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Innermuslimische Salafismuskritik | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Innermuslimische Salafismuskritik Ihre Bedeutung für die Radikalisierungsprävention

Hazim Fouad

/ 11 Minuten zu lesen

Viele muslimische Akteure kritisieren den Salafismus scharf. Dazu gehören zum Beispiel die sogenannten Traditionalisten, Sufis und Modernisten. Der Islamwissenschaftler Hazim Fouad hat diese innermuslimische Kritik am Salafismus untersucht. Einige Erkenntnisse können für die Präventionsarbeit von Nutzen sein.

Aufgeschlagener Koran in arabischer Schrift. (© picture-alliance, imageBROKER)

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Salafismus und Salafismuskritik

Die Debatten über den Islam in Deutschland im Allgemeinen und den Salafismus im Speziellen sind nach wie vor virulent. Viele junge Musliminnen und Muslime in Deutschland stehen im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der Salafisten an eine vermeintlich korrekte Religionsausübung einerseits und den Forderungen der "Mehrheitsgesellschaft" in Bezug auf ein – wie auch immer – aufgeklärtes Religionsverständnis andererseits.

Salafisten folgen einem fundamentalistischen Religionsverständnis und erachten viele Riten und Bräuche der fast 1400 Jahre alten islamischen Tradition als unislamisch (beziehungsweise häretisch). Da der Salafismus das Fernziel verfolgt, eine Gesellschafts- und Rechtsordnung zu etablieren, in der zentrale Elemente des Grundgesetzes, wie die Religionsfreiheit oder die Gleichheit der Geschlechter, außer Kraft gesetzt würden, wird er im deutschen Kontext als eine Form des politischen Extremismus betrachtet. Die Attraktivität dieser Strömung für Jugendliche und das damit einhergehende Radikalisierungspotenzial liegt aber nicht einzig in der Ideologie, sondern hat – analog zu anderen Formen des Extremismus – psychologische, ökonomische und vor allem soziale Gründe.

Genau in diesem Kontext kann der Verweis auf innermuslimische beziehungsweise innersunnitische Salafismuskritik unter mehreren Gesichtspunkten bedeutsam sein. Der Salafismus gehört zwar auch zum sunnitischen Islam, ist gemessen an der Zahl seiner Anhängerinnen und Anhänger jedoch eine Randerscheinung. Die meisten Muslime sind keine Salafisten, sondern gehören den beiden theologischen Hauptrichtungen (Aschariyya und Maturidiyya) des sunnitischen Islam an. Durch das Wissen über alternative Islamdeutungen können Jugendliche sowohl gegenüber salafistischen als auch islamfeindlichen Postulaten gestärkt werden. Denn dadurch wird deutlich, dass diese Kritik nicht nur von außen, sondern auch durch Muslime selbst hervorgebracht wird.

Auch in der "Mehrheitsgesellschaft" scheint das Wissen hierüber bisher nur spärlich vorhanden zu sein. Nicht zuletzt in verschiedenen Talkshow-Formaten wird die Frage nach dem Engagement von Muslimen gegen Extremismus regelmäßig aufgeworfen. Hier kann der Verweis auf innermuslimische Kritik am Salafismus Behauptungen wie "Muslime dulden oder befürworten sogar insgeheim salafistische Positionen" den Nährboden entziehen. Dieser Beitrag stellt beispielhaft einige salafismuskritische muslimische Akteure und deren Positionen vor. Damit zeigt er auf, wie Salafismuskritik sowohl für die bekenntnislose als auch für die bekenntnisorientierte Präventionsarbeit nutzbar gemacht werden kann.

Innermuslimische Salafismuskritik

Zunächst gilt es festzuhalten, dass dem Salafismus innerhalb des Islams keine geeinte Front von Kritikerinnen und Kritikern gegenübersteht. Vielmehr sind die verschiedenen Strömungen untereinander völlig uneins darüber, welches Islambild dem Salafismus entgegengesetzt werden soll. Dies ist wiederum Ausdruck der Pluralität des Islams in der Moderne. Im Folgenden werden die Argumente von sogenannten Traditionalisten, von Sufis, also Angehörigen des mystischen Islams, sowie von sogenannten Modernisten diskutiert.

