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Jugendkulturelle politische Bildung setzt an den Lebenswelten junger Menschen an. Wenn sie sich beispielsweise für Rapmusik begeistern, wird zu ihrer Lieblingsmusik gearbeitet. Wenn junge Menschen sportlich begeistert sind und sich für Parkour oder Skateboarding interessieren, dann ist das ein Vehikel für ein Gespräch. Viele Jugendkulturen haben ihren Ursprung in rassismuskritischen, emanzipatorischen Szenen und sind dadurch entstanden, dass junge Menschen etwas für sich selbst kreierten und ihre Leidenschaft dafür weitergaben. Dieses Wissen über Hintergründe und Ursprung von (Jugend-)Szenen haben aber wenige, die sich mit Jugendkulturen beschäftigen und diese für sich erobern. Oder sie haben zwar bisher keine Berührungspunkte damit, würden sich aber gern mal ausprobieren. Daran lässt sich mit jugendkultureller politischer Bildung anknüpfen.
Phänomenübergreifende politische Jugendkulturbildung
Bei phänomenübergreifender politischer Jugendkulturbildung geht es darum, die jugendkulturelle Bildung so zu erweitern, dass auf verschiedene Radikalisierungstendenzen und deren wechselseitige Verstärkung in bestimmten Kontexten flexibel reagiert werden kann. Phänomenübergreifende Jugendkulturarbeit bedeutet auch, schon weit vor einer Radikalisierung anzusetzen und verschiedene diskriminierende Haltungen aufzudecken und zu bearbeiten, beziehungsweise Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, zu stärken. So werden verschiedene Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie etwa Rassismus, Antisemitismus, Homofeindlichkeit, Sexismus und andere mittels jugendkultureller Zugänge aufgegriffen und thematisiert. Trotz unterschiedlicher Ziele von religiös begründetem Extremismus (vor allem politischem Salafismus) und Rechtsextremismus finden sich die genannten Phänomene in beiden Szenen mit Anschluss bis in die Mitte der Gesellschaft.
Der phänomenübergreifende Zugang bietet zudem die Möglichkeit, Projekte der Primärprävention durchzuführen, ohne Zielgruppen – oder Zielregionen – zu stigmatisieren. Durch diesen Zugang gelingt es, früh zu erkennen, wer sich radikalen Gruppen zuwendet. Für die Teams gibt es Möglichkeiten, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, sie gegebenenfalls zu verunsichern und den Kontakt zu örtlichen Kooperationspartnerinnen und -partnern (beispielsweise Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt oder Träger wie Hayat oder Wegweiser) zu eröffnen.
Cultures interactive e. V. führt seit 2018 das bundesweite Modellprojekt PHÄNO_Cultures durch – vorwiegend an Schulen und in Zusammenarbeit mit Jugendfreizeiteinrichtungen. Es wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.
Bei phänomenübergreifender Bildungsarbeit ist es wichtig, in Teams zu arbeiten, die rassismuskritisch, diversitäts- und religionssensibel arbeiten und im Idealfall selbst divers zusammengesetzt sind (Menschen mit und ohne Fluchtgeschichte, mit und ohne Migrationshintergrund, mit verschiedenen Muttersprachen und/oder Religionszugehörigkeiten). Für Externer Link: PHÄNO_Cultures wurde ein Team zusammengestellt und mit den neu entwickelten Methoden fortgebildet. Alle Methoden wurden für den phänomenübergreifenden Einsatz in der Jugendkulturarbeit entwickelt und/oder angepasst. Zudem wurde ein umfassendes Monitoring rechtsextremer und rechtspopulistischer Organisationen in Sozialen Medien betrieben wie auch von Propagandamethoden und -wegen religiös begründeter Extremistinnen und Extremisten. Die Ergebnisse wurden sowohl für die Methodenentwicklung als auch für die Team-Qualifizierung aufbereitet.
