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Mit dem Begriff der "politisch motivierten Konfrontationsgewalt" werden in der Forschung verfestigte Muster politischer Gewalt bezeichnet. Aufeinander bezogene radikale Gruppen üben anlässlich von Kundgebungen oder Demonstrationen Gewalt gegenüber Personen oder Sachen aus. Häufig sind von dieser Gewalt auch eingesetzte Polizeikräfte betroffen.
Zu dieser Konfrontationsgewalt hat die Forschungs- und Beratungsstelle Terrorismus/Extremismus (FTE) des Bundeskriminalamts eine Studie in Auftrag gegeben, die von einem Forscherteam der Uni Bremen umgesetzt und im November 2016 veröffentlicht wurde. Der Titel: "Konfrontative Feindbilder und ihre Entstehungsbedingungen – Eine empirische Analyse entlang der Konfliktlinien 'links- versus rechtsextremistisch' sowie 'muslimfeindlich versus militant salafistisch'" (Externer Link: Download auf der Internetseite des BKA). Ziel war es, die Radikalisierungskontexte sowie die Muster der Feindbilder und Selbstbilder der daran beteiligten Gruppen sowie ihre Gewaltbegründungen näher zu bestimmen.
Der Forschungsstand in diesem Bereich warf viele Fragen auf. Zu den relevantesten gehört erstens die Frage: Wie hat das öffentliche Klima während der politischen Sozialisation und Radikalisierung heutiger Täter das Entstehen konfrontativer Feindbilder beeinflusst? Für die Studie wurden die zentralen Themen der Leitmedien Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und BILD-Zeitung im Zeitraum von 1994 bis 2012 herausgearbeitet. Da Leitmedien im öffentlichen Diskurs Themen setzen (Agenda Setting) und eine meinungsbildende Funktion einnehmen, ist methodisch davon auszugehen, dass die hier thematisierten Zusammenhänge die öffentliche Meinung dominierten und somit das soziale Klima prägten, in dem die heutigen an Konfrontationsgewalt beteiligten Täter ihre politische Sozialisation erfahren haben. Zweitens stellt sich die Frage, welche Rolle die aktuellen Szenediskurse für die Gruppen spielen, die entlang der Konfliktlinien mobilisieren. Untersucht wurde dies für die Konfliktlinien "links- versus rechtsextremistisch" sowie "muslimfeindlich versus militant salafistisch". Wer sind die relevanten Akteure im Kontext Konfrontationsgewalt? Wie stellen sie ihre Gegner dar? Wie definieren sie sich selbst? Wie begründen sie die Ausübung politischer Gewalt? Welche Themen aus ihrer Sozialisationszeit spielen dabei eine Rolle? Das Material für diese Analyse entstammte öffentlich zugänglichen Quellen (Internetvideos, Redentexte, Publikationen etc.) und szenetypischen Medien wie Szenemagazinen und Musikvideos.
Als Ergebnis der Studie stellte sich heraus, dass die sich entlang der zwei Konfliktlinien einander gegenüber stehenden radikalen Gruppen Bezug aufeinander nehmen und dadurch auch ihr jeweiliges Selbstbild konstituieren. Viele Leitthemen der gesellschaftlichen Debatte seit den 1990er Jahren werden in den jeweiligen Szenediskursen aufgegriffen und neu kontextualisiert. Gewalt wird zwar durchgehend als defensive Strategie bezeichnet (das heißt, sie wird als selbstverteidigende Gegengewalt rechtfertigt), doch es gibt Unterschiede in der Art der Gewaltlegitimation und in der Intensität der propagierten Gewalt gegenüber dem vermeintlichen Feind.
Welche Rolle spielen gesellschaftliche Leitthemen für radikale Gruppen?
