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Islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de

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Islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen Interview mit Philip Mohamed Al-khazan

Philip Mohamed Al-khazan Redaktion Infodienst Radikalisierungsprävention

/ 11 Minuten zu lesen

Wie können Lehrkräfte eine islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen? Welche Merkmale gibt es und an welchem Punkt sollten sich Schulen Hilfe holen? Philip Mohamed Al-khazan arbeitet bei der Beratungsstelle Legato in Hamburg und berät Schulen, Familien, Fachkräfte sowie Aussteiger:innen. Als ehemaliger Schulbegleiter und Lehrer spricht er im Interview über die Anzeichen von Radikalisierung und die Herausforderungen für Lehrkräfte. Er schildert auch, warum es wichtig ist, die gesellschaftlichen Anliegen der Jugendlichen wahrzunehmen und die eigene Haltung als Pädagog:in kritisch zu reflektieren.

Radikalisierung lässt sich nicht an bestimmten Äußerlichkeiten festmachen. Stattdessen sollte der Fokus auf den inhaltlichen Äußerungen von Personen liegen. (© Adobe-Stock/Ирина Трухина )

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Infodienst Radikalisierungsprävention: Welche islamistischen Gruppierungen sind aus Ihrer Sicht aktuell für Jugendliche relevant?

Philip Al-khazan: Die in Deutschland verbotene Gruppierung "Hizb ut-Tahrir" (auch "HuT" genannt) ist sehr aktiv (Hintergrund-Informationen zur Hizb ut-Tahrir finden Sie im Infodienst-Beitrag Interner Link: "Die Hizb ut-Tahrir in Deutschland"). In Hamburg sehen wir das an den Aktivitäten des Netzwerks "Muslim Interaktiv", das der Hizb ut-Tahrir sehr nahesteht und bei Beratungsfällen immer wieder Thema ist. Das Netzwerk ist auf TikTok, YouTube und Instagram aktiv und greift dort in seinen Beiträgen die Lebensrealität der Jugendlichen auf.

Muslim Interaktiv bietet Jugendlichen – auch abseits von Social Media – eine Plattform, um sich politisch zu engagieren, etwa durch Proteste und Demonstrationen. Im Februar konnte Muslim Interaktiv zum Beispiel in Hamburg mehrere Tausend Menschen zu einer Demonstration gegen die Koranverbrennung in Schweden mobilisieren. Besonders junge Muslim:innen sehen in solchen Ereignissen die Chance, parallel zu "Fridays for Future", die eigenen Themen an die Öffentlichkeit zu tragen. So wird dort zum Beispiel thematisiert, dass die Wünsche und Bedürfnisse junger Muslim:innen in der Gesellschaft nicht genügend berücksichtigt werden. Auch die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von muslimischen und nicht-muslimischen Personen wird auf den Events aufgegriffen. Dabei handelt es sich oftmals um Botschaften, denen viele junge Muslim:innen zustimmen würden. Das Schwierige hierbei ist, dass die Verwicklung von Muslim Interaktiv mit Hizb ut-Tahrir nicht immer für alle Menschen ersichtlich ist.

Aktuell tritt Hizb ut-Tahrir vor allem in Hamburg in Erscheinung. Die Gruppierung Muslim Interaktiv soll aber dabei sein, ihr Netzwerk auch außerhalb Hamburgs auszubauen und weitere Zellen zu errichten. Das geschieht unter anderem durch Freizeitangebote für junge Menschen in Verbindung mit Predigten. Sie haben in der Vergangenheit etwa Schwimmbäder für Jugendliche gemietet. Ich habe allerdings keine Kenntnis darüber, woher das Geld für diese Angebote kommt.

Wie können Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen eine islamistische Radikalisierung bei Jugendlichen erkennen?

Ich scheue mich immer davor, äußere Merkmale als Anzeichen von Radikalisierung zu benennen. Als der sogenannte "Islamische Staat" (kurz: "IS") in Deutschland noch mehr Anhänger:innen hatte, galten lange Bärte bei Muslimen und eine verstärkte Verschleierung bei Musliminnen als mögliche Hinweise. Doch äußere Merkmale können sich im Laufe der Zeit ändern. Man sollte wirklich vorsichtig sein, eine Radikalisierung an bestimmten Äußerlichkeiten festzumachen. Das kann zu Stigmatisierungen von unbeteiligten Personen führen.