Jugendkulturelle Zugänge bei "PHÄNO_Cultures"
Neben dem neuartigen phänomenübergreifenden Zugang konzentriert sich das Projekt auf die bewährte Methodik der jugendkulturellen politischen Bildung von cultures interactive. Diese setzt an den Lebenswelten junger Menschen an. Wenn sie sich beispielsweise für Rapmusik begeistern, haben sie Gelegenheit, in einem Rap-Workshop zu ihrem Lieblingsthema zu arbeiten. Wenn junge Menschen sich für Parkour oder Skateboarding interessieren, dann kann das ein Vehikel für ein Gespräch sein. Viele Jugendkulturen haben einen rassismuskritischen, emanzipatorischen Ursprung und sind dadurch entstanden, dass Jugendliche etwas für sich selbst kreierten und ihre Leidenschaft dafür weitergaben.
Daran lässt sich mit jugendkultureller politischer Bildung anknüpfen. Es findet eine Vorauswahl auf Basis der Interessen der Teilnehmenden (Rap, Breakdance/Streetdance, YouTube/Film, Parkour, Skateboarding oder ähnliches) statt. Anschließend beginnen Workshops der politischen Jugendkulturbildung häufig mit der Frage, in welchen Sozialen Medien junge Menschen unterwegs sind, welche Musik sie hören, was sie gern unternehmen und was ihnen dort begegnet. Es geht darum, was sie gern außerhalb oder auch innerhalb der Schule machen und wofür sie sich interessieren. Aber es bleibt nicht nur beim Austausch. Politische Jugendkulturbildung lebt davon, sich selbst ausprobieren zu können – selbst herauszufinden, wie zum Beispiel ein Song produziert wird, wie man skatet oder zu HipHop tanzt.
Phänomenübergreifende Methoden der politischen Bildung
Gerade HipHop eignet sich gut für die phänomenübergreifende jugendkulturelle Bildungsarbeit und Radikalisierungsprävention. Mit einer 40-jährigen Geschichte, die ihren Ursprung in der bürgerrechtlichen Bewegung von Schwarzen und Latinos in den USA hat, ist HipHop heute eine der erfolgreichsten Musikszenen weltweit – mit sehr emanzipatorischen, aber auch sehr menschenfeindlichen Ausprägungen. In Deutschland nutzen sowohl Rechtsextreme als auch Neo-Salafistinnen und Neo-Salafisten die Popularität von HipHop, um junge Menschen zu ködern und ihre Propaganda zu verbreiten. Es lohnt sich, darüber mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und ihnen Beispiele von Rapperinnen und Rappern zu zeigen, die vielleicht auch politisch sind, aber keinesfalls extremistisch.
Methodenbeispiel: This is …
Viele Gesprächsansätze bietet beispielsweise die von cultures interactive entwickelte Methode "This is ...". Sie basierend auf auf This is America (2018), einem HipHop-Track des US-amerikanischen Rappers Childish Gambino. Er thematisiert Rassismus, Waffenhandel und andere Missstände in den USA. Das dazugehörige Video enthält viele verschiedene Botschaften, die auf sozio-politische Probleme in den USA hinweisen. Das Video wurde schnell global bekannt und fand viele Nachahmerinnen und Nachahmer (This is Nigeria, This is Iraq, This is Hindustan, This is Sierra Leone u.v.m.). Mit der Methode werden verschiedene Versionen des Videos thematisiert. Anschließend lässt sich mit Jugendlichen eine eigene Variante von "This is ..." in Form von Rap-Texten, kurzen Videoclips oder Tanzsequenzen entwickeln. Dabei geht es darum, gemeinsam über Missstände, Widersprüche, Rassismus und andere Ungerechtigkeiten ins Gespräch zu kommen und aufzuzeigen, wie HipHop, Musikvideos und Social Media ein Ventil und Sprachrohr sein können, diese zu zeigen, zu diskutieren und sich selbst auszuprobieren.
Methodenbeispiel: Story of a picture
Eine vernünftige Medienbildung kann Jugendliche dagegen stärken, leichtgläubig auf rassistische und menschenverachtende Posts und Bilder hereinzufallen. Die bildbasierte Methode "Story of a picture" soll die Teilnehmenden dazu anregen, sich über die Entstehung und Verbreitung von Fotos und Memes Gedanken zu machen und Bildquellen zu recherchieren. "Story of a picture" basiert auf dem Internetphänomen des so genannten "Islamic Rage Boy", dessen Bilder sowohl auf Seiten rechtsextremer und rechtspopulistischer Akteure als auch auf Seiten politischer Salafistinnen und Salafisten auftauchten, jedoch auch darüber hinaus weit verbreitet wurden.
