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Online-Medien spielen für die Verbreitung salafistischer Angebote eine wichtige Rolle. Dazu zählen Videos und Social Media-Kanäle zahlreicher Prediger, die eine Öffentlichkeit erreichen, die weit über den Kern der salafistischen Szene hinausgeht. Ein Beispiel aus Deutschland ist der bereits seit langem aktive Prediger Pierre Vogel, dessen Facebook-Profil von fast 300.000 Nutzerinnen und Nutzern abonniert wird (Stand Mai 2018).
Auch andere islamistische Strömungen nutzen soziale Medien dazu, ihre Inhalte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So wurde das Animationsvideo "Der neue Jude: der ewige Moslem" der Initiative "Generation Islam" allein auf deren Youtube-Kanal fast 80.000 Mal angeschaut. Auf anderen Kanälen wurde das Video übernommen und erreichte auf diese Weise auch zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer, die bis dahin nicht mit den islamistischen Inhalten der Initiative in Berührung gekommen waren.
Mehr jugendliche Themen statt dschihadistischer Propaganda
In den Medienangeboten islamistischer Gruppen geht es in der Regel nicht um Aufrufe zur Gewalt, sondern um Themen, die gerade in der Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Bedeutung sind. Die Themen können ganz unterschiedlich sein. So greift "Generation Islam" immer wieder Erfahrungen mit Diskriminierungen und Rassismus auf und nutzt diese, um möglicherweise vorhandenen Entfremdungsgefühle von jungen Muslimen und Musliminnen zu bestärken. In anderen Videos geht es um die Zulässigkeit von Wahlen, den Umgang mit Pornografie oder ganz allgemein um die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Gleichwohl konzentriert sich die mediale und politische Aufmerksamkeit bisher weitgehend auf Online-Angebote, die von dschihadistischen Organisationen wie dem "Islamischen Staat" oder al-Qaida verbreitet werden.
Propaganda ist nur einer von vielen Faktoren
Tatsächlich bestätigen diverse Studien, die in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden, die Bedeutung von Online-Medien in Radikalisierungsprozessen.
Untersucht wurden insgesamt 784 Fälle von Personen aus Deutschland. Neben Kontakten zu Freunden (54%) und dem Besuch von salafistischen Moscheen (48%) ließ sich für 44% der Ausgereisten eine besondere Bedeutung des Internets für den Einstieg in die Szene ausmachen.
Online-Medien wirken diesen Studien zufolge im Hinwendungsprozess zu extremistischen Gruppen als Katalysator, weil sie den Zugang zu extremistischen Inhalten erleichtern und entsprechende Botschaften verstärken. Für die Annahme, dass eine Radikalisierung allein durch die Nutzung extremistischer Online-Angebote bedingt sei, finden sich dagegen in der Regel keine Belege.
Reichweite dschihadistischer Inhalte ist zurückgegangen
Staatliche Maßnahmen zielten in den vergangenen Jahren vor allem darauf, die Angebotsseite dieses Phänomens in den Griff zu bekommen. Dabei ging es – ähnlich wie im Zusammenhang mit Hate speech und Fake news – vor allem darum, die Betreiber von sozialen Netzwerken zum Löschen von strafrechtlich relevanten Inhalten dschihadistischer Medien zu verpflichten.
Die martialischen Videos von dschihadistischen Organisationen, in denen zum Kampf gegen die "Ungläubigen" aufgerufen wird, werden heute vor allem über Messengerdienste wie Telegram verschickt. Anders als noch zur Hochzeit des sogenannten Islamischen Staates in den Jahren 2015 und 2016 ist die Reichweite dieser Videos damit deutlich zurückgegangen.
Diese Entwicklung ist auch auf die militärischen Niederlagen des "IS" in Syrien und Irak zurückzuführen, denn diese haben die Möglichkeiten der Terrormiliz im Bereich der Medienproduktion und der Durchführung von Online-Aktivitäten geschwächt. Seit Ende 2017 und mit dem Verlust von Raqqa als Hauptstadt des "IS" ist die Zahl der Beiträge und Videos, die von "IS"-nahen Akteuren veröffentlicht wurden, spürbar zurückgegangen.
Warum sind salafistische Narrative für Jugendliche attraktiv?
In der Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus steht die Auseinandersetzung mit der Angebotsseite salafistischer Ansprachen – beispielsweise durch das Löschen entsprechender Inhalte – nicht im Vordergrund.
Wichtiger ist die Frage, warum sich Jugendliche und junge Erwachsene diesen Angeboten aus freien Stücken zuwenden. Der Grund dafür, dass salafistische Ansprachen attraktiv wirken, liegt dabei weniger in der Kunst der Manipulation als in den konkreten Angeboten, die den Bedürfnissen und Interessen von Jugendlichen entsprechen. Es werden lebensweltliche Fragen aufgegriffen, deren Beantwortung für die Jugendlichen oftmals eine Herausforderung darstellt. Auf diese Fragen geben die Angebote ebenso einfache wie rigide Antworten. Sie wirken unter anderem attraktiv, weil sie auf diese Weise Orientierung bieten.
