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„Ich möchte ich sein“: Ein Aussteiger berichtet Der Ex-Salafist Dominic Musa Schmitz im Gespräch mit Claudia Dantschke
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Dominic Musa Schmitz war einige Jahre lang in der salafistischen Szene in Deutschland aktiv. Nach und nach begann er, an den Argumenten von Predigern wie Pierre Vogel und Sven Lau zu zweifeln und stieg aus. Im Gespräch mit der Extremismusexpertin Claudia Dantschke berichtet Schmitz, wie er sich der Szene anschloss, was ihn zum Ausstieg bewegte und wie er heute versucht, jugendliche Anhänger des Salafismus zum Nachdenken anzuregen.
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Dominic Schmitz wurde 1987 in Mönchengladbach geboren. Er ist katholisch getauft, sein Vater, ein ehemaliger Streifenpolizist, arbeitet jetzt bei der Kriminalpolizei, seine Mutter ist Apothekenhelferin. Als Dominic fünf Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden und er zog um in ein kleines Dorf in der Nähe von Mönchengladbach. 2004 hat er seine mittlere Reife gemacht, im August 2005 konvertierte er zum Islam. Unter dem Namen Musa Almani („deutscher Musa“) betreibt er seit 2008 einen Externer Link: YouTube-Kanal. Statt, wie ursprünglich geplant, salafistische Missionierung zu betreiben, nutzt Musa diesen Kanal, um anhand seiner persönlichen Erfahrungen mit der salafistischen Szene andere Jugendliche zum Nachdenken anzuregen. Dominic Musa Schmitz hat seine Erfahrungen auch in Form einer Autobiografie dokumentiert. Das Buch „Ich war ein Salafist: Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt“ ist im Februar 2016 im Econ-Verlag erschienen.
Aktuelle Zahlen Die islamistische Szene in Deutschland
Die islamistische Szene in Deutschland umfasste laut Bundesamt für Verfassungsschutz 27.480 im Jahr 2022 Personen. Diese lassen sich verschiedenen Gruppierungen zuordnen. Circa 11.000 Personen bundesweit rechnet der Verfassungsschutz dem Salafismus zu. Im Jahr 2011 waren es schätzungsweise 3.800 Personen. Die Millî Görüş-Bewegung und ihr zugeordnete Vereinigungen kommen auf rund 10.000 Personen. Der Muslimbruderschaft (MB)/Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) werden 1.450 Personen zugerechnet und Hizb ut-Tahrir 750 Personen (Stand Juni 2023).
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Claudia Dantschke: Musa, du bist 2005 mit 17 Jahren zum Islam konvertiert, warum?
Dominic Musa Schmitz: Ich habe im Erdgeschoss gewohnt und da stand ein Marokkaner vor meinem Fenster. Er ist in der Szene inzwischen bekannt als Abu Nailah. Er stand auf einmal mit einem Bart vor mir, völlig verändert zu früher. Da habe ich natürlich Fragen gestellt: ‚Warum? Weshalb? Warum hörst du keine Musik mehr? Warum rauchst du nicht mehr?‘ Das war meine erste Berührung mit dem Islam. Dann habe ich angefangen, mich einzulesen.
Bei meiner Konversion spielte auch die Behauptung eine Rolle, dass ich in die Hölle komme, wenn ich den Islam nicht annehme. Der eigentliche Grund aber war der Glaube an sich, der reine Monotheismus, keine Instanzen zwischen mir und Gott zu haben. Das war mir vor dem Islam schon wichtig, so war mein Verständnis von Gott. Deshalb konnte ich mich gleich mit dem Glauben identifizieren.
Claudia Dantschke: Über Abu Nailah bist du gleich in die salafistische Szene hineingerutscht?
Dominic Musa Schmitz: Ja direkt. Abu Nailah war damals eigentlich noch kein Salafist, er hatte auch nicht viel Ahnung vom Islam. Durch ihn habe ich aber gleich Abu Aliah, den Griechen, Sven Lau (Abu Adam) und den Bosnier, Abu Muawiya, kennengelernt – also die drei wichtigsten Prediger damals aus Mönchengladbach. Ich habe geholfen, deren Moschee in Eicken [Stadtteil von Mönchengladbach] mit aufzubauen, ich war immer da und habe auch ein wenig gespendet.
