psychotherapeuten oder anerkannte Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. Diese Beratungsfachkräfte machen sich persönlich strafbar, wenn sie unbefugt personenbezogene Informationen aus der Beratungsarbeit weitergeben
Ferner kann im Arbeitsvertrag eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit vereinbart werden. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, wie beispielsweise eine Abmahnung oder eine Kündigung.
In bestimmten Ausnahmefällen sehen verschiedene Vorschriften für die Beratungsstellen und Beratungsfachkräfte jedoch Pflichten und Befugnisse vor, sich gegenüber staatlichen Stellen mitzuteilen – auch, wenn die betroffenen Personen hierzu kein Einverständnis gegeben haben.
Eine zentrale Vorschrift ist dabei die Anzeigepflicht nach § 138 StGB: Wenn jemand Kenntnis von dem Vorhaben oder der Ausführung einer schweren Straftat, die in § 138 StGB benannt ist, erlangt, muss man dies der zuständigen Behörde, also in der Regel der Polizei, melden. Diese Anzeigepflicht betrifft schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, kriminellen Menschenraub et cetera, und auch – das ist für unser Themenfeld sehr relevant – die Bildung einer terroristischen Vereinigung oder die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Wer von der Planung oder Ausführung einer solchen Tat glaubhaft Kenntnis erlangt, muss diese melden. Unterlässt man diese Meldung, macht man sich gegebenenfalls strafbar. Daneben gibt es noch eine Zeugnispflicht der Beratungsfachkräfte im Strafverfahren, auf die ich gleich noch einmal zu sprechen komme.
Im Falle einer Gefahr für die öffentliche oder staatliche Sicherheit oder bei Vorliegen von strafverfolgungsrelevanten Informationen haben die meisten Beratungsfachkräfte bzw. die Beratungsstellen nach § 24 Bundesdatenschutzgesetz die Befugnis, Behörden der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung zu informieren. Dies ist eine Möglichkeit, von der man jedoch nicht Gebrauch machen muss. Die Einschätzung, ob eine Gefahr vorliegt oder nicht, muss im Einzelfall abgewogen werden. Bei dieser Abwägung sind zwei Aspekte ganz zentral: Wie wahrscheinlich ist der Schadenseintritt, also die Begehung einer Straftat? Und wie hoch beziehungsweise welcher Art sind die Schäden, die zu erwarten sind? Je höher das bedrohte Rechtsgut, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen. Diese Regelung kann jedoch dann nicht herangezogen werden, wenn bereichsspezifische Regelungen Anwendung finden, dies ist beispielsweise im Sozialdatenschutz oder bei den Berufsordnungen für Ärzte bzw. Psychotherapeuten der Fall.
Das klingt komplex. Woran können zivilgesellschaftliche Akteure sich orientieren, wenn es um Fragen rund um die Übermittlung von Daten an Behörden geht?
Seit Ende 2018 wird im Beratungsnetzwerk der Beratungsstelle Radikalisierung im BAMF, dem verschiedene Bundes- und Landesbehörden sowie die Beratungsstellen in den Bundesländern angehören, an einheitlichen Leitlinien gearbeitet, die die bestehenden Rechtsnormen für die Beratungspraxis handhabbar machen sollen. Sie stellen die Rechtsgrundlagen zum Thema Datenschutz und Übermittlung von Daten zusammen.
Die Leitlinien wurden insbesondere vor dem Hintergrund der Änderungen durch das 2. Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU im Laufe des letzten Jahres grundlegend überarbeitet. Zudem werden die Leitlinien – in enger Abstimmung mit den betreffenden staatlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen – fortwährend an die Bedürfnisse der Beratungsarbeit sowie an die sich stetig ändernden Umstände im Phänomenbereich angepasst.
Wie ist die Lage bei Strafverfahren vor Gericht?
Es kann vorkommen, dass Mitarbeitende von Beratungsstellen als Zeugen bei Strafverfahren von Staatsanwaltschaft oder Gericht geladen werden. Sofern Ihnen aufgrund ihres Berufes kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht (wie es z. B. bei Psychotherapeuten der Fall ist), besteht die bereits angesprochene Zeugnispflicht. Demnach müssen sie im Strafverfahren nach § 48 der Strafprozessordnung erscheinen und vollständig und wahrheitsgemäß aussagen, da sie sich sonst nach den §§ 153 ff. StGB strafbar machen können. Das gilt auch, wenn sie der strafgesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen.
