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Der Beitrag erschien ursprünglich unter dem Titel “Radikalisierung, Ausreise, Rückkehr – Lage und Handlungserfordernisse" im Sammelband "Sie haben keinen Plan" in der Schriftenreihe der bpb. Der Band kann im Shop der bpb
Seit 2012 sind mehr als 970 Personen aus Deutschland nach Syrien und in den Irak ausgereist, um dort auf Seiten des "IS" und anderer terroristischer Gruppierungen zu kämpfen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Etwa ein Drittel davon ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt
Zudem sind durch die "Dschihad-Reisenden" aus aller Welt und ein verbindendes Internet internationale Netzwerke von Dschihadisten entstanden, die die Sicherheitsbehörden in Europa und weltweit vor neue Herausforderungen stellen. Aufgrund der militärischen Zurückdrängung des "IS" im Nahen Osten werden "Dschihad-Reisende" zunehmend auch nach Europa zurückkehren – nicht aber unbedingt in ihre Herkunftsländer. Das bedeutet: Wir bekommen es in Deutschland nicht nur mit unseren eigenen Rückkehrern zu tun, sondern unter Umständen auch mit "Dschihad-Reisenden" aus anderen europäischen wie auch außereuropäischen Ländern. Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland wird somit absehbar größer, komplexer und internationaler.
Zielsetzung und Vorgehensweisen terroristischer Gruppierungen
Mit abnehmenden militärischen Erfolgen in Syrien und im Irak dürfte der "IS" künftig verstärkt darauf setzen, seine Handlungsfähigkeit mit Anschlägen vor allem in "westlichen" Ländern unter Beweis zu stellen. Gleichzeitig sind Anschlagsplanungen und -versuche anderer terroristischer Gruppierungen weiterhin einzukalkulieren.
Aufträge für Anschläge an Zellen werden weltweit erteilt oder Zellen agieren autonom im Namen von oder mit Bezug auf eine bestimmte Organisation. So besteht unverändert die Gefahr, dass Anschläge von Einzeltätern (sogenannten lone actors) oder konspirativen Kleinstgruppen begangen werden, die zuvor keinen unmittelbaren Bezug zu terroristischen Gruppierungen hatten, sondern sich z.B. von deren Internetpropaganda inspirieren lassen.
Wir müssen weiterhin mit gezielten und koordinierten Anschlägen wie in Paris im November 2015 oder in Brüssel im März 2016 rechnen. Planung, Vorbereitung und logistische Unterstützung der Anschläge von Paris erfolgten durch ein grenzübergreifendes Netzwerk französischer und belgischer Islamisten. Die Täter waren sogenannte homegrown terrorists – Personen, die in Frankreich bzw. Belgien aufgewachsen waren und sich dort radikalisiert hatten –, "Dschihad-Rückkehrer" sowie gezielt für diese Anschläge vom "IS" entsandte und als Flüchtlinge getarnt eingeschleuste Dschihadisten aus dem Nahen Osten.
Darüber hinaus müssen wir uns auf weitere mehr oder minder spontan begangene Gewalthandlungen gegen unmittelbar zur Verfügung stehende Ziele einstellen. Der "IS" ruft seine Anhänger immer wieder dazu auf, Menschen weltweit "mit allen Mitteln" anzugreifen, sie z.B. zu überfahren. Ein ähnlicher Aufruf erfolgte in der Vergangenheit bereits durch al-Qaida. Die Anschläge mit Lkw in Berlin und Nizza oder auch Angriffe mit Alltagsgegenständen wie in Würzburg und Hannover zeigen, dass diese Aufrufe Wirkung entfalten.
Die Art und Weise, wie diese Taten begangen wurden, zeigt das Ausmaß der Bedrohung, die vom islamistischen Terrorismus ausgeht, und beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Das Risiko der Täter, im Vorfeld von Anschlägen entdeckt zu werden, sinkt, denn je geringer Planung und Koordination ausfallen, desto weniger Ansätze haben Sicherheitsbehörden, Anschlagspläne rechtzeitig zu erkennen und zu stoppen. Zugleich wird die Zahl der Personen, die in der Lage sind, solche weniger komplexen Anschläge auszuführen, größer, wodurch wiederum die Gefahr von Nachahmungstaten steigt.
Wie begegnen die Sicherheitsbehörden dieser wachsenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa?
Grundlage erfolgreicher Terrorabwehr ist es, die notwendigen Informationen zu Personen, Sachverhalten, Verbindungen und Strukturen zu gewinnen, zusammenzuführen, auszuwerten und verfügbar zu machen. Grundsätzlich sind wir diesbezüglich – das zeigen nicht zuletzt mehrere von den Sicherheitsbehörden verhinderte Anschlagsversuche – auf nationaler und internationaler Ebene gut aufgestellt. Die hohe Dynamik des Phänomens erfordert aber, dass wir unsere Maßnahmen immer wieder kritisch prüfen und gegebenenfalls anpassen.