Ein Jahr lang habe ich ganz diszipliniert den Islam studiert und dann 2006 in der Moschee in Eicken auch Pierre Vogel kennengelernt. 2007 habe ich geheiratet und mit Pierre Vogel und Muhammed Ciftci die Hadsch
Claudia Dantschke: 2010 war das Jahr, in dem Eicken, die Moschee und die Prediger um Pierre Vogel und Sven Lau bundesweit Schlagzeilen machten. Muhammed Ciftci war aus Braunschweig nach Eicken gekommen und als Verein „Einladung zum Paradies“ wollten sie in der Moschee ihre „islamische Schule“ etablieren. Es gab Proteste dagegen, eine Bürgerbewegung entstand. Ende August 2010 musste die Moschee schließen. Daraufhin verlegten die Eickener Salafisten ihre Gebete auf die Straße und machten daraus eine große Inszenierung, unter enormer medialer Aufmerksamkeit. Das hat sich im Herbst 2010 dann extrem hochgeschaukelt.
Dominic Musa Schmitz: Genau, da war Muhammed Ciftci schon wieder zurück nach Braunschweig gegangen, weil er mit dem offensiven und aggressiven Vorgehen von Vogel und Lau nicht klar kam. Mich hat dieses Vorgehen auch ein wenig abgeschreckt.
Parallel dazu stellte ich mir die ersten Fragen, erste Zweifel kamen bei mir auf. Am meisten beschäftigte mich damals das Thema der Meinungsfreiheit, die der Islam, so wie ich ihn damals gelernt hatte, komplett verbietet.
Dann hat es aber bestimmt noch zwei bis drei Jahre gedauert, bis ich sowohl innerlich wie äußerlich komplett alles abgelegt habe. Das war ein längerer Prozess. Die ersten Zweifel fingen 2010 an und ich wurde im Verlauf der Zeit immer mutiger und habe immer mehr hinterfragt.
Claudia Dantschke: Die Zuspitzung der Situation in Mönchengladbach hatte durchaus das Potenzial, die nichtmuslimische Bevölkerung gegen die Muslime allgemein aufzuhetzen. Rechtspopulistische Kreise haben das ebenso versucht, wie auf der anderen Seite Vogel und Lau, die jede Kritik an ihrem Agieren zu Angriffen auf ‚DIE‘ Muslime uminterpretierten in der Hoffnung, dass sich alle Muslime hinter ihnen vereinen. Diese Rechnung ging nicht auf, weder bei den muslimischen Gemeinden der Stadt, noch bei dir. Wie war das damals für dich?
Dominic Musa Schmitz: Unsere Gemeinschaft stand nicht geschlossen hinter Vogel und Lau. Wir waren ja alles Jugendliche, auch die Prediger waren im Grunde genommen ja noch sehr jung, Mitte zwanzig, ohne viel Lebenserfahrung, ohne fundiertes Wissen vom Islam. Deshalb gab es nicht wirklich eine starke Führungspersönlichkeit in der Gemeinschaft.
2009 gab es die ersten Probleme. Viele sind nicht damit klargekommen, dass der Imam, der freitags die Hutba
Claudia Dantschke: Sind deine Zweifel vor allem dadurch genährt worden, oder gab es auch andere Einflüsse?
Dominic Musa Schmitz: Der erste Nicht-Muslim, der mich berührt hat, war ein Pädagoge. Er hat mir folgenden Satz mit auf den Weg gegeben: ‚Schau mal, Du bist Deutscher, kennst die Mentalität, die Denkweise und bist andererseits der Anhänger einer Religion, die so in Verruf gekommen ist. Sei die Brücke zwischen den beiden.‘ Als ich über diesen Satz nachgedacht habe, habe ich mit der Missionsarbeit aufgehört und für ein friedliches Miteinander geworben.
