Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Welche Rolle spielt Religion? | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

Radikalisierungsprävention Islamismus Nach Berufsgruppen Schule & pädagogische Praxis Politische Bildung Jugendarbeit & Soziale Arbeit Wissenschaft & Forschung Sicherheitsbehörden & Justiz Verwaltung & Politik Beratung & Ausstieg Kinder- & Jugendhilfe Journalismus & Medien Hintergrund-Beiträge Grundlagen: Begriffe & Konzepte Islamismus, Salafismus, Dschihadismus Salafismus – was ist das überhaupt? "Politischer Islam" Die Begriffe Radikalisierung, Deradikalisierung und Extremismus Zum Konzept der Prävention Was ist antimuslimischer Rassismus? Debatte: Politische Bildung & Primärprävention Islamismus: Gruppierungen, Ideologie & Propaganda Zahlen zur islamistischen Szene in Deutschland Die salafistische Szene in Deutschland "Legalistischer Islamismus" als Herausforderung für die Prävention Die Hizb ut-Tahrir in Deutschland Die Furkan-Gemeinschaft Mädchen und Frauen im Salafismus Antisemitische Narrative in deutsch-islamistischen Milieus Antimuslimischer Rassismus als islamistisches Mobilisierungsthema Monitoring von islamistischen YouTube-Kanälen Salafistische Online-Propaganda Das Virus als Mittel zum Zweck Dschihadistinnen. Faszination Märtyrertod Gewalt als Gegenwehr? Ausdifferenzierung der islamistischen Szene in Deutschland LGBTIQ*-Feindlichkeit in islamistischen Social-Media-Beiträgen Gaming und islamisch begründeter Extremismus Radikalisierung: Gründe & Verlauf Radikalisierung – eine kritische Bestandsaufnahme Islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen Psychosoziale Aspekte von Radikalität und Extremismus Interview mit Ex-Salafist Dominic Musa Schmitz Wie sich zwei Teenager radikalisierten Welche Rolle spielt Religion? Diskriminierung und Radikalisierung Erfahrungen von Rassismus als Radikalisierungsfaktor? Radikalisierung bei Geflüchteten Faktoren für die Hinwendung zum gewaltorientierten Islamismus Wer sind die "IS"-Unterstützer? Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim: Geschichte einer Radikalisierung Anzeichen von Radikalisierung Prävention & Politische Bildung Ansätze der Prävention mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen 20 Thesen zu guter Präventionspraxis Religion – eine Ressource in der Radikalisierungsprävention? Emotionen in der Präventionsarbeit Counter Narratives Gender-reflektierte Präventionsarbeit Die Bedeutung innermuslimischer Salafismuskritik für die Radikalisierungsprävention Rechtsextremismus und Islamismus - Was ist übertragbar? Phänomenübergreifende Jugendkulturarbeit Museen & Extremismusprävention Paradies – Hier, Jetzt, Später? Muslimische Jugendarbeit Muslimische Institutionen & Prävention Politische Bildung im Jugendstrafvollzug Politische Bildung in der Untersuchungshaft Prävention in Gefängnissen Jugendquartiersmanagement Interview: Polizei und Extremismusprävention in Mannheim Videos und soziale Medien: Prävention im Internet Online-Streetwork gegen Extremismus Aufsuchende Sozialarbeit in Social Media Online-Projekt: Fragen zum Glauben Phänomenübergreifende Radikalisierungsprävention Polizei NRW: Kontaktbeamte für muslimische Institutionen Beratung & Fallmanagement Interview: Die Rolle der Angehörigen in der Radikalisierungsprävention Der rechtliche Rahmen für die Präventionspraxis Datenschutz in der Präventionsarbeit Religionsfreiheit vs. Kindeswohlgefährdung Psychische Störungen im Zusammenhang mit Radikalisierung Beratung in Zeiten von Corona Risk Assessment im Phänomenbereich gewaltbereiter Extremismus BAMF: Prävention im Flüchtlingsbereich Mit Kommunaler Fachberatung zu einer nachhaltigen, lokal verankerten Radikalisierungsprävention Deradikalisierung & "IS"-Rückkehrende „Rückkehrer:innen radikalisierten