„Politische Rationalität geht von dem WerturteH aus, die Gestaltung der sozialen und politischen Umwelt nach eigenem Willen sei besser, als sich den bestehenden Verhältnissen zu unterwerfen oder dem Zufall auszuliefern." Helmut Schmidt Nur eine kleine Minderheit unter den Staatsbürgern, auch unter den geistig und politisch aufgeschlossenen, interessiert sich für die zahllosen , Ismen', die von Faschismus bis Kommunismus, von Historismus bis Funktionalismus in politischen Sonntagsreden, Feuilletons und Kulturmagazinen tagtäglich angeboten werden. Und das Desinteresse der Mehrheit ist so unvernünftig nicht. Denn ein großer Teil der . Ismen'hat nur für jene Zeitgenossen wirklich Bedeutung, die in der Philosophie oder der Abfassung von Feuilletons ihren Broterwerb gefunden haben, während ein anderer Teil durch die inflationäre Verwendung als Mehrzweckwaffe im politischen Tageskampf verschlissen worden ist. Zu Recht achtet der Bürger in erster Linie auf die politischen Inhalte und weniger auf die Etikette, die ihnen in Form irgendeines . Ismus'von Freund oder Feind aufgeklebt werden.
Mißtrauen gegenüber den Relevanz-Ansprüchen irgendwelcher , Ismus‘-Vertreter ist also angebracht, auch dann, wenn der Anspruch — wie in diesem Beitrag — auf der Kreuzung bereits vorhandener . Ismen'gründet, von denen der eine — Kritischer Rationalismus — als esoterischer philosophischer , Ismus'gilt, während der andere — Sozialismus — als einer der ältesten politischen , Ismen'durch sich bekämpfende Interpretationsmonopole an Kontur und Aussagekraft stark eingebüßt hat.
Es ist den Autoren nicht daran gelegen, durch die Kreuzung von Kritischem Rationalismus und Sozialismus ein neues Interpretationsmonopol zu begründen. Es geht vielmehr darum, zu zeigen, daß zwischen philosophischer Erkenntnis und politischer Praxis enge Wechselbeziehungen bestehen, daß grundlegende philosophische Probleme also nur scheinbar esoterisch sind und daß speziell die erkenntnistheoretischen Aussagen des Kritischen Rationalismus die Grundlage einer antitotalitären, demokratischen politischen Philosophie sein können.
Wir gehen zunächst auf die erkenntnistheoretischen Aussagen des Kritischen Rationalismus ein. Sodann legen wir dar, weshalb und in welcher Beziehung die Aussagen des Kritischen Rationalismus auch für politische Grundeinstellungen prägend sind und welche Konsequenzen sich hieraus für Bewertung und Gestaltung der politischen Praxis ergeben. Gleichzeitig setzen wir uns mit den wichtigsten kritischen Einwänden gegen die politische Philosophie des Kritischen Rationalismus auseinander.
I. Der Kritische Rationalismus als Erkenntnislehr
Der Positivist sagt: „Die Erfahrung ist die Quelle aller Erkenntnis. Sollen unsere Erkenntnisse, darunter auch unsere Theorien, wahr sein, so müssen sie auf sinnliche Wahrnehmungen rückführbar sein."
Der Rationalist hingegen behauptet: „Erkenntnis ) allein aus der sinnlichen Erfahrung ist nicht möglich." Als unkritischer, reiner oder naiver Rationalist verwirft er alle Aussagen, Theorien, Ideen usw., die nicht durch Vernunftargumente gestützt werden können.
Der Irrationalist versucht in Abgrenzung zum Rationalisten die Erkenntnis auf emotionale oder intuitive Gewißheitserlebnisse zu gründen. Die „wesentlichen" Erkenntnisse, so meint er, ließen sich rational weder erklären noch begründen.
Der Kritische Rationalist hält dem Positivsten entgegen, daß jede theoretische Aussage den Bereich des sinnlich Erfahrbaren transzendiert und daß andererseits auch jede bloße Aussage über eine sinnliche Wahrnehmung ein theoretisches Element enthält, daß also Erkenntnis nur aus der Erfahrung nicht möglich ist.
Er hält dem unkritischen oder naiven Rationalisten entgegen, daß jede Argumentation von Annahmen ausgehen muß, diese aber wiederum gemäß der Lehre des naiven Rationalismus der Begründung durch eine Argumentation bedürfen. Dies gilt auch für das Bekenntnis zum rationalistischen Prinzip. Das rationalistische Prinzip scheitert beim Versuch, sich selbst gemäß dem rationalistischen Prinzip zu begründen; seine Annahme kann also nur auf einer wertenden Entscheidung gründen.
