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Online-Projekt "Islam-ist" | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Online-Projekt "Islam-ist" Fragen zum Glauben im Alltag

Sebastian Ehlers

/ 9 Minuten zu lesen

Das Projekt Islam-ist möchte einen inhaltlichen Gegenpol zu extremen Akteurinnen und Akteuren im Netz bieten. Auf der Website islam-ist.de sowie auf Instagram, TikTok und Facebook beantwortet ein Team von muslimischen und nichtmuslimischen Frauen und Männern Fragen, die der Glaube im Alltag aufwerfen kann. Umgesetzt wird das Projekt von Violence Prevention Network e. V. Der Infodienst hat mit Projektleiter Sebastian Ehlers gesprochen – darüber, für wen das Projekt gedacht ist, welche Ziele das Team verfolgt, wie Themen ausgewählt werden, wie die Angebote aufgenommen werden und welche Pläne es für die Zukunft gibt

Islam ist (Logo)

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Infodienst Radikalisierungsprävention: Woraus besteht das Angebot von "Islam-ist"?

Sebastian Ehlers: Unser Angebot besteht aus Information und Kommunikation. Zum einen informieren wir auf der Website Islam-ist.de, indem wir wiederkehrende Fragen, die der Glaube im Alltag aufwerfen kann, sowie Begriffe des Islams, erörtern. Dazu veröffentlichen wir Interviews und Grundlagentexte. Wir sind auf Facebook, Instagram und TikTok präsent, wo wir uns mit aktuellen Themen auseinandersetzen, die Community einbinden und auf crossmediale Inhalte verweisen – etwa unseren Podcast, den wir in diesem Jahr gelauncht haben. Auf allen Kanälen gibt es immer die Möglichkeit, mit uns in Kontakt zu treten – via Direktnachricht, Email oder telefonisch.

Warum hat Violence Prevention Network das Projekt ins Leben gerufen? Welche Ziele verfolgt es?

Das Kommunikationsverhalten junger Menschen hat sich dahingehend verändert, dass sie kaum noch zwischen on- und offline unterscheiden. Radikalisierung findet zunehmend online statt oder wird zumindest online initiiert und unterstützt. Wenn sich gefährdete junge Menschen intensiv im Internet – ihrem primären Sozialraum – bewegen, müssen wir sie genau dort abholen. Dabei geht es auch um Deutungshoheit – also kulturelle und theologische Hegemonie – die Extremistinnen und Extremisten für sich beanspruchen. Unser Ziel ist es, dem ein konkretes Bildungs- und Dialogangebot entgegenzusetzen – einen inhaltlichen Gegenpol zu den vielen und mitunter sehr reichweitestarken extremen Akteurinnen und Akteuren im Netz: Dialog statt Dogmatik, politische Bildung statt binäre Freund-Feind-Narrative, Vertrauen statt Verbal-Attacken, Empathie statt Extremismus. Das wird gestützt durch pädagogische und theologische Expertise und orientiert sich an den Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses.

Wir möchten dazu beitragen, dass junge Menschen mehrere Quellen bei der Bewertung einer Situation oder bei der Beantwortung einer Frage in Betracht ziehen. Wir wollen sie dabei unterstützen, sich eine eigene Meinung zu bilden und die Verantwortung für ihre Meinung und Haltung zu übernehmen. Das macht unser Angebot oftmals sehr komplex, denn wir geben keine einfachen Antworten, sondern ermuntern zum Nachfragen und stellen die Vielfalt der möglichen Deutungen einer einzelnen Antwort dar. Diese Art der Kommunikation fördert eigenverantwortliches Denken statt einfachem Übernehmen von Ideen und Meinungen anderer.

Wen möchten Sie mit dem Angebot vorrangig erreichen?

Primär sind es junge Menschen, die Gefahr laufen, sich religiös begründet zu radikalisieren. Sie suchen online nach Antworten auf Fragen, die sich im Zusammenspiel von Religion und Gesellschaft in ihrer Lebensrealität ergeben und landen dabei oft bei extremistischen Akteurinnen und Akteuren. Des Weiteren ist es das soziale Umfeld von Gefährdeten: Angehörige, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozialer (Jugend-)Einrichtungen.

Gelingt es Ihnen, diese jungen Menschen zu erreichen, die möglicherweise anfällig für die Ansprache extremistischer Gruppierungen sind?