sich meist in Gruppen" Pädagogische Ansätze zur Deradikalisierung Zur Rolle von Psychotherapie in der Ausstiegsbegleitung und Deradikalisierung Ausstiegsarbeit und Psychotherapie Distanzierung vom Salafismus Wie "ZiVI-Extremismus" Beratungsstellen für Deradikalisierung unterstützen kann Praxisbericht: Deradikalisierung im Strafvollzug Wie das BAMF den Umgang mit Rückkehrenden koordiniert Interview: Zurück aus dem "Kalifat" Rehabilitation von "IS"-Rückkehrerinnen und ihren Kindern Rückkehrende und Strafjustiz Rückkehrer und "Homegrown Terrorists" Pädagogische Ansätze zur Deradikalisierung Islamismus & Prävention in Schule & Jugendarbeit Diskutieren mit radikalisierten Schülerinnen und Schülern Globale Konflikte im Klassenzimmer Umgehen mit Kindern aus salafistisch geprägten Familien Kinder in salafistisch geprägten Familien Radikalisierung an Schulen früh erkennen FAQs zum Sprechen über Anschläge Mohammed-Karikaturen im Unterricht Schweigeminuten: Möglichkeiten & Fallstricke Salafismus als Herausforderung für die Offene Kinder- und Jugendarbeit Radikalisierungsprävention in der Schule Interview: Wie können Schulen reagieren? „Die Kids sind auf TikTok und wir dürfen sie dort nicht allein lassen" Akteure, Netzwerke & Internationales Serie: Islamismusprävention in Deutschland BAG religiös begründeter Extremismus Das KN:IX stellt sich vor Radicalisation Awareness Network RAN aus Praxis-Sicht Hass im Netz bekämpfen Bundesprogramm gegen Islamismus Soziale Arbeit und Sicherheitsbehörden Zusammenarbeit Beratungsstellen & Jugendhilfe Kommunale Radikalisierungsprävention Netzwerkarbeit vor Ort: Augsburg "Prevent", die Anti-Terrorismus-Strategie Großbritanniens Interview: Vilvoorde – vom "belgischen Aleppo" zum Vorbild Frankreich: Was hilft gegen Dschihadismus? Forschung & Evaluation Übersicht: Forschung zu Islamismus Übersicht: Evaluation von Präventionsprojekten modus|zad: Zwischen Forschung und Praxis Umfrage: Phänomenübergreifende Perspektiven gefordert, Islamismus weiterhin relevant Partizipative Evaluationen Evidenzbasierte Prävention (Neue) Evaluationskultur? Evaluation neu denken Das "Erwartungsdreieck Evaluation" Evaluation von Präventionspraxis Angemessene Evaluationsforschung Weitere Themen Das Sprechen über den Islam Gesetze und Plattformregeln gegen Online-Radikalisierung MasterClass: Präventionsfeld Islamismus Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz Türkischer Ultranationalismus als pädagogisches Arbeitsfeld Hintergrund-Beiträge chronologisch Schwerpunkt-Themen: Serien "Legalistischer" Islamismus Psychologie & Psychotherapie Antimuslimischer Rassismus Rechtlicher Rahmen Kooperation von Präventionsakteuren Umgang mit Anschlägen in der Schule Evaluationen Materialsammlungen Wie umgehen mit dem Nahostkonflikt? – Eine Übersicht für Schulen und Bildungseinrichtungen Handreichung: Schule und religiös begründeter Extremismus Handreichung: Umgang mit Anschlägen Pädagogische Materialien Sekundarstufe Grundschule Medien für den Unterricht Publikationen für die Schule Jugendbücher & Unterrichtsmaterialien von dtv Fachbeiträge für Schule und Pädagogik im Kontext Islamismus und Prävention Video & Audio Video: Dokumentationen, Filme & Erklärvideos Podcast-Serien und Radiobeiträge Veranstaltungen: Vorträge, Podiumsdiskussionen & Fachgespräche Islam & muslimisches Leben Bücher & Zeitschriften Fachbücher Sachbücher Biografien & Autobiografien Romane Fachzeitschriften Broschüren, Handreichungen & Online-Portale Service Newsletter: Abo & Archiv Newsletter-Archiv Datenbank: Beratung & Angebote vor Ort finden FAQ Infodienst-Publikationen Infodienst-Journal Aktuelle Termine Termin-Rückblick 2023 Termin-Rückblick 2022 Termin-Rückblick 2021 Termin-Rückblick 2020 Stellenangebote Über den Infodienst & Kontakt Verlinkung mit dem Infodienst

