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Kommunale Radikalisierungsprävention Gelingensbedingungen und Herausforderungen am Beispiel von PRO Prävention

Janusz Biene

/ 15 Minuten zu lesen

Religiös gerahmte Konflikte und Radikalisierungsprozesse sind zunächst vor allem auf lokaler Ebene sichtbar. Sie zeigen sich in der Schule, im Stadtviertel oder bei kommunalen Behörden. Der Kreis Offenbach startete 2016 das Modellprojekt PRO Prävention. Es unterstützt und vernetzt Akteure vor Ort, bietet Fortbildungen für Lehrkräfte und Projekte für junge Menschen an. Wie kann Präventionsarbeit auf kommunaler Ebene gelingen und welche Herausforderungen gibt es?

Blick auf Wohnsiedlungen in Dietzenbach im Kreis Offenbach (© picture-alliance/dpa, Werner Baum)

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Einleitung

Religiös gerahmte Konflikte und Radikalisierungsprozesse entwickeln sich in erster Linie vor Ort, auf lokaler Ebene. Konflikte, in denen (vermeintlich) religiöse Normen und Werte zur Begründung von Konfliktverhalten behauptet oder zugeschrieben werden, zeigen sich beispielsweise in der Schule, im Quartier oder auf dem Amt. Werden solche Konflikte konstruktiv ausgetragen, können sie Motor gesellschaftlicher Entwicklung sein; eskalieren sie, können sie zur Radikalisierung Einzelner und zu gesellschaftlicher Polarisierung beitragen. Ähnliches gilt im Hinblick auf Phänomene von Radikalisierung, also soziale Prozesse der Aneignung von Auffassungen, die sich gegen die Prinzipien einer offenen Gesellschaft richten, die Menschen die Gleichwertigkeit absprechen oder Gewalt erfordern. Radikalisierungsprozesse sind multidimensional und multifaktoriell, das Lokale spielt dabei oft eine wichtige Rolle: sei es, weil Gefühle der Nicht-Zugehörigkeit und Entfremdung, die Flucht vor der Komplexität hybrider Lebenswelten oder spezifische quartiersbezogene Konstellationen eine Rolle spielen; sei es, weil extremistische Aktivistinnen und Aktivisten in lokalen Sozialräumen aktiv und vernetzt sind und dort versuchen, für ihre Zwecke zu werben.

Lange Zeit traten Kommunen und Landkreise in der Regel nicht als Initiatoren oder Träger von Projekten auf. Stattdessen erfuhren sie Unterstützung vor allem von zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen und Sicherheitsbehörden, die meist überregional tätig sind. In jüngerer Zeit scheint sich dies jedoch zu ändern: Gemeinden, Städte und Landkreise nehmen Radikalisierungsprävention zunehmend selbst in die Hand.

Als erster Kreis in Hessen und als einer von wenigen bundesweit hat sich der Kreis Offenbach die Präventionsarbeit gegen Radikalisierung als freiwillige Aufgabe auf die Fahne geschrieben. Von Mai 2016 bis April 2019 wurde in einer ersten Projektphase das Modellprojekt "PRO Prävention – gegen (religiös begründeten) Extremismus" in der Trägerschaft des Kreises durchgeführt, gefördert durch das Landesprogramm "Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus" und den Inneren Sicherheitsfonds der Europäischen Union. Angesiedelt im Integrationsbüro, unterstützt es Akteure auf der Kreisebene sowie behördliche und zivilgesellschaftliche Akteure in den kreisangehörigen Kommunen dabei, in der Prävention von Radikalisierung in religiös begründetem Extremismus Handlungsfähigkeit zu gewinnen.

Der Beitrag fokussiert auf diese erste Projektphase von PRO Prävention von 2016 bis 2019. Das Projekt wird seit Anfang 2020 mit Mitteln aus einem neu konzipierten hessischen Landesprogramm fortgeführt und soll weitere, im Aufbau befindliche kommunale beziehungsweise regionale Fachstellen in Hessen fachlich unterstützen. In diesem Sinne ist es Ziel des Beitrags, gute Praktiken, Gelingensbedingungen und Herausforderungen kommunaler Radikalisierungsprävention am Beispiel von PRO Prävention zu identifizieren. Dem Präventionsgegenstand des Projekts entsprechend, fokussieren die Ausführungen auf den Phänomenbereich religiös begründeter Extremismus.