Ja – zumindest wenden sich junge Menschen an uns, die sich von entsprechendem Content angesprochen fühlen. Das können wir zum Teil direkt in der Kommunikation über unsere Social Media-Accounts beobachten. Dem Projektteam werden von Userinnen und Usern immer wieder Videos, Statements oder Argumentationsketten bekannter Online-Akteurinnen und -Akteure aus dem extremistischen Spektrum zugesendet. Diese werden verbunden mit der Frage, was davon zu halten sei oder auch den Inhalten auf Islam-ist gegenübergestellt. Zudem sind die meisten jungen Menschen in ihrer Phase des Sich-Ausprobierens und der Suche nach der eigenen Identität und ihrem Platz in der Gesellschaft grundsätzlich empfänglich für die Ansprache verschiedenster Gruppierungen. Und darunter sind natürlich auch extremistische Gruppierungen der unterschiedlichsten Phänomenbereiche.

Wie wählen Sie die aktuellen Themen für Ihre Beiträge auf Instagram und Facebook oder die Fragen und Begriffe für die Erklärtexte auf der Website aus?

Unser Projektteam beobachtet die aktuelle Nachrichtensituation in den Medien und die Aktivitäten auf extremistischen Kommunikationskanälen und reagiert darauf mit eigenen Beiträgen. Es gibt auf der Website ein umfassendes Glossar mit wichtigen Grundlagenbegriffen des Islams und ausführliche Artikel, die verschiedene Fragen zum Islam erörtern (FAQ). Auf diese Inhalte nehmen wir bei aktuellen Themen immer wieder Bezug und bieten unseren Nutzerinnen und Nutzern so die Möglichkeit, bei Interesse tiefer in ein Thema einzutauchen.

Welche Quellen ziehen Sie für die Antworten und Beiträge heran? Wie ist das Team zusammengestellt?

Die Begriffe und (FAQ-)Texte werden vor allem von Islamwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern erstellt. Sie stehen dabei in Rücksprache mit den pädagogischen Beratungsteams von Violence Prevention Network und können so direkt Themen und Expertise aus dem „Feld“ einholen. Dieses Wissen aus der alltäglichen Beratungspraxis sowie die wissenschaftliche Expertise und entsprechende Literatur dienen als Quellen für die Arbeit von Islam-ist. Im Team gibt es Expertinnen und Experten in den Bereichen Islamwissenschaft, Pädagogik sowie Content- und Performance-Management.

Welche Themen werden besonders häufig abgefragt?

Es sind vor allem die Themen, auf die extremistische Akteure und Akteurinnen dogmatische Antworten geben: Du darfst …, Du darfst nicht …, das ist verboten, das ist erlaubt. Es sind Fragen zu Religion im Alltag und Gesellschaft: Liebe, Körperlichkeit, Lifestyle, Mode, Sport, Musik. Entsprechende Texte wurden auf unserer Website zehntausendfach geklickt.

Wie machen Sie das Angebot in der anvisierten Zielgruppe bekannt? Wie werden Userinnen und User auf das Angebot aufmerksam?

Neben Maßnahmen zur besseren Auffindbarkeit des Angebots und dem Monitoring relevanter Themen im Netz sind es vor allem die Sozialen Netzwerke über die wir auf Islam-ist aufmerksam machen. Dies geschieht organisch, indem wir aktuelle Themen mit spezifischen Hashtags bespielen. Zum anderen arbeiten wir verstärkt mit Influencerinnen und Influencern aus der muslimischen Community zusammen und schalten unter Verwendung von Targeting-Methoden regelmäßig Werbung in den Sozialen Netzwerken.

Was wissen Sie über die Hintergründe Ihrer Userinnen und User?

Aus demografischer Sicht haben wir plattformübergreifend ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Rund zwei Drittel unserer Userinnen und User sind zwischen 18 und 34 Jahren alt. Bei Instagram sind unsere Userinnen und User im Schnitt etwas jünger, und es sind im Vergleich mehr Frauen. Bei Facebook und der Website sind sie etwas älter und im Vergleich mehr Männer. Die meisten Zugriffe haben wir aus Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen. Was die persönlichen Hintergründe unserer Nutzerinnen und Nutzer angeht, so lassen sich vereinzelt Rückschlüsse aus den öffentlich zugänglichen Profilen ziehen, aber vorrangig arbeiten wir mit den Informationen, die uns direkt im Rahmen von Kommentaren oder Direktnachrichten gegeben werden. Ziel ist es, möglichst unvoreingenommen in die Kommunikation mit den Userinnen und Usern treten zu können.

Wie ist die Resonanz auf das Angebot?

