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Jugendbücher & Unterrichtsmaterialien von dtv "Dschihad Calling" und "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten"

Bernd Ridwan Bauknecht

/ 7 Minuten zu lesen

Zwei Jugendromane zeichnen den Weg junger Menschen in die Radikalität nach: "Dschihad Calling" von Christian Linker sowie "Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten" von Benno Köpfer und Peter Mathews. Die begleitenden Unterrichtsmaterialien eignen sich für den Einsatz ab der neunten Klasse. Neben Deutsch kommen auch die Fächer Ethik, Religion oder Politik für eine Auseinandersetzung mit den Büchern und der Thematik in Frage. Bernd Ridwan Bauknecht stellt die Bücher für den Infodienst Radikalisierungsprävention vor. Er ist Islam- und Kulturwissenschaftler sowie Lehrer für Islamischen Religionsunterricht in Bonn.

Dschihad Calling Cover (© dtv)

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Dschihad Calling

Der Jugendroman "Dschihad Calling" ist ein beeindruckendes und vielschichtiges Buch über die Identitäts- und Sinnsuche junger Menschen im Kontext einer radikalen Ideologie. Das Buch beschreibt die Auseinandersetzung des 18-jährigen Jakob mit seinem Umfeld, seine beginnende Faszination für den Salafismus, seine Konversion von Jakob zu Yakub sowie seinen Weg in die radikale Gedankenwelt der Dschihadisten.

Es ist das Verdienst des renommierten Jugendbuchautors Christian Linker, dass die Geschichte Jakobs und seiner Freunde ganz ohne Stereotypen, Zuschreibungen, hölzerne Ursachenforschung und moralisierenden Zeigefinger auskommt. Vielmehr geht Linker den Radikalisierungsprozessen und deren Ursachen auf den Grund, indem er sehr überzeugend die Innenwelt und subjektiven Befindlichkeiten der Charaktere herausarbeitet. Der Leser wird ab dem ersten Kapitel in den Bann der sich überschlagenden Entwicklungen gezogen.

Die Akteure des Buches sind zunächst unauffällige Jugendliche aus bürgerlichen Verhältnissen mit unterschiedlichen Biografien, die sich nach und nach ideologisch verstricken. Bei Jakob, der in einer ihm fremden Stadt im ersten Semester Jura studiert, sind es die verheißungsvollen, von einem Gesichtsschleier eingerahmten blauen Augen, die sein Interesse wecken. Sie führen ihn zu Samira, einer selbstbewussten und eigenwilligen jungen Frau aus der salafistischen Szene. Bald schon fühlt sich Jakob nicht nur von Samira angezogen, sondern auch von den festen Standpunkten ihres Bruders Adil und der Salafisten vor Ort. Jakobs Lebenssituation, seine existentialistische Sinnsuche und gesellschaftskritische Sichtweise sind Impetus auf seinem Weg zur Radikalisierung. Adil dagegen ist nach dem frühen Tod seiner Mutter auf die schiefe Bahn geraten. Eine Triebfeder, die ihn dazu bringt, sich der salafistischen Szene anzuschließen, scheint sein eigenes Scheitern zu sein.

Die anfängliche Bindung und Geborgenheit innerhalb der salafistischen Gemeinschaft wird bald vom Wahn des exklusiven Auserwähltseins überlagert und endet in der Bestialität eines Gewaltregimes. Samira schafft es noch, Jakob von der Ausreise nach Syrien abzuhalten. Doch Adil entzieht sich den beiden und bald weicht die Faszination von Abenteuer, Macht oder Gewalt einer kalten und nackten Brutalität. Die erlebte Unmenschlichkeit und Doppelmoral lassen Adil immer mehr zweifeln. Spätestens als er vor einem Kampfeinsatz von seinem Kommandeur die Droge MDMA, Ecstasy, angeboten bekommt, droht Adils Kartenhaus der Ideale vollständig einzustürzen.

Das Buch ist hervorragend recherchiert. Während am Ende des Buches die schockierende Realität einer Terrorherrschaft steht, beginnt die Handlung mit Reminiszenzen an die Salafistenszene in Deutschland. Zwar wird vorab betont, dass die Figuren nichts mit realen Personen gemein haben. Doch erinnert zum Beispiel die Gestalt von Abu Tarek daran, wie prominente Personen aus der Szene tatsächlich agieren.

Wichtige Gegenpole während des Radikalisierungsprozesses sind Mitmenschen Jakobs, die den Wert des Lebens, die Liebe und die (Lebens-)Lust bejahen. Hierzu zählen zum Beispiel sein väterlicher Freund und Arbeitgeber Golski, die ehemalige Schulkameradin Betül oder am Ende auch Samira. Obwohl die Phrasen und Versprechungen der radikalen Gruppen oft banal und einfältig sind, wird der Autor nie despektierlich gegenüber seinen jugendlichen Protagonisten. Vielmehr entwickelt das Buch mit einer klaren, teils ungeschminkten Sprache und den lebensnahen Widersprüchen eine große Nähe zu jungen Menschen.