Kontextfaktoren im Kreis Offenbach

Metropolregion und Migrationsgesellschaft

Der Kreis Offenbach liegt südöstlich von Frankfurt am Main und Offenbach und ist Teil der Metropolregion Rhein-Main. Mit seinen 13 Städten und Gemeinden, in denen mehr als 350.000 Menschen leben, zählt er zu den Landkreisen mit der höchsten Bevölkerungsdichte in der Bundesrepublik.

Die Bevölkerung im Kreis Offenbach wächst stetig und ist durch das Zusammenleben alter Deutscher und neuer Deutscher sowie durch Zuwanderung aus dem In- und Ausland geprägt. Im Kreisgebiet leben Menschen aus circa 160 verschiedenen Nationen, 22 Prozent der Gesamtbevölkerung haben eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft. Das Zusammenleben in der pluralen und sich wandelnden Gesellschaft läuft dabei freilich nicht immer konfliktfrei ab. Auch hier spielen religiös gerahmte Konflikte, Radikalisierung und extremistische Mobilisierung eine Rolle.

Islamistische Mobilisierungsversuche

Der Kreis Offenbach ist zwar kein extremistischer Hotspot. Die Nähe zu Frankfurt und Offenbach bedingt aber, dass die Region als Teil des Rhein-Main Gebiets Aktionsraum extremistischer Akteure ist. Salafistische Aktivitäten wurden beispielsweise mit einem Auftritt des Aktivisten Pierre Vogel im Jahr 2015, der Koran-Verteilungsaktion "Lies!" (bis November 2016) und einer salafistischen Flugblattaktion im Jahr 2018 bekannt. In jüngerer Zeit trat darüber hinaus die islamistische Gruppe "Realität Islam", die dem Milieu der in Deutschland verbotenen Organisation "Hizb ut-Tahrir" zuzuordnen ist, durch Plakate, Infostände und Aktionen, die ins Netz übertragen wurden, im öffentlichen Raum auf. Im Jahr 2018 versuchten Aktivisten mittels einer Kampagne gegen ein vermeintliches Kopftuchverbot in Deutschland für sich und ihre Ideologie zu werben.

Auch im Kreis Offenbach kommt es zu Verdachtsfällen von Radikalisierung. Die meisten Fälle werden der "Beratungsstelle Hessen" des Violence Prevention Network gemeldet und dort bearbeitet. In der Mehrheit der Fälle, in denen PRO Prävention kontaktiert wurde, erhärtete sich der Radikalisierungsverdacht nicht.

Von Einzelfällen der Radikalisierung abgesehen, lässt sich von einer "Islamisierung" sozialer Konfliktlagen sprechen, also einer Konstellation, in der soziale Probleme als mit (muslimischem) Glauben in Verbindung stehend gedeutet werden, in der Konfliktverhalten religiös begründet wird und in der islamistische Akteure versuchen, soziale Konflikte für ihre Mobilisierung zu nutzen. In solchen Situationen sehen sich Regelstrukturen in Schule und Jugendarbeit sowie Vereine und Gemeinden mitunter überfordert und fordern fachliche Unterstützung an, unter anderem von PRO Prävention.

Präventionsakteure in der Region

PRO Prävention ist dabei ein Akteur unter anderen. Auf Landesebene haben das Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) sowie das Demokratiezentrum Hessen die Koordination und Begleitung der Träger in den Handlungsfeldern Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention inne. Mit der Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit im Phänomenbereich religiös begründeter Extremismus in Hessen ist die "Beratungsstelle Hessen" des Violence Prevention Network betraut. Auf Kreisebene sind zum Beispiel der Allgemeine Soziale Dienst, Integrationsstellen, Jugendförderungen, das zuständige Staatliche Schulamt oder das Polizeipräsidium Südosthessen zu nennen. Wichtige Akteure sind überdies die Partnerschaften für Demokratie im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!", die sich in fünf Kommunen sowie auf Kreisebene den Themen Demokratieförderung, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus widmen.