Traditionalisten

Als Traditionalisten werden in diesem Kontext diejenigen charakterisiert, die ihre theologische und islamrechtliche Ausbildung an den klassischen Lehrinstitutionen der islamischen Welt erhalten haben, und die an einem orthodoxen Islambild festhalten. Dazu gehört die Anbindung an eine der vier sunnitischen Rechtsschulen sowie eine der beiden theologischen Hauptrichtungen im sunnitischen Islam. Die Al-Azhar Universität in Kairo, das Dar al-Ulum im indischen Deoband oder auch die al-Qarawiyin Universität in Fes gehören zu den bekanntesten Einrichtungen eines traditionalistischen Islams. In ihrem Selbstverständnis repräsentieren die Traditionalisten den sogenannten Mainstream-Islam, also die Mitte zwischen zu liberalen und zu extremen Positionen. Einer der prominentesten Salafismuskritiker aus dem traditionalistischen Lager war bis zu seiner Ermordung 2013 der Syrer Said Ramadan al-Buti.

Das Verhältnis der Mehrheit zur Minderheit ist eines der Kernargumente der Traditionalisten. Salafisten sehen sich selbst als muslimische Avantgarde, die als einzige den Islam richtig verstanden habe. Dabei verweisen sie unter anderem auf zwei Prophetenüberlieferungen (hadithe). In dem einen heißt es, die muslimische Gemeinschaft (umma) würde sich in 73 Gruppierungen aufspalten und nur eine davon, "die Siegreiche", werde ins Paradies einziehen. Das andere besagt, dass sich die Muslime wie Fremde (ghuraba᾿) in einer unislamischen Gesellschaft fühlen werden. Dass Salafisten eine Minderheit auch unter Muslimen sind, sehen sie als Beweis für die Richtigkeit ihrer Glaubensüberzeugung. Sie fühlen sich wie Fremde, da alle anderen Muslime um sie herum den Islam angeblich falsch verstehen und praktizieren. Dem widersprechen die Traditionalisten entschieden. Ihrer Auffassung nach gibt es mehrere authentische Überlieferungen, in denen der Prophet Mohammed gesagt habe, dass sich trotz aller Differenzen und Abspaltungen die Mehrheit der Muslime stets auf dem richtigen Weg befände. Das bedeute, dass es sich bei "den Siegreichen" und "den Fremden" immer um die muslimische Mehrheit handeln müsse und niemals um eine kleine Splittergruppe.

Ein weiteres wiederkehrendes Argument der Traditionalisten ist die notwendige theologische Qualifikation, um über bestimmte religiöse Angelegenheiten informiert urteilen zu können. Dagegen argumentieren Salafisten, der Islam sei klar und deutlich und damit für jedermann zu verstehen. Deshalb könne man die Gelehrtentradition (insbesondere die Meinung der Rechtsschulen) außer Acht lassen und sich direkt dem Koran und den Überlieferungen zuwenden. Die Traditionalisten halten dagegen, dass die Kernbotschaft in der Tat einfach zu verstehen sei. Sobald es aber in die Details ginge, insbesondere bei der Herleitung und Anwendung von Rechtsnormen, sei eine entsprechende Qualifizierung unumgänglich, um angemessene Antworten auf die Fragen der Normen und des menschlichen Zusammenlebens zu finden. Sie ziehen hier gerne den Vergleich mit Fachqualifikationen anderer Art. Jedem Menschen seien z. B. die Grundregeln eines gesunden Lebens relativ einfach zu vermitteln. Dennoch müsse man ein intensives Studium absolvieren, um als Facharzt arbeiten und Patienten behandeln zu können. Das Gleiche gelte für die Angelegenheiten der Religion.

Die Traditionalisten versuchen demnach, über ihre mehrjährige Ausbildung an den entsprechenden Lehrinstitutionen Autorität zu generieren. Die Salafisten gelten ihnen als religiöse Laien, deren Islamverständnis deshalb oberflächlich und fehlerbehaftet sei. Die von den Traditionalisten in meist arabischsprachigen Buch- und Videoformaten geäußerten Widerlegungen sind häufig äußerst umfangreich und detailliert. Dadurch sind diese gerade für muslimische Jugendliche nicht leicht zugänglich und stellen möglicherweise ein Hindernis für die Rezeption traditionalistischer Kritik dar. Ganz anders die Salafisten: Die Einfachheit sowie die sprachliche Zugänglichkeit ihrer Botschaften stellen ein starkes Attraktivitätsmoment dar. Salafisten selbst befassen sich oft gar nicht inhaltlich mit diesen Kritiken, sondern sie beklagen die Anbindung vieler traditionalistischer Gelehrter an autoritäre Regime. Dieser Anbindung sollte man sich im Falle eines Verweises auf einen entsprechenden Gelehrten im Rahmen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit bewusst sein.