Die Ereignisse in Eicken waren für mich nicht wirklich Anlass zum Zweifel, aber das, was Pierre Vogel da teilweise von der Bühne herab von sich gegeben hat, das hat mich abgeschreckt. Ich wusste, das hat nichts mit Gott zu tun.
Und dann gab es ein Gespräch mit einer Frau während der Ereignisse in Eicken. Wir haben über alles Mögliche miteinander gesprochen: Frauen schlagen, Koranverse ... Am Ende hat sie gesagt: ‚Weißt du, ich war in vielen arabischen Ländern und da habe ich immer das Gefühl, wie ein Stück Fleisch angesehen zu werden. Bei dir habe ich dieses Gefühl nicht. Du behandelst mich respektvoll und offen.‘ Als ich dann nach Hause gegangen bin, habe ich über diesen Satz nachgedacht und war zum ersten Mal seit fünf oder sechs Jahren wieder dankbar, im Westen aufgewachsen zu sein. Zum ersten Mal begann ich, wieder zu schätzen, mit den hiesigen moralischen Werten erzogen worden zu sein.
Ich hatte damals schon drei Pilgerfahrten hinter mir, eine große Hadsch und zwei kleine Umra
Und dann wurde mir eigentlich auch egal, welche Religion ein Mensch hat. Ich begann Sätze, wie den von Sven Lau, dass ‚der schlechteste Muslim besser sei, als der beste Kafir [Nichtmuslim im Sinne von Ungläubiger]‘, in Frage zu stellen und zu begreifen: Ich bin ein Faschist geworden. Wenn ich nach diesem Satz lebe, dann ist das der pure Faschismus.
Claudia Dantschke: Du würdest aber schon sagen, dass du noch gläubig bist? Welche Rolle spielt der Islam für dich heute?
Dominic Musa Schmitz: Ja. Der Glaube an Gott ist nach wie vor wichtig für mich und Islam bedeutet Hingabe an Gott. Ich gebe mich Gott hin. Das habe ich auch vor dem Islam schon getan. Ich sehe natürlich ganz viele Dinge anders als früher und der Islam ist auch nicht mehr das, was er mal für mich war. Früher hat sich bei mir alles um den Islam gedreht, das ist heute nicht mehr so.
Claudia Dantschke: Du hast einen langen Prozess des Reflektierens hinter dir, der noch nicht zu Ende ist. Eine wichtige Rolle spielt dabei dein YouTube-Video-Kanal. Wie kam es dazu?
Dominic Musa Schmitz: Den Video-Kanal hatte ich schon 2008, um im Sinne von Pierre Vogel und Sven Lau zu missionieren. Als mir 2010 der Lehrer riet, ‚eine Brücke zu sein‘, habe ich meine Missionsarbeit geändert. Mir ging es jetzt darum, Vorurteile abzubauen auf beiden Seiten. Ich wollte den Nichtmuslimen zeigen, dass es auch kluge und offene Muslime gibt und den Muslimen, dass nicht jede Islamkritik gleich Islamhass und Islamophobie ist.
Man muss differenziert an die Sachen herangehen, sie objektiv und von mehreren Blickwinkeln aus betrachten, nicht immer nur von einer Seite. Ab dieser Zeit habe ich für ein Miteinander geworben, weil Salafisten, wenn überhaupt, maximal ein Nebeneinander wollen. Sie wollen keine Freundschaft. Sie wollen im besten Fall hier in Ruhe ihre Religion leben.
Claudia Dantschke: Ich nehme an, dass die Prediger damals sehr erfreut darüber waren, dass du dich als Jugendlicher ebenfalls über YouTube an der salafistischen Missionsarbeit beteiligt hast. Wie waren die Reaktionen, als du begonnen hast, nicht mehr ‚Wir sind besser als ihr‘ und ‚Komm zu uns‘ zu sagen, sondern gegen diese Abgrenzung geredet hast?
Dominic Musa Schmitz: Etwa 2010 begann es, dass meine Videos kommentiert wurden mit: ‚Du Wischiwaschi-Muslim‘, ‚Du Euro Muslim‘, ‚Du biegst dir die Religion so zurecht, wie du willst‘, ‚Du willst den Kuffar [Ungläubigen] gefallen‘. Inzwischen ist der Ton rauer und bedrohlicher, denn auch ich bin immer offensiver geworden mit meiner Kritik.