Welche Rolle spielt Religion? Junge Dschihadisten im WhatsApp-Chat

Michael Kiefer

/ 6 Minuten zu lesen

Wie Radikalisierung abläuft und welche Rolle dabei der Faktor Religion spielt, wird kontrovers diskutiert. Fachleute konnten die WhatsApp-Nachrichten einer dschihadistischen Jugendgruppe auswerten. Demnach verfügen die Beteiligten nur über wenige Kenntnisse – stattdessen konstruieren sie sich einen eigenen, kruden "Lego-Islam".

WhatsApp Logo. (© picture-alliance, NurPhoto)

Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & Hintergrund-InfosNewsletter zu Radikalisierung & Prävention abonnieren

Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail.

Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement

Als am 26. Februar 2016 die fünfzehnjährige Safia S. einem Bundespolizisten in Hannover ein Messer in den Hals rammte, zeigten sich die Öffentlichkeit aber auch die Ermittlungsbehörden schockiert. Ein Kind, das als terroristischer Attentäter in Erscheinung tritt, das war im Kontext des dschihadistischen Terrorismus in Deutschland ein Novum. Rasch stellte sich heraus, dass es nicht bei diesem einen Fall bleiben sollte. Wenige Wochen später verübte eine jugendliche Attentätergruppe in Essen einen Sprengstoffanschlag auf einen Sikh-Tempel, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden. Weitere Anschlagsversuche gab es im November und Dezember 2016 in Ludwigshafen. Dort hatte ein zwölfjähriger Junge zwei selbstgefertigte Sprengsätze auf dem Weihnachtsmarkt deponiert. Glücklicherweise erwiesen sich beide Bomben als nicht zündfähig.

Die zuständigen Behörden – insbesondere die kommunale Jugendhilfe – zeigten sich überrascht und mancherorts regelrecht ratlos. Was sollte man in solchen Fällen unternehmen, und wie sollte man neue Fälle verhindern? Diese Fragen stehen am Ausgangspunkt des präventiven Handelns. Fundierte und Erfolg versprechende Antworten sind nur möglich, wenn die Hintergründe der Geschehnisse umfassend geklärt werden können.

Die wissenschaftliche Debatte über Faktoren der Radikalisierung

Doch das stellt ein Problem dar. Denn die aktuelle jugendkulturelle Ausprägung des gewaltbefürwortenden Salafismus ist immer noch ein relativ neues Phänomen, das erst mit den vermehrten Ausreisen in die syrischen Bürgerkriegsgebiete ab dem Jahr 2012 zunehmend Beachtung fand. Die Forschung ist daher erst seit wenigen Jahren mit dem Themenfeld Radikalisierung von Jugendlichen befasst. Es ist keineswegs abschließend geklärt, wie Radikalisierung abläuft und welche Faktoren hierin eine Rolle spielen.