Stattdessen sollte der Fokus eher auf den inhaltlichen Äußerungen der Personen liegen. So lässt sich zum Beispiel feststellen, dass Diskussionen um Religion von islamistischen Akteuren oftmals sehr politisch aufgeladen werden. Hier geht es häufig um politische statt um theologische Anliegen, wie etwa die Ungleichbehandlung von Muslim:innen innerhalb der Gesellschaft. "Wieso wird die Ukraine mit Waffen und Geldern unterstützt, während die Menschen in Palästina mit Steinen gegen die Übermacht kämpfen müssen?" – solche Fragen werden von HuT und Muslim Interaktiv immer wieder behandelt. Damit stoßen sie auf Gehör bei den Jugendlichen (wie islamistische Initiativen den russischen Angriffskrieg instrumentalisieren, lesen Sie im Infodienst-Beitrag Interner Link: Islamistische Stimmungsmache in den Sozialen Medien).

Immer wieder berichten Lehrkräfte auch davon, dass Schüler:innen Diskussionen zu gesellschaftlichen Themen im Unterricht als Ausgangsbasis für Verschwörungsmythen nutzen. Oft wird der Islam dann als vermeintliche Lösung für alles dargestellt. In diesen Fällen rate ich Lehrkräften dazu, sich Beratung zu holen. Gleiches gilt, wenn sie eine rapide Veränderung bei ihren Schüler:innen bemerken.

Welche rapiden Veränderungen könnten das konkret sein?

Zum Beispiel, wenn eine Person den Kontakt zur Peer-Group abbricht oder andere Beziehungsbrüche erkennbar werden. Eine Veränderung kann auch sein, dass eine Person sehr gläubig ist oder zum Islam konvertiert ist – obwohl sie vorher gar nicht religiös war oder nicht aus einer religiösen Familie kommt. In den meisten Fällen passiert das nach den Ferien. Die Personen beten auf einmal regelmäßig und Mädchen verschleiern sich. Und Jungs, die vorher den Unterricht gestört haben, werden plötzlich ruhig und ordentlich. Natürlich kann der Zugang zu Frömmigkeit auch eine Ressource für Jugendliche sein. Hier sollte man genau den Einzelfall betrachten. Häufig geht es bei den Personen, die sich radikalisieren, aber nicht um theologische oder spirituelle Aspekte, sondern um politische Themen. Wenn dabei Positionen vertreten werden, die menschenverachtend und intolerant sind, wird es problematisch.

In vielen Fällen berichten Lehrkräfte zum Beispiel davon, dass plötzlich Unterrichtsthemen gesprengt und in Richtung Religion und Politik gelenkt werden. Da lohnt es sich, genauer hinzusehen – am besten nach dem Mehraugenprinzip. Lehrkräfte können etwa Kolleginnen und Kollegen konsultieren und sich über Beobachtungen austauschen. Hier sollte man auf sein Bauchgefühl hören, aber dabei auch die eigene Wahrnehmung, Vorbehalte und Ängste reflektieren. Im Zweifel sollten Lehrkräfte sich stets an eine Beratungsstelle wenden.

Wie können sich Lehrkräfte sicher sein, dass es sich bei dem Verhalten eines Jugendlichen um islamistische Radikalisierung handelt und nicht um das Ausleben der eigenen Religiosität?

Die Herausforderung besteht darin, muslimische Schüler:innen nicht zu stigmatisieren. Darum ist es wichtig, stets den Einzelfall zu betrachten. Es ist zum Beispiel relevant, welchen Zugang die Schüler:innen zur Religion haben. Handelt es sich um einen eher spirituellen Zugang, fühlen sich die Personen tatsächlich mit Gott verbunden oder sind auf der Suche nach ihm? Menschen mit einem eher theologischen Zugang hingegen interessieren sich vor allem für den Koran oder den Islam an sich. Bei diesen Zugängen handelt es sich in der Regel um das Ausleben der eigenen Religiosität, man sollte jedoch jede Situation individuell betrachten.

Die meisten Personen, die sich radikalisieren, haben einen anderen Zugang zur Religion: Sie wurden missioniert und sind demnach über Dritte zur Religion gekommen. Sie haben sich nicht selbst mit der Religion auseinandergesetzt oder Bücher gelesen. Oftmals stehen diese Personen in Verbindung mit jemandem, der bereits zur Gemeinschaft gehört. Ihr Zugang zur Religion besteht über ein Gemeinschaftsgefühl, Rituale oder Predigten. Hier spielen vor allem Prediger auf TikTok eine große Rolle.