Dem Irrationalisten erwidert der Kritische Rationalist, daß konsequenter Irrationalismus zwar rein logisch möglich ist, daß aber mit dem Ende rationaler Argumentation auch das Ende konstruktiven Erkenntnisfortschritts gekommen ist.
Der Kritische Rationalist ist sich der 'Wertbasis seiner rationalistischen Einstellung bewußt, und er weiß, daß der Mensch keinen „natürlichen Filter" für Vernünftiges und Unvernünftiges besitzt. Er bekennt sich deshalb zu einer Einstellung, „die bereit ist, auf kritische Argumente zu hören und von der Erfahrung zu lernen . . ., eine Einstellung, die die Hoffnung nicht leichtfertig aufgibt, daß man durch Argument und durch sorgfältiges Beobachten in vielen wichtigen Punkten zu einer Art Übereinstimmung kommen kann." „Bewußtes Lernen aus unseren Fehlern, bewußtes Lernen durch dauernde Korrektur ist das Prinzip der Einstellung, die ich den . kritischen Rationalismus'nenne", formuliert Karl Popper Der Kritische Rationalismus hat sich als erkenntnistheoretisches System in der Auseinandersetzung mit den beiden Extrempositionen des reinen Rationalismus und des Positivismus und in der Bemühung um eine Synthese der beiden entwickelt. Anhand der Kerngedanken dieser Auseinandersetzung wollen wir im folgenden die Erkenntnistheorie des Kritischen Rationalismus profilieren. 1. Kritik des reinen Rationalismus a) Reiner (unkritischer) Rationalismus verleitet durch das Verbot von nicht näher begründeten oder nicht begründeten Annahmen zur Immunisierung und Dogmatisierung gewisser „Grundwahrheiten" oder „Evidenzen". Aus diesen „Grundwahrheiten" konstruiert der unkritische Rationalist rein rational ein System zur Erklärung der Welt. Dieses System ist tautologisch, d. h., seine Wahrheit steht und fällt mit der Wahrheit jener „Grundwahrheiten". Es ist darum ebenso dogmatisch wie die dogmatischen „Grundwahrheiten“. b) Reiner Rationalismus möchte die Welt rein rational, insbesondere ohne wesentliche Beteiligung der Erfahrung, erklären und gestalten. Der unkritische Rationalist erkennt richtig, daß jede Theorie den Bereich möglicher Erfahrung transzendiert. Aber er neigt dazu, seine durch „Grundwahrheiten" dogmatisierten Theorien der Kontrolle durch die Erfahrungswirklichkeit zu entziehen. c) Da der reine Rationalist nicht „durch Erfahrung klug" werden will, muß er alle seine Theorien und Annahmen a priori nehmen, d. h. dogmatisieren; sie dürfen nie falsifiziert werden, also nie an der Erfahrung scheitern. Einerseits bedeutet dies den Verzicht auf Erkenntnisfortschritt, andererseits führt diese Strategie in den politischen Utopismus. Der politische Utopist erklärt und gestaltet die Welt im Sinne seiner sakrosankten Theorien. d) Die Absicherung des rationalistischen Systems durch Dogmatisierung erfolgt vielfach über die „Privilegierung der Vernunft". Man behauptet, die verlangte vernünftige Einsicht sei nicht allen zugänglich. Die solchermaßen weniger Begabten brauchten daher Stellvertreter, eine Führung, eine Partei, eine Elite. Sie werden also potentielle Konvertiten oder aber als Unbelehrbare und Abweichler angesehen. Hier hat die Konspirationstheorie der Gesellschaft ebenso ihren Ursprung wie das Klassendenken.
An die Stelle der logisch nicht vertretbaren Dogmatisierung von „Grundwahrheiten" mit ihren gefährlichen Konsequenzen setzt der Kritische Rationalismus das Prinzip der Kritisierbarkeit. Glaube an die Vernunft und Kritik des Bestehenden ist für Kritische Rationalisten der Motor wisssenchaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts. Der Brennstoff für diesen Motor ist die Suche nach Fehlern in unseren Theorien und sozialen Zuständen. Der Erkenntnisfortschritt vollzieht sich durch die Ausmerzung von an der Erfahrung gescheiterten (falsifizierten) Theorien und ihren Ersatz durch neue Theorien. Dieser Prozeß ist nie abgeschlossen, denn keine Theorie kann je als richtig erwiesen werden. Höchstens durch ständige erfolglose Versuche zu ihrer Widerlegung kann die Vermutung ihrer Richtigkeit erhärtet werden.