In einem weiteren Externer Link: Modul der Studie wurden rund 4.700 Delikte mit etwa 3.000 Tatverdächtigen untersucht, die in die Jahre 2011 und 2012 fallen. Bei der hier vorgestellten Analyse der Leitthemen in der Sozialisationszeit dieser heutigen Gewalttäter stellte sich heraus, dass der damalige öffentliche Diskurs (1994-2012) stark geprägt war von diffusen Ängsten, die vor allem mit der gesellschaftlichen Situation und den Herausforderungen nach der deutschen Wiedervereinigung zu tun hatten.
Weitere Leitthemen dieser Zeit waren das Gefühl sozialer Verunsicherung, Arbeits-und Perspektivlosigkeit im Zuge des "Sozialabbaus", die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland, eine mögliche "Überfremdung" sowie Fragen zur Zuwanderung, der Rolle des Islams und der von ihm vermittelten Werte in Deutschland.
Der untersuchte Zeitraum lässt sich als schwierige Übergangsphase bezeichnen, vor allem in Ostdeutschland. Die soziopolitische Situation dieser Übergangsphase war gekennzeichnet durch das Ende der Ära einer ideologisch gefestigten bipolaren Weltordnung, die Einführung des Euro und die EU-Osterweiterung. Dies hat sich stark auf die Konstituierung der Konfliktlinie "Rechts- versus Linksradikal" ausgewirkt.
Während mit der Wiedervereinigung im linken Spektrum die Angst vor einem Wiedererstarken eines "faschistischen Großdeutschland" wiederbelebt wurde und es sich durch die rechtsextrem motivierten Gewaltwellen der frühen 1990er Jahre darin auch bestätigt sah, besann man sich im rechtsextremen Spektrum auf in der DDR eingefrorene Ideologiestränge und Ressentiments, die nun in der freiheitlich konstituierten Gesellschaftsordnung offen kommuniziert werden konnten. Diese Bewegung fand in den westdeutschen rechtsextremen Strukturen Verbündete. Hierbei wurden verstärkt Leitthemen des öffentlichen Diskurses aufgegriffen, zunächst die Angst vor Überfremdung und später auch die Ablehnung des Islams. Insbesondere die Ablehnung des Islams ist zu einem Kernthema eines neuen Milieus der Konfrontationsgewalt geworden, das sich zunächst vor allem in der sogenannten Pro-Bewegung manifestierte.
Das heißt: Innergesellschaftliche Entwicklungen wurden in verschiedener Weise von radikalen Akteuren gewaltlegitimierend interpretiert. Daneben führten externe Ereignisse zur Neukontextualisierung der innergesellschaftlichen Pluralität unter dem Banner der "Furcht vor Überfremdung und Islamisierung". Dazu gehörten die durch den Jugoslawienkonflikt ausgelösten Flüchtlingsbewegungen und die Anschläge des 11. September 2001.
Die Diskussion über "Überfremdung und Islamisierung" hatte sich bereits an der Planung prominenter Moscheebauten entfacht und fand nun das relevante Feindbild: den radikal-salafistischen Gegendiskurs, getragen von kleinen Gruppen, die für sich in Anspruch nahmen, dem frühen Vorbild ihres Religionsbegründers nachzueifern.
Die Anschläge vom September 2001 führten dazu, dass dschihadistisch motivierte Gruppierungen stärker als Bedrohung wahrgenommene wurden. Sie brachten Themen wie den Islam, Integration und Fremdenfeindlichkeit in den Vordergrund. Erst mit dem Einsetzen der weltweiten Finanzkrise fanden wieder eine Diversifizierung der Themen statt (auch eine unübersichtliche Vermengung) sowie eine "Rückkehr" zur Problematisierung sozialer Ungleichheit und ihrer Folgen.
Wie legitimieren radikale Gruppen Gewalt?