Daher ist es wichtig zu fragen: Wie ist die Person zur Religion gekommen? Die meisten Menschen, die Frömmigkeit ausleben, machen das für sich. Sie diskutieren nicht häufig mit anderen oder geraten in Konflikte darüber. Sie stehen in gutem Kontakt mit Mitschüler:innen und Lehrer:innen.

Hier stellt sich für mich auch die Frage: Was bedeutet Radikalisierung? Aus unserer Sicht als Beratungsstelle ist Radikalisierung erst mal weder gut noch schlecht. Wir haben eine neutrale Haltung. Ich persönlich sage sogar: Wir brauchen Radikalisierung in unserer Gesellschaft. Ansonsten bemerken wir nicht, welche Strukturen vorherrschen, die möglicherweise andere Menschen benachteiligen. Radikalisierung ist für mich, überspitzt gesagt, eine Reaktion und keine Aktion. Und die Frage ist hier: Worauf reagiert die Person?

Ab welchem Punkt wird eine Radikalisierung für Sie problematisch? Wann muss ich eingreifen?

Problematisch wird es ab dem Zeitpunkt, an dem eine Entmenschlichung von anderen stattfindet. Das heißt: Wenn durch Kultur-Rassismus andere Menschen ausgegrenzt und dämonisiert werden, oder legitimiert wird, dass ihnen gegenüber Gewalt angetan wird. Dem sollten sich Lehrkräfte entgegenstellen und spätestens jetzt Kontakt zu Beratungsstellen aufnehmen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Personen alle alten Brücken abgebaut und nur noch Zugang zu einer bestimmten Perspektive auf die Welt.

Gibt es bestimmte Symbole, Zeichen oder Geheimcodes islamistischer Gruppierungen, die Lehrkräfte kennen sollten?

Es gibt immer noch Berichte von Schulen, dass die "IS"-Flagge im WhatsApp-Status von Schüler:innen zu sehen ist. Das ist natürlich eindeutig.

Bei Muslim Interaktiv taucht auch das Tauhid-Zeichen (erhobener Zeigefinger der rechten Hand als Zeichen des strikten Monotheismus) immer noch auf. Im Islam gibt es das Zeichen allerdings schon sehr lange. Ich kenne es schon seit meiner Kindheit und aus verschiedenen Kontexten. Bei der Bewertung solcher Zeichen sollte man daher sehr vorsichtig sein.

Was uns im WhatsApp-Status häufig begegnet, ist eine Verknüpfung vom Thema Islam mit Kriegsbildern. Zu sehen sind zum Beispiel vermummte Personen mit Kalaschnikow bewaffnet – dargestellt als eine Mischung aus Soldaten und gläubigen Muslimen. Aber auch hier gilt: Am besten man wendet sich erst mal an eine Beratungsstelle. Gemeinsam kann geprüft werden, was dahintersteckt.

Die Social Media-Kanäle von "Muslim Interaktiv", "Realität Islam" und "Generation Islam" haben in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Wie können Lehrkräfte damit umgehen, wenn Jugendliche ihre Beiträge gut finden oder sie teilen? Ist das ein Anzeichen von Radikalisierung?

Nicht unbedingt. Die Inhalte greifen manchmal tatsächlich wichtige gesellschaftliche Themen auf. Betrachtet man beispielsweise die Beiträge von Generation Islam oder Realität Islam, ist es durchaus nachvollziehbar, dass manche Jugendliche sie gut finden. Denn die Accounts fassen teilweise in Worte, was die Jugendlichen gerade selbst bewegt. Zum Beispiel wenn es um die ungerechte Behandlung von Muslim:innen innerhalb der Gesellschaft geht. Daran können viele Jugendliche anknüpfen.

Hier könnte man als Schule die gesellschaftlichen Diskurse aktiv aufgreifen und sie nicht den extremistischen Gruppen überlassen. Das haben wir an unserer Schule gemacht. Wir haben Fächer wie Deutsch, Religion, Englisch oder Sozialkunde dazu genutzt, solche Ungerechtigkeiten zu thematisieren und sie nicht unter den Tisch fallen lassen. Dadurch haben sich die Schüler:innen gesehen und respektiert gefühlt.