Schließlich zeichnet sich der Kreis Offenbach durch eine aktive Zivilgesellschaft aus, für die gut 60 Kulturvereine und Moscheegemeinden, der Kreisausländerbeirat oder auch der Sportkreis Offenbach beispielhaft stehen. Die Zusammenarbeit mit all diesen Akteuren unter Einbeziehung ihrer Perspektiven und Bedarfe ist für das Gelingen eines kreisweiten und in kommunaler Trägerschaft befindlichen Projekts wie PRO Prävention essenziell.

PRO Prävention: Aufbau, Ziele, Ansatzpunkte

PRO Prävention versteht sich als Anlaufstelle für alle Fragen rund um religiös gerahmte Konflikte und Radikalisierung in religiös begründetem Extremismus. Menschenfeindliche Einstellungen wie Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus, Diskriminierung sowie extrem rechte Mobilisierung spielen als Faktoren, die Konflikte beziehungsweise Radikalisierungsprozesse bedingen können, eine zentrale Rolle.

Das Projekt setzt sich aus vier zentralen Bausteinen zusammen: Erstens der Projektkoordination, die als Anlauf- und Fachstelle fungiert und in das Team des Integrationsbüros eingebettet ist. Sie ist verantwortlich für die konzeptionelle Fortentwicklung, erarbeitet Projekte für junge Menschen und Weiterbildungen für Fachkräfte und treibt die kreisweite Vernetzung voran. Zweitens gibt es das interdisziplinäre Beratungsteam, das institutionelle Beratung in Konfliktfällen und Verdachtsfällen von Radikalisierung anbietet. Drittens ist der Beirat ("Kompetenzteam") von Expertinnen und Experten aus Behörden, Zivilgesellschaft und Wissenschaft aus dem Kreis Offenbach und dem Land Hessen zu nennen (siehe unten). Viertens unterstützte in der Modellprojektphase eine wissenschaftliche Begleitung die Projektkoordination durch eine prozessbegleitende Evaluation.

Ein strategisches Ziel von PRO Prävention ist es, zur Vorbeugung von Radikalisierung in religiös begründeten Extremismus im Kreis Offenbach beizutragen. Dazu werden Maßnahmen zur Aufklärung über religiös begründete Radikalisierung, zur Förderung von Konfliktfähigkeit und identitärer Vielfalt durchgeführt. Das zweite strategische Ziel ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Kreis Offenbach zu stärken durch Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Netzwerk-Strukturen der Präventionsarbeit und die Förderung konstruktiver öffentlicher Diskurse über gesellschaftliche Vielfalt und Extremismus. Als Zielgruppen werden Fachkräfte im Kreis Offenbach in Schule, Jugend- und Integrationsarbeit, ehrenamtlich Engagierte in Vereinen und Gemeinden sowie junge Menschen angesprochen. Umgesetzt werden die Ziele mittels Maßnahmen der Bildungsarbeit und Kompetenzförderung, der institutionellen Beratung sowie der Netzwerk- und Strukturbildung.

Blick auf gute Praktiken

Im Rahmen von PRO Prävention wurden zahlreiche Aktivitäten angestoßen und Maßnahmen umgesetzt. Das Gros bezog sich auf den Kreis Offenbach, das Projekt war jedoch auch über die Grenzen der Gebietskörperschaft hinweg in Hessen, in anderen Bundesländern und punktuell auch im europäischen Ausland präsent. Im Folgenden werden ausgewählte Angebote gestreift.

Universelle Prävention: Förderung identitärer Vielfalt

Fragen von Identität und Vorurteile spielen auch im Kontext Radikalisierungsprävention eine Rolle. Dies zeigt sich zum Beispiel in den Mobilisierungsversuchen der Gruppierung "Realität Islam", die die Behauptung, "die" islamische Identität solle ausgelöscht werden, unter anderem dafür nutzt, ihre ideologisch geprägte Vorstellung von Islam und Muslim-Sein gegen gelebte muslimische Vielfalt in Stellung zu bringen. Erfahrungsberichten von pädagogischen Fachkräften zufolge werden in Schulen und Jugendzentren Vorurteile gegenüber "den" Juden, "den" Muslimen oder "den" Geflüchteten laut. Verfestigen sie sich, können sich menschenfeindliche Einstellungen formieren. Fälle von Radikalisierung schließlich zeigen, dass es zur Aneignung von Vorstellungen des Selbst und des Anderen kommen kann, die die Gleichwertigkeit der Menschen in Frage stellen.