Die Reaktionen auf unser Angebot sind vielfältig: So konnten wir über die Website bislang vor allem zu religiösen Festen und Anlässen (Ramadan, Lailat al-Barā`a etc.) deutliche "Peaks" feststellen. Während des Fastenmonats im vergangenen Jahr wurden binnen vier Wochen ca. 60.000 Seitenaufrufe generiert. Unsere Beiträge wurden in diesem Zeitraum in den Suchmaschinen mitunter als Top-Ergebnis zu den einschlägigen Fragen gelistet und hatten höhere Zugriffsraten als manch bekannte YouTube-Prediger.

Demgegenüber erreichen uns über Facebook immer seltener Reaktionen junger Menschen. Wir können hier mit Blick auf die vergangenen Jahre den allgemeinen Bedeutungsschwund von Facebook gerade bei dieser Zielgruppe deutlich nachvollziehen. Die Reichweite unseres Instagram-Kanals dagegen wächst beständig, und die an uns gerichteten Kommentare reichen von großer Zustimmung bis hin zu kompletter Ablehnung.

Was den im Frühjahr gestarteten Podcast "Islam-ist" und unsere neue Präsenz auf der Videoplattform TikTok anbetrifft, so ist es noch zu früh, um hierüber belastbare Aussagen treffen zu können, aber die ersten Auswertungen waren sehr vielversprechend. Grundsätzlich halten wir eine rein quantitative Bewertung der Resonanz eines Online-Angebotes für nicht zielführend. Ein einziger Dialog mit einem jungen, zweifelnden Menschen, kann unter Umständen mehr über die Wirkung des Projekts aussagen, als tausende von Seitenaufrufen oder Likes.

Sie bieten Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme über ein Formular auf der Website, über WhatsApp, Instagram und Facebook an. Wird dies von den Userinnen und Usern genutzt – und wie? Stellen diese dort vor allem weitere Fragen zum Islam oder kommt es auch zu weiterführenden Beratungssituationen (ggf. auch aus dem Online- in den Offlinebereich)?

Über die angesprochenen Kanäle erreichen uns ganz unterschiedliche Anfragen. Da möchte zum Beispiel jemand einfach nur wissen, wie ein Stück Land gesegnet werden kann. Oder jemand anderes fragt, ob Tattoos im Islam verboten oder erlaubt sind. Es gibt Zuschriften, die sich mit Korrekturvorschlägen auf unsere Texte beziehen und natürlich auch jene, die uns beschimpfen oder die die von uns in einem Post widergegebenen Ansichten komplett ablehnen. Dem ebenfalls geäußerten Wunsch nach persönlicher Kontaktaufnahme konnte durch Vermittlung zu einem unserer Beratungsteams bereits erfolgreich entsprochen werden.

Grundsätzlich gilt, dass wir bei religiös geprägten Anfragen, die von uns eine theologische Stellungnahme oder gar eine Entscheidung im Sinne einer Fatwa erwarten, deutlich machen, dass sich in unserem Team keine religiöse Autorität befindet. Wir unterstützen durch das Zusammentragen verschiedener religiöser Sichtweisen und entsprechender Recherchen lediglich die eigene Meinungsbildung der Userinnen und User. Gerade für den Fall, dass sich der Kontakt zu einer Person intensiviert, ist es wichtig, diese nicht im Unklaren darüber zu lassen, wer als Gesprächspartnerin oder -partner zur Verfügung steht und wer nicht.

Allgemein können wir aktuell eine steigende Interaktion der Userinnen und User mit unseren Inhalten feststellen. Allerdings geht damit nicht automatisch ein Zuwachs an projektrelevanter pädagogischer Kommunikation einher. Dennoch benötigen wir diese Reichweite, um überhaupt von denen wahrgenommen zu werden, mit denen wir in Kommunikation treten möchten. Um im Netz sichtbar zu werden und zu bleiben, erstellen wir deshalb auch Content, der in erster Linie den Relevanzanforderungen der jeweiligen Plattformalgorithmen gerecht werden soll, um Reichweite für das Projekt zu generieren. So haben wir beispielsweise den Fastenmonat Ramadan mit Lifestyle-Themen wie Ernährung und Fitness kombiniert, die auf den Social Media-Plattformen grundsätzlich sehr beliebt sind.

Stoßen Sie auch auf Kritik und Anfeindungen? Von wem und in welcher Form?

