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Risk Assessment im Phänomenbereich gewaltbereiter Extremismus Einführung und Bestandsaufnahme

Annika von Berg

/ 12 Minuten zu lesen

Was bedeuten "Risk Assessment" oder "Risikobewertung" im Zusammenhang mit gewaltbereitem Extremismus? Mit welchen Instrumenten bewerten Sicherheitsbehörden und andere Akteure der Prävention das Risiko, das von Individuen und Gruppen ausgeht? Was macht ein gutes Risikobewertungsinstrument aus?

Risk? (© Adobe Stock/Stockwerk-Fotodesign )

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Der englische Begriff "Risk Assessment" beschreibt den Prozess der Risikobewertung, welcher in den verschiedensten Bereichen genutzt wird (etwa im Versicherungswesen oder der Sicherung kritischer Infrastruktur). Häufig ist eine solche Risikobewertung mit dem allgemeinen Risikomanagement verbunden. Im Fokus dieses Beitrages stehen Instrumente, die mehrheitlich von Sicherheitsbehörden zur Risikobewertung von Individuen und Gruppen genutzt werden, die möglicherweise eine politisch motivierte Gewalttat planen. Sie sind von den allgemeinen Terrorismusrisikoeinschätzungen wie den Terrorwarnstufen zu unterscheiden, die nicht Teil dieses Beitrags sind.

Was ist Risikobewertung und warum ist das Thema aktuell relevant?

Risikobewertung hat das Ziel, einen Erwartungsrahmen zu schaffen, der Auskunft darüber gibt, ob und wie wahrscheinlich mit einer bestimmten Gefahr zu rechnen ist. Ist diese Wahrscheinlichkeit, das heißt das Risiko dann eingeschätzt, ist es möglich Maßnahmen zu ergreifen, um mit der Gefahr umzugehen oder das Risiko zu minimieren (sogenanntes Risikomanagement).

So werden im Justizbereich Risikobewertungen beispielsweise genutzt, um bestimmte Risikomanagementmaßnahmen zu ergreifen, wie etwa die Festlegung von Kautionssummen, um das Fluchtrisiko zu senken.

Die Risikobewertung im Bereich des gewaltbereiten Extremismus hat ihren Ursprung am ehesten in der strukturierten, medizinischen Risikobewertung. So wurden im 20. Jahrhundert erste Risikobewertungsinstrumente entwickelt, um das Gewaltrisiko durch Patientinnen und Patienten einzuschätzen (zum Beispiel mithilfe des Instruments HCR20-V3).

Die in diesem Beitrag vorgestellten Risikobewertungsverfahren im Anwendungsbereich des gewaltbereiten Extremismus sind als Instrumente (Tools) zu verstehen, weil sie Anwenderinnen und Anwendern "Werkzeuge" an die Hand geben, die es erlauben sollen, das Risiko möglichst realitätsgetreu einzuschätzen. Welches Risiko sie genau erfassen, ist vom spezifischen Risikobewertungstool abhängig. Mehrheitlich wird das Risiko einer möglichen (erneuten) Gewalthandlung erfasst. Einzelne Instrumente erheben den Anspruch, das Risiko einer Radikalisierung einschätzen zu können.

Risikobewertungstools gelangten im Zuge der aktuellen Diskussion über den Umgang mit "IS"-Rückkehrerinnen und -Rückkehrern in den Fokus, wobei Medien und Wissenschaft einstimmig und nachdrücklich die Bedeutung von solchen Tools betonen. Sie seien notwendig, um die Gefahr, die von den Rückkehrenden ausgeht, einschätzen und um Entscheidungen bezüglich risikominimierender Maßnahmen treffen zu können. Im Rahmen dieser Diskussion kommt nun aber in Wissenschaft und (sicherheitspolitischen) Praxis zugleich die Frage auf, ob etablierte Risikobewertungsinstrumente für diese besondere Gruppe nutzbar sind und wie "gut" etablierte Instrumente an sich sind.