Zudem fördert der Aufbau des Textes eine große Handlungsdichte. Die im Rückblick aus der Ich-Perspektive Jakobs erzählten Handlungen verschränken sich mit dem Tagebuch Adils, das dieser beim sogenannten Islamischen Staat im syrischen Kriegsgebiet schrieb, und das Jakob von einem Mitkämpfer Adils ausgehändigt bekommt. Zusätzlich sind weitere Textsorten wie Protokolle des Bundeskriminalamts, Bloggerbeiträge, Briefe oder Zitate aus religiösen Schriften einmontiert.

Verwendung im Schulunterricht

Die Lektüre eignet sich ab den Klassestufen neun und zehn im Fach Deutsch. Aber auch in den Fächern Politik, Religion oder Ethik ist die Thematik angebracht. Sinnvoll sind fächerübergreifende Kooperationen. Zum Buch gibt es ein differenziertes und fundiertes 34-seitiges Begleitmaterial, das Vorschläge zum Ablauf der umfangreichen Lektüre und didaktische Hinweise zur Aufarbeitung bereithält. Es sind strukturierte und durchdachte Aufgabenstellungen, die verschiedene Kompetenzanforderungen des Lehrplanes abdecken. Hierzu gehören sowohl Kompetenzen des Umgangs mit Texten als auch des Argumentierens sowie verschiedenen Präsentationsformen.

Aus den zahlreichen Aufgabenstellungen der Arbeitsblätter seien exemplarisch erwähnt: die Anleitung für die Anfertigung von Strukturskizzen zum Text; Impulsfragen für die Diskussion verschiedener Aspekte des Romans wie die Kommunikation der Figuren untereinander, die Rolle der Medien oder Frauenbilder; Analysevorschläge zum Gesprächsverlauf der Telefonate zwischen Samira und Jakob sowie szenischen Übungen und Argumentationstrainings, in denen Gespräche aus dem Buch aufgegriffen und weitergeführt werden.

Bestellung & Unterrichtsmaterial

Autor: Christian Linker
Erschienen im Dezember 2016 bei dtv, 320 Seiten
Externer Link: Zur Bestellung auf dtv.de

Die begleitenden Unterrichtsmaterialien wurden von Marlies Koenen herausgegeben, Redaktion durch Richard Klimmer. Sie umfassen 34 Seiten und können kostenlos auf der Internetseite des Verlags heruntergeladen werden.
Externer Link: Zum Download auf dtv.de.

Kadir, der Krieg und die Katze des Propheten

Das Buch beschreibt den Weg des sechzehnjährigen Deutschtürken Kadir in die Radikalität. Vor allem die kenntnisreichen und realistischen Beschreibungen seiner Erlebnisse in der "IS"-Hochburg Rakka in der zweiten Hälfte des Buches zeigen jungen Leserinnen und Lesern einen ernüchternden Alltag zwischen Doppelmoral, Allmachtphantasien, Brutalität und öffentlich zur Schau getragener Grausamkeit. Zunächst betrachtet sich Kadir noch als auserwählt, doch seine späteren Erlebnisse lassen ihn zweifeln. Das Buch entblößt die Strategien der ideologischen Verführung, und gekonnt wird der Gewaltherrschaft des "Islamischen Staates" die Maske ihrer religiös verbrämten Legitimation heruntergerissen.

Die nüchternen, mit trockenem Humor und analytischer Schärfe formulierten Ausführungen des spannenden Buches kommen an eine natürliche Grenze, wenn man nach den Beweggründen junger Menschen auf ihrem Weg in die Radikalität sucht. Das Geschehen wird aus Sicht des Freundes und Fußballkollegen Mark erzählt, der sich während der späteren Suche nach Kadir in dessen Schwester Meral verliebt. Aus Marks unverstellter, oft naiver, Sichtweise werden die schwierigen Fragen nach den Gründen einer Radikalisierung umkreist.

Hierbei nimmt die Beschreibung des Umfelds Kadirs großen Raum ein. Er entstammt einem weitverzweigten Familienclan, der Vater schlägt und betrachtet seine Töchter als minderwertig, die Mutter kann kein Deutsch und steht nur in der Küche, und natürlich läuft ständig der Fernseher. In Kadirs Hamburger Kiez halten alle Türken zusammen, und sie sind eine verschworene Gemeinschaft, die nur den eigenen Vorteil im Blick hat.

