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Redaktion Infodienst: Wer ist die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx)?
Götz Nordbruch: Die derzeit Externer Link: 25 Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft sind Vereine und andere Träger aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Sie alle beschäftigen sich mit der Präventions- und Distanzierungs- oder Deradikalisierungsarbeit im Bereich religiös begründeter Extremismus.
Redaktion Infodienst: Wie kam es zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft?
Götz Nordbruch: Die Initiative ging von einigen Trägern aus. Sie wünschten sich einen Dachverband oder eine Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene, in der die verschiedenen Akteure mit ihren unterschiedlichen Ansätzen zusammenkommen und wo ein direkter Austausch möglich ist.
In den vergangenen Jahren wurden viele Projekte aus unterschiedlichen Töpfen gefördert, zum Beispiel im Bundesprogramm "Demokratie leben". Dort wurden umfangreiche Erfahrungen gesammelt, es gab jedoch keinen Rahmen für Austausch und Vernetzung über dieses Förderprogramm hinaus. Zugleich gab es auf politischer Ebene ein Interesse daran, die Vernetzung und Qualitätsentwicklung dieser Vereine auch finanziell zu unterstützen.
Im Frühjahr 2016 bildeten dann fünf Vereine eine Initiativgruppe, um die Gründung vorzubereiten. Es wurden etwa 20 weitere Vereine und Träger, die schon länger in dem Bereich aktiv sind, zu einem Workshop und der Gründungsversammlung im November 2016 eingeladen.
Das Familienministerium fördert die Arbeit der BAG mit der Finanzierung von zwei Stellen zur Koordinierung der Aktivitäten in einer Geschäftsstelle.
Redaktion Infodienst: Welche Ziele verfolgt die Arbeitsgemeinschaft?
Götz Nordbruch: Ein zentrales Ziel der BAG ist die Vernetzung untereinander: Erfahrungen und Wissen auszutauschen, zu teilen und weiterzugeben. Eine Erfahrung aus der Präventionsarbeit ist, dass die Vernetzung von unterschiedlichen Ansätzen und Akteuren für eine nachhaltige Wirkung ganz entscheidend ist. Zum Beispiel kann ein Präventionsprojekt, das ausschließlich in der Schule angesiedelt ist, dort zwar einen wichtigen Beitrag leisten – langfristig wirken kann Präventionsarbeit aber erst, wenn sich Lehrkräfte mit Jugendeinrichtungen, Beratungsstellen und auch Behörden austauschen.
Zu diesem Austausch gehört auch das Ziel, jene Einrichtungen zu erreichen, deren Schwerpunkt nicht in der Präventionsarbeit liegt, die aber in ihrer täglichen Arbeit mit Jugendlichen und Familien zu tun haben. Letztlich muss es darum gehen, präventive Ansätze über einzelne Modellprojekte hinaus in diese Regelangebote zu transferieren.
Daher besteht ein weiteres Ziel der BAG darin, gemeinsame Standards oder Qualitätskriterien zu entwickeln. Auf Grundlage der Erfahrungen der einzelnen Mitglieder soll herausgearbeitet werden, was die Voraussetzungen für gelingende Präventions- und Deradikalisierungsarbeit sind: Zum Beispiel, welche Fachdisziplinen vertreten sein müssen, welche Qualifikationen Mitarbeiter/-innen mitbringen sollten, wie organisatorische Rahmenbedingungen aussehen müssen, ob Träger Supervision brauchen etc.
Und es geht der BAG darum, die Interessen zivilgesellschaftlicher Akteure in Politik und Öffentlichkeit zu vertreten. Auch in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen wollen wir die zivilgesellschaftliche Perspektive einbringen.
Unser Eindruck ist, dass wir vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen wie beim Rechtsextremismus. Dort ist über Jahre eine Präventionslandschaft entstanden, in der zivilgesellschaftliche Träger eine wesentliche Rolle spielen. Dort hat sich gezeigt, dass sie als Akteure oft schneller reagieren können und eine bessere Anbindung vor Ort haben, als es beispielsweise eine Behörde hat, und damit können sie Jugendliche und junge Erwachsene besser erreichen.
Redaktion Infodienst: Wie sollen die von Ihnen formulierten Ziele der BAG konkret erreicht werden?