Das verstärkte Interesse sowie die sicherheitspolitische Brisanz sind der Anlass dafür, in diesem Artikel eine Übersicht zu entsprechenden Risikobewertungsinstrumenten im Themenfeld zu geben. Zunächst werden die Möglichkeiten zur Risikobewertung vorgestellt. Anschließend werden, basierend auf der Forschungsliteratur, Qualitätsmerkmale "guter" Risikobewertungstools (sogenannte Gütekriterien) sowie einige relevante Risikobewertungsinstrumente kurz vorgestellt, ehe ein Fazit zu der Frage gezogen wird, was Risikobewertung leisten kann.

Welche Möglichkeiten der Risikobewertung gibt es?

Vier Generationen

Grundsätzlich lassen sich Risikobewertungstools für die unterschiedlichsten Arbeitsbereiche in vier "Generationen" unterteilen. Dabei erfolgte eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Generation zu Generation, um Tools zu standardisieren und die Risikoeinschätzung zu professionalisieren.

Die erste Generation umfasst unstrukturierte, professionelle Einschätzungen, beispielsweise durch medizinisches Fachpersonal; basierend auf deren Erfahrungswerten und Qualifizierung. Dadurch sind Bewertungen stark von den Anwenderinnen und Anwendern sowie deren Fähigkeiten und Erfahrungen abhängig, und Vergleiche über Fälle hinweg werden erschwert.

Die zweite Generation dagegen ist eine strukturierte Abfrage von historischen und demografischen Daten (z. B. aus Kranken- und Strafakten oder ähnlichen Datenquellen) und deren Einfluss auf das Risiko.

Die dritte Generation ist ebenfalls strukturiert und schließt zusätzlich psychologische und verhaltenstechnische Faktoren ein. Diese Generation zeigt eine zunehmende Spezialisierung auf konkrete Anwendungsbereiche auf und erlaubt durch ihre Strukturiertheit und Vorgabe von Faktoren Vergleiche sowie die Reduzierung subjektivitätsbedingter Fehleinschätzungen.

Instrumente der vierten Generation zeichnen sich zusätzlich durch die explizite Anbindung an das Risikomanagement aus.

Risikobewertungsexpertinnen und -experten aus den Bereichen Wissenschaft, Praxis und Sicherheitsbehörden sehen Instrumente der dritten und vierten Generation als besonders hilfreich und zweckdienlich. Durch ihre Zusammenstellung von anwendungsbereichsspezifischen Variablen erlauben sie es, das Risiko (zum Beispiel für eine extremistische Gewalttat) am ehesten korrekt einzuschätzen. So erfassen diese "Spezialinstrumente" Variablen, die sich nicht nur auf ein allgemeines Gewaltrisiko beziehen, sondern auch Variablen, die sich explizit auf politisch motivierte Gewalt beziehen – wie beispielsweise das Vorliegen eines geschlossenen, extremistischen Weltbilds. Ferner weisen Risikobewertungsinstrumente der vierten Generation zusätzlich eine explizite Anbindung an den Prozess des Risikomanagements auf. Dadurch sind sie darauf ausgelegt, die Auswahl von Interventionsansätzen, die Dokumentation des Rehabilitationsprozesses und damit letztlich die Risikoreduzierung zu unterstützen.

Aktuaristisch versus SPJ

Neben der Unterscheidung nach Generationen ist eine Unterscheidung zwischen rein statistischen (häufig als "acturial method/acturial tools", also "aktuaristische Instrumente" bezeichnet) und strukturierten professionellen Einschätzungen (sogenannte "Structured Professional Judgement Tools/SPJ") möglich.

Aktuaristische Instrumente arbeiten eher quantitativ und schätzen das Risiko auf Basis statistisch festgestellter Zusammenhänge ein. Sie untersuchen, ob Faktoren vorliegen, die statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Person zum extremistischen Gewalttäter wird.

SPJ-Ansätze erheben zwar ebenfalls Faktoren, von denen ausgegangen wird, dass sie das Risiko erhöhen. Dabei wird aber nicht vorgegeben, wie die Faktoren miteinander verrechnet oder gewichtet werden sollen; vielmehr gehen qualitative Aspekte in Form von Erfahrungswerten und persönlichen Eindrücken der Anwenderinnen und Anwender strukturiert in die Risikoeinschätzung ein.