Diese Verpflichtung kann Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis potenzieller Ratsuchender haben. Unserer Wahrnehmung nach sind die Staatsanwaltschaften jedoch entsprechend sensibilisiert, sodass es zu einer Vorladung von Beratungsfachkräften nur in den seltenen Fällen kommt, in denen bestimmte Sachverhalte nicht auf andere Weise in den Prozess eingebracht werden können. Denkbar ist natürlich auch, dass die Beratungsfachkräfte positive Dinge über den Angeklagten sagen können. Dann kann auf Initiative des Verteidigers ein entsprechender Beweisantrag auf Vernehmung der Beratungsfachkraft gestellt werden.
In welchen anderen Bereichen kann es zur Übermittlung personenbezogener Daten von zivilgesellschaftlichen Trägern an staatliche Stellen kommen?
Da wäre zum einen die Übermittlungsbefugnis in Bezug auf den Kinderschutz relevant. Wenn also im Laufe einer Beratung deutlich wird, dass womöglich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, kann eine Beratungsstelle eine "insofern erfahrene Fachkraft"
Zum anderen gibt es für Deradikalisierungs- oder Präventionsarbeit im Strafvollzug durch externe Träger gesetzliche Vorgaben dafür, in welchen Fällen der Anstaltsleitung bestimmte Informationen offenbart werden müssen. Hier geht es darum, dass die Anstaltsleitung ihre Aufgaben erfüllen muss und dass mögliche Gefahren für Leib und Leben der Vollzugsbediensteten und anderer Inhaftierter abgewendet werden. Diese sogenannte Offenbarungspflicht ist in den Strafvollzugsgesetzen einiger Bundesländer geregelt, und wo kein eigenes Strafvollzugsgesetz des Landes existiert, gilt das Strafvollzugsgesetz des Bundes.
Welche personenbezogenen Daten werden denn ausgetauscht?
Im Falle derAnzeigepflicht, wenn es also darum geht, die in § 138 StGB aufgezählten Straftaten zu verhindern oder abzuwenden, und auch bei der Zeugnispflicht in Strafprozessen besteht eine gesetzliche Pflicht zur Offenbarung von Informationen. Bei der Weitergabe von Daten aufgrund dieser Pflichten, aber auch aufgrund anderweitiger Befugnisse, dürfen nur die unbedingt notwendigen Informationen an die jeweils zuständige Stelle herausgegeben werden. Es werden also keinesfalls komplette Beratungsverläufe oder dergleichen ausgetauscht.
Ein Beispiel: Hat eine Beratungsstelle Kenntnis darüber, dass ein Selbstmordattentat konkret geplant ist, dann werden diejenigen Daten übermittelt, die man tatsächlich braucht, um die Straftat abzuwenden. Das könnten beispielsweise der vollständige Name, der Wohnort der Person und weitere Orte sein, an denen man die Person möglicherweise antrifft.
Wie Sie bereits sagten, gibt es Fälle, in denen es Abwägungssache ist, ob Informationen weitergegeben werden oder nicht – können Beratungsstellen von staatlicher Seite verpflichtet werden, hier Informationen zu offenbaren?
Es obliegt allein den schweigepflichtigen Beratungsfachkräften beziehungsweise den Beratungsstellen zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine strafrechtliche Offenbarungspflicht oder eine datenschutzrechtliche Offenbarungsbefugnis vorliegen. Denn diese machen sich gegebenenfalls strafbar oder anderweitig haftbar – beispielsweise hinsichtlich Bußgeldern aufgrund von datenschutzrechtlichen Verstößen –, wenn sie falsch handeln. Damit geht ein hohes Maß an Verantwortung einher. Die Gesetzeslogik ist folgende: Meldet die Beratungsfachkraft einen anzeigepflichtigen Sachverhalt im Sinne des § 138 StGB nicht, so macht sie sich strafbar. Meldet die Beratungsfachkraft einen Sachverhalt, für den bei genauer Prüfung aber gar keine Pflicht besteht, greift dagegen meist eine Offenbarungsbefugnis, in der Regel § 24 BDSG, auf die man sich berufen kann.
Um es praxisorientierter auszudrücken: Entwickelt ein Berater beziehungsweise eine Beraterin im Laufe des Beratungsprozesses ein ungutes Gefühl und den Wunsch, sich mitzuteilen, dann sollte er oder sie im Zuge einer Gefahreneinschätzung überlegen, welche objektiven Anhaltspunkte es gibt, die dieses Gefühl bestätigen oder eben auch widerlegen. Wenn die Beratungsfachkräfte gute und belegbare Gründe finden, sich zu offenbaren, dann können sie sich in der Regel auch auf die Offenbarungsbefugnis aus § 24 BDSG berufen. Bei diesem Abwägungsvorgang – der im Kern auf die Frage abzielt, ob eine Gefahr im rechtlichen Sinne gegeben ist – können die Leitlinien, die ich bereits erwähnt habe, eine wertvolle Unterstützung bieten.