Forschungsbefunde zu Radikalisierungsfaktoren
Warum schließen sich junge Menschen gewaltorientierten islamistischen Gruppierungen an?
Problematisch sind allerdings nicht allein die originalen Inhalte, die von salafistischen Akteuren selbst verbreitet werden, sondern auch die Reaktionen und Beiträge anderer Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Medien, welche die entsprechenden Narrative reproduzieren und verstärken.
Hierzu gehören unter anderem der Anspruch auf absolute Wahrheit in religiösen Fragen, die Abwertung von anderen sowie die Ablehnung von Pluralismus und unterschiedlichen Lebensweisen. Diese Botschaften, die sich nicht auf das salafistische Spektrum beschränken, sondern sich auch in Medien anderer extremistischer Strömungen wiederfinden, befördern religiös-extremistische Orientierungen und gesellschaftliche Konflikte.
Medienpädagogische Materialien
Für die pädagogische Auseinandersetzung mit Propaganda, Hate Speech und anderen problematischen Inhalten existieren Handreichungen, zum Beispiel "Salam-Online" vom Zentrum für Islamische Theologie Münster.
Mehr in der Übersicht "Pädagogische Materialien für die Praxis".
Die Diskussion über Gegennarrative
Der Begriff der Gegennarrative ("Counter-narratives") steht für Bemühungen, der Wirkung dieser Narrative auf inhaltlicher Ebene zu begegnen.
Kritikerinnen und Kritiker dieses Ansatzes betonen das Glaubwürdigkeitsproblem, das fast zwangsläufig mit staatlich getragenen Gegennarrativen verbunden ist. Demnach erscheine die französische Regierung vor dem Hintergrund der eigenen Außen- und Innenpolitik schlicht nicht glaubwürdig, wenn sie den sogenannten Islamischen Staat kritisiere und die Werte von Demokratie und Menschenrechten hochhalte.
Eine mögliche Antwort auf das Glaubwürdigkeitsproblem von Gegennarrativen findet sich in den Ansätzen, die vom Institute for Strategic Dialogue für den englischsprachigen Raum entwickelt wurden. In Videos, die auf Youtube-Kanälen veröffentlicht wurden (u.a. "Externer Link: Abdullah-X", "Externer Link: Average Mohamed"), setzen sich Muslime und Musliminnen mit zentralen Inhalten der salafistischen Ideologie auseinander – beispielsweise dem Verständnis des Dschihads oder der Scharia – und stellen diesen positive Botschaften gegenüber, welche die Macherinnen und Macher der Videos mit dem Islam verbinden.
Als innerislamische Stimmen, die die Glaubensinhalte des "IS" kritisieren, verfügen sie über eine größere Glaubwürdigkeit als vermeintlich neutrale Kritikerinnen und Kritiker, die unmittelbar mit pädagogischen oder gar sicherheitspolitischen Interessen in Verbindung gebracht werden. Um die Sichtbarkeit dieser Videos zu erhöhen und gezielt jene Personen zu erreichen, die aufgrund von bestimmten Interessen und Suchbegriffen als besonders gefährdet erscheinen, wurden die Videos mithilfe kostenpflichtiger Marketingtools im Internet verbreitet.
Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum
Im deutschsprachigen Raum stehen die Videos der "Externer Link: Datteltäter" für einen Ansatz, der auch wegen der besonderen Glaubwürdigkeit der Darstellerinnen und Darsteller ein großes Publikum erreicht. Als mehrheitlich muslimische Gruppe setzen sich die "Datteltäter" satirisch mit verschiedenen Aspekten des Salafismus auseinander und stellen diesen positive Botschaften über den Alltag von Musliminnen und Muslimen in Deutschland gegenüber.
Auch in den "Museltoonz"-Externer Link: Videos, die auf Youtube erschienen sind, spielt diese innerislamische Perspektive eine wichtige Rolle. Die Animationsvideos des islamischen Theologen Ali Ghandour wenden sich gegen die Deutungshoheit salafistischer Akteure und präsentieren alternative Lesarten von Begriffen wie Scharia oder Dschihad.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Videos aus der Reihe "#whatIS", die von der Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit bekannten Youtuberinnen und YouTubern wie Hatice Schmidt oder LeFloid produziert wurden. In diesen Videos geht es nicht vorrangig darum, Musliminnen und Muslime selbst zu Wort kommen zu lassen, sondern die Popularität von prominenten Youtuberinnen und YouTubern zu nutzen, um ein weiteres jugendliches Publikum mit alternativen Narrativen über den Islam zu erreichen.
Im Unterschied zu diesen Videos, in denen die Deutungsvielfalt in Bezug auf religiöse Fragen im Mittelpunkt steht, setzen andere Projekte vor allem auf die Darstellung persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen, um eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen und Folgen einer Hinwendung zu extremistischen Szenen anzuregen. So finden sich unter dem Namen "Jamal al-Khatib" auf Youtube und Externer Link: Facebook einzelne Videos und Kommentare eines fiktiven Aussteigers aus der dschihadistischen Szene, die von einer Gruppe junger Musliminnen und Muslime in Zusammenarbeit mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiten in Österreich produziert wurden. Die Kanäle wurden im Rahmen einer Online-Kampagne beworben, mit der Jugendliche für mögliche Ansprachen von dschihadistischen Akteuren sensibilisiert werden sollten. Auch zu dieser Kampagne wurden Lernmaterialien entwickelt, die sich im Unterricht nutzen lassen.
Die präventive Wirkung solcher Videos wurde in einzelnen Studien grundsätzlich bestätigt, wobei insbesondere die Wirksamkeit von "indirekten Ansätzen" herausgehoben wird, in denen es nicht um die Erwiderung konkreter extremistischer Inhalte geht, sondern um eine Bestärkung positiver demokratischer und pluralistischer Narrative ("alternative Narrative").
Präventionsprojekte greifen Themen aus der Lebenswelt auf
Angesichts der Breite des Themenspektrums, das in islamistischen Medien unterschiedlicher Strömungen angesprochen wird, konzentrieren sich Projekte wie "Was postest Du? Politische Bildung mit jungen Muslim_innen" und "Bildmachen - Politische Bildung und Medienpädagogik zur Prävention religiös-extremistischer Ansprachen in Sozialen Medien"
So können Auseinandersetzungen mit Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus oder Unsicherheiten bezüglich Geschlechterrollen dazu beitragen, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken und Handlungskompetenzen zu fördern.
Hierbei werden auch die Überschneidungen mit Ansätzen zur Förderung von kritischer Medienkompetenz deutlich, die breiter gefasst sind und nicht konkret auf islamistische Ansprachen in Sozialen Medien abzielen – beispielsweise im Bereich der Auseinandersetzung mit Hate speech und Fake news. So spielt auch die Entwicklung von Analyse- und Urteilskompetenzen bei der Nutzung sozialer Medien sowie die Handlungsorientierung entsprechender Ansätze eine wichtige Rolle, um Jugendliche und junge Erwachsene für extremistische Inhalte zu sensibilisieren und ihnen zugleich Möglichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation aufzuzeigen.
Die Mehrzahl dieser Initiativen und Projekte verfolgt einen Ansatz, der sich nicht an eine genau bestimmte Zielgruppe richtet ("one to many"). Erst in der jüngeren Vergangenheit werden verstärkt auch Möglichkeiten erprobt, soziale Medien auch für persönliche Kontaktaufnahmen und direkte Beratungsangebote ("one to one") zu nutzen. Ein Beispiel ist das Projekt "Externer Link: Online – Beratung gegen religiös begründeten Extremismus" der Türkischen Gemeinde in Deutschland.
Ähnlich wie in anderen Zusammenhängen der Präventionsarbeit lassen sich auch hier erste Erfahrungen aus der Arbeit mit Jugendlichen aus dem Umfeld der rechtsextremen Szene aufgreifen, wie sie beispielsweise im Projekt "Debate // de:hate" der Amadeu Antonio Stiftung gesammelt wurden. Das Projekt verfolgt einen Ansatz der aufsuchenden Online-Arbeit. Es wendet sich unter anderem an einzelne Nutzerinnen und Nutzer, die sich mit rechtsextremen Kommentaren in Diskussionen in sozialen Medien einbringen, und bemüht sich in persönlichen Ansprachen, auf die dort formulierten Interessen einzugehen ("aufgeschlossen-bedürfnisorientiert") und zugleich rechtsextreme Positionierungen zu irritieren und zu hinterfragen ("verunsichernd-konfrontativ").
Kampagnen alleine reichen nicht
Unabhängig von jeweiligen Ansatz steht allerdings auch die Präventionsarbeit in sozialen Medien vor der Herausforderung, neben einer Sensibilisierung für extremistische Ansprachen und der Schaffung von Reflexionsräumen konkrete Handlungsperspektiven aufzuzeigen, die einen Umgang mit den auch in extremistischen Narrativen angesprochenen Fragen aus dem Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ermöglichen.
Oder, wie es der französische Journalist Romain Mielcarek in seiner Kritik der französischen Kampagne Stop Djihadisme formulierte: Es gehe auch in Gegennarrativen darum, konkrete Angebote zu entwickeln, "eine Zugehörigkeit, eine Wertegemeinschaft oder den Willen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen".
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