Sufis

Etwas unabhängiger agieren die Sufis, also Anhänger der mystischen Orden im Islam. Diese stehen, ähnlich wie die Schiiten, im besonderen Fokus salafistischer Polemiken. Salafisten werfen den Sufis vor, ihre Ordensführer zu vergöttern und diverse Praktiken zu betreiben, die keine Basis im Koran und der Sunna hätten und demnach verboten beziehungsweise unislamisch seien. Die Sufis reagieren in großem Maße auf diese Vorwürfe, sodass sich zwischen beiden Gruppen intensive Debatten, insbesondere online, entwickelt haben. Einer der bekanntesten sufischen Orden ist die Nazimiyya, deren deutsches Zentrum die 'Osmanische Herberge' in der Eifel ist.

Im Sufismus geht es vor allem um die spirituelle Dimension des Islams. Jenseits der reinen Befolgung von Riten und Regeln solle jeder das Ziel verfolgen, ein besserer Mensch zu werden. Dies geschieht über die fortwährende Liebe zu Gott, zum Propheten und letztendlich auch gegenüber den Menschen als Geschöpfen Gottes. Die jeweiligen Ordensführer agieren dabei als lebende Vorbilder. Der rein auf Äußerlichkeiten bedachte Formalismus des Salafismus blende diese zentrale Botschaft des Islams aus und führe zu einer spirituellen Leere. Wenn zum Beispiel eine Person sich in Anlehnung an den Propheten einen Bart wachsen lasse und einen bestimmten Kleidungsstil wähle, dies aber als Grundlage dafür nehme, jeden abzuwerten, der dies nicht tue, habe sie das moralische Wesen des Islams verfehlt. Überhaupt stellt der Ansatz der Salafisten, andere muslimische Gruppen für ihr Islamverständnis zu kritisieren, einen Hauptkritikpunkt der Sufis dar. Andere Menschen – noch dazu Muslime – zu diffamieren, sei ein per se unislamisches Verhalten. Sufis sehen es als Widerspruch an, dass diejenigen, die vorgeben, den wahren Islam zu vertreten, und am "islamischsten" auftreten, die meiste Zeit damit verbringen, andere Muslime zu kritisieren. So könne man nach Ansicht der Sufis auch keine Nichtmuslime von der friedliebenden Botschaft des Islams überzeugen.

Dies ist ein wichtiger Aspekt, der in der öffentlichen Debatte oft unberücksichtigt bleibt und der für die Präventionsarbeit von Wichtigkeit sein kann: Salafisten grenzen sich nicht nur nach außen von Nichtmuslimen, sondern vor allem auch nach innen von all denjenigen Muslimen ab, die ihre Meinung nicht teilen. Allerdings darf der Sufismus deswegen nicht vorschnell als liberale, pro-westliche Antithese zum Salafismus verstanden werden. Es gibt auch hier durchaus sozial-konservative Einstellungen und Kritik an bestimmten gesellschaftspolitischen und geistigen Konzepten wie dem Säkularismus, der gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität oder der uneingeschränkten Gleichstellung der Geschlechter. Vereinzelt finden sich in den untersuchten Materialien gar Verschwörungstheorien, die besagen, der Salafismus sei ein Instrument westlicher Mächte, um den Islam von innen heraus zu schwächen. Dies sind Aspekte, die es in der Arbeit mit Materialien aus dem sufischen Bereich zu berücksichtigen gilt.

Modernisten

Anders als viele Sufis sehen die Modernisten keine Diskrepanz zwischen sogenannten westlichen und islamischen Werten. Sie sind offen für geistige und wissenschaftliche Erkenntnisse, die außerhalb der islamischen Welt entwickelt wurden und treten für eine Vereinbarkeit von muslimischer Identität und dem Leben in einem westlichen, säkularen Staat ein. Dafür werden sie von den Salafisten als Heuchler (munafiqun) gebrandmarkt. Bekannte Beispiele für traditionsorientierte Modernisten, die an westlichen Hochschulen tätig sind, sind Khaled Aboul Fadl, Yasir Qadhi und Hamza Yusuf in den USA, Abdal Hakim Murad und Tariq Ramadan in Großbritannien oder Mouhanad Khorchide in Deutschland.