Kritischer Rationalismus ist als Erkenntnis-methode „die Methode der kühnen Vermutun-B gen und sinnreichen und ernsthaften Versuche, sie zu widerlegen" Kritischer Rationalismus wird daher auch zutreffend als Methode von trial-and-error bezeichnet, um das Zusammenwirken von Spekulativem (Versuche) und Kritischem (durch Erfahrung bestätigter Irrtum) hervorzuheben. 2. Kritik des Positivismus Es ist ein weitverbreitetes und besonders von neomarxistischer Seite gepflegtes Vorurteil, der Kritische Rationalismus sei eine Spielart des Positivismus. Nun steigt bekanntlich mit der Entfernung die perspektivische Verkürzung, und so mag die beliebte neomarxistische Kennzeichnung des Kritischen Rationalismus als „neopositivistisch" subjektiv verständlich sein — mit den Tatsachen hat diese Kennzeichnung nicht viel zu tun.
Der Positivismus versucht ein Kriterium für die Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen zu finden, welches abgesichert ist gegen spekulative Beliebigkeit und damit Manipulierbarkeit. Er meint dies Kriterium gefunden zu haben mit der Forderung nach einer empirischen Forschung, die „vorurteilsfrei" an das empirische Material herangehen solle, um aus ihm induktiv, d. h. durch die Beobachtung und Verallgemeinerung von Gleichförmigkeiten, Material zu gewinnen. Jedoch verstößt der Positivismus — ebenso wie der reine Rationalismus — gegen sein eigenes Programm. Er übersieht nämlich, daß Aussagen über „Fakten" stets Interpretationen im Lichte von Theorien sind, zumal schon sprachliche Kategorien wesentlich theoretischer Natur sind.
Auf der einen Seite kann „reines" Denken wegen der mangelhaften Orientierung an der Erfahrungswirklichkeit zu Theorien führen, die sich kontradiktorisch widersprechen, auf der anderen Seite können auch rein positivistische „Tatsachen“ -Aussagen über denselben Gegenstand widersprüchlich sein, z. B. weil sie verschiedene Aspekte unterschiedlich gewichten oder unterschiedlich interpretieren. Von kontradiktorischen Aussagen oder Theorien aber muß eine falsch sein. Beide erkenntnistheoretischen Extrempositionen sind durch die ständige Möglichkeit der Existenz falscher Theorien widerlegt, denn beide stehen zu ihrem Streben nach begründeter Wahrheit in Widerspruch.
Der Kritische Rationalismus sucht gleichfalls nach einem Kriterium, mit dessen Hilfe der Wahrheitsgehalt von Aussagen beurteilt werden kann. Aber er erkennt das Streben nach sicherer „ewiger" Erkenntnis über die Wirklichkeit als methodische Sackgasse. An die Stelle des Wissenschaftsideals der sicher begründeten Wahrheit von Theorien setzt der Kritische Rationalist die Forderung nach der intersubjektiven Kritisierbarkeit oder Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Aussagen. Er setzt sich damit in Gegensatz zum reinen Rationalisten, der die Überprüfung seiner Theorien anhand von Tatsachen oft nicht dulden möchte, und zum Positivisten, der nicht einsehen will, daß auch einfache empirische Aussagen oder Beschreibungen der Wirklichkeit stets Interpretationen im Lichte von Theorien sind.
Kritischer Rationalismus als Erkenntnislehre kann als eine Auffassung verstanden werden, nach der unsere Theorien und Prognosen über Dinge der realen Welt (etwa: Inflation, Umweltverschmutzung, Konsumverhalten usw.) so zu formulieren sind, daß sie an eben diesen realen Dingen scheitern können, daß sie also falsifizierbar sind. Diese Forderung ist eine Konsequenz der kritisch-rationalen Maxime der Intersubjektivität wissenschaftlicher Erfahrung (deren Gegenposition etwa die Theorie elitären oder parteiischen Wissens wäre).
Die Tatsache, daß der Kritische Rationalismus auch von der Kontrolle anhand der Erfahrungswirklichkeit Gebrauch machen möchte, hat ihm, insbesondere von neomarxistischer Seite, den Bannspruch eingetragen, eine Spielart des Positivismus zu sein. Deshalb ist es verständlich, weshalb gerade jene unkritischen Rationalisten, die ihre dogmatisierten Theorien gegen den leisesten Windhauch der Wirklichkeit abzuschotten versuchen, von diesem Bann-spruch so reichhaltig Gebrauch machen.