Terrorismusbekämpfung in Deutschland
Die Grundlagen unserer heutigen Terrorismusabwehr wurden vor dem Hintergrund des 11. September 2001 gelegt und seitdem ständig fortentwickelt. 2004 wurde das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum – kurz GTAZ – gegründet, das bis heute das Herzstück der Terrorismusbekämpfung in Deutschland bildet. Auf dieser Plattform tauschen Vertreterinnen und Vertreter von 40 Behörden
Die zunehmende Dynamik und Komplexität der terroristischen Bedrohung zeigt aber auch diesen bewährten Strukturen Grenzen auf. Die Gefährdungssachverhalte
Internationale Zusammenarbeit und Informationsmanagement
Ein rein nationaler Ansatz trägt in der Terrorismusbekämpfung jedoch nicht. Wir haben es mit einem transnationalen Phänomen und hochmobilen, international vernetzten Tätern zu tun. Dementsprechend müssen auch die Sicherheitsbehörden in Europa und darüber hinaus grenzübergreifend zusammenarbeiten. Dies geschieht z.B. durch anlassbedingte bilaterale Zusammenarbeit, durch phänomenbezogene Kooperationen wie die Police Working Group on Terrorism (PWGT)
Einen zentralen und wachsenden Stellenwert nimmt darüber hinaus das Informationsmanagement auf europäischer Ebene ein. Wenn Straftäter sich in einem Europa ohne Binnengrenzen unkontrolliert von einem Mitgliedsstaat in den anderen bewegen können, muss gewährleistet sein, dass Informationen, die in den einzelnen Mitgliedsstaaten zu diesen Personen vorliegen, ausgetauscht werden bzw. abrufbar sind. Mit dem Wegfall der Binnengrenzen im Schengen-Raum
Grundsätzlich ist das SIS eine Erfolgsgeschichte: Polizeibeamte aus 30 Staaten haben Zugriff auf rund 77 Millionen Fahndungsdaten, davon rund eine Million Personendatensätze.
Der 2005 abgeschlossene Vertrag von Prüm beispielsweise regelt den Austausch von Fingerabdruck- sowie von DNA- und Kfz-Daten durch die Teilnehmerstaaten in Europa.
Ein weiteres Beispiel ist EURODAC, in dem unter anderem die Fingerabdruckdaten von Asylsuchenden gespeichert werden. Auch dieses System ermöglicht lediglich die Feststellung, wann und wo in einem anderen Staat bereits ein Asylantrag gestellt oder eine Außengrenze illegal überquert wurde. Weitere Hinweise zu genutzten Personalien und Mitreisenden sind nicht abrufbar und müssen zeitaufwendig separat erfragt werden. Zudem ist die Nutzung von EURODAC für Zwecke der Strafverfolgung bisher nur eingeschränkt möglich. Wie wichtig dieses System allerdings auch für Sicherheitsbehörden ist, verdeutlicht die Festnahme zweier Personen, die dem Pariser Attentäterkreis zuzurechnen sind, in Österreich Anfang 2016 – der Hinweis auf ihren Aufenthaltsort ging unter anderem auf einen EURODAC-Treffer zurück.
Diese Schwachstellen im europäischen Informationsaustausch müssen wir beseitigen. Das Bundeskriminalamt setzt sich daher aktiv für eine zügige Verbesserung der Abläufe und Systeme ein.
Umgang mit Gefährdern
Darüber hinaus benötigen wir vor dem Hintergrund des in den letzten Jahren zahlenmäßig stark angestiegenen islamistischen Personenpotenzials ein Instrument für eine verbesserte Einschätzung des von diesen Personen ausgehenden akuten Risiko- bzw. Gewaltpotenzials. Die Vorstellung, man müsse nur jeden bekannten Gefährder rund um die Uhr observieren, wird der Komplexität dieser Aufgabe nicht gerecht und ist sowohl rechtlich als auch personell nicht realisierbar. Sie lässt zudem die Tatsache aus den Augen, dass in der Vergangenheit oftmals Anschläge von Personen geplant oder begangen wurden, die den Sicherheitsbehörden zuvor nicht bekannt waren und die somit auch nicht unter eine solche Maßnahme gefallen wären.
Es gibt bereits eine abgestimmte, bundesweit einheitliche polizeiliche Definition von "Gefährdern" und "Relevanten Personen"
Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass die Maßnahmen, die auf Basis dieser Bewertungen erfolgen, bundesländerübergreifend vergleichbar sind. Dafür erfolgen gemeinsame Bewertungen von Personen und die Abstimmung entsprechender Maßnahmen seit dem vergangenen Jahr im GTAZ, so wie es in Bezug auf Gefährdungssachverhalte bereits seit Längerem der Fall ist.