Götz Nordbruch: Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf den Arbeitsgruppentreffen. Alle Mitglieder treffen sich mehrmals jährlich. Einige Arbeitsgruppen arbeiten stärker inhaltlich-methodisch, bei anderen geht es eher um Rahmenbedingungen und Voraussetzungen unserer Arbeit. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen sollen als Thesenpapiere veröffentlicht werden, damit andere Multiplikatoren sie aufgreifen können. Nicht alle Mitglieder sind so aufgestellt, dass sie bundesweit tätig sein oder flächendeckende und langfristige Angebote in der Schule anbieten können. Viele Träger entwickeln Ansätze und Projektideen, um letztlich Anstöße zu geben, die dann von anderen Trägern aufgegriffen werden können. Es geht der BAG also nicht nur darum, die eigenen Mitglieder zu unterstützen und deren Arbeit weiterzuentwickeln. Die Erfahrungen sollen auch so sichtbar gemacht werden, dass beispielsweise auch ein Jugendamt, ein Sportverein oder eine Erziehungsberatungsstelle, die mit diesem Thema konfrontiert sind, Anregungen für die eigene Arbeit erhalten.
Ab 2018 werden wir zudem Webinare zu verschiedenen Themenschwerpunkten anbieten, die sich an eine Fachöffentlichkeit wenden. Als erste Themen sind "Gender" und "Online-Medien" geplant. Ein Webinar wird aus einem thematischen Input und anschließendem Erfahrungsaustausch der Mitglieder bestehen. Über die Chat-Funktion können die angemeldeten Teilnehmenden Fragen stellen und kommentieren. Die Webinare werden aufgezeichnet und auf der Website dokumentiert.
Wir planen darüber hinaus eigene Fachveranstaltungen und sind auch auf anderen Veranstaltungen präsent. Der erste Fachtag der BAG fand Anfang November 2017 in Berlin unter dem Titel "Herausforderungen für die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit" statt und war offen für alle Interessierten.
Dabei ist es uns auch wichtig, über den Tellerrand zu schauen und die Erfahrungen in Deutschland auch in der europäischen Fachdebatte sichtbar zu machen. Schließlich passiert in Deutschland relativ viel im Bereich der Radikalisierungsprävention, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Doch diese Erfahrungen spielen in der europäischen Diskussion bisher nur am Rande eine Rolle.
Zudem unterhält die BAG Kontakte zu Politikerinnen und Politikern der Bundestagsfraktionen, zu Ministerien, Sicherheitsbehörden und politischen Stiftungen. Hier beraten wir, etwa als Experten in Anhörungen, bei der fachlichen Arbeit etc. So wollen wir die Perspektive der Mitglieder politisch vertreten.
Redaktion Infodienst: Mit welchen Themenschwerpunkten beschäftigen sich die Arbeitsgruppen?
Götz Nordbruch: Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich aktuell mit den Rahmenbedingungen von Präventionsarbeit. Dabei geht es darum, als BAG zu definieren, welche Voraussetzungen auf Ebene der Vereine notwendig sind, um längerfristig gute Präventionsarbeit machen zu können. Es geht aber auch um politische oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel um die Beziehungen zu den verschiedenen Ministerien und den Sicherheitsbehörden.
Eine der Fragestellungen ist, wie Präventionsarbeit durch verschiedene politische Diskurse beeinflusst wird. Wie wirkt sich zum Beispiel der Diskurs darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört, auf ein lokales Projekt zum Empowerment von Jugendlichen aus, in dem vermittelt werden soll, dass deutsch und muslimisch sein einander nicht ausschließt?
Eine weitere Arbeitsgruppe setzt sich mit der Entwicklung von Qualitätskriterien auseinander, also mit der Frage: Was macht gute Präventionsarbeit aus? Diese AG ist in die zwei Untergruppen "Allgemeine Prävention" und "Distanzierungs- oder Deradikalisierungsarbeit" aufgeteilt, da die Voraussetzungen und die Kriterien für Qualität und Erfolg in den zwei Bereichen sehr unterschiedlich sind.
Die dritte Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem Thema Gender. Wir haben den Eindruck, dass Geschlechterrollen- bzw. Gender-Aspekte in allen Ansätzen relevant sind. Daher wollen wir regelmäßig unsere Erfahrungen zusammentragen – wie beispielsweise reine Mädchen- oder Jungenprojekte arbeiten, welche Rolle Geschlechterfragen in der Propaganda und in Anwerbestrategien spielen. Außerdem befasst sich die Gruppe mit wissenschaftlichen Ergebnissen, wie etwa neuen Studien zum Thema.