Die Modernisten kritisieren vor allem das von ihnen als starr und rückschrittlich erachtete Islamverständnis der Salafisten. Sie leugnen zwar nicht die Herausforderungen, mit denen junge Muslime im Westen konfrontiert sind, können aber im Salafismus keinerlei Lösungsansätze erkennen. Eine Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft und deren Institutionen beziehungsweise Gremien zur Partizipation und Mitgestaltung sei kontraproduktiv für die Belange der Muslime. Nur durch aktives Engagement und ein Sich-Einbringen in die Gesellschaft könne man Veränderungen bewirken.

Außerdem verweisen sie darauf, dass es im Islam immer schon eine Pluralität an Meinungen gegeben habe. Wenn der Islam für jede Zeit und jeden Ort geeignet sei, müsse er die Fähigkeit besitzen, sich den verschiedenen kulturellen Kontexten weltweit anzupassen. Die Salafisten versuchten hingegen, den heutigen (auch westlichen) lebensweltlichen Realitäten eine unveränderliche Interpretation des Islams und islamische Lebensführung aufzuzwingen, die im Kontext der arabischen Halbinsel des 7. Jahrhunderts zu verorten ist. Dabei gebe es nach Ansicht der Modernisten zum Beispiel gar keine islamische Vorschrift für einen bestimmten Kleidungsstil. Wer sich in Deutschland kleide wie die Beduinen in der arabischen Welt, erfülle höchstens westliche Fiktionen über den Orient und leiste damit indirekt Vorurteilen gegenüber dem Islam Vorschub. Überhaupt sei der Salafismus historisch betrachtet eine Neuerscheinung im Islam und könne entgegen seines Anspruches keine nahtlose ideengeschichtliche Kette seiner heutigen Vertreter bis zur Zeit des Propheten vorweisen.

Schlussfolgerungen für die praktische Präventionsarbeit

An dieser Stelle werden zunächst grundsätzliche Schlussfolgerungen aus den dargestellten Erkenntnissen gezogen. In einem weiteren Schritt wird deren Relevanz im Hinblick auf bekenntnislose und bekenntnisorientierte Präventionsarbeit spezifiziert. Es gilt festzuhalten, dass es eine Fülle an Erwiderungen zum salafistischen Islamverständnis aus muslimischer Perspektive gibt. Diese wiederum sind äußerst breit gefächert und zeugen somit von der Pluralität des zeitgenössischen Islams. Es finden sich sowohl tendenziell konservative wie auch eher liberalere Positionen unter den Kritiken wieder. Fakt ist, dass die Auseinandersetzung mit religiösen Themen, nicht zuletzt online, für viele Jugendliche mit muslimischem Migrationshintergrund eine große Rolle spielt, und dass diese Debatten identitätsstiftend wirken können. Sie sind daher aus Sicht der Pädagoginnen und Pädagogen ernst zu nehmen, auch wenn sie keinen unmittelbaren realweltlichen Bezug aufweisen.

In der Primärprävention kann das Wissen von und über Salafismuskritik als Empowerment für Jugendliche dienen, um sowohl salafistischen Ansprachen, als auch islamfeindlichen Parolen, die beide einen Kulturkampf zwischen "dem Islam" und "dem Westen" herbeireden, fundierte Argumente entgegenzusetzen. Denn diese innerislamische Streitdebatte zeigt, dass der Islam zum einen keine gleichgeschaltete Einheitskultur darstellt und der Salafismus zum anderen innerislamisch hoch umstritten ist.

Letzteres ist auch für die Sekundär- und Tertiärprävention relevant. In der bekenntnislosen Präventionsarbeit sollte es darum gehen, irritierende Fragen auf einer Metaebene zu stellen. So könnte gefragt werden, ob es denn eine gute Eigenschaft beziehungsweise ein Zeichen charakterlicher Stärke sei, wenn man keine andere als die eigene Meinung zulasse. In Bezug auf den Mehrheitsdiskurs könnte gefragt werden, ob es denn überhaupt vorstellbar sei, dass die Mehrheit der Muslime in 1400 Jahren islamischer Geschichte den Islam falsch verstanden habe. Schließlich dürften sich durch die Lebensrealitäten vieler Jugendlicher im Westen Widersprüche zum salafistischen Weltbild und dessen Vorgaben ergeben. Verweise auf erfolgreiche Biografien von Muslimen im Westen können möglicherweise den Mythos einer ideologisch motivierten systematischen Benachteiligung von Muslimen durch den Staat entkräften. Auf einer individuellen Ebene existieren vielleicht positiv konnotierte Beziehungen zu Nichtmuslimen – womöglich zu dem Berater beziehungsweise der Beraterin selbst –, die nicht dem salafistischen Postulat einer immerwährenden Feindschaft zwischen Nichtmuslimen und Muslimen entsprechen.