Bei der Analyse der Feind- und Selbstbilder sowie der Gewaltlegitimierungen kamen folgende Ergebnisse zutage:
Während die radikalen Bewegungen sich als Vertreter und Fürsprecher des Volkes beziehungsweise bestimmter Bevölkerungsteile positionieren, werden der Staat und seine Leitmedien zumeist als Gegner konstruiert. Diese würden die feindliche Bewegung schützen oder diese gar selbst inszenieren und tragen, lautet ein gängiges Erklärungsmuster radikaler Gruppen.
Hinzu kommen Selbstbilder, die eng an die gegnerischen Feindbilder gekoppelt sind. Alle untersuchten Milieus und Gruppen sehen sich selbst in der Position, gesellschaftliche Werte zu verteidigen. Diese Position müsse gegen äußere Angriffe geschützt werden, weil staatliche Stellen ihrer Schutzfunktion nicht nachkommen oder gar parteilich seien. Ereignisse der Konfrontationsgewalt selbst spielen eine zentrale Rolle: Die Gewalt dient den Gruppen als Beleg für die Notwendigkeit der gewaltsamen Gegenwehr.
Gewaltbegründend für die Konfliktlinie "links- versus rechtsradikal" wirkt vor allem die gegenseitige Selbstbestätigung, die auf weitreichende historische Zusammenhänge verweisen kann. Gewalt wird auf beiden Seiten durchweg als defensive Strategie gerahmt. Dabei ist der Bezugsrahmen einmal das deutsche Volk und einmal die multikulturelle Verfassung und Bevölkerung Deutschlands, die jeweils – vom Staat "verraten" – verteidigt werden müssen.
In Bezug auf die Gewaltakzeptanz bestehen hier trotz Ähnlichkeiten weitreichende Asymmetrien. Während Gewalt im Rechtsextremismus für Vitalität und Männlichkeit steht, wird in der autonomen Antifa Gewalt primär als instrumentelles Mittel zum Zweck aufgefasst, das strategisch einzusetzen ist, aber mit historischem Bezug auf den Nationalsozialismus als Mittel vermeintlicher Gegenwehr überhöht wird.
Die Konfliktlinie "muslimfeindlich versus militant salafistisch" ist wesentlich jüngeren Datums und wurde erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 an den breiteren gesellschaftlichen Diskurs geknüpft. Während der muslimfeindliche Diskurs durchaus auf gesamtgesellschaftlich relevante Topoi verweist, wie Überfremdungsängste und Sicherheitsaspekte, aber auch Frauenemanzipation und Freiheitsdiskurs, ist die radikal-islamistische Argumentation in deutschen Leitmedien nicht repräsentiert.
Das Feindbild der radikalen Salafisten ist eingebettet in ein religiös begründetes Kriegsnarrativ, das auf innergesellschaftliche Konflikte übertragen wird. Die Feinde werden durchweg als Aggressoren und Provokateure dargestellt, gegen die defensive Gewalt erlaubt ist (im Sinne der Verteidigung des Glaubens). Durch die Sakralisierung des Feindbildes (ähnlich auch des Selbstbildes durch die Figur des Märtyrers) erfährt der Kampf gegen die vermeintlichen Aggressoren eine Überhöhung. Diese hebt einerseits die Avantgarde-Funktion der Radikalen hervor, andererseits kann sie aber auch schnelle, intensive Gewalteskalationen provozieren. Milieuübergreifend lassen sich folgende Elemente in den Szenediskursen ausmachen:
Selbstbild der Überlegenheit
Abwertende Feindbilder
Selbstverteidigung als Gewaltlegitimierung
Identitätsstiftende Konfrontationsgewalt
Wahrnehmung des Staates als "Helfer der Feinde"
Reduzierte Argumentation (Unterstellung negativer Absichten, Stereotypisierung von Gruppen und zweigeteilte Weltbilder)
Unterschiede der "Internationalität" der jeweiligen Szenediskurse
Unterschiede in der Nähe zu politischen Durchschnittshaltungen
Folgerungen für die Prävention
Sowohl für linksextreme als auch für rechtsextreme Akteure gehört die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Ideologie, was sich in regelmäßigen und häufig gewalttätigen Aufeinandertreffen äußert. Daher sollten hierauf abgestellte repressive sowie präventive Maßnahmen immer beide Akteure in den Blick nehmen.
Wenn es um adäquate präventive Maßnahmen im Bereich Konfrontationsgewalt geht, so gilt es, die Wirkzeiten der Prävention zu berücksichtigen. Geht es um lang-, mittel- oder kurzfristig wirkende Maßnahmen? Dabei ist jeder Präventionszeitraum mit dem Instrumentarium unterschiedlicher Akteure verbunden. Während lang- und mittelfristig wirkende Prävention in den Händen zivilgesellschaftlicher Akteure liegen sollte, sind für die kurzfristig wirkenden präventiven Instrumentarien zumeist eher staatliche Sicherheitsorgane zuständig. Um nicht-intendierte, kontraproduktive Folgen zu vermeiden, sollten diese unterschiedlichen Maßnahmen in holistischen Konzepten zusammengeführt werden, in die unterschiedliche Akteure und Präventionsprojekte integriert sind.
Eine besondere Rolle ist der Prävention im hier dargelegten diskursiven Kontext beizumessen. Sie wird im Sinne primärer Prävention durch die Stärkung der gesamtgesellschaftlichen Grunderzählung stattfinden müssen, die nicht polarisiert und die eine inklusive pluralistische Gesellschaft mit demokratischer Herrschaftsstruktur vermittelt. Dabei müssen eher die Gemeinsamkeiten politisch interessierter Jugendlicher hervorgehoben werden als ihre Unterschiede.
Eine weitere Präventionsmaßnahme könnte in einer stärkeren historischen Aufklärung bestehen. Historische Gleichsetzungen werden primär entlang der Konfliktlinie links- versus rechtsradikal verwendet. Aber auch entlang der Konfliktlinie "Muslimfeinde versus militante Salafisten" werden historisch verfälschende Analogien kommuniziert. Dies ist gerade dann der Fall, wenn es um Begriffe wie "Islamofaschismus" auf der einen Seite geht oder aber um die Gleichsetzung von Juden unter der Naziherrschaft und der Situation heute in Deutschland lebender Muslime auf der anderen Seite.
Diese historischen Analogien dienen der Mobilisierung, sind jedoch sachlich mehr als fragwürdig. Solche Analogien schaffen zudem eine "Dringlichkeit zur Tat", die gerade Jugendliche "im Namen einer guten Sache" mobilisieren kann – auch zu Gewalttaten. Auf allen Ebenen könnte Prävention durch politische Bildung und multiperspektivischem Geschichtsunterricht solchen unzulässigen Gleichsetzungen begegnen. Dieser sollte auch den europäischen und globalen Kontext, wie z. B. den Herkunftskontext der betroffenen Jugendlichen diskutieren. Das gilt sowohl für gesamtgesellschaftliche (primäre) Prävention als auch (sekundäre) Prävention innerhalb der relevanten Milieus und selbst für die De-Radikalisierungsarbeit mit Jugendlichen, die bereits in politische Gewalt involviert sind (tertiäre Prävention).
Das gesellschaftliche Engagement in bereits politisierten und radikalisierten Milieus ist ebenfalls relevant. Eine demokratisch verfasste Gesellschaft bedarf der konflikthaften Auseinandersetzung. Die politische Gegnerschaft gefährdet jedoch den gesellschaftlichen Frieden, wenn sie in Feindschaft übergeht, die den (vermeintlichen) Feind dehumanisiert und ihn bis zur Elimination oder Vertreibung mit Gewalt bekämpfen möchte. Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Formen der Austragung gesellschaftlicher Konflikte und der Äußerung von legitimen Sorgen und Nöten auszuüben, die ohne beleidigende und pauschalisierende Urteile und ohne Gewaltausübung auskommen.
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