Für 2018 planen wir weitere Arbeitsgruppen. Es wird zum Beispiel um die Bedeutung von Fluchterfahrungen für die Präventionsarbeit gehen, um Online-Medien und um Strafvollzug.
Redaktion Infodienst: Wie begegnen Sie der Ansicht, dass Prävention eher in der Hand staatlicher Behörden statt bei den vielfältigen zivilgesellschaftlichen Trägern liegen sollte?
Götz Nordbruch: Es gibt viele Argumente, die gegen eine Zentralisierung und gegen eine ausschließlich von Behörden betriebene Radikalisierungspräventionsarbeit sprechen. Ein Vorteil der zivilgesellschaftlichen Träger ist deren oft langjährige Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe. Hier verfügen die Mitglieder der BAG über ausgewiesene interdisziplinäre Expertise. Zivilgesellschaftliche Träger können darüber hinaus die lokale Anbindung viel leichter herstellen als Behörden auf Länder- oder Bundesebene.
Es geht aber auch um Glaubwürdigkeit. Es ist ein Unterschied, ob ein Polizist in eine Schulklasse geht, ein Sozialarbeiter oder ein Mitarbeiter aus einem zivilgesellschaftlichen Projekt. Als Streetworker oder unabhängige Beratungsstelle haben sie oft einen leichteren Zugang zu Jugendlichen oder Familien als ein Mitarbeiter des Jugendamtes, weil sie als unparteiisch wahrgenommen werden.
Auch für Beratungsstellen macht es einen Unterschied, ob sie etwa beim Jugendamt angesiedelt sind oder bei einem freien Träger. Bei freien Trägern haben Eltern zum Beispiel oft weniger die Sorge, dass die Informationen, die sie herausgeben, direkt bei der Polizei landen. Es ist niedrigschwelliger.
Die Erfahrungen zum Beispiel aus Frankreich zeigen, mit welchen Problemen gerade Sicherheitsbehörden in diesem Feld zu tun haben. Natürlich spielen staatliche Stellen – Jugendämter, Schulbehörden oder Polizei – in vielen Bereichen eine wichtige Rolle, und zivilgesellschaftliche Träger sollen diese nicht ersetzen.
Präventionsarbeit beginnt jedoch eben nicht erst bei Kindeswohlgefährdungen oder Straftaten. Sie setzt früher an, zum Beispiel bei antipluralistischem Denken, abwertendem Verhalten oder rigiden Geschlechterrollen. Für freie Träger, etwa in der politischen Bildung, gehört dies zur täglichen Arbeit.
Redaktion Infodienst: Ist die BAG offen für neue Mitglieder?
Götz Nordbruch: Ja. Wir haben das Ziel, größer zu werden und ein möglichst breites Spektrum an Trägern abzubilden. Innerhalb der BAG gibt es aber durchaus unterschiedliche Positionen, welche Voraussetzungen neue Mitglieder erfüllen sollten.
Fragen sind etwa, ob man auch Träger aufnimmt, die nur mit einem Projekt in der Prävention aktiv sind, ansonsten aber vorrangig mit anderen Schwerpunkten beschäftigt sind, oder ob es wichtig ist, grundsätzlich alle Präventionsansätze in der BAG zu vertreten. Unsere Satzung beinhaltet Grundsätze des Pluralismus und demokratische Grundwerte, aber einen festgezurrten Kriterienkatalog gibt es nicht. Diese Fragen werden uns weiter beschäftigen. Es gibt auch dafür leider keine einfachen Antworten.
Achtung – Verwechslungsgefahr!
Neben der Externer Link: Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx) existiert das Externer Link: Präventionsnetzwerk religiös begründeter Extremismus. Letzteres wurde auf Initiative der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. und dem Verein Gegen Vergessen – für Demokratie e.V. ins Leben gerufen. Ziel des Netzwerks ist es, islamische Dachverbände als Träger der Präventionsarbeit zu stärken. Die Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. und der Zentralrat der Muslime (ZMD) sind Mitglieder beider Organisationen, also der BAG RelEx und des Präventionsnetzwerks.
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