Claudia Dantschke: Du hast bereits im Herbst 2013 die Gewaltbereitschaft und die Ausreisen in den bewaffneten Jihad nach Syrien zum Thema gemacht ...
Dominic Musa Schmitz: Ich hatte damals noch einen Bart ...
Claudia Dantschke: Zu dieser Zeit waren diese Ausreisen von Jugendlichen lediglich Thema der Experten und der Sicherheitsbehörden, nicht aber der breiten Öffentlichkeit. Es war also von dir relativ mutig, über deine Videos den Jugendlichen diesen Weg und die damit verbundene Gewaltaffinität kritisch vor Augen zu führen und ihnen friedliche Alternativen aufzuzeigen. Wie wurde darauf reagiert?
Dominic Musa Schmitz: Das Video habe ich vor allem wegen eines Freundes gemacht, der nach Syrien gegangen war. Ich hatte wegen meines Freundes schon lange überlegt, ein solches Video zu machen, da mich sein Weggehen sehr beschäftigt hat. Ich hatte aber auch immer Bedenken, darüber zu sprechen, weil ich wusste, was dann passieren wird. Und das ist dann auch so passiert. Allein in der ersten Nacht hatte ich 7000 Klicks.
Und da ist mein Postfach explodiert: hunderte Nachrichten, nur Beleidigungen. Das war der erste richtige Shitstorm. Das war für mich sehr schwer in dieser Nacht, ich war alleine zuhause und es war beängstigend, ich war sehr nervös. Es hat mich schon beschäftigt, so viele böse Nachrichten zu bekommen.
Claudia Dantschke: Du hast bemerkt, was für eine Wirkung so ein Video auslösen kann. Es war ja vor allem deine eigene Verarbeitung der Geschichte deines Freundes.
Dominic Musa Schmitz: Erst einmal das, aber mir ging es auch darum, Jugendlichen zumindest die Auswirkungen verständlicher zu machen, die diese Gedanken, die sie vielleicht haben, mit sich bringen und dass viel mehr dahinter steckt, als nur: ‚Ich gehe mal rüber und helfe meinen Geschwistern‘. In diesem Video habe ich auch noch nicht so klar geredet, ich wollte sie ja nicht vergraulen, sondern gewinnen.
Heute würde ich ganz anders argumentieren. In dem Video habe ich gesagt, sie sollen es sich überlegen und erst einmal zu dem Punkt kommen, wo sie fünfundzwanzig oder dreißig sind. Ich bin mir sicher, dass sie dann eine andere Entscheidung treffen würden. Deshalb sollen sie sich solch einen Schritt hundert Mal überlegen. Ich habe nicht gesagt: ‚Geht nicht dahin!‘ - auch wenn das meine eigentliche Botschaft war. Aber ich wollte es so verpacken, dass sich die Jugendlichen angesprochen fühlen und selbst überlegen.
Claudia Dantschke: Gab es neben den negativen Reaktionen auch Jugendliche, die dich kontaktiert und gesagt haben: 'Du hast mich zum Nachdenken gebracht'?
Dominic Musa Schmitz: Ja, auf jeden Fall. Nicht viele, aber es gab sie. Es gibt auch Leute, die zwar Sven Lau auf Facebook liken, mir aber trotzdem schreiben, oder Salafisten, die vom Staat kritisch beäugt werden, sich aber mit mir respektvoll auseinandersetzen. Sie wollen irgendetwas von mir, vielleicht beneiden sie mich auch für den Mut oder wären gerne wie ich, würden sich gerne mehr distanzieren.
Claudia Dantschke: Sie sind unsicher, vielleicht im Zweifel?
Dominic Musa Schmitz: Das Gefühl habe ich bei vielen Salafisten. Sie schauen den ganzen Tag Serien oder spielen Playstation. Ich denke dann oft: ‚Schau mal, eigentlich willst du doch auch ein bisschen weltliches Leben, eigentlich willst du doch auch ein bisschen Spaß, warum versuchst du dich so krampfhaft in diese extreme Sichtweise zu pressen‘.