Maßnahmen der universellen Prävention setzen an solchen Punkten an, die einerseits alltäglich und zielgruppenübergreifend Menschen beschäftigen, andererseits Radikalisierung bedingende Faktoren sein können. Eine dieser Maßnahmen war das Projekt "Glaube. Gemeinsam. Gestalten", welches von September 2017 bis März 2019 in zwei Durchläufen von PRO Prävention in Kooperation mit den Evangelischen Dekanaten Rodgau und Dreieich durchgeführt wurde. Insgesamt fanden in diesem Zeitraum 16 Treffen statt, unter anderem in Kirchen, Moscheen, Synagogen und einem Haus der Andacht. Teilgenommen haben insgesamt 30 junge Menschen, die sich als gläubig verstehen und in evangelischen, jüdischen, katholischen, muslimischen und bahaistischen Gemeinden aktiv sind. Im Rahmen des Projekts wurden sie als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren adressiert.

Tatsächlich gelang es im Projektverlauf zunehmend, einen geschützten Raum für Begegnung und den Austausch persönlicher Zugänge zu Religion und Religiosität sowie zu gesellschaftlichen Fragen zu schaffen. Dabei wurde die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konfliktthemen befördert, zu denen sich die Teilnehmenden nicht nur als gläubige Menschen, sondern aus unterschiedlichen Selbstverständnissen heraus positionierten. Auf diese Weise gelang es, Prozesse auf einer zwischenmenschlichen Ebene anzustoßen, ein gemeinsames emotionales Lernen zu ermöglichen und Vorurteile abzubauen. Des Weiteren wurde die identitäre Vielfalt der Teilnehmenden, die im Projektverlauf neben dem "Gläubig-Sein" andere Identitäten aufriefen, gestärkt. Das Ziel, in die Gesellschaft hineinzuwirken, wurde vor allem durch einen Comic-Workshop und eine Wanderausstellung mit dem Titel "Ich. Du. Wir. Comics über erlebte Vielfalt" der Berliner Comic-Zeichnerin Soufeina "tuffix" Hamed umgesetzt. Dabei wurden Geschichten der Teilnehmenden über eigene interreligiöse und interkulturelle Begegnungen in Comics dargestellt und gezeigt.

Selektive Prävention: Förderung pädagogischer Kompetenz im Umgang mit religiös gerahmten Konflikten und Radikalisierung

Im Rahmen von PRO Prävention gaben unterschiedliche Situationen Anlass, Maßnahmen der selektiven Präventionsarbeit anzubieten. Dazu gehörten Fälle, in denen junge Männer an Veranstaltungen von "Realität Islam" teilnahmen, die sich nicht sicher waren, wie sie das Erlebte einzuschätzen hatten und (vermittelt über einen Sozialarbeiter) den Bedarf äußerten, sich kritisch mit extremistischen Mobilisierungsversuchen zu beschäftigen. In anderen Fällen verbreiteten minderjährige Schüler extrem gewaltsame Videos der dschihadistischen Organisation "Islamischer Staat", und die Lehrkräfte wünschten sich Unterstützung in der Fall-Bearbeitung sowie auf den Klassenverband bezogene Angebote zum Umgang mit Hassrede und Gewalt im Internet.

Im Kontext religiös gerahmter Konflikte wurden Erfahrungen an PRO Prävention herangetragen, in denen die Nicht-Teilnahme am Schwimmunterricht oder die Verweigerung bestimmter Unterrichtsinhalte auf die (vermeintliche) religiöse Identität von Schülerinnen und Schülern bezogen und in den Kontext von Fundamentalismus oder Radikalisierung gestellt wurden. In anderen Fällen berichteten Fachkräfte aus Schule, Jugendarbeit und ehrenamtlich Engagierte aus der Geflüchtetenarbeit von Situationen, in denen junge Menschen, die sich als muslimisch verstanden, anderen vorzuschreiben versuchten, wie sie "den" Islam zu leben hätten.