Zwei Personen sind in den verwendeten Bildern zu sehen: der Aktivist Shakeel Ahmed Bhat, der auf diversen Demonstrationen in Kashmir fotografiert wurde (seine muslimische Familie hat in Indien Diskriminierungs- und auch Gewalterfahrungen machen müssen) und der (Ex-)Rabbiner Shlomo Ettinger aus der Nähe von New York, der verhaftet wurde und bei dem man größere Mengen Cannabis fand. Während der Verhaftung wurde Ettinger zufällig fotografiert. Die Bilder der beiden gelangten ins Internet, wo sie zu Memes verarbeitet wurden.
Bhat wurde unter dem Namen "Islamic Rage Boy” bekannt und sein wütender Gesichtsausdruck diente diversen Rassistinnen und Rassisten als Bebilderung der vermeintlichen Brutalität des Islams. Später entstand dann ein antisemitisches Meme, das beweisen sollte, dass der "Islamic Rage Boy” "in Wirklichkeit” der Rabbiner Ettinger sei, der für den Mossad (israelischer Geheimdienst) arbeite. Dafür wurde das Bild der Verhaftung Ettingers genutzt, um zu behaupten, die beiden Personen seien ein und derselbe Mensch (Ettinger und Bhat sehen sich etwas ähnlich). Aussage der häufig kursierenden Bild-Montage: "Die Juden manipulieren alles. Sie verkleiden sich sogar als Islamisten, um gegen den Islam Stimmung zu machen.” Das Bild wurde vielfach im neo-salafistischen Umfeld geteilt.
Natürlich ist Bhat in der Realität kein Islamist/Terrorist und Ettinger arbeitet nicht für den Mossad, doch das wissen die Jugendlichen meist nicht. Bei der Methode wird in mehreren Schritten mit den Teilnehmenden das Bild angeschaut, verschiedene Verbreitungsformen und Einsatzorte werden diskutiert. Zwischen den Schritten haben die Teilnehmenden die Möglichkeit selbst zu recherchieren und Fragen zu stellen.
Neben dem wichtigen Effekt der Medienbildung lassen sich mit dieser Methode auch emotional-aufgeladene und politische Themen besprechen und bearbeiten. Als Erstes lässt sich mit "Story of a picture" das Thema antimuslimischer Rassismus und Vorurteile gegenüber Islam und muslimisch geprägten Ländern thematisieren. Des Weiteren kann man anhand der Bilder darüber ins Gespräch kommen, warum auf vielen verschwörungsideologischen Seiten zwei verschiedene Menschen miteinander "verwechselt" werden und welche Formen von Rassismus hier vorliegen. Sollten den Jugendlichen solche Verwechslungen bisher nicht begegnet sein, werden sie allerdings auch nicht thematisiert. Vorurteile sollen bearbeitet, aber nicht gestreut werden. Im Gegenteil: Es soll darum gehen, näher hinzuschauen.
"Story of a picture" eignet sich auch dazu, antisemitische Vorurteile über Jüdinnen, Juden und jüdisches Leben zu bearbeiten. Die Ursprünge sowohl des Memes des "Islamic Rage Boy" als auch der Bilder des Rabbis Shlomo Ettinger haben mit der Verwendung im Rahmen der Memes wenig bis nichts zu tun. Daher folgt gegen Ende der Methode eine Bilderanalyse unter Einbeziehung der Themen antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus und Bilder-/ Bildquellenrecherche.
Im letzten Schritt der Methode geht es darum, sich selbst zu fotografieren und eigene Memes zu erstellen. Diese Methode kann in unterschiedlichen Workshops eingesetzt werden und ist nicht auf eine Jugendkultur spezifiziert. Allerdings hat sich gezeigt, dass gerade in medienbasierten Workshops die Überleitung zur Praxis besonders gut funktioniert.
Diese und viele andere Methoden kommen bei PHÄNO_cultures zum Einsatz. Tiefergehende Informationen zur Arbeitsweise des Projekts bietet unter anderem die Publikation "Darauf kommt es an!". Schulen und Jugendeinrichtungen können mit PHÄNO_cultures Projekttage und/oder Workshops durchführen. Externer Link: Weitere Informationen und Kontaktdetails finden Sie auf der Website von cultures interactive.
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