Es gibt auch Jugendliche, die mir ganz klar geschrieben haben: ‚Toll, dass es dich gibt, mutig, du hast mich wirklich zum Nachdenken oder zum Hinterfragen angeregt, dass ich nicht alles fresse, was die Prediger mir sagen‘.
Viele kontaktieren mich auch über meine Facebook-Seite ‚Dominic Schmitz – MusaAlmani‘. Zum Beispiel ein Mädchen: Sie war mit einem Salafisten in Süddeutschland verheiratet und hat vor ein oder zwei Jahren ihr Kopftuch abgelegt. Jetzt schreibt sie mir: ‚Toll, dass es dich gibt, ich habe genau die gleichen Gedanken wie du und ich glaube, dass es ganz viele Muslime gibt, die ähnliche Gedanken und Zweifel haben, sich aber nicht trauen, weil sie von Kind an beigebracht bekommen haben, dass der Islam alles sei‘.
Ich würde auch niemals verlangen, dass Muslime aufhören sollen zu glauben, aber sie sollen den Mut haben, kritisch an Sachen heranzugehen. Ich habe einen Lehrer getroffen, der das auch so macht. Er will mit banalen Fragen die Jugendlichen einfach nur zum Nachdenken bringen. Wie zum Beispiel: ‚Warum isst du kein Schweinefleisch?‘, oder ‚Warum betest du?‘ Und dann antworten sie: ‚Ja, das überträgt Bakterien‘, oder ‚Es steht im Koran‘. Eins von beidem. Ich will wissen, warum du als Mensch kein Schweinefleisch isst. Und dann kommt immer die Antwort: ‚Weil es im Koran steht‘.
Ich denke dann: ‚Du bist eigentlich gar kein Mensch, sondern jemand, der den Buchstaben folgt, ein Roboter, aber kein eigener Mensch, weil du mir als Mensch nicht antworten kannst‘. Ich habe über diese ‚Copy and Paste Mentalität‘ ein Video gemacht. Ich will nicht wissen, was im Bukhari und Muslim [Sammlungen mit Hadithen, Überlieferungen des Propheten Mohammad] oder im Koran steht. Ich frage dich.
Claudia Dantschke: Nun werden aber Jugendliche anfällig für salafistische Propaganda, weil sie sich nach etwas sehnen und sich in den Versprechungen der Salafisten die Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse erhoffen...
Dominic Musa Schmitz: ... und auch ihre Vorstellungen. Ich glaube, weltweit würde höchstens ein Prozent der Muslime sagen, dass Steinigung schön sei. Kein normaler Mensch, der sich mal eine Steinigung angeschaut hat, wird sagen, dass das etwas Schönes sei. Man kann natürlich sagen: ‚Es steht im Koran‘, man kann auch sagen: ‚Es ist nichts Schönes, aber ich akzeptiere es, weil es von Gott ist‘, oder man kann einfach sagen, dass es Scheiße ist, wie ich jetzt zum Beispiel.
Mir hat mal jemand gesagt: ‚Ich finde Steinigung nicht schön, aber ich akzeptiere Allahs Wort‘. Da habe ich zumindest gemerkt, dass ich einen ehrlichen Menschen vor mir habe, der wenigstens den Mut hat zu sagen, dass es nicht schön ist.
Eine eigene Meinung muss man entwickeln. Das sehen aber Salafisten ganz anders, sie verdrängen die eigene Meinung. Ich habe sie auch jahrelang verdrängt. Innerlich wusste ich immer, dass Meinungsfreiheit wichtig ist und dass Mehrehe eigentlich eine legitimierte Form des Fremdgehens ist. Ich verstehe nicht, wie manche Frauen da mitmachen und für ihren Mann noch eine Zweitfrau suchen. Ich glaube, manch eine Frau sucht nur deshalb eine Zweitfrau für ihren Mann, um ihre Ruhe zu haben. Das haben einige Frauen mir gegenüber jedenfalls zugegeben.