In der bekenntnisorientierten Arbeit könnte eine selektive Aufbereitung der in der Salafismuskritik vorhandenen Argumente erfolgen. Diese müssten in ein pädagogisch anwendbares Format übertragen werden. Wenn Salafisten in einer zehnseitigen Broschüre die Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau propagieren, ist es nicht damit getan, dem Ganzen ein 300-seitiges Buch entgegenzuhalten. Vielmehr müsste es darum gehen, aus solch einem Buch die Schlüsselstellen zu verwenden, welche die Argumente der salafistischen Broschüre aus theologischer Sicht widerlegen. Ebenso wichtig in der theologischen Argumentation gegen den Salafismus ist es, selbst ausschließende Ansichten zu vermeiden und zwar unabhängig davon, ob diese eher konservativer oder liberaler Natur sind. Analog zur bekenntnislosen Präventionsarbeit sollte es vielmehr darum gehen, die Pluralität von Meinungen aufzuzeigen, dies als essentielles Merkmal des Islams zu rahmen, und die Person in der Beratung dazu zu ermutigen, eigenständig die für sie passende Interpretation zu finden.

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Quellen / Literatur

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2018): Externer Link: Verfassungsschutzbericht 2018, Berlin.

Fouad, Hazim (2019): Externer Link: Zeitgenössische muslimische Kritik am Salafismus. Eine Analyse ausgewählter Dokumente, Baden-Baden.

Müller, Jochen/Nordbruch, Götz/Ünlü Deniz (2014): 'Wie oft betest du?'. Erfahrungen aus der Islamismusprävention mit Jugendlichen und Multiplikatoren. In: El-Gayar, Wael/Strunk, Kathrin (Hrsg.): Integration versus Salafismus. Identitätsfindung muslimischer Jugendlicher in Deutschland. Analysen – Methoden der Prävention – Praxisbeispiele, Schwalbach i. Ts., S. 147–161.

Nordbruch, Götz (2015): Externer Link: Salafismusprävention an Schulen: Symbole allein reichen nicht, auf Quantara.de, Abruf am 5.3.2020.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2018)

  2. Vgl. Müller/Nordbruch/Ünlü (2014)

  3. Natürlich ist diese Definition äußerst verkürzt, und es gibt deutliche Überschneidungen zwischen Sufismus und Traditionalismus. Für eine ausführliche Begriffsdefinition und Kontextualisierung verweise ich aus Gründen der Prägnanz dieses Artikels auf meine Dissertation: Fouad (2019).

  4. In meiner Arbeit unterscheide ich zwischen traditionskritischen und traditionsorientierten Modernisten. Erstere sehen die gesamte Tradition kritisch und wollen eine Neuinterpretation der Quellen ohne Rekurs auf die Werke früherer Gelehrter durchführen. Letztere wiederum wollen eine Reform über die Tradition selbst erreichen, da diese selbst ein Produkt einer ständigen Neubewertung der Quellen sei. Die in diesem Artikel dargestellten Argumente gelten für beide Gruppen von Modernisten.

  5. Alle hier genannten Personen haben ihre Ausbildung sowohl in islamischen als auch in westlichen Bildungseinrichtungen erhalten. Ihre Tätigkeit als muslimische Theologen und Rechtswissenschaftler an westlichen Universitäten sehen sie als Beweis für die Vereinbarkeit von als islamisch erachteten Vorstellungen in einem westlichen Kontext.

  6. Vgl. Nordbruch, Götz (2015)

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Hazim Fouad für bpb.de

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Dr. Hazim Fouad arbeitet seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landesamt für Verfassungsschutz Bremen. Er hat in Bochum, Kairo und London Islamwissenschaft und Nahoststudien studiert und wurde 2019 an der Universität Kiel zum Thema "Zeitgenössische muslimische Kritik am Salafismus" promoviert. 2014 erschien im Herder Verlag der von Behnam T. Said und ihm herausgegebene erste deutschsprachige Sammelband zum Thema Salafismus "Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam."