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Zum Ist-Stand: Evaluation in der Radikalisierungsprävention
Mittlerweile sind in der Radikalisierungsprävention die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation von Maßnahmen, Projekten und Programmen weit verbreitet. Derzeit gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die in diesem Bereich tätig sind. So wird das Bundesprogramm "Demokratie leben!" seit 2015 durch einen Verbund zwischen der in der Fachgruppe "Politische Sozialisation und Demokratieförderung" am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in Halle (Saale) angesiedelten Programmevaluation, dem Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt und der Camino Werkstatt Berlin evaluiert. Letztere zeichnet beispielsweise auch für die Evaluation des vom Violence Prevention Network durchgeführten Präventionsprojektes Teach2Reach verantwortlich, das im Bereich der Islamismusprävention verortet ist. Die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde durch eine im Forschungszentrum des BAMF angesiedelte Evaluation begleitet. Auch Landesprogramme wurden und werden wissenschaftlich begleitet und evaluiert, so beispielsweise das Thüringer Programm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit von der Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Analyse, Beratung, Evaluation, ProVal. Evaluationserfahrungen gibt es ebenfalls bei Aussteigerprogrammen, so wurde beispielsweise das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW durch die Hochschule Esslingen evaluiert. Die Evaluation der Hamburger Fach-und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung (Legato) wurde am Fachgebiet Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg durchgeführt. Diese Liste ließe sich um viele weitere Beispiele ergänzen.
Serie: Evaluation
Dieser Beitrag ist Teil einer Serie mit dem Themenschwerpunkt Evaluation hier im Infodienst Radikalisierungsprävention. Im Rahmen des Themenschwerpunkts werden verschiedene Perspektiven auf das Thema Evaluation in der Präventionspraxis dargestellt. In den Artikeln geht es um Sinn, Zweck und Herausforderungen von Evaluationen, um verschiedene Arten von Evaluationen und aktuelle – zum Teil gegensätzliche – Positionen zum Thema. Dabei kommen verschiedene Beteiligte zu Wort: sowohl Akteure, die Evaluationen planen und durchführen als auch solche, deren Projekte evaluiert wurden oder werden.
Zu den Beiträgen:
Redaktion Infodienst:
Interner Link: Übersicht von Evaluationen von Projekten der Radikalisierungsprävention Sarah Häseler-Bestmann:
Interner Link: Partizipative Evaluationsforschung Andreas Armborst:
Interner Link: Evidenzbasierte Prävention von Extremismus und Radikalisierung: Leerstellen und Handlungsbedarf Björn Milbradt:
Interner Link: (Neue) Evaluationskultur in der Radikalisierungsprävention? Forschungsmethoden, Akteurskonstellationen und Logik(en) der Praxis Kurt Möller:
Interner Link: Evaluation neu denken – Der Dritte Raum Dennis Walkenhorst:
Interner Link: Das "Erwartungsdreieck Evaluation" – Eine Praxisperspektive Milena Uhlmann & Dana Wolf:
Interner Link: Evaluation in der Präventionspraxis
Außerdem zum Thema Evaluation im Infodienst:
Ob sich im Feld der Radikalisierungsprävention bereits von einer "Evaluationskultur" sprechen lässt, scheint jedoch fraglich. Dies liegt sicherlich einerseits daran, dass Evaluationen bereits in vielen Projekten der Radikalisierungsprävention durchgeführt wurden und werden und man hier von existierenden Evaluationskulturen im Plural sprechen kann. Ob die Herausbildung einer Kultur sinnvoll ist, oder ob nicht vielmehr die Stärke in der Vielfalt der Settings, Aufträge und Kooperationen liegt, wäre durchaus zu diskutieren. Andererseits lässt der Begriff "Evaluationskultur" in seiner Unbestimmtheit viel Raum für Interpretation. Versteht man unter einer "Kultur" von Evaluation – analog etwa zum Begriff der Organisationskultur – ein gemeinsam geteiltes Set von Werten, Normen, Erwartungen, Umgangsweisen und (expliziten oder impliziten) Standards, so wird deutlich, dass es hier durchaus Entwicklungspotenzial gibt. Gleichzeitig liegt hier bereits eine der größten Herausforderungen für Evaluationen, da drei funktional differenzierte Teilsysteme (Politik, Wissenschaft und das Erziehungs- bzw. Hilfesystem), die jeweils unterschiedliche Handlungslogiken, Organisationskulturen und Ziele haben, zusammentreffen. Dies