Zunächst kann konstatiert werden, dass die internationale Forschung das Phänomen Radikalisierung als einen zumeist linear verlaufenden Prozess beschreibt, in dem das Individuum sich sukzessiv in seinem Denken und seinen Einstellungen verändert und der final zu Gewalt und Terrorismus führen kann. Unstrittig ist hierbei, dass verschiedene Faktoren Einfluss nehmen können. Aufgeführt werden in der derzeitigen wissenschaftlichen Diskussion unter anderem Diskriminierungserfahrungen, Krisenerfahrungen, typische Aspekte der Entwicklung in der Jugendphase, objektive Konfliktlagen, Religion und Gruppenprozesse (Ceylan/Kiefer 2017, S. 5ff). In der Radikalisierungsforschung geht man daher von multifaktoriell beeinflussten Prozessen aus, die nicht in einem einheitlichen Schema abgebildet werden können. Zumindest diese Position kann als ein Konsens in der wissenschaftlichen Debatte angesehen werden.

Kontroversen gibt es jedoch zur Bedeutung beziehungsweise Wirksamkeit der einzelnen Faktoren. So wird zum Beispiel darüber diskutiert, ob Diskriminierungserfahrungen und prekäre Lebensverhältnisse maßgeblich eine Radikalisierung begünstigen. Verwiesen wird hier insbesondere auf Frankreich und Belgien. Dort könne bei der Mehrzahl der terroristischen Gewalttäter dieser Sachverhalt konstatiert werden (Ceylan/Kiefer 2017, S.7).

Welche Rolle spielt die Religion?

Eine besondere Debatte im Kontext von Radikalisierungsfaktoren betrifft die Bedeutung der Religion und Religiosität im Radikalisierungsgeschehen. Sie wird sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Politik und Wissenschaft geführt. Ein besonderes mediales Interesse gilt dabei der Kontroverse zwischen den französischen Forschern Gilles Kepel und Olivier Roy. Der an der Eliteuniversität Sciences Po lehrende Gilles Kepel vertritt die These, der Islam habe sich seit geraumer Zeit radikalisiert. Die Anschläge, die in Frankreich und Belgien zu massiven gesellschaftlichen Reaktionen wie auch Nachahmungstaten geführt haben, hätten Ihren Ursprung in radikalen muslimischen Milieus, so Kepel. Entsprechend hätten wir es aktuell mit einer Radikalisierung des Islams zu tun.

Auf der anderen Seite steht der gleichfalls international renommierte Politikwissenschaftler Olivier Roy. Er vertritt in seiner 2016 erschienen Studie "Le djihad et la mort" die These einer Islamisierung der Radikalität. Als Beleg verweist Roy auf die Lebensführung der Attentäterinnen und Attentäter in Frankreich und Belgien. Diese sei insbesondere gekennzeichnet von Drogenkonsum und Delinquenz. Den Islam habe man erst sehr spät entdeckt und sich in einer kruden und einfältigen Form angeeignet, die nichts oder nur wenig mit dem traditionellen Islam gemein habe. Das heißt, dass die Religion in erster Linie genutzt werde, um dem eigenen delinquenten beziehungsweise radikalen Handeln eine gewisse Legitimation zu verleihen. Roy schließt damit an seine Überlegungen aus dem Buch "La sainte ignorance. Les temps de la religion sans culture" an, das bereits im Jahr 2008 erschien. Darin beschreibt er eine neue Form des mitunter gewaltsamen Fundamentalismus, der Religion in einer dekulturierten und dekontextualisierten Form als eine Art Mutation inszeniert.