Eine Maßnahme, die als Reaktion auf solche Bedarfe entwickelt wurde, war die im Handlungsfeld Schule angesiedelte dreitägige Fortbildungsreihe "Diskriminierung, Glaube und Radikalisierung als pädagogische Herausforderungen". Zielgruppe waren Lehrkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter an Schulen im Kreis Offenbach. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass der Lernort Schule durch religiös gerahmte Konflikte sowie von Diskriminierung und (Verdachts-)Fällen von Radikalisierung belastet ist, die in der Regel keine Gefahr für Sicherheit und Schulfrieden, sondern pädagogische Herausforderungen darstellen. Ziel der Fortbildungsreihe war es, über Entstehungsbedingungen religiös gerahmter Konflikte, Diskriminierung und Radikalisierung aufzuklären sowie die pädagogischen Kompetenzen in der Bearbeitung dieser Herausforderungen zu stärken. Schließlich sollten unter Beteiligung von Schulleitungen Möglichkeiten diskutiert werden, wie das System Schule reagieren kann, und welche Unterstützungsstrukturen genutzt werden können. Die Veranstaltungsreihe war als grundlegende Fortbildung konzipiert.

Die Auswertungen der Fortbildungsreihe zeigten, dass sich die Wahl einer sozialpädagogischen Perspektive auszahlte, die den Fokus auf das Individuum mit seinen Bedürfnissen und Interessen legte und gleichsam die Umwelteinflüsse (durch Eltern, Schule oder Gesellschaft etc.) reflektierte. Ausgehend von den Perspektiven der Teilnehmenden auf Diskriminierung, Religion und Radikalisierung, konnten mittels der Arbeit an konkreten Fällen, gemeinsamem szenischen Spiel und Inputs von Expertinnen und Experten Aufklärung erreicht, selbstreflexive Haltungen gefördert und Konfliktfähigkeit gestärkt werden. Durch die Diskussion der Veränderungspotenziale des Systems Schule konnten überdies Pfade zur weiteren Bearbeitung der Themen gelegt werden.

Als vertiefende Maßnahme wurde zudem das Schulnetzwerk "Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention an Schulen im Kreis Offenbach und der Stadt Offenbach" ins Leben gerufen, das auch weiterhin existiert. Dabei handelt es sich um ein auf die Region bezogenes, gemeinsames Angebot von PRO Prävention und den beiden Partnerschaften für Demokratie im Kreis Offenbach und in der Stadt Offenbach. Das Schulnetzwerk ist ein offenes Angebot für Lehrkräfte sowie Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, das sich in den Themensetzungen, Formaten und dem Turnus der Netzwerktreffen nach den Bedarfen der Teilnehmenden richtet. Zu den im Betrachtungszeitraum gewählten Themen gehörten: Elternarbeit an Schule, Umgang mit Hass und Gewalt in jugendlichen Musikkulturen und die Analyse von rechtsextremen und religiös-extremistischen Radikalisierungsbiografien. Ziel war es, den Erfahrungsaustausch und die Vernetzung der Fachkräfte zu fördern, die Mitglieder fortlaufend in aktuellen Themen weiterzubilden und gemeinsam Handlungsoptionen zu erarbeiten sowie Beauftragte für Prävention von Radikalisierung an Schulen im Kreis Offenbach in ihrer Arbeit zu unterstützen. Durch die gemeinsame Arbeit sollten schließlich Impulse für Prozesse der demokratischen Schulentwicklung gesetzt werden.

Zusammenhalt stärken: Vernetzung und öffentlicher Diskurs

Neben der Vorbeugung der Radikalisierung in religiös begründetem Extremismus zielt PRO Prävention darauf ab, zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beizutragen. Zu diesem Zweck wurden vor allem Maßnahmen zum Aufbau und zur Unterstützung kreisweiter und sozialraumbezogener Netzwerke sowie Maßnahmen zur Förderung eines konstruktiven öffentlichen Diskurses durchgeführt.