hat Auswirkungen auf die Zusammenarbeit, die von unterschiedlichen, teils divergierenden Erwartungen und Sichtweisen geprägt sein kann. So stellten beispielsweise Saskia Lützinger und Florian Gruber in einer Studie des Bundeskriminalamts fest, dass in der Präventionspraxis eine deutlich ambivalente Haltung gegenüber dem Thema Evaluation herrsche. "Obgleich ein großes Interesse an der Evaluation der eigenen Projekte bestand, existierte zugleich große Skepsis über die Aussagekraft und Durchführbarkeit evaluativer Maßnahmen. So wurden diese beispielsweise vielfach mit statistischen Erhebungen bzw. Rechenschaftsberichten gleichgesetzt, begleitet von der Einschätzung, dass eine Reduktion auf bloße Zahlen dem tatsächlichen inhaltlichen Anspruch und zeitlichen Aufwand, der mit Distanzierungsbegleitung einhergeht, nicht gerecht würde und diesen auch nicht entsprechend abbilde"
Die Gleichzeitigkeit von Interesse und Distanz der Praxisakteure im Feld der Radikalisierungsprävention korrespondiert (wie auch in anderen Praxisfeldern) mit einer komplexen Konstellation zwischen Evaluationsforschung, deren (oftmals ministerialen) Auftraggebern (die damit zugleich die Finanzierung der Projekte innehaben) und Praxisakteuren, die im Folgenden näher beleuchtet werden soll.
Fachliche Herausforderungen
Der gesellschaftliche Problemdruck – etwa Radikalisierungs- und Polarisierungstendenzen – sorgt unter anderem dafür, dass Projekte und Maßnahmen der Radikalisierungsprävention (aber auch der politischen Bildung und Demokratieförderung) sich einem zunehmenden Legitimationsdruck durch Politik, Medien und Gesellschaft ausgesetzt sehen, schnell und eindeutig ihre Wirksamkeit und Effizienz zu beweisen. Wo Evaluation sich insbesondere oder ausschließlich als eine an wenigen quantitativen Kennzahlen orientierte Erfolgskontrolle versteht, kann dies zu einem Problem werden.
Auch geht es in modellhaften Bundes- wie Landesprogrammen oftmals um die Entwicklung von Strukturen, um Vernetzung und Fragen des Transfers von Erkenntnissen. Nimmt man diesen gesetzlichen Auftrag der Erprobung ernst, so müssen Modellprojekte in letzter Konsequenz auch die Möglichkeit haben, zu scheitern, beispielsweise in der Zielgruppenerreichung, der Passung von didaktischem Ansatz und Zielgruppe oder in mittelfristigen Resonanzen des Projektes bei der Zielgruppe. Werden (gesetzlicher) Auftrag und Zweck von Projekten in Evaluationsdesigns nicht berücksichtigt und mitgedacht, besteht die Gefahr, dass Evaluationen die Praxis an falschen Maßstäben messen und damit zu einer "Entfremdung" der Akteure statt zu einer Evaluationskultur beitragen.
Diese Möglichkeit des Scheiterns bedeutet natürlich gerade nicht, dass der Erfolg solcher Projekte gleichgültig wäre, sondern bezeichnet vielmehr die Notwendigkeit einer Fehlerkultur. Eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation kann beispielsweise dafür sorgen, dass gemeinsam Gründe für solche Entwicklungen analysiert werden, Lerneffekte entstehen (und Fehler damit nicht wiederholt werden) und ein Wissenszuwachs über das Feld der Radikalisierungsprävention entsteht, der dann auch zum Beispiel in die Regelpraxis der Kinder- und Jugendhilfe transferiert werden kann. Im Bereich der Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention verkennt die Forderung nach einer Konzentration auf eine rigide, standardisierte und quantifizierbare Erfolgskontrolle im Sinne eindeutiger Kennzahlen (z. B. der Reduktion von Vorurteilen oder Gewalthandeln) die grundlegenden Spezifika des Feldes. Sie dient im schlimmsten Fall nicht der Entwicklung und kritischen Reflexion des Feldes, sondern der Etablierung von Misstrauen zwischen Evaluationsforschung, Auftraggebern und Praxis und der Demontage von Praxisprojekten. Instrumente wie beispielsweise die WESPE-Datenbank des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention (NZK) können durch ihre Eindimensionalität
Die Vielfalt der Evaluationsmethoden
Für eine Evaluationsforschung, die der Praxis der Radikalisierungsprävention gerecht werden soll, liegen zahlreiche Evaluationsmethoden vor, die bereits in der Radikalisierungsprävention oder Demokratieförderung etabliert sind und erprobt wurden. Sie können dazu beitragen, Evaluationskulturen konstruktiv mitzugestalten, entweder in Form der Herausbildung neuer oder in der Konsolidierung im Handlungsfeld bereits bestehender Evaluationskulturen.