Um bundesweit einheitliche Maßnahmen durchführen zu können, bedarf es darüber hinaus eines einheitlichen rechtlichen Rahmens. Derzeit verfügt die Polizei in zwölf Bundesländern über die rechtliche Befugnis, Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen (TKÜ) zur Gefahrenabwehr durchzuführen. Die "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" für die auch von Gefährdern häufig genutzte verschlüsselte Kommunikation ist explizit nur in sechs, die Onlinedurchsuchung nur in zwei Bundesländern rechtlich erlaubt. In den Polizeigesetzen der jeweils übrigen Bundesländer sind die notwendigen Ermächtigungen für diese Maßnahmen nicht vorhanden. Praktisch bedeutet das, dass Überwachungsmaßnahmen im Zweifel nicht durchgeführt werden können oder abgebrochen werden müssen, wenn die Zielperson ihren Wohnsitz in ein Bundesland ohne entsprechend vorhandene Regelungen verlegt. Gerade im Bereich des islamistischen Terrorismus haben wir es immer wieder mit hochmobilen Personen zu tun, die ihren Wohnort wechseln und teilweise im gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus vernetzt sind. Fehlende Rechtsgrundlagen, an denen Überwachungsmaßnahmen solcher Personen gegebenenfalls scheitern, können wir uns nicht mehr leisten. Hier sind die Bundesländer gefragt, die notwendigen Eingriffsermächtigungen in ihren Polizeigesetzen zu schaffen.
Darüber hinaus ist es für erfolgreiche Polizeiarbeit grundlegend wichtig, dass die Gesetzgebung mit der technischen Entwicklung und dem Wandel von Kriminalitätsphänomenen Schritt hält. Angesichts der wachsenden Rolle des Internets bei der Planung, Verabredung und Begehung von Straftaten muss durch eine Weiterentwicklung des Rechts sichergestellt werden, dass Ermittlungen auch im digitalen Raum effektiv durchgeführt werden können. Ein Beispiel ist die verschlüsselte Kommunikation von Straftätern, auf die die Ermittlungsbehörden mit den Mitteln der klassischen Telekommunikationsüberwachung keinen Zugriff mehr haben. Um auch hier auf Basis klarer rechtlicher Grundlagen auf die für die Ermittlungen relevanten Kommunikationsdaten zugreifen zu können, wurden z.B. Regelungen für die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung in der Strafprozessordnung geschaffen.
Die Polizei muss darüber hinaus in der Lage sein, ihre Ermittlungsinstrumente auf die »digitale Welt« zu übertragen bzw. für diesen Bedarf geeignete Instrumente neu zu entwickeln. Das Bundeskriminalamt wird diesbezüglich die Rolle eines zentralen Dienstleisters übernehmen und Instrumente vor allem im IT-Bereich entwickeln, die wir der gesamten deutschen Polizei zur Verfügung stellen.
Prävention und Deradikalisierung
Angesichts eines hohen und weiter wachsenden Personenpotenzials der gewaltbereiten islamistischen Szene in Deutschland reichen polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung auf Dauer jedoch nicht aus, um Extremismus und Terrorismus nachhaltig entgegenzutreten. Vielmehr müssen wir als Gesellschaft Maßnahmen ergreifen, um dieses Personenpotenzial langfristig zu reduzieren. Das bedeutet, dass wir mit Maßnahmen der Prävention und der Deradikalisierung dafür Sorge tragen müssen, dass sich extremistische Szenen jedweder Couleur in Deutschland nicht immer wieder neu speisen und vor allem Jugendliche für ihre menschenverachtenden Ansichten und Ziele gewinnen können.
Es gibt in Deutschland zahlreiche, sehr engagierte Präventionsinitiativen. Damit diese effektiv und flächendeckend arbeiten können, bedarf es einer sinnvollen Koordination, einer gesicherten finanziellen Basis für erfolgreiche Ansätze und Projekte sowie eines verbesserten Erfahrungsaustausches und Wissensmanagements von Präventionsakteuren und Multiplikatoren.
Fazit
Der islamistische Terrorismus wird auf nicht absehbare Zeit eine der zentralen Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden, aber auch für uns als Gesellschaft bleiben. Wir haben es mit Personen und mit einer Ideologie zu tun, die unseren Rechtsstaat, unsere Werte und unsere Art zu leben verachten und mit allen Mitteln zu bekämpfen versuchen. Die Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus hängt maßgeblich davon ab, dass wir neue Trends und Entwicklungen schnell erkennen und unsere Maßnahmen und Bekämpfungsansätze entsprechend anpassen. Voraussetzung dafür ist eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung aller relevanten Akteure, national und international, sowie ein effektiver und effizienter Informationsaustausch. Terrorismusabwehr kann nur in einem starken europäischen Verbund funktionieren.
Darüber hinaus müssen wir die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates stärken, durch die Schaffung starker und vor allem einheitlicher rechtlicher Grundlagen für eine effektive Terrorismusbekämpfung sowie durch erfolgreiche präventive Ansätze.
Trotz wachsender Bedrohungen ist Deutschland nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt. Die deutsche Polizei wird alles daran setzen, dass das auch so bleibt. Das anhaltend hohe Vertrauen der Bevölkerung in unsere Arbeit ist für uns dabei Bestätigung und Verpflichtung zugleich.
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