Inwiefern könnte es problematisch für zivilgesellschaftliche Akteure sein, wenn es weitergehende Verpflichtungen gäbe, die vorsähen, Daten mit staatlichen Akteuren austauschen zu müssen? Welche Auswirkungen könnte das auf die Beratungs- und Ausstiegsarbeit haben?
Natürlich würde die Vertrauensbildung mit den Klientinnen und Klienten deutlich erschwert werden. Es könnte auch abschreckend für Familien oder Freunde sein, die sich Sorgen um jemanden machen und überlegen, ob sie Kontakt zu einer Beratungsstelle aufnehmen sollen oder nicht.
Es ist sehr wichtig, dass meine Kolleginnen und Kollegen an der Hotline und die Beratungsstellen den Ratsuchenden gegenüber von Anfang an absolut transparent sind. Sie müssen deutlich machen, dass sie gesetzlich verpflichtet sind, bestimmte Dinge zu melden. Die Beratung soll aber einen geschützten Raum bieten, in dem die Klientinnen und Klienten ohne Vorwürfe darüber, was in der Vergangenheit geschehen ist, sprechen und reflektieren können. Das macht ja den Beratungsprozess aus. Daher sind die gesetzlichen Offenbarungspflichten eng und auf wenige Ausnahmefälle beschränkt, nämlich die bereits angesprochenen Anzeige- und Zeugnispflicht. Doch bei der Überschreitung der dortigen Grenzen müssen die Beratungsstellen und die Beratungsfachkräfte ihr Wissen offenbaren.
Welche Gesetzesgrundlagen gibt es für den Austausch sensibler personenbezogener Daten (zu Weltanschauung, Religion etc.)?
Diese sensiblen Daten werden in Artikel 9 Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) in Absatz 1 definiert und heißen dort "personenbezogene Daten besonderer Kategorien". An den Umgang mit diesen Daten werden besonders hohe Anforderungen gestellt. Im Datenschutz existiert ein Verbot mit Ausnahmevorbehalt, das bedeutet, dass grundsätzlich ein Verarbeitungsverbot für sämtliche Daten gilt, es sei denn, es existiert eine gesetzliche Ausnahmeregelung. Diese Ausnahmen für die genannten sensiblen Daten findet man in Artikel 9 Absatz 2 DS-GVO und in § 22 des Bundesdatenschutzgesetzes. Aus diesen Vorschriften ergeben sich die folgenden Möglichkeiten:
Eine Einwilligungserklärung der betroffenen Person kann eine Datenverarbeitungsgrundlage bieten, sofern keine andere gesetzliche Regelung die Verarbeitung erlaubt. Die Einholung einer Einwilligungserklärung ist im Bereich der Angehörigen- und Umfeldberatung aber dann nicht möglich, wenn die Beratungsstellen keinerlei Kontakt zu der radikalisierten oder radikalisierungsgefährdeten Person selbst haben, deren Daten aber im Zuge der Beratungstätigkeit verarbeitet werden müssen.
Mit dem Zweiten Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz EU wurde eine zuverlässige Rechtsgrundlage geschaffen, mit der die Beratungsstellen auch in diesen Konstellationen Daten mit Weltanschauungs- oder Religionsbezug verarbeiten können. Seit November 2019 ist damit § 22 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe d BDSG die geeignete Rechtsgrundlage für die Verarbeitung dieser sensiblen Daten zur Erfüllung des Beratungsauftrages.
Wir und unsere Partner haben uns besonders darüber gefreut, dass in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit im Phänomenbereich Islamismus/Salafismus Bezug genommen wurde. Man hat dort festgehalten, dass sich der gesamtheitliche und gesamtgesellschaftliche Ansatz bei der Terrorismusbekämpfung bewährt hat. Die mit dem Gesetz einhergehenden datenschutzrechtlichen Änderungen betreffen aber natürlich auch die zivilgesellschaftliche Beratungsarbeit in zahlreichen anderen Phänomenbereichen, in denen es beispielsweise um Weltanschauungs- und Religionsbezüge geht.
Kommt es auch vor, dass Betroffene selbst wollen, dass Informationen weitergegeben werden oder dass über sie ausgesagt wird?
Ja, zum Beispiel, wenn Personen mit einem Distanzierungswunsch Angst vor der Szene haben und eine Gefahr für das eigene Leben oder die Sicherheit ihrer Familie befürchten, kann es sein, dass sie mit der Polizei zusammenarbeiten wollen und Aussagen machen, damit die Schutzmaßnahmen – auch in Absprache mit den zivilgesellschaftlichen Stellen – koordiniert werden können.
Betroffene machen sich manchmal auch Hoffnung auf Anpassung der sicherheitsbehördlichen Maßnahmen beziehungsweise auf eine Verringerung des Strafmaßes, wenn Mitarbeitende von Beratungsstellen positiv über den Verlauf der Beratung oder Ausstiegsbegleitung berichten oder wenn sie selbst umfänglich aussagen.