Damit entsprach PRO Prävention Bedarfen, die sowohl spezifisch für die Region als auch für Präventionsarbeit im Allgemeinen sind. Im interdisziplinären Handlungsfeld der Radikalisierungsprävention sind unterschiedliche zivilgesellschaftliche und behördliche Akteure mit je eigenen Selbstverständnissen und Perspektiven aktiv. Insbesondere der Kreis Offenbach weist ein dichtes Netz von Regelstrukturen, Anlaufstellen und Projekten auf, die sich Themen widmen, die für Radikalisierungsprävention relevant sind. Es besteht daher ein hoher Bedarf an Abstimmung, Koordination und Austausch, um Vertrauen aufzubauen, Partnerinnen und Partner zu gewinnen und Doppelstrukturen zu vermeiden. Des Weiteren bedarf es eines steten Informationsaustauschs über aktuelle Entwicklungen in den relevanten Phänomenbereichen und über gute Praktiken der Präventionsarbeit. Im Hinblick auf die öffentlichen Diskurse besteht der Bedarf, die interessierte Öffentlichkeit an der Diskussion relevanter und aktueller Aspekte von Radikalisierungsprävention in einer Weise zu beteiligen, die jenseits von Skandalisierung und Stigmatisierung ermöglicht, über konfliktive Themen in ein konstruktives Gespräch zu kommen.

Eine Maßnahme von PRO Prävention zur Vernetzung und Strukturbildung war die Einrichtung des Kompetenzteams, eines Beirats von 25 Expertinnen und Experten unter dem Vorsitz der Ersten Kreisbeigeordneten. Die Mitglieder des Kompetenzteams waren Vertreterinnen und Vertreter aus Landes-, Kreis- und Kommunalbehörden, Gremien, Vereinen und Gemeinden, die in ihrer haupt- oder ehrenamtlichen Arbeit mit Facetten von Radikalisierungsprävention zu tun hatten oder in komplementären Themenfeldern (wie beispielsweise Bildungsarbeit oder interreligiöser Dialog) aktiv sind. Das Kompetenzteam agierte im Sinne eines Fachbeirats, der das Projekt konstruktiv und kritisch begleitete, die Projektkoordination in der strategischen Planung unterstützte, ein Forum für kreisweite Vernetzung bot und einen Informationsaustausch über aktuelle Entwicklungen gewährleistete. Die Vernetzung der Mitglieder führte überdies dazu, dass jenseits des Projektzusammenhangs gemeinsame Aktivitäten entwickelt und neue Akteure in die relevanten Netzwerke im Kreis Offenbach eingeführt wurden.

Im Handlungsfeld Öffentlicher Diskurs wurden Veranstaltungen für fachöffentliches Publikum sowie die interessierte Öffentlichkeit angeboten. Dazu zählten beispielsweise Formate wie bundesweite Fachtage, Fachgespräche, Lesungen und Podiumsdiskussionen. Auf diese Weise wurden die Themen und Ansätze von PRO Prävention in die Gesellschaft getragen.

Gelingensbedingungen und Herausforderungen kommunaler Radikalisierungsprävention

Vor dem Hintergrund der ausgewerteten Erfahrungen der Projektarbeit und den hier kurz skizzierten Praktiken lassen sich einige ausgewählte Gelingensbedingungen und Herausforderungen für kommunale Radikalisierungsprävention formulieren.

Gelingensbedingungen

Eine notwendige Bedingung für gelingende kommunale Radikalisierungsprävention ist ein beständiger politischer Wille der verantwortlichen Amtsträgerinnen und Amtsträger und Gremien. Dazu bedarf es einer engen Abstimmung zwischen Projektverantwortlichen und politisch Verantwortlichen, unter anderem, um gemeinsam Problemstellungen und Ziele zu identifizieren. Des Weiteren sollten Sachmittel für die Umsetzung von Maßnahmen bereitgehalten werden, denn über eigene Angebote wie oben skizzierte Weiterbildungen und Projekte lassen sich Zielgruppen leichter erschließen.

Kommunale Radikalisierungsprävention bedarf eines kontextspezifischen Zuschnitts. Erstens sollten die regionalen, kommunalen und sozialräumlichen Problemstellungen in einer Kontextanalayse ermittelt und die zu addressierenden Bedarfe abgeleitet werden. Zweitens gibt es in der Regel bereits relevante Präventionsakteure oder Angebote, die präventive Wirkungen im Sinne von Radikalisierungsprävention zeitigen. Diese gilt es mitzudenken. Die der Bedarfsermittlung zugrundeliegende Kontextanalyse sollte periodisch aktualisiert werden.

Der Präventionsgegenstand sollte präzise identifiziert werden. Radikalisierung und Extremismus sind jeweils grundsätzlich umstrittene Begriffe, die erklärungsbedürftig sind. In der Konzeption eines Vorhabens bedarf es daher einer empirisch nachvollziehbaren, zweckmäßigen und wissenschaftlich begründeten Bestimmung, was unter Radikalisierung verstanden wird, welche Faktoren Radikalisierung bedingen und wo angesetzt werden soll.

Kommunale Radikalisierungsprävention braucht zudem eine positive Zielbestimmung. PRO Prävention zielte auf die Förderung gesellschaftlichen Zusammenhalts und identitärer Vielfalt ab. In der belgischen Stadt Mechelen wird die Idee einer "inklusiven Gesellschaft" als Kern von Präventionsarbeit angesehen. Derart inklusive Rahmungen entsprechen der Rolle von Kommunen, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln.

Herausforderungen

Vor dem Hintergrund der Projektarbeit von PRO Prävention und anderer kommunaler Akteure lassen sich freilich auch Herausforderungen identifizieren. So kann die Einrichtung von zeitlich befristeten Projekten (kommunaler) Radikalisierungsprävention beispielsweise auf Kosten von Regelstrukturen in Schule, Integrations- oder Jugendarbeit gehen. Die Erfahrungen im Rahmen von PRO Prävention zeigen aber, dass ein Präventionsprojekt dann positive Effekte erzielen kann, wenn es mit seiner spezifischen Perspektive gut ausgestattete Regelstrukturen unterstützen kann.

Eine Herausforderung stellt die Entscheidung dar, in welcher Abteilung einer Kommunalverwaltung das Thema Radikalisierungsprävention aufgehängt wird. Sie ist von Relevanz, weil sich die Präventionsverständnisse, Zielgruppen, Ansätze und Handlungslogiken unterscheiden dürften, je nachdem, ob Prävention als Frage von Sicherheit, Jugendarbeit oder Integrationsarbeit gesehen wird. Die Entscheidung sollte dabei in erster Linie auf Grundlage der ermittelten Präventionsbedarfe erfolgen. Während PRO Prävention im Integrationsbereich angesiedelt ist, kann es anderswo angebracht sein, Radikalisierungsprävention als Thema der Jugendarbeit zu begreifen oder im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes eine bereichsübergreifende Anlaufstelle einzurichten.

Die Versicherheitlichung von Prävention stellt auch für die kommunale Radikalisierungsprävention eine Herausforderung dar: Erstens, weil die Gefahr der Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen besteht. Zweitens, weil grenzenlose Prävention beispielsweise dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII oder kommunalen Integrationsbestrebungen zuwiderlaufen kann. Dies wäre der Fall, wenn Angebote der Jugendarbeit, Jugendförderung oder Integrationsarbeit nur noch legitim erscheinen, wenn sie "Extremismus verhindern", und wenn in der Arbeit mit Jugendlichen beziehungsweise Migrantinnen und Migranten übermäßig stark normierend in Entwicklungsprozesse eingegriffen wird. Um derlei Konflikte zu vermeiden, erscheint es empfehlenswert, nach Möglichkeit Maßnahmen der universellen Radikalisierungsprävention interdisziplinär zu konzipieren.

