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Redaktion Infodienst: Welche Ziele verfolgt INACH und wie geht das Netzwerk dabei vor?
Maren Hamelmann: INACH versucht, durch transnationale Zusammenarbeit eine Durchsetzung von Menschenrechten und die Ächtung von menschenverachtenden Inhalten im Internet zu erreichen. Für unsere tägliche Arbeit bedeutet dies, dass die beteiligten Organisationen Informationen und Best Practices zu Fällen, Phänomenen und Trends austauschen. Aber auch die Kooperation mit Internetdiensten wie Facebook und YouTube oder der Austausch über Präventionsstrategien gehören dazu. Die meisten INACH-Mitglieder betreiben ein systematisches Monitoring von Internetangeboten und nehmen als Online-Meldestellen Hinweise von Userinnen und Usern entgegen. Diskriminierende und illegale Inhalte werden an die Plattformbetreiber und in schwerwiegenden Fällen direkt an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet, um eine möglichst zeitnahe Löschung der Beiträge zu erreichen. Andere Mitglieder setzen stärker auf Bildungs- und Aufklärungsarbeit, um für die Problematik zu sensibilisieren und Zivilcourage im Netz zu fördern. Die Partner arbeiten nicht nur ganz praktisch zusammen, sondern beteiligen sich auch an der internationalen Diskussion auf der Ebene von EU und OSZE, um für die internationale Ächtung von Hass und Diskriminierung im Internet zu werben.
Redaktion Infodienst: Wer ist Mitglied bei INACH und aus welchen Ländern kommen die Mitglieder?
Maren Hamelmann: Anfang der 2000er gab es noch nicht viele Organisationen, die sich gegen politischen Extremismus und Hass im Internet engagierten. Die Notwendigkeit einer internationalen Kooperation war aber bereits damals klar. Daher beschlossen jugendschutz.net und die niederländische Stiftung Magenta 2002, INACH ins Leben zu rufen. Zunächst war das Netzwerk ein Verbund von Online-Meldestellen. Heute verfolgt INACH mit seinen aktuell 29 Partnerorganisationen aus Europa, Israel, Russland, Südamerika und den USA eine mehrdimensionale Strategie aus Interventions- und Präventionsansätzen. Alle Mitglieder haben gemeinsam, dass sie systematisch Hass im Netz bekämpfen, zum Beispiel als Beschwerde-, Beratungs- oder Monitoringstelle und dass sie in ihren jeweiligen nationalen Kontexten wichtige Ansprechpartner für Politik, Internetwirtschaft, Bildungsinstitutionen sowie Userinnen und User darstellen. Eine stets aktuelle Liste mit allen am Netzwerk beteiligten Organisationen kann man im Internet einsehen: Externer Link: www.inach.net/we-are-located-at/
Redaktion Infodienst: Wie wird die Arbeit von INACH finanziert?
Maren Hamelmann: Einzelne Mitglieder, aber auch das Netzwerk als Ganzes hatten lange Zeit nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung. Dennoch konnte sich INACH durch jährliche Mitgliedertreffen, öffentliche Konferenzen und effektive Vernetzung mit internationalen Organisationen zu einem der wichtigsten Ansprechpartner bei der Bekämpfung von Hass im Internet entwickeln. Die kontinuierliche Unterstützung der internationalen Aktivitäten von jugendschutz.net durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), die schon immer die Kooperation mit INACH einschloss, legte dabei einen wichtigen Grundstein.
Seit 2016 konnten wir durch mehrere von der EU geförderte Projekte eine stabilere Finanzierung der Netzwerkaktivitäten, aber auch kleinerer Mitgliedsorganisationen erreichen. Derzeit werden INACHs Aktivitäten durch einen Rahmenvertrag mit der Europäischen Kommission von 2018 bis 2021 gefördert. Dies schafft perfekte Bedingungen, um die wichtige Arbeit des Netzwerkes auch in Zukunft weiterführen zu können.
Redaktion Infodienst: Welche Aktivitäten gibt es bei INACH und seinen Mitgliedern im Bereich Islamismus/Islamismusprävention?
Maren Hamelmann: Die INACH-Jahreskonferenz 2018 beschäftigte sich mit dem Themenkomplex Hassrede, extremistische Rekrutierung und Terrorismus. In diesem Kontext gründete INACH eine Arbeitsgruppe Islamismus, an der jugendschutz.net maßgeblich beteiligt ist. Das Ziel der Arbeitsgruppe ist es, den Austausch von Informationen und Erkenntnissen zu islamistischem Extremismus zwischen INACH-Mitgliedern zu erleichtern. Organisationen, die bisher nur wenige Berührungspunkte mit dem Thema hatten, bekommen so die Möglichkeit, von den Erfahrungen ihrer Partner zu profitieren.
Die Arbeitsgruppe strebt auch die Unterstützung und den Austausch mit dem EU-Projekt AIDA (Alternative and Innovative Deradicalization Actions) an, das derzeit gemeinsam von sechs europäischen INACH-Partnerorganisationen vorbereitet wird und Ende 2019 starten soll. Der Fokus dieses Projektes liegt auf Radikalisierungsprävention durch Online-Kampagnen und Workshops.
Redaktion Infodienst: Die von Ihnen erwähnte INACH-Jahreskonferenz im Oktober 2018 in Amsterdam stand unter dem Titel „Hate Speech, Recruitment, Terrorism“
Auf der Konferenz tauschten sich internationale Expertinnen und Experten über mögliche Verbindungen von Hate Speech, Radikalisierung und der Rekrutierung für terroristische Gruppierungen aus. Das Hauptaugenmerk lag auf den Gemeinsamkeiten und Unterschieden verschiedener Formen von Extremismus, insbesondere in Bezug auf Motivation, Strategien und Methoden. Wir stellten fest, dass Hate Speech nicht zwangsläufig zu Radikalisierung und Extremismus führt, aber durchaus ein Vorbote und Warnsignal sein kann. Die Normalisierung von Hate Speech in Sozialen Medien stellt daher eine große Gefahr für die Gesellschaft dar. Die Diskussion lieferte zudem einen breit gefächerten Überblick darüber, wie das Internet als Verbreitungskanal von Hass, aber auch als Instrument für die Rekrutierung für und Steuerung von terroristischen Aktivitäten genutzt wird. Um dem entgegenzuwirken ist eine bessere Kooperation zwischen Internetindustrie und Strafverfolgung notwendig. Gleichzeitig muss man Rekrutierungsbemühungen entgegenwirken, indem man Jugendlichen Alternativen aufzeigt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen.
Redaktion Infodienst: Welche Online-Aktivitäten islamistischer Akteure werden beobachtet?
Maren Hamelmann: Hier kann ich nur aus der Sicht von jugendschutz.net antworten, da die meisten INACH-Partner noch kein systematisches Monitoring zu islamistischer Online-Propaganda betreiben. Wir beobachten, dass islamistische Online-Propaganda in unterschiedlichsten Formen verbreitet wird. Mal subtiler, mal expliziter sollen gerade Kinder und Jugendliche für das extremistische Weltbild geködert werden. Um ein möglichst großes und vor allem junges Publikum anzusprechen, docken islamistische Gruppen an jugendkulturellen Phänomenen und Debatten an. Dabei wird an das Gerechtigkeitsgefühl junger Menschen appelliert oder an Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung angeknüpft. Besonders in der niedrigschwelligen Propaganda spielen aktuelle gesellschaftliche Debatten auf YouTube, Twitter, Instagram und Facebook eine Rolle.
Was den deutschsprachigen Raum angeht, können wir sagen, dass sich die Propaganda der terroristischen Organisation “Islamischer Staat” (IS) mit dem Verlust territorialer Rückzugsräume in Syrien und dem Irak im Verlauf des letzten Jahres verändert hat. Beispielsweise ist die Verbreitung von Exekutionsvideos des "IS" deutlich zurückgegangen. Aufrufe, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen und Attentate in westlichen Gesellschaften auszuführen, werden mittlerweile hauptsächlich auf dem jugendaffinen Messenger-Dienst Telegram verbreitet. Mit Bildern und Videos wird der militante Dschihad auch auf anderen bei Jugendlichen beliebten Sozialen Medien glorifiziert und als heroischer und einzig wahrer "gottesfürchtiger" Lifestyle in Szene gesetzt. Insgesamt lässt sich jedoch sagen, dass die Propaganda subtiler geworden ist und stärker an Alltagsthemen anknüpft.
Redaktion Infodienst: Beobachtet INACH Ähnlichkeiten, Übertragbarkeiten oder Wechselwirkungen zwischen Rechtsextremismus und Islamismus?
Maren Hamelmann: Es gibt zahlreiche Bezugs- und Berührungspunkte von rechtsextremer und islamistischer Onlinepropaganda. So nutzen Rechtsextreme beispielsweise islamistische Hinrichtungsvideos, um den Islam und somit Muslime insgesamt als gewalttätig, rückständig und existenziell bedrohlich darzustellen. So wird ein Bild gezeichnet, das vor allem die Emotionen der Userinnen und User anspricht und Ängste, Abneigung und Hass schürt. Schließlich soll eine fundamentale Ablehnung gegen muslimische Menschen erzeugt und die angebliche Notwendigkeit untermauert werden, sich gegen eine drohende "Islamisierung" zu verteidigen, notfalls mit Gewalt.
Andererseits werden muslimfeindliche Propaganda und Aktionen sowie rassistisch motivierte Gewalttaten gegen Muslime von Islamisten genutzt, um eine grundlegende Feindseligkeit der "westlichen Gesellschaften" und die Unmöglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens zu propagieren. Öffentliche Debatten wie die um ein Kopftuchverbot, um Speisepläne in öffentlichen Einrichtungen oder Moscheebauten sind bisweilen mit muslimfeindlichen Ressentiments durchzogen und werden meist sehr emotional geführt. Islamistische Gruppierungen greifen diese Ressentiments auf, um das Opfernarrativ wie auch Feindbilder zu bedienen. Schließlich wird die vorgeblich einzige Lösung propagiert: die Trennung von der angeblich moralisch verkommenen "westlichen Welt" und das Leben in einer homogenen Gemeinschaft von Muslimen, gestaltet nach den vermeintlich einzig richtigen Glaubensregeln.
Neben den propagandistischen Bezugspunkten werden so auch ideologische Berührungspunkte deutlich: Die Feindschaft gegenüber einer pluralistischen Gesellschaft, die Ablehnung ihrer Werte, wie etwa der individuellen Freiheit, und gleichzeitig der Wunsch nach gemeinschaftlicher Homogenität sind zentrale Elemente islamistischer und rechtsextremer Weltanschauungen.
Redaktion Infodienst: Was würde INACH Online-Projekten, die im Bereich der Islamismusprävention arbeiten, raten? Gibt es Erkenntnisse, zum Beispiel zu erfolgreichen Gegenstrategien gegen Hate Speech und Extremismus-Propaganda im Internet?
Maren Hamelmann: Die Alltäglichkeit medialer Lebenswelten, auch schon bei besonders jungen Menschen, zeigt, dass eine nachhaltige Gegenstrategie gegen extremistische Onlinepropaganda und Hass im Netz erforderlich ist. Das Risiko, auf entsprechende Inhalte zu stoßen, ist für Kinder und Jugendliche hoch. Die Fähigkeiten, Medieninhalten reflektiert und selbstbestimmt zu begegnen, sind bei ihnen aber noch nicht gefestigt.
Hier ist die pädagogische Prävention und die Förderung einer kritischen Medienkompetenz von zentraler Bedeutung. Kinder und Jugendliche müssen altersgerecht fit gemacht werden, um sowohl mit den Herausforderungen digitaler Lebenswelten allgemein, als auch mit extremistischer Propaganda und Hass im Netz im Besonderen reflektiert und eigenverantwortlich umgehen zu können.
Gleichzeitig sind die Plattformbetreiber in der Pflicht, angemessene Schutzmaßnahmen gegen beeinträchtigende und gefährdende Inhalte zu ergreifen. Das heißt auch, dass sie in der Verantwortung sind, Verstöße rasch und konsequent zu löschen.
Zudem müssen Betroffene von Online-Hass und -Gewalt unterstützt werden. Beratungs- und Hilfsangebote müssen dafür ausgebaut werden und für junge Userinnen und User leicht auffindbar sein. Daneben ist es wichtig, Angebote für Eltern auszubauen, die ihnen dabei helfen, sich über Social-Media-Plattformen, Onlinetrends sowie Unterstützungs- und Schutzmöglichkeiten zu informieren.
Redaktion Infodienst: Welche weiteren Themen beschäftigen INACH aktuell und welche Planungen gibt es? Wann wird die nächste internationale Konferenz stattfinden und mit welchem Thema?
Maren Hamelmann: Aktuell nimmt INACH eine wichtige Rolle bei der Koordination der von der Europäischen Kommission eingerichteten Monitorings zur Kontrolle des Verhaltenskodex für die Bekämpfung von Hate Speech im Internet ein. Außerdem bereitet INACH neben dem bereits erwähnten Projekt AIDA zu Radikalisierungsprävention auch das Projekt Remember and ACT! (Re-ACT) vor, dass sich den Themen Antiziganismus und Antisemitismus widmen wird. In diesem Projekt wird untersucht, wie historisch bekannte antisemitische und antiziganistische Konzepte in aktuellen Online-Kampagnen wieder aufgegriffen werden und wie ihnen wirksam begegnet werden kann. Die nächste INACH Jahreskonferenz wird am 30.Oktober 2019 in Prag stattfinden und sich ebenfalls mit dem Thema Antiziganismus beschäftigen.
Weiterführende Informationen: Externer Link: www.inach.net
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