Aktuaristische Modelle werden vor allem aufgrund der verhältnismäßig geringen Fallzahlen im gewaltbereiten Extremismus und der hohen Komplexität des Themenbereichs kritisiert. Fraglich sei, ob generalisierbare statistische Aussagen getroffen und damit letztendlich verlässliche aktuaristische Tools überhaupt konzipiert werden können.

Dieser Kritik müssen sich jedoch auch SPJ-Tools stellen. Die mangelnde wissenschaftliche Fundierung von Risikofaktoren und deren Einfluss auf das tatsächliche Risiko einer extremistischen Gewalttat kann hier jedoch durch den Einbezug von Erfahrungswerten der Anwenderinnen und Anwender ausgeglichen werden. So kann beispielsweise die Einstufung und Gewichtung jedes Items (Frage, die in einer Bewertung abgefragt wird) beziehungsweise Faktors und besonders die finale Einschätzung unter Einbezug der Erfahrungswerte der Anwenderinnen und Anwender erfolgen. Dies führt jedoch zu einer vergleichsweise hohen Subjektivität des Ergebnisses führt.

Andererseits variiert der Grad der Subjektivität zwischen Instrumenten und kann gegebenenfalls durch ein strenges Anwendungsprotokoll oder entsprechende mathematische, computergestützte Rechenoperationen zur Fehlerkontrolle ausgeglichen werden. Außerdem ermöglicht der Einbezug von Erfahrungswerten es, individuelle Beobachtungen von für das Themenfeld sensibilisierten Personen einzubeziehen.

Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass sich aktuaristische Tools zu stark statischer Faktoren bedienen und somit keine Anbindung an das vielgeforderte Risikomanagement bieten. Denn statische Faktoren beschreiben Eigenschaften, die unveränderlich sind, wie beispielsweise den Migrationshintergrund. Dies steht dem Grundgedanken des Risikomanagements – das heißt der dynamischen Veränderung und Elimination von Risikofaktoren – diametral gegenüber.

Aufgrund dieser Kritikpunkte haben sich aktuell SPJ-Tools wie VERA-2R zur Risikobewertung im Bereich des gewaltbereiten Extremismus als Methode der Wahl in der Risikobewertungsforschung etabliert. Sie beziehen über rein statische Faktoren hinaus auch dynamische, also grundsätzlich veränderbare Faktoren mit ein, sodass eine Anbindung an das Risikomanagement ermöglicht wird.

Was macht "gute" Risikobewertung aus?

Qualitätsmerkmale oder Gütekriterien für Risikobewertungsinstrumente, die sich aus der Forschung ableiten lassen, können Aufschluss darüber geben, wie gut ein Risikobewertungsinstrument gemessen an bestimmten Qualitätsstandards ist. Insgesamt lassen sich sieben Qualitätsstandards identifizieren, die bestimmten Zwecken dienen:

  1. Die schriftliche Dokumentation und Begründung der Einschätzung und Beobachtungen dient der Fehlerkontrolle und der Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse.


  2. Eine definitorische Grundlage, das heißt die präzise Definition von Kernkonzepten und dem zu messenden Risiko, ermöglicht idealerweise Vergleiche über mehrere Fälle hinweg sowie die Evaluation einzelner Maßnahmen, die beispielsweise im Rahmen vom Deradikalisierungsmaßnahmen erfolgen.


  3. Die Erfassung des Risikos in Item-Kategorien dient einerseits der Strukturierung, da diese Item-Kategorien meist auf theoretischen (und zum Teil empirischen) Annahmen zu Zusammenhängen von verschiedenen Risiko- und Schutzfaktoren in Radikalisierungsprozessen basieren.


  4. Andererseits schafft dieses Vorgehen ein Bewusstsein darüber, dass erhobene Variablen oder Faktoren nicht im Vakuum, sondern erst im gegenseitigen Austausch und mit der Umgebung wirken.


  5. Dieses Bewusstsein von Wechselwirkungen zwischen Faktoren ist besonders im Kontext der als wichtig verstandenen Erfassung von Resilienz- und Schutzfaktoren zu nennen, weil derlei Faktoren Risikofaktoren ausgleichen können. Andererseits kann so die im Zuge der oben genannten Generationsempfehlungen geforderte Anbindung an das Risikomanagement effektiv gestaltet werden.


  6. Häufig wird zusätzlich auch die Erfassung von Faktoren der mentalen Gesundheit empfohlen. Hier bestehen jedoch noch signifikante Forschungsdefizite, wie und welche Faktoren im Kontext des Phänomenbereichs erfasst werden sollen. Dennoch wird zumindest die grobe Erfassung dieser Faktorenkategorie als ein relevantes Qualitätsmerkmal verstanden. Sie sollte im Kontext der oben genannten Rückkehrenden-Problematik nicht vernachlässigt werden, wenn davon ausgegangen wird, dass Traumatisierungen verstärkt auftreten könnten.


  7. Abschließend lässt sich feststellen, dass eine qualitative, strukturierte und prozessorientierte Darstellung des Ergebnisses erfolgen sollte. In der Konsequenz der Prozessorientierung bedeutet dies auch, dass das Risiko wiederholt erhoben wird, um dessen Entwicklung (und gegebenenfalls die Wirkung des Risikomanagements) zu dokumentieren. Es sollen im Rahmen des qualitativen Bildes der Risikolage ferner Aussagen über Risikoakzeptanz und Tolerierbarkeit geliefert werden.

Beispiele relevanter Risikobewertungsinstrumente

VERA-2R

Das Instrument VERA-2R (Violent Extremism Risk Assessment 2 Revised) und dessen Vorgängerversionen sind SPJ-Tools. Sie wurden von Dr. Elaine Pressman (International Centre for Counter-Terrorism The Hague/ICCT) und anderen mittels neuster, empirischer und praktischer Erkenntnisse (weiter)entwickelt. Während Vorgängerversionen nur für die Anwendung im Strafvollzug vorgesehen waren, dient VERA-2R nun auch zur Risikobewertung von Personen, die "aufgrund eines Verdachts bzgl. extremistisch motivierter Gewalt unter polizeilicher Beobachtung stehen".

Die Einstufung erfolgt über in verschiedene Kategorien gegliederte Items, die jeweils auf einer Skala von niedrig – moderat – hoch bewertet werden. Dabei sind für jede Ausprägung Beispielfragen zur Erfassung vorhanden. Auch Zwischeneinstufungen sind möglich. Für die Anwendung ist eine Fortbildung notwendig, die durch Supervision, Intervision und mit Treffen zum Erfahrungsaustausch ergänzt werden kann. Dieses Instrument wird in Deutschland von Sicherheitsbehörden genutzt, obwohl hier auch erste eigene Analyseinstrumente entwickelt werden (siehe unten RADAR-iTE/RISKANT).

Die Items betrachten neben Risikofaktoren auch dynamische und protektive Faktoren. Eine Anbindung ans Risikomanagement ist daher grundsätzlich möglich. Mit VERA-2R wurden außerdem zielgruppenspezifische Variablen (für Frauen und Kinder) sowie Items zur mentalen Gesundheit mit einbezogen. Durch Kategorien wie "Sozialer Kontext und Absicht" werden indirekt Verhaltensvariablen wie "Planung von Gewalttaten" und "Kontakt zu Extremistinnen und Extremisten" erfasst. Durch einen zweiten, noch in der Entwicklung befindlichen, Schritt werden ferner Indikatoren erhoben, die "insbesondere die Persönlichkeitseigenschaften und psychiatrischen Syndrome abbilden [und] eine entsprechende psychiatrische Expertise" voraussetzen.

Das Ergebnis wird durch den eigentlichen Fragebogen und die anschließende Formulierung eines individuellen Erklärungsmodells präsentiert. Dieses zeigt die Wahrscheinlichkeit und Schwere eines Rückfalls beziehungsweise einer Gewalttat auf. Dadurch, dass alle Schritte der Bewertung unweigerlich schriftlich dokumentiert werden, sind Risikoeinschätzungen nachvollziehbar. Anwenderinnen und Anwender werden durch die Formulierung des Erklärungsmodells dazu gebracht, ein Bewusstsein für die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Faktoren zu entwickeln.

Bei VERA-2R handelt es sich explizit um ein Tool für Expertinnen und Experten, dessen Ergebnis stark durch die Anwenderinnen und Anwender beeinflusst ist. Dadurch wird die Gruppe der Anwenderinnen und Anwender stark eingeschränkt. Problematisch ist auch die starke Abhängigkeit von der Informationslage, denn es müssen drei der fünf Subkategorien ausgefüllt werden, um eine Gesamtbeurteilung zu ermöglichen. Ferner kritisieren VERA-Nutzerinnen und Nutzer, dass die Anwendung zeitintensiv und vor allem im normalen Betreuungskontext (zum Beispiel durch Mitarbeitende von Beratungsstellen) nur über längere Zeiträume hinweg realisierbar ist.

RADAR-iTE / RISKANT

RADAR-iTE / RISKANT (Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus) ist ein softwaregestütztes, zweistufiges Modell zur aktuaristischen Risikoeinschätzung. In einem ersten Schritt werden 70 Fragen und die Fallchronologie erfasst. Bei hoher Risikoeinschätzung erfolgt in einem zweiten Schritt eine Einzelfallanalyse. Das Tool wurde in Zusammenarbeit verschiedener Akteure entwickelt (Bundeskriminalamt/BKA, Universität Konstanz, Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt, Landeskriminalamt NRW, Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Österreich). Es soll laut BKA für alle Anwendungsbereiche einsetzbar sein und eine Möglichkeit zur Anbindung an das Risikomanagement bieten.

RAN CoE Returnee 45

Bei RAN CoE Returnee 45 handelt es sich um "ein Risikountersuchungswerkzeug speziell für Rückkehrer", das vom Interner Link: Radicalisation Awareness Network entwickelt wurde. Es soll als Gesprächsgrundlage zwischen beteiligten Akteuren und zur Festlegung von Maßnahmen genutzt werden, um letztlich das Gewaltrisiko durch Rückkehrerinnen und Rückkehrer zu senken. Es soll als Checkliste dienen, durch die sich Praktikerinnen und Praktiker einen Überblick zur Risikolage verschaffen und anschließend Problembereiche genauer erheben können.

Im Tool werden verschiedene Informationen erhoben: spezielles Risikoverhalten der Zielgruppe "foreign fighters" (z. B. Motivation vor und nach Ausreise), protektive Faktoren (z. B. Verhältnis zu Behörden), klassische Faktoren (z. B. Kummer/Ungerechtigkeiten), rückkehrerspezifische Faktoren (z. B. Position innerhalb der Gruppe) und mentale Faktoren (z. B. psychische Gesundheit) erhoben.

Returnee 45 dient explizit der Feststellung und Einordnung von Risikoverhalten. Das heißt es wird keine Risikoeinstufung ermittelt, sondern es dient dazu, rückkehrerspezifische Verhaltensweisen zu identifizieren, die mit dem Risiko einer Gewalttat assoziiert werden. Ferner wird betont, dass auf eine erste Einordnung eine weitere Beurteilung durch Fachpersonal folgt.

Fazit: Was kann Risikobewertung leisten?

Die Kritik an den hier vorgestellten Risikobewertungsinstrumenten und darüber hinaus betrifft zunächst einmal deren wissenschaftliche Grundlage und Bewährung. Zwar präsentiert die Forschung eine umfassende Liste von Risikofaktoren, allerdings liegen nur unzureichende Erkenntnisse vor, in welchem Zusammenhang die einzelnen Risikofaktoren zueinander stehen, wie stark der Einfluss einzelner Faktoren auf das Gesamtrisiko ist, oder ob sie tatsächlich einen ursächlichen Einfluss auf eine Gewalttat haben.

Außerdem wurden bestehende Tools zum Teil unzureichend erprobt beziehungsweise befinden sich unabhängige wissenschaftliche Tests noch im Anfangsstadium. Hier kommt wiederholt die Frage auf, ob im Kontext der geringen Fallzahlen aus methodischer Perspektive überhaupt verallgemeinernde Aussagen zu Risikofaktoren und deren Wirkung getroffen werden können. Auch äußern vielfach gerade zivilgesellschaftliche Akteure die Kritik, dass Resilienz- und Schutzfaktoren vernachlässigt würden und somit eine Anbindung an das Risikomanagement erschwert wird.

Ferner ist bei vielen Tools die mangelnde Differenzierung zwischen gewaltfreiem und gewaltbejahendem Extremismus zu beklagen; beziehungsweise wird das dem jeweiligen Tool zugrundeliegende Extremismusverständnis nicht klar kommuniziert, sodass Rückschlüsse zum Extremismusverständnis häufig nur über den nationalen Kontext möglich sind. Die klare Kommunikation der angewendeten Extremismusdefinition ist jedoch unabdingbar für die Interpretation und Vergleichbarkeit der Ergebnisse.

Angesichts dieser doch grundlegenden Kritik stellt sich die Frage, was Risikobewertungen leisten können. Was unmöglich ist, sind schnelle Bewertungen oder Bewertungen mit einer hundertprozentigen Garantie, ebenso wie eine absolute Objektivität der Ergebnisse. Dies kann jedoch durch die Möglichkeit des Einbezugs von Erfahrungswerten ausgeglichen werden. Diese können dort genutzt werden, wo objektive Fakten zur Wirkung von Risiko- und Schutzfaktoren noch fehlen.

Im Zuge des erwarteten hohen Fallaufkommens von Rückkehrerinnen und Rückkehrern können Risikobewertungen außerdem zur Fallpriorisierung dienen, beziehungsweise dabei helfen Faktoren zu identifizieren, die im Leben eines Individuums zu einer Gewaltanwendung führen können. Aus dieser Perspektive wird auch die Anbindung an das Risikomanagement unweigerlich ermöglicht. Im Zuge einer Fokussierung auf das Risikomanagement könnten Instrumente zusätzlich dazu genutzt werden, die Veränderung des Risikos und mögliche Erfolge von Maßnahmen zu dokumentieren. Essenziell ist es dafür aber, Schutz- und Resilienzfaktoren zu erfassen, was in einigen Risikobewertungsinstrumenten noch fehlt.

Abschließend zeigt sich, dass etablierte Instrumente die relevanten Gütekriterien und Methodenempfehlungen zum Großteil erfüllen, soweit die Informationslage eine solche Bewertung zulässt. Ferner lässt sich beobachten, dass die Instrumente an neue Entwicklungen angepasst werden (beispielsweise die Erfassung mentaler Risikofaktoren, neue Zielgruppen) und dass auf Feedback von Anwenderinnen und Anwendern reagiert werden kann.

Es bestehen jedoch durchaus Schwächen bezüglich der Nutzbarkeit in der Praxis (vor allem Anbindung an Risikomanagement, Zeitintensität). Grundsätzlich sind existierende Risikobewertungsinstrumente somit durchaus nutzbar, wenn ein Bewusstsein darüber herrscht, welche Schwächen das jeweilige Instrument aufweist.

Dieser Beitrag ist eine Überarbeitung eines ausführlicheren Artikels, der zuerst in Externer Link: INTERVENTIONEN – Zeitschrift für Verantwortungspädagogik, Ausgabe 13/2019, erschien.

Weitere Hintergründe zum Thema:

Von Berg, Annika/Korn, Judy/Mücke, Thomas/Walkenhorst, Dennis (2019): Einschätzung und Bewertung von Risiken im Kontext der Extremismusprävention und Deradikalisierung: Zwischen sicherheitspolitischem "Risk Assessment" und pädagogischem "Resilience Assessment", Externer Link: Schriftenreihe Heft 2, Berlin: Violence Prevention Network.

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Von Berg, Annika/Korn, Judy/Mücke, Thomas/Walkenhorst, Dennis (2019): Einschätzung und Bewertung von Risiken im Kontext der Extremismusprävention und Deradikalisierung: Zwischen sicherheitspolitischem "Risk Assessment" und pädagogischem "Resilience Assessment", Externer Link: Schriftreihe Heft 2, Berlin: Violence Prevention Network (abgerufen am 27.5.2020).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Lowrance 1980, S. 8.

  2. Vgl. Pressman/ Flockton (2012), S. 239.

  3. Das Historical Clinical Risk Management-20 Version 3 dient der Messung des allgemeinen Gewaltrisikos bei Erwachsenen im Bereich des Strafvollzugs, der Forensik und der Psychiatrie. Das Tool erfasst 20 historische, klinische und risikominimierende Faktoren (Drogenmissbrauch, traumatische Erfahrungen, professionelle Hilfe und Pläne). Die erste Version wurde 1995 veröffentlich und seitdem basierend auf Fortschritten im Bereich des Risk Assessments und auf neuen Forschungserkenntnissen weiterentwickelt. Vgl. Smith (2018), S. 15.

  4. Vgl. zum Beispiel Meines [u.a.] (2017).

  5. Vgl. Hanson (2009), S. 173f..

  6. Vgl. Campbell et al. (2009), S. 569.

  7. Vgl. Campbell [u.a.] (2009), S. 569.

  8. Vgl. Hanson (2009), S. 174

  9. Vgl. Hanson (2009), S. 174, Dean/Pettet (2017), S. 94.

  10. Vgl. Monahan (2013), S. 549, von Drachenfels [u.a.] (2018), S. 2, Gill [u.a.] (2015), S. 14

  11. Vgl. Richards 2018, S. 377f., Hanson (2009), S. 174, Dean/Pettet (2017), S. 94.

  12. Vgl. Dean/Pettet (2017), S. 95.

  13. Vgl. Lemkey/Wilcox 2014, Monahan (2013), S. 549.

  14. Vgl. Roberts/Horgan (2008), S. 5.

  15. Vgl. Bryans et al. (2016), S. 55, Hanson (2009), S. 174.

  16. Vgl. Lemkey/Wilcox (2014), S. 2. und Roberts/Horgan (2008), S. 5.

  17. Vgl. Bspw. Lloyd/Dean (2015), S. 13.

  18. Vgl. Dean/Pettet (2017), S. 94.

  19. Vgl. Madriaza [u.a.] (2017), S. 27.

  20. Vgl. von Berg et al. 2019

  21. Vgl. Scheithauer [u.a.] (2012), S. 47f

  22. Vgl. Pressman (2016), S. 255, Hanson (2009: 173), Richards (2018), Becker (2017), Mc-Gilloway [u.a.] (2015), Pressman (2016), S. 255, Hanson (2009), S. 173, Richards (2018).

  23. Vgl. zum Beispiel McGilloway [u.a.] (2015).

  24. Vgl. Aven/Renn (2009), S. 594f.

  25. Vgl. Dean/Pettet (2017), S. 92f., Sadowski [u.a.] (2017), S. 318.

  26. Vgl. Smith (2018), S. 15, Herzog-Evans (2018), S. 10.

  27. Sadowski [u.a.] (2017), S. 318.

  28. Vgl. Sadowski [u.a.] (2017), S. 319.

  29. Vgl. Sadowski [u.a.] (2017), S. 318.

  30. Vgl. Sadowski [u.a.] (2017), S. 320ff.

  31. Vgl. Sadowski [u.a.] (2017), S. 319.

  32. Vgl. Hoffmann [u.a.] (2017), S. 41.

  33. Vgl. Sadowski [u.a.] (2017), S. 319.

  34. Vgl. Sadowski [u.a.] (2017), S. 319.

  35. Vgl. Flade (2017), Bundeskriminalamt (2017)

  36. Vgl. Bundeskriminalamt (2017)

  37. Meines [u.a.] (2017), S. 37.

  38. Vgl. Meines [u.a.] (2017), S. 37-40.

  39. Vgl. LPPL (2018), S. 29.

  40. Vgl. Meines [u.a.] (2017), S. 37.

  41. Vgl. Gill et al (2016), S. 14.

  42. Vgl. Knight [u.a.] (2017), Douglas [u.a.] (1999).

  43. Vgl. Hoffmann [u.a.] (2017), S. 35.

  44. Pendley (2018), S. 48.

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ist Politikwissenschaftlerin und Soziologin mit den Schwerpunkten Terrorismusforschung und Internationale Beziehungen. Sie verfasste ihre Abschlussarbeit zu Radikalisierungsprozessen von "Homegrown Terrorists". Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Violence Prevention Network tätig und forscht dort unter anderem zu Distanzierungsprozessen.