Claudia Dantschke: Dein YouTube-Kanal wurde mal installiert, um die salafistische da‘wa [Bekanntmachung mit dem Islam, hier als Missionierung zu verstehen] zu unterstützen. Jetzt ist er aus meiner Sicht der einzige YouTube-Kanal in Deutschland, auf dem jemand aus einer Binnenperspektive und in einer Form, die potenziell gefährdete Jugendliche auch erreicht und anspricht, die Intentionen dieser ‚da‘wa‘ entlarvt. Du hast etwa 4.300 Abonnenten, alle aus Deutschland?
Dominic Musa Schmitz: Deutschsprachiger Raum mit Schwerpunkt Deutschland, würde ich sagen. Es gibt auch welche aus der Schweiz und Österreich. Wenn ich ein neues Video hochlade, dann hat es im Durchschnitt eintausend Klicks. Das hängt auch von der Kontroversität des behandelten Themas ab, da kann es auch mal bis zu einhunderttausend hoch schnellen. Aber das kommt ganz selten vor. Einige haben mich aber auch nur abonniert, um die Videos zu disliken. Unter denen gibt es sicherlich auch welche, die eigentlich denken, dass ich schon irgendwie Recht habe.
Claudia Dantschke: Sie wollen beobachten, was der ‚Feind‘ macht und schauen deshalb deine Videos an. Wie reagieren sie?
Dominic Musa Schmitz: Ich bekomme ganz selten Kritik zum Inhalt. Sie konzentrieren sich darauf, mich zu bashen, mein Aussehen und meine Art anzugreifen: ich hätte ADS, würde sowieso nur Müll erzählen und sei ein Heuchler. Zum Inhalt kommt ganz selten etwas.
Claudia Dantschke: Dieses Bashing erfolgt in den Kommentaren unter den Videos, alle können es lesen. Manchmal entwickelt sich dann auch eine Diskussion, in der du mit viel Mühe versuchst, auf alle Vorwürfe einzugehen. Fällt es schwer, sachlich zu bleiben?
Dominic Musa Schmitz: Manchmal bin ich auch provokant, weil es einem irgendwann reicht. Ich habe mich jahrelang zurückgehalten. Als ich aber sah, wie selbstbewusst Sven Lau und Pierre Vogel ihren Müll sogar im Fernsehen verbreiten, da habe ich mir gedacht, auf wen soll ich eigentlich noch Rücksicht nehmen. Dann habe ich auch angefangen, offensiver zu werden. (...) Jeder soll da ruhig seine Meinung sagen. Ich bin mittlerweile der Meinung, dass jeder normal denkende Mensch meine Argumente sieht und dann die Kommentare darunter und dann wird er mir Recht geben müssen. (lacht)
Claudia Dantschke: Du setzt also auf die Vernunft der Nutzer. Wichtig ist, dass junge Leute, die mehr oder weniger bereits mit der salafistischen Szene liebäugeln oder bereits erste engere Kontakte pflegen, in deinen Videos mal eine Gegenstimme finden. So entsteht vielleicht eine Irritation, die zum Nachdenken anregt.
Dominic Musa Schmitz: Ich lese ganz oft in den Kommentaren: ‚Ja, in manchen Punkten hast du ja schon recht, aber warum gegen Pierre Vogel schießen?‘
Claudia Dantschke: Das Thema Internet und die Entwicklung von sogenannten ‚Counter Narratives‘ sind Top-Themen auf vielen Fachkonferenzen. Das Internet ist ein wichtiges Medium, um Jugendliche zu erreichen. Wie stark sollte man sich, deiner Meinung nach, auf das Internet, auf YouTube-Kanäle konzentrieren, um Gegennarrative zu verbreiten?
Dominic Musa Schmitz: Für mich ist das Wichtigste die Erziehung im Elternhaus. Man müsste bessere Kontakte zu Menschen herstellen, die wie in einer Parallelgesellschaft leben, weil sie auch ihre Kinder so erziehen. Und wenn dieser Samen einmal gesät ist, ist es sehr schwer, diese Person wieder zum Umdenken zu bewegen. Prävention in der Schule finde ich ganz wichtig. Ich würde gern an jede Schule in Deutschland gehen, denn ich bin nah an den Jugendlichen dran und ich habe es selbst erlebt.