Debatte im deutschsprachigen Raum

Mit ähnlichen Positionen wird die Debatte seit geraumer Zeit auch im deutschsprachigen Raum geführt. Sowohl für eine "Islamisierung der Radikalität" als auch eine "Radikalisierung des Islam" können Belege angeführt werden. So spricht für die Sichtweise Kepels – der Radikalisierung des Islams – die von Ednan Aslan vorgelegte Studie "Islamistische Radikalisierung. Biografische Verläufe im Kontext der religiösen Sozialisation und des radikalen Milieus" (Aslan 2017). Die Studie, der 29 narrativ-biografische Interviews zu Grunde liegen, kommt zu dem Ergebnis, dass Religion zu den "wichtigsten Faktoren" in Radikalisierungsprozessen gerechnet werden müsse (Aslan 2017, S. 272). Dies zeige sich unter anderem darin, "dass sich die interviewten Personen in ihrem Radikalisierungsprozess aktiv mit Inhalten, Normen und Wertvorstellungen der islamischen Lehre auseinandersetzten" (Aslan 2017, S. 18). Ob diese Ergebnisse auf die gesamte militante salafistische Szene übertragen werden können, ist indessen fraglich, denn die Gruppe der Interviewten ist sehr speziell: Es handelt sich mehrheitlich um Straftäter mit tschetschenischem Migrationshintergrund.

WhatsApp-Chat-Studie: Dschihadisten ohne Koran

Für Roys These – der Islamisierung der Radikalität – spricht eine Studie des "Forschungsnetzwerks Radikalisierung und Prävention", an dem Forscherinnen und Forscher der Universitäten Bielefeld und Osnabrück beteiligt sind. Die Studie "Lasset uns in scha´a Allah ein Plan machen" analysiert ein 5.757 Postings umfassendes WhatsApp-Protokoll einer dschihadistischen Jugendgruppe, die 2016 einen Anschlag ausführte (Kiefer et al. 2017). In der Studie wird der Nachweis geführt, dass die Jugendlichen nur über wenige Islamkenntnisse verfügen.

Die Belege hierfür sind zahlreich. So offenbart einer der jugendlichen Verschwörer im Verlauf des Chats, dass er über keinen Koran verfügt und dass es an der Zeit sei, ein Exemplar zu besorgen (Kiefer et al. 2017, S. 30). Unkenntnis in der Gruppe herrscht offenkundig auch im Hinblick auf das rituelle Gebet. Hier hielt man es für notwendig, sich nach der geeigneten Bekleidung ("Islamische Kleidung") zu erkundigen (Kiefer et al., S. 29). Zum Repertoire der Islamvorstellungen gehören ferner Vorstellungen von Dschinn-Glauben, die nahezu skurrile Ausmaße annehmen. Einer der Chat-Teilnehmer besuchte offenbar zeitweise nicht die Toilette, weil er Dschinnen im Abflussrohr vermutete (Kiefer et al., S.34).

Mitunter krude und bar jeglicher Korankenntnisse wird schließlich die Frage der Selbstermächtigung zur Gewalt diskutiert. Dabei geht es um die Frage, ob man Deutschland als Kriegsgebiet betrachten könne oder nicht. Die Diskussionsbeiträge erschöpfen sich in Mutmaßungen und der Wiedergabe von Kolportagen aus sozialen Netzwerken. Angeführt werden unter anderem Meinungen eines Predigers und ein Koranzitat (Sure 9:1), das fehlgelesen und falsch kontextualisiert in die "Debatte" eingebracht wird. Insgesamt bedienen sich die Gruppenmitglieder sehr selektiv in den Schriften und Traditionen der islamischen Religion. Sie konstruieren sich einen eigenen "Islam", der als krude und einfältig bezeichnet werden kann.

Studien belegen die Vielfalt der salafistischen Szene

Wie nun soll man den Faktor Religion in Radikalisierungsprozessen bewerten? Auf den ersten Blick stehen die angeführten Studien im Widerspruch. Betrachtet man jedoch die Biografien junger radikalisierter Menschen, zeigt sich rasch, dass sie jeweils unterschiedliche Geschichten zu erzählen haben. Es gibt eben kein universell gültiges Modell von Radikalisierung. In der heterogenen salafistischen Szene finden wir Menschen mit guter Bildung und intaktem Elternhaus neben Menschen, die in der Schule nie Erfolg hatten und die ihren Vater nie zu Gesicht bekommen haben. Die einen realisieren in der dschihadistischen Bewegung eine Kaderkariere, während die anderen eher zu den Befehlsempfängern zählen. Radikalisierung ist ein hochkomplexer Prozess, in dem eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen können. Die Religion ist immer nur ein Faktor, der je nach Ausgangssituation mal mehr und mal weniger zum Tragen kommen kann.

"Lasset uns in sha'a Allah ein Plan machen" ist am 1. Juni 2017 bei Springer VS erschienen und umfasst 396 Seiten. Es kann zum Preis von 29,99 Euro Externer Link: bestellt werden.

Infodienst RadikalisierungspräventionMehr Infos zu Radikalisierung, Prävention & Islamismus

Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten.

Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite

Quellen / Literatur

Aslan, Ednan (Hg.): Islamistische Radikalisierung. Biografische Verläufe im Kontext der religiösen Sozialisation und des radikalen Milieus, Wien 2017.

Ceylan, Rauf: Radikalisierungsprävention in der Praxis. Antworten der Zivilgesellschaft auf den gewaltbereiten Neosalafismus, Wiesbaden 2017.

Kiefer, Michael et al.: "Lasset uns in scha´a Allah ein Plan machen". Fallgestützte Analyse der Radikalisierung einer WhatsApp-Gruppe, Wiesbaden 2017.

Roy, Olivier: Le djihad et la mort, 2016.

Roy, Olivier: La Sainte Ignorance. Le temps de la religion sans culture, 2008.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff Salafismus geht zurück auf eine wesentlich ältere Bewegung innerhalb des Islams, die Salafiyya. Die heutigen Ausprägungen werden daher auch als Neo-Salafismus bezeichnet.

  2. Die Dschinn sind nach islamischer Auffassung übersinnliche Wesen, die für Menschen nicht sichtbar sind.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Michael Kiefer für bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Weitere Inhalte

Infodienst Radikalisierungsprävention

Radikalisierung: Gründe & Verlauf

Wie erkennt man islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen? Welche (psychologischen) Faktoren tragen zu Radikalisierung bei? Welche Rolle spielt Religion bei Radikalisierung?

Infodienst Radikalisierungsprävention

Radikalisierungsprävention

Der "Infodienst Radikalisierungsprävention – Herausforderung Islamismus" behandelt die Themen Islamismus, Prävention und (De-)Radikalisierung: mit Hintergrundinfos, Materialien, Terminen & Newsletter

Infodienst Radikalisierungsprävention

Aufsuchende Sozialarbeit in Social Media

streetwork@online will mit aufsuchender Sozialarbeit in Social Media einer islamistischen Radikalisierung entgegenwirken. Mitarbeitende beteiligen sich an Diskussionen und suchen das Einzelgespräch.

Infodienst Radikalisierungsprävention

Bedeutung der Schule für Radikalisierungsprävention

Bei der Prävention von Islamismus kann die Schule eine zentrale Rolle spielen – indem Lehrkräfte freiheitlich-demokratische Werte vermitteln und erste Anzeichen einer Radikalisierung erkennen.

Infodienst Radikalisierungsprävention

Newsletter Radikalisierung & Prävention

Newsletter des Infodienst Radikalisierungsprävention: Alle sechs Wochen Hintergrundinfos, aktuelle News, Termine, Stellenangebote & Materialien

Infodienst Radikalisierungsprävention

Islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen

Wie äußert sich eine islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen? An welchem Punkt sollten sich Schulen Hilfe holen? Ein Interview mit Philip Mohamed Al-khazan von der Beratungsstelle "Legato".

Michael Kiefer ist Islam- und Politikwissenschaftler. Gemeinsam mit Rauf Ceylan hat er 2017 das Buch "Radikalisierungsprävention in der Praxis. Antworten der Zivilgesellschaft auf den gewaltbereiten Neosalafismus" veröffentlicht.