Gerade in gesellschaftlichen Bereichen wie der Radikalisierungsprävention, bei denen es sich größtenteils um (sozial-)pädagogisch ausgerichtete – und damit nicht oder kaum standardisierbare – Angebote, Maßnahmen und Projekte handelt, die auf unterschiedliche Zielgruppen, Individuen, Kontexte und Problemlagen treffen, kann beispielsweise der Einsatz logischer Modelle ein Element sein, um Evaluationsforscherinnen und -forscher und Praxisakteure sowie Auftraggeber in einen konstruktiven Dialog zu bringen.
Zusammenarbeit in der Evaluation
Grundlegend muss sicherlich anerkannt werden, dass die verschiedenen Akteure aus Praxis, Politik, Verwaltung und Evaluation, die im Feld der Radikalisierungsprävention relevant sind, mit jeweils unterschiedlichen Logiken, Perspektiven und Ansprüchen auf das Feld blicken. Insofern ist eine wesentliche Aufgabe von Evaluation einerseits eine entsprechende "Übersetzungsarbeit", indem sie beispielsweise versucht, die "Logik der Praxis" abzubilden, zu reflektieren und sowohl Akteuren der Politik und Auftraggebern als auch den Praktikerinnen und Praktikern selbst einen differenzierten Ein- und Überblick zu geben. Sie muss dabei die Gratwanderung vollbringen, diese Logiken der Praxis a) nicht einfach zu reproduzieren (sonst wäre sie überflüssig) und b) nicht nach unpassenden Maßstäben zu beurteilen. Sie muss vielmehr zu einem Verständnis und einer Perspektive beitragen, die die Praxis selbst nicht von sich hat (z. B. weil sie unter unmittelbarem Handlungsdruck steht und über keine entsprechenden zeitlichen und personellen Ressourcen bzw. das entsprechende Know-How der Evaluation verfügt) und die Auftraggebern (z. B. in der Politik) einen realistischen und empiriegesättigten Blick auf das Feld, seine Herausforderungen, die Programm- und Projektentwicklung, Resonanzen und Wirkungen und eventuelle Anpassungs- und Steuerungsbedarfe ermöglicht. Evaluationsforschung wiederum braucht für die Umsetzung solcher Forschungsdesigns, die den Herausforderungen der Praxis und den Informationsbedarfen von Politik und Steuerungsebenen bestmöglich angemessen sind, eine entsprechende personelle und finanzielle Ausstattung sowie genügend Zeit, um diese Designs auch umzusetzen, empirisches Material auszuwerten, einzuordnen und zu disseminieren. Gleichzeitig – auch dies gehört zu einem transparenten Umgang – kommen Evaluationen nicht umhin, auch ihrem Bewertungsauftrag nachzugehen und Auftraggebern beispielsweise empirische Hinweise auf Fehlentwicklungen oder Defizite in Programmbereichen oder Projekten zu geben. Eine Fehlerkultur bei allen Beteiligten ist sicherlich eine der wesentlichen Voraussetzungen zur (Weiter-)Entwicklung von Evaluationskultur(en). Politische Akteure und andere Auftraggeber hingegen sollten sich in (sozial-) pädagogischen Feldern wie dem der Radikalisierungsprävention nicht von simplifizierenden Vorstellungen des Praxisfeldes und eindimensionalen Ergebnissen locken lassen. In Programmen, Projekten und institutionellen Arrangements sollten Möglichkeiten für Reflexionsprozesse verstärkt mitgedacht und institutionalisiert werden.
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