Mit steigender Reichweite werden auch mehr Userinnen und User auf das Angebot aufmerksam, die einer differenzierten, abwiegenden Auseinandersetzung mit religiösen Themen kritisch gegenüberstehen oder diese ganz verweigern. Aber gerade diese Menschen wollen wir ja erreichen und ihnen einen Dialog anbieten. Diese Dialoge können sehr unfruchtbar sein und sprachlich von Seiten der User und Userinnen entgleisen. Es kann aber durchaus der Fall sein, dass unsere Art und Weise der Darstellung von Meinungsvielfalt bei Personen Zweifel weckt oder diese ermutigt, ihre bereits existierenden Zweifel mitzuteilen. Hier entstehen dann eher fragende Dialoge, die darauf ausgerichtet sind, dass der User oder die Userin für sich selber zu einer Entscheidung kommen möchte.

Kennen Sie Internet- und Social Media-Angebote aus dem islamistischen Spektrum, die ähnliche Fragen beantworten – und reagieren Sie direkt darauf? Diskutieren Sie bei anderen Profilen in den Kommentaren mit oder bieten Sie eine Art Online-Streetwork an?

Es gibt viele Angebote aus dem islamistischen Spektrum, die auf die bei unserem Angebot vordringlich behandelten Fragen eingehen und deren Zahl an Followerinnen und Followern in den vergangenen Monaten leider weiter angestiegen ist. Diskursbeeinflussung in Kommentarspalten anderer Akteurinnen und Akteure betreiben wir im Rahmen dieses Projektes nicht, denn wir wollen durch die Darlegung von Meinungsvielfalt vor allem einen Gegenpol zur Deutungshoheit von extremistischen Akteurinnen und Akteuren setzen und uns darüber mit der Zielgruppe austauschen. Es besteht aber stets die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit unserem Online-Team, beziehungsweise einer Vermittlung an eines unserer Beratungsteams vor Ort. Die Art und Weise der Überführung in Beratungsstellen bestimmt immer der User oder die Userin. Entweder werden uns die direkten Kontaktdaten übermittelt, oder wir übermitteln die Kontaktdaten eines Beraters oder einer Beraterin vor Ort.

Wie sind Ihre Planungen für die Zukunft? Wie wird sich das Angebot weiter entwickeln?

Wir werden die Nutzung grafischer Elemente und verschiedener Plattform-Features intensivieren, um der Zielgruppe zu verdeutlichen: Wir sind da! Auch das Veröffentlichen von Aktivitäten der Redaktionsmitglieder wie der Besuch einer Moschee in Jerusalem oder persönliche Ansichten zu verschiedenen Glaubensfragen sollen die Diversität und Individualität des Teams verdeutlichen. Zudem soll durch Expertinnen und Experten sowie Influencerinnen und Influencern aus der muslimischen Community, die zu theologischen und lebensweltlichen Themen in Podcasts, Videos und Interviews zu Wort kommen, die Wahrnehmung von Islam-ist als eigenständiges Angebot verstärkt werden.

Ganz im Sinne des Agenda-Settings wollen wir mit eigenen Frames selbst Themen setzen, statt ausschließlich auf Themen zu reagieren. Somit möchten wir extremistischen Akteurinnen und Akteuren die Deutungshoheit nicht nur streitig machen – sondern sie von Beginn an mitgestalten. Einen Weg hierzu sehen wir in der weiteren Vernetzung der Online-Präventionsangebote miteinander. Indem wir uns inhaltlich und technologisch untereinander austauschen und abstimmen, steigern wir unsere Chancen, den schnell wachsenden extremistischen Kanälen zumindest in Teilen etwas dauerhaft entgegensetzen zu können. Wir können einander bei der Vervielfachung der jeweiligen Angebotswahrnehmung unterstützen und gemeinsam als multiprofessionelles Team unsere Erfahrungen und Erkenntnisse weitergeben und schneller auf sich verändernde Lebensrealitäten reagieren.

Extremistische Akteurinnen und Akteure sind auf dem Gebiet der Anpassung an die sich ändernden Kommunikationsgewohnheiten der jungen Zielgruppe "Early Adopter" – sie passen sich den spezifischen Regeln neuer Kommunikationsplattformen sehr schnell an und nutzen diese erfolgreich für ihre Agenda. Dieser Herausforderung müssen wir immer wieder aufs Neue begegnen.

Infodienst RadikalisierungspräventionMehr Infos zu Radikalisierung, Prävention & Islamismus

Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten.

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Sebastian Ehlers, Jurist, verantwortet seit 2016 bei Violence Prevention Network e. V. den Bereich Radikalisierungsprävention Online. Er leitet ein multiprofessionelles Team von Expert/-innen, das Online-Formate des zielgruppengerechten Zugangs zu radikalisierungsgefährdeten und radikalisierten jungen Menschen entwickelt und umsetzt.