Denn Gruppierungen wie Muslim Interaktiv arbeiten mit klassischen Feindbildern, etwa: "Deutschland oder der Westen interessieren sich nicht für deine Anliegen." Und tatsächlich tauchen viele Themen in der Presse nur am Rande auf, wie zum Beispiel die Verfolgung und Tötung muslimischer Minderheiten in Myanmar oder China. Die "IS"-Propagandisten haben das damals sofort aufgegriffen.

Passiert hingegen etwas in den USA oder Europa, taucht das bei uns überall in den Medien auf. Ein Beispiel: Elf Tage vor der Ermordung des Lehrers Samuel Paty im Oktober 2020 in Paris wurden in Afghanistan neun Menschen durch ein islamistisches Attentat ermordet, 38 Menschen wurden verletzt. Und zwei Wochen danach wurden 20 Menschen in Mosambik im Namen des "IS" ermordet. In den europäischen Medien stand allerdings nur das islamistische Attentat in Paris im Vordergrund. Das suggeriert manchen Menschen, dass ein bestimmtes Leben mehr wert sei als ein anderes. Junge Menschen mit Bezügen zu diesen Ländern könnten sich zu Recht fragen, wo hier die Solidarität bleibe.

Demnach haben wir als Schule versucht, dem islamistischen Feindbild des ignoranten Westens entgegenzuwirken und zu zeigen: Wir respektieren dich, deine Religion und deine Kultur. Hier ging es vor allem darum, das Thema Religion nicht auszuklammern. Idealerweise gibt es hierfür eine Arbeitsgruppe aus vier oder fünf Expert:innen, die auf dem aktuellsten Stand sind und Kolleg:innen Unterrichtsmaterialien zuliefern. Das war während meiner Arbeit als Schulbegleiter in Hamburg meine Aufgabe.

Lehrkräfte, die sich solchen Themen im Unterricht widmen möchten, haben häufig die Sorge, dass sie den Jugendlichen in Diskussionen zu Religion argumentativ unterlegen sein könnten. Wie können Lehrkräfte mit solchen Unsicherheiten umgehen?

Es ist in Ordnung, nicht alles zu wissen und das auch offen zuzugeben. Ein Beispiel: In einer Klasse äußerte eine Lehrerin Sorge darüber, dass das Referat einer Schülerin über Palästina eskalieren könnte. Hier habe ich geraten, offen zuzugeben, wenn man etwas nicht genau weiß und Aussagen nicht direkt zu verneinen. Man kann auch nach den Quellen der Schüler:innen fragen und vorschlagen, diese nochmal im Nachgang zu prüfen.

Einen Weg, den ich Pädagog:innen und Fachkräften in meinen Fortbildungen nahelege, ist, keine Grundsatzdebatten über Religion zu führen, sondern zu versuchen, die Funktion der Ideologie zu ergründen. Gemeinsam kann man herausfinden: Was ist eigentlich gerade los bei der Person? Warum ist ein Thema so wichtig für jemanden? Welche Bedürfnisse befriedigt die Ideologie? Um diese Fragen drehen sich meine Fortbildungen. Wenn Pädagog:innen die Bedürfnisfrage ergründet haben, haben sie eigentlich alle Kompetenzen und das nötige Wissen für das weitere Handeln. Man muss kein:e Expert:in für den Islam oder für Politik sein. Wenn man anfängt, mit einer Person über ihre Bedürfnisse zu sprechen, ist man handlungsfähig.

Welche Bedürfnisse liegen denn einer möglichen Radikalisierung zugrunde? Worin liegt die Anziehungskraft für junge Menschen?

Indem sie sich islamistischen Gruppierungen anschließen, erhoffen sich die Jugendlichen, ihre Ängste, Minderwertigkeitskomplexe oder Gefühle von Ohnmacht zu überwinden. Ideologien können dann verschiedene Funktionen für die jungen Menschen erfüllen, wie etwa den Wunsch nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Gerechtigkeit oder Sinn.

In jedem Fall ist Beziehungsarbeit wichtig, damit die Person nicht das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen. Ich sollte vermitteln können, dass ich nichts gegen die Religion der Person habe, sondern sie nur besser verstehen will. Wenn eine gute Beziehungsbasis da ist, kann ich weitere Fragen stellen.