Claudia Dantschke: Du bist authentisch.
Dominic Musa Schmitz: Das sagen mir ganz viele Menschen. Salafisten und ihre Anhänger können mich zwar als Heuchler denunzieren, sie können mir aber nicht sagen, dass ich es nie gefühlt habe. Ich weiß genau, wie sie sich fühlen.
Dass es keinen anderen wie mich gibt, das treibt mich ja immer wieder an weiterzumachen. Im Internet hat man eine unheimlich große Reichweite ohne großen Einsatz. Ich vermisse Imame oder normale Muslime wie mich, die diese Möglichkeit nutzen und einfach mal Stellung beziehen, Menschen zum Nachdenken anregen, den Dialog fördern.
Claudia Dantschke: Typisch für die radikale Jugendszene, den sogenannten „Pop-Jihadismus“, sind kurz geschnittene hippe Videos, oder Comic-Serien wie Supermuslim. Die Jugendlichen haben heute ganz andere Sehgewohnheiten und werden sich kaum lange Predigten im Internet anschauen.
Dominic Musa Schmitz: Nein, auf keinen Fall.
Claudia Dantschke: Deshalb bin ich auch skeptisch, ob Video-Vorträge von Imamen zur Aufklärung oder zur Propagierung von Gegenpositionen jetzt der geeignete Weg sind?
Dominic Musa Schmitz: Nur, wenn es kurze Videos sind, drei bis fünf Minuten lang. Ein Statement zu Paris, ein Statement zum „IS“ usw. Keine Predigten, aber vielleicht mal einen Koran-Vers oder eine Überlieferung einbauen. Für die Jugendlichen ist es schon wichtig, zu sehen, dass der auch Argumente hat. Das war für mich auch wichtig.
Beispielsweise Ali Ghandour [wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Islamische Theologie Münster]. Den fand ich früher schrecklich, er war für mich nur so ein Sufi
Deshalb denke ich, dass es für einen Jugendlichen interessant ist zu sehen, dass eben nicht nur Pierre Vogel Argumente hat, sondern auch türkische Imame und auch Sufis und auch Schiiten. Das war auch so einer der Momente, wo ich zu mir gesagt habe: ‚Der Islam ist nicht nur so, sondern auch so‘. DEN Islam gibt es sowieso nicht.
Claudia Dantschke: Wer deutschsprachige Erklärungen zum Islam sucht, stößt auch heute noch auf unzählige salafistische Videos. Dieses Phänomen ist auch global zu beobachten. Deshalb versuchen große ThinkThanks und Institute oft mit sehr viel Geld im Rücken, Jugendliche online alternativ anzusprechen. Die Ergebnisse sind aber eher dürftig. Du hattest nie eine Finanzierung, sondern hast aus eigenem Antrieb immer wieder Videos produziert in einer doch recht simplen Form: Du stellst eine Kamera auf, setzt dich davor und redest. Und es kommt bei den Jugendlichen an.
Dominic Musa Schmitz: Früher habe ich mir immer ein Script gemacht, aber jetzt rede ich einfach drauf los. Inzwischen habe ich auch so eine gewisse Kamera-Affinität, es macht mir nichts mehr aus, in eine Kamera zu sprechen. Das ist einfach Übung. Dadurch bin ich jetzt noch natürlicher vor der Kamera. Und es sind immer Themen, die mich beschäftigen.
Ich greife in der Rubrik ‚Frag den Musa‘ auch Fragen von Usern, von Jugendlichen, auf, von denen ich denke, dass eine Thematisierung etwas bringt. Leider warte ich schon ewig vergeblich auf so richtig schlaue Fragen, wo man auch selber etwas davon hat, wenn man sie beantwortet. ‚Was war der größte Fehler deines Lebens?‘ wäre eine solche Frage. Aber das kommt leider nicht, sondern: ‚Was hältst du von Pierre Vogel?‘, ‚Was sagst du zum Thema Musik?‘, ‚Was hörst du für Musik?‘ usw.