Bisher haben wir vor allem über Meldepflichten von zivilgesellschaftlichen Trägern an staatliche Stellen gesprochen. Wie sieht es denn mit der Weitergabe von Daten vonseiten staatlicher Stellen an zivilgesellschaftliche Beratungsstellen aus?
Es kommt vor, dass die Polizei sich an Beratungsstellen wendet und vorschlägt, Kontakt zu Personen aufzunehmen. Ein Beispiel: Ein junger Mann, der sich offensichtlich in einem Radikalisierungsprozess befindet oder der bereits stark radikalisiert ist, hat mehrfach Kontakt mit der Polizei. Beamte geben der Beratungsstelle einen Hinweis und den Namen des Mannes, damit die Mitarbeitenden ihn ansprechen und ihm ein Beratungsangebot machen oder ihn auf ein Deradikalisierungsprogramm aufmerksam machen können. Dies kann mit, aber – wenn die rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen – auch ohne das Einverständnis des Betroffenen geschehen. Manchen Betroffenen fällt es leichter, auf eine Anfrage zu reagieren, als selbst den ersten Schritt zu machen. Insofern kann es von Vorteil sein, wenn Beratungsstellen initiativ agieren.
Welche Daten tauscht das BAMF im Rahmen der Beratungsstelle Radikalisierung mit den zivilgesellschaftlichen Partnern aus?
Wir erfassen zum einen nicht-personenbezogene beziehungsweise anonymisierte Daten zur Erstellung eines bundesweiten Lagebildes. Als bundesweite Schnittstelle haben wir ein Interesse daran zu beobachten, wie sich der Phänomenbereich entwickelt und ziehen daraus strategische Schlüsse.
In den beiden bundesfinanzierten Beratungsprojekten, dem Beratungsnetzwerk Externer Link: Grenzgänger von IFAK e. V. und der Beratungsstelle Externer Link: Hayat der ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH, wird die Beratungsstelle Radikalisierung im BAMF darüber informiert, wenn aufgrund von § 138 StGB oder § 24 Bundesdatenschutzgesetz Daten an die jeweils zuständigen Stellen übermittelt werden.
In den Beratungsfällen an unserer eigenen Hotline geben wir auf Wunsch der ratsuchenden Person die Daten, die notwendig sind, an unsere Partner vor Ort weiter, damit diese Kontakt aufnehmen können.
Welche empfehlenswerten Lösungen existieren bereits für den Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden?
Die bereits erwähnten Leitlinien sollen für diesen Austausch einen Rahmen und eine Grundlage bieten. Sie sollen beide Seiten zu einer gemeinsamen Verständigung darüber anregen, wo die Grenzen des eigenen Handelns und des eigenen Auftrags liegen. Die Leitlinien sind in engem Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und staatlichen Stellen entstanden und werden fortlaufend angepasst.
Darüber hinaus ist es natürlich ganz wichtig, dass man eine vertrauensvolle Begegnung auf Augenhöhe schafft. In einigen Bundesländern wird dies dadurch befördert, dass man bei der Polizei einen "Single point of contact" für die Zivilgesellschaft hat. Es gibt also bestimmte Beamte oder Organisationseinheiten, an die man sich bei sämtlichen Fällen wendet, und mit denen sich eine gewisse Bindung einstellt.
Eine weitere geeignete Lösung kann es sein, sich über anonymisierte Fälle auszutauschen. Mitarbeitende von Beratungsstellen können mit den Ansprechpersonen bei der Polizei einen Sachverhalt möglichst abstrakt ohne Nennung von Personen oder Orten darstellen und fragen: "Welche Aspekte sehen Sie hier im Sinne der Gefahreneinschätzung und kommen Sie im Ergebnis dazu, dass hier eine Gefahr vorliegt oder nicht?"
Die kriminalistische Expertise kann bei der Gefahreneinschätzung sehr hilfreich und bereichernd sein. Aus einem solchen anonymisierten Austausch ergibt sich auch keine Pflicht für die Beratungsstelle, sich zu offenbaren. Denn die Beurteilung und Verantwortung liegt noch immer bei der Beratungsstelle beziehungsweise der Beratungsfachkraft.
Ein anderes Beispiel sind Fallkonferenzen, bei denen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen – zum Beispiel Beratungsstellen, Polizei, Verfassungsschutz, Kinder- und Jugendhilfe – Informationen zu einzelnen konkreten Fällen im Rahmen der eigenen Aufgaben und rechtlichen Möglichkeiten miteinander teilen, um zu bestmöglichen Lösungen zu kommen.
Das Gespräch führte die Infodienst-Redakteurin Katharina Reinhold am 12. Juni 2020.
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