Für das deutsche Umfeld stehen neben der Fußballmannschaft von Kadir und Mark stellvertretend der deutsche Sozialarbeiter, natürlich mit langen Haaren und Zopf, der lediglich banale Plattitüden zum Thema Religion äußert und eine Lehrerin, die aus Marks Sicht wie die meisten Lehrerinnen und Lehrer "Die Grünen" wählt und sich immer auf Seiten der Unterdrückten und Flüchtlinge sieht.

Gezeigt wird das völlige Fehlen positiver Identifikationsmöglichkeiten und einer haltgebenden Wertegemeinschaft. Provokant wird der Islam als rückständige Religion und die deutsche Gesellschaft als verweichlicht überzeichnet.

Im Roman treiben die Zuspitzungen manchmal etwas seltsame stilistische und inhaltliche Blüten. Die "düster blickenden Männer des IS" haben dann Münder, die "wie Krummdolche" gebogen sind. Oder es wird suggeriert, dass in türkischen Bussen eine Geschlechtertrennung stattfände. Ebenso wird der Erdogan-Regierung die Einrichtung der vielen kleinen Gebetsräume zugeschrieben, die es seit jeher an türkischen Busbahnhöfen gibt. Die Qualität des Buches profitiert von der Zusammenarbeit des erfahrenen Autors Peter Mathews mit dem Islamwissenschaftler Benno Köpfer. Herr Köpfer ist wissenschaftlicher Analyst beim Verfassungsschutz und kennt die Thematik aus eigener Erfahrung sowie zahlreichen Gesprächen mit Angehörigen von Syrienausreisenden.

Verwendung im Schulunterricht

Mit den Zuspitzungen wollen die Autoren zur Diskussion anregen. Hier unterstützt das begleitende Unterrichtsmaterial, das auf 37 Seiten didaktisch klug auf die offenen Fragen eingeht. Es greift sachlich fundiert die Diskurs-Anregungen des Buches auf. Methodisch erfolgt die Annäherung an die Romanfiguren durch tiefergehende Fragestellungen, Beziehungsskizzen, Rechercheaufträge, imaginäre Tagebuch- und Blogbeiträge.

Aus den zahlreichen Aufgabenstellungen der Arbeitsblätter seien hier exemplarisch genannt: das Verfassen einer polizeilichen Vermisstenanzeige für Kadir, der Vergleich einer stark verkürzten Textpassage aus dem Koran in einem Propagandavideo mit dem Original, das Verfassen eines inneren Monologs Marks zu einem Pressebericht über Kadir oder das Erstellen einer Mindmap zum Thema "Frauenbilder im Roman".

So werden Rollenbilder, gesellschaftliche Gleichgültigkeit oder Verschwörungstheorien hinterfragt. Interessante Aspekte von Nebenfiguren werden aufgegriffen und gekonnt aufbereitet. Dazu gehört, wie sich Kadirs jüngere Schwester Nermin auf ihrer Suche nach Unabhängigkeit in den Verheißungen des Salafismus verstrickt. Da in den Unterrichtsmaterialien beständig auf den historischen Kontext religiöser Quellen hingewiesen wird – was auch einer islamischen Theologie nicht fremd ist – gelingt die Differenzierung zwischen Islam als Religionsgemeinschaft und Islamismus als Ideologie. Hierzu werden Koranverse zur Reflexion und Analyse herangezogen.

Die Lektüre eignet sich lehrplangemäß für das Fach Deutsch ab der neunten Klassenstufe. Auch in den Fächern Politik, Religion oder Ethik ist die Lektüre oder eine Kooperation sinnvoll. Aufgrund des Umfanges kann sich der Lernprozess an den Kapiteln orientieren: Die kleineren Kapitel können zum Lesen aufgeteilt und anschließend gegenseitig vorgestellt werden.

Bestellung & Unterrichtsmaterialien

Autoren: Benno Köpfer und Peter Mathews
Erschienen im August 2016 bei dtv, 336 Seiten
Externer Link: Zur Bestellung auf dtv.de

Die begleitenden Unterrichtsmaterialien wurden von Marlies Koenen herausgegeben, Redaktion durch Richard Klimmer. Sie umfassen 37 Seiten und können kostenlos auf der Internetseite des Verlags heruntergeladen werden.
Externer Link: Zum Download auf dtv.de.

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Bernd Ridwan Bauknecht ist nach einem Studium der Islamwissenschaft und Empirischen Kulturwissenschaft (M. A.) als Lehrer für Islamischen Religionsunterricht in Bonn tätig. Er war Mitglied der 2. Deutschen-Islam-Konferenz, außerdem arbeitet er als Sachverständiger für das dialogforum-nrw. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Religionspädagogik und der religiös begründete Extremismus. Er promoviert zum Thema Korandidaktik und hat neben einer Monografie zahlreiche Beiträge in Sammelbänden, Zeitschriften, Lexika und Schulbüchern verfasst.