Wir haben zum Beispiel mal einen Klienten gefragt: "In welcher Situation hast du zum ersten Mal erlebt, dass dir deine Religion hilft?" Er berichtete uns: "Ich hatte die Gartenstühle von meinem Vater ausgeliehen und wollte sie zurückbringen. Er war telefonisch nicht erreichbar. Ich wusste, wenn ich die Stühle vor der Haustür abstelle, dann würde er sagen: ‚Wieso hast du sie nicht in den Keller geräumt?‘ Wenn ich sie in den Keller räumen würde, würde er sagen: ‚Wieso hast du sie nicht vor die Haustür gestellt?‘ Also sagte ich mir: So, ich habe sie dahingestellt, wo ich dachte, dass es am besten für ihn ist. Und dann habe ich gesagt: ‚Allah, du bist mein Richter. Du bist mein Zeuge und du weißt, dass ich das so gut wie möglich machen wollte.‘" Nachdem unser Klient von seiner Erfahrung berichtet hatte, haben wir nicht mehr über Religion gesprochen. Von nun an ging es um die Beziehung zwischen ihm und seinem Vater.

Das ist dann der Punkt, an dem sich Pädagog:innen wieder handlungsfähig fühlen. Weil man nachvollziehen kann, wie es ist, einen Vater zu haben, dem man es nie recht machen kann. Und plötzlich entsteht so eine Art Verbindung und Verständnis. Außerdem stoppt man diese konfliktbehaftete Dynamik, in der eine Partei ihr Gegenüber überzeugen will.

Was sollten Lehrkräfte tun und was sollten sie nicht tun? Wo können sie sich Hilfe holen?

Ich empfehle Lehrer:innen, erst mal für sich zu reflektieren: Wie stehe ich grundsätzlich zu Religion? Und welche politische Haltung habe ich? Es ist egal, wie professionell wir alle sein wollen in unserem Beruf als Berater:in, Pädagog:in und Lehrer:in. Es gibt bestimme Gedanken und Gefühle, die in der Interaktion mit Schüler:innen auftauchen können, weil mögliche Trigger-Punkte von uns selbst berührt werden. Hier sollten wir in der Lage sein, uns selbst zu reflektieren.

Außerdem sollte man politische oder theologische Debatten vermeiden, weil das meistens nichts bringt. Der Fokus sollte auf der Beziehungsarbeit liegen, die ja ohnehin Bestandteil der pädagogischen Arbeit ist. Wenn ich selbst nicht die Person bin, die diese Arbeit leisten kann – oder mir der Zugang zu einer Schülerin oder einem Schüler nicht gelingt ¬– sollte das Kollegium oder die Schulsozialarbeit mit einbezogen werden. Meist findet sich dort eine Person, die dafür infrage kommt.

Man sollte verhindern, dass Schulen zu schnell repressiv wirken oder überstürzt und unangemessen intervenieren. Denn das kann dazu führen, dass sich die Personen stigmatisiert fühlen und die angesprochenen Feindbilder bedient werden. Es gab zum Beispiel einen Fall, in dem ein Schüler aus Protest die Schweigeminute für die Opfer in der Ukraine boykottiert hat. Der Schüler begründete seine Haltung damit, dass es ja auch keine Schweigeminute für muslimische Opfer von Kriegen und Konflikten im Jemen oder in Palästina gebe. Er beschwerte sich auch über eine ungleiche Behandlung von ukrainischen gegenüber muslimischen Geflüchteten. Daraufhin wurde der Schüler der Schule verwiesen. So serviert man ihn einer Bewegung wie Muslim Interaktiv natürlich auf dem Silbertablett. Denn sie greifen genau diese Widersprüchlichkeiten auf, denen im schulischen Kontext oft kein Platz gegeben wird.

In solchen Fällen sollten sich Lehrkräfte externe Hilfe holen. Es gibt bundesweit Beratungsstellen, an die Schulen sich wenden können. Eine Übersicht findet man zum Beispiel beim Interner Link: Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb. Dort kann man nach Beratungsstellen in der Nähe suchen.

Das Interview führte Maren Kirsch.

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Philip Mohamed Al-khazan hat Islamwissenschaft studiert und arbeitete als Schulbegleiter und Lehrer an einer Hamburger Schule. Seit 2016 ist er bei der Hamburger Beratungsstelle "Legato" tätig, im Aufgabenfeld Prävention und Intervention bei Fällen religiös begründeter Radikalisierung.

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