Claudia Dantschke: Das klingt, als ob Du in die Rolle eines „Ersatz-Imams“ rutschen würdest?
Dominic Musa Schmitz: Nein (lacht). Ich glaube eher, dass die Jugendlichen, die mich nach meiner Meinung zu Musik fragen, einfach nur eine gute Argumentation haben wollen, die sie dann gegenüber ihren Freunden nutzen können.
Claudia Dantschke: Also doch ein klein wenig „Ersatz-Imam“: Musa Almani liefert mir die Argumente, mit denen ich mich gegenüber den Freunden in der Szene dafür rechtfertigen kann, dass ich trotz des Verbotes Musik höre.
Dominic Musa Schmitz: Ja, das schon. Jeder Mensch ist doch ein Individuum und bei jedem ziehen andere Argumente. Der Staat tut schon vieles und auch qualitativ hochwertiges, aber diese maßgeschneiderten Projekte, die für sich in Anspruch nehmen: ‚So erreichen wir DIE Jugendlichen‘, davon halte ich nicht viel. Das ist wie in der Musikbranche, wo die Musik strategisch entwickelt wird, die sich dann extrem gut verkauft. Das kann aber niemand immer so hundert Prozent planen.
Claudia Dantschke: Siehst du deine Zukunft in diesem Bereich?
Dominic Musa Schmitz: Na ja, mit YouTube weniger, denn ich muss ja auch mal Geld verdienen. Aber wenn ich ein Thema wichtig finde, dann mache ich das immer noch gerne. Ich habe bis jetzt 180 Videos veröffentlicht. Wer sich also für mich und meine Meinung interessiert, kann auf meinem Kanal eine Menge finden. Ich würde aber lieber an Schulen gehen, zu Schülern und Lehrern, also mit Menschen direkt im Kontakt sein.
Claudia Dantschke: Das Internet ist dir zwar wichtig, ersetzt aber nicht die direkte präventive Arbeit?
Dominic Musa Schmitz: Pierre Vogel denkt ja umgekehrt. Er hat damals gesagt: ‚Weg von der Angel-Da’wa hin zur Fischernetz-Da‘wa‘, also kein Face-to-Face mehr, sondern alles online. Das Problem ist, dass online alles oberflächlich ist, nicht emotional, nicht ehrlich, nicht tiefgehend und deswegen ist Face-to-Face viel wichtiger.
Wenn du einen Menschen wirklich gewinnst, dann ist das mehr wert, als wenn du online hundert hast, die sagen: ‚Ja, klasse‘, aber am nächsten Tag dann wieder Abou-Nagie [vom Predigernetzwerk „Die wahre Religion“] zuhören. Wenn du jemanden so verändern konntest, dass er sich von dieses Szene abwendet, mental so stark und überzeugt vom normalen, toleranten Weg ist, dass ihm keine Gefahr eines Abrutschens mehr droht trotz vielleicht vieler salafistischer Freunde, dann hast du etwas erreicht.
Das Gespräch ist in der Externer Link: Ausgabe 3/2016 der Fachzeitschrift Journal Exit Deutschland (JEX) erschienen. Die bpb veröffentlicht eine gekürzte Fassung, mit freundlicher Genehmigung der JEX-Redaktion.
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Weitere Inhalte
Claudia Dantschke studierte Arabistik an der Universität Leipzig. Sie schreibt zu den Themen Antisemitismus, Migration, Islam und Islamismus. Seit Dezember 2001 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) in Berlin.
Dominic Musa Schmitz betreibt unter dem Namen Musa Almani ("deutscher Musa") seit 2008 einen YouTube-Kanal. Statt, wie ursprünglich geplant, salafistische Missionierung zu betreiben, nutzt er diesen Kanal, um anhand seiner persönlichen Erfahrungen mit der salafistischen Szene zum Nachdenken anzuregen. Dominic Musa Schmitz hat seine Erfahrungen auch in Form der Autobiografie "Ich war ein Salafist: Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt" mitgeteilt.
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