Kommunale Radikalisierungsprävention benötigt eine belastbare empirische Grundlage. Erfahrungsberichte, Projektdokumentationen und Presseberichte sollten nach Möglichkeit durch kontextbezogene wissenschaftliche Studien oder Daten eines systematischen Monitorings zu extremistischem Aktivismus ergänzt werden. Solche Daten liegen in der Regel nicht vor, da es kaum wissenschaftliche Radikalisierungsforschung auf lokaler oder sozialräumlicher Ebene gibt. Es empfiehlt sich daher Mittel vorzusehen, um kleinere Forschungsaufträge in Auftrag geben zu können oder ein begleitendes Monitoring einzuplanen.

Schließlich besteht eine Herausforderung kommunaler Radikalisierungsprävention darin, alle relevanten Akteure aus Verwaltung und Zivilgesellschaft mitzunehmen und ein geteiltes Problem- und Zielverständnis zu entwickeln. Dies liegt nicht zuletzt in der Interdisziplinarität des Handlungsfeldes begründet. Hinzu kommen unterschiedliche Erfahrungen der Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft hängt die Offenheit und Kooperationsbereitschaft auch von der zeitlichen Belastung ehrenamtlich engagierter Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, dem jeweiligen Grad gesellschaftlicher Polarisierung und der Sorge vor Stigmatisierung ab.

Radikalisierungsprävention im Allgemeinen und kommunale Radikalisierungsprävention im Besonderen sind noch recht junge Handlungsfelder. Es bedarf daher weiterer Erfahrungen und Evaluationen, um die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen zu erhöhen und gute Praktiken zu identifizieren. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen ist die Verankerung der Prävention von Radikalisierung vor Ort, also dort, wo sich Konflikte und Radikalisierung manifestieren, eine vielversprechende Entwicklung.

Der Text ist die gekürzte Fassung eines Beitrags, der für den Sammelband "Kultur der Anerkennung statt Menschenfeindlichkeit. Antworten für die pädagogische und politische Praxis" in der Herausgeberschaft von Prof. Dr. Dierk Borstel und Prof. Dr. Kemal Bozay entstanden ist. Der Band wird voraussichtlich im Jahr 2020 im Beltz Juventa-Verlag erscheinen.

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Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff "religiös gerahmte Konflikte" ermöglicht, neben der "konfrontativen Religionsbekundung" (Edler 2015, S. 36) auch die Zuschreibung von Religiosität bzw. Glauben als vermeintlicher Ursache für Konfliktverhalten mitzudenken.

  2. El-Mafaalani (2018).

  3. Schmid (2013).

  4. Vgl. Coolsaet (2016), S. 46.

  5. Biene (2017).

  6. Hüttermann (2018).

  7. Vgl. Biene (2018), S. 107.

  8. Kreis Offenbach (2017).

  9. Die Begriffe "alte Deutsche" und "neue Deutsche" gehen auf die Soziologin Naika Foroutan zurück und sind Versuche, gesellschaftliche Pluralität abzubilden. Anstelle eines "Migrationshintergrunds" wird die Einstellung gegenüber einer pluralistischen, multiethnischen und hybriden Gesellschaft als Unterscheidungskriterium angelegt. Während "neue Deutsche" diese Form des Zusammenlebens befürworten, halten "alte Deutsche" eher an "ethnokulturellen Zuschreibungskriterien" fest (vgl. Foroutan 2010, S. 13).

  10. bpb (2018).

  11. Vgl. Jensen/Schröter (2019), S. 7.

  12. Siefert (2018).

  13. Vgl. Biene (2019), S. 21-28.

  14. Nordbruch (2019).

  15. Vgl. Steinhilber/Schröter (2019), S. 34-36.

  16. vgl. Steinhilber/Schröter (2019), S. 30-32.

  17. Kreis Offenbach (2019).

  18. Vgl. Armborst et al. (2018), S. 4.

  19. Somers (2018), S. 92.

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Janusz Biene ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fach- und Beratungsstelle Legato in Osnabrück und Co-Teamleiter des Modellprojekts "Clearingstelle Radikalisierungsprävention an den Schnittstellen des SGB VIII". Von 2016 bis 2019 war er Koordinator des Projekts "Pro Prävention – gegen (religiös begründeten) Extremismus", angesiedelt im Integrationsbüro des Kreises Offenbach.