Im Gegensatz zum Kritischen Rationalismus soll jedoch nach der positivistischen Grundidee Erkenntnis über die Realität allein über die Erfahrung — genauer gesagt: durch unsere Sinnesorgane — gewonnen werden. Es müsse daher gelingen, durch genaue, „vorurteilsfreie" und theoriefreie Faktenanalyse induktiv zu generellen Gesetzen zu kommen. Unsere Theorien und Gesetze müßten auf Beobachtungen bzw. auf , Protokollsätze'über Beobachtungen zurückgehen und durch diese kontrolliert und schließlich verifiziert, d. h. mit ihnen in Übereinstimmung gebracht werden. Der Positivist sieht daher nur Sätze über Erlebnisdaten (Beobachtungsaussagen) und logisch-mathematische Formen der „objektiven", also bewußtseinsunabhängigen Realität als „sinnvoll" an.
Nach Auffassung des Kritischen Rationalismus ist positivistisch-theoriefreie Faktenerkenntnis unmöglich. In jedem einzelnen Fall ist leicht zu zeigen, daß bei jeder Erklärung eines realen Vorgangs oder Zustands das spekulativ-theoretische Element eine unverzichtbare Rolle spielt — also das nach positivistischer Auffassung „Sinnlose". Eine wissenschaftliche Erklärung enthält immer Ursachenereignisse, Folge-ereignisse und eine oder mehrere Hypothesen über allgemeine Gesetzmäßigkeiten. Erst diese Hypothesen über jeweils zugrunde liegende allgemeine Gesetzmäßigkeiten stellen das logische Band zwischen Ursache und Folge her. Die Aufgabe des Wissenschaftlers ist es nun, solche Hypothesen zu finden und sie sodann zu prüfen. Für das Auffinden von Hypothesen stellt der Kritische Rationalismus überhaupt keine Thesen auf. Z. B. kann uns eine Hypothese im Traum einfallen, in der Diskussion, oder wir finden sie in einem Lehrbuch. Interessant — vom erkenntnislogischen Standpunkt — ist nicht, wie eine Hypothese zustande kommt, sondern wie sie sich bewährt.
Eine rein rationale, von der Kontrolle durch die Erfahrungswirklichkeit losgelöste Argumentation erlaubt für sich noch keine Schlußfolgerungen über den Bewährungsgrad konkurrierender Hypothesen. Es wurde ja bereits dargelegt, daß alternative Hypothesen, die jede für sich rein rational und in sich schlüssig entwickelt wurden, aber eben ohne, Kontrolle durch die Erfahrungswirklichkeit sich kontradiktorisch widersprechen können, jedoch in der Form, daß aus logischen Gründen eine von beiden falsch sein muß. Erkenntnisfortschritt, der in der Sicht des Kritischen Rationalismus identisch ist mit dem Bemühen um erfolgreiche kausale Erklärung, findet nur statt, wenn wir unsere Theorien — wie immer sie zustande gekommen sein mögen — unablässigen empirischen Überprüfungen aussetzen, wenn wir also die Methode von Versuch und Irrtum annehmen. Jeder Test einer Hypothese bedeutet den Versuch, sie zu falsifizieren, Fehler an ihr nachzuweisen, sie zu revidieren; und in dem Maße, wie uns das gelingt, steigt unser Erkenntnisfortschritt. Ein „Naturschutzpark" für „sicheres Wissen" bringt diesen Fortschritt zum Stillstand.
Dieses Programm wäre positivistisch, wenn es sichere Erkenntnis verspräche. Der Kritische Rationalismus ist jedoch der Auffassung, daß es sichere Erkenntnis überhaupt nicht geben kann. Selbst eine vollkommene Übereinstimmung unserer Theorien mit den Tatsachen, an denen wir sie überprüft haben, kann ihre Wahrheit oder Richtigkeit nicht erweisen. Dies wäre theoretisch erst möglich, wenn wir unsere Theorie an unendlich vielen Fällen überprüft hätten, was natürlich ebenfalls nicht möglich ist. Aber selbst im Falle einer sehr häufigen Überprüfung mit positivem Ausgang können wir der Wahrheit unserer Theorie noch nicht sicher sein. Denn jede erklärende wis-
senschaftliche Theorie enthält neben Hypothesen auch noch Sätze über Ereignisse oder Beobachtungsaussagen, die nach der antipositivistischen Auffassung des Kritischen Rationalismus ja ebenfalls theoretische Aspekte, also Hypothesen enthalten. In dieser Situation ist es unmöglich, Theorien endgültig zu verifizieren — wie der Positivist glaubt —, es ist allerdings ebenso unmöglich, die Theorien endgültig — sozusagen „richtig" — zu falsifizieren.
Die kritisch-rationale Prüfung durch Versuch und Irrtum kennt also keinen Abschluß. Es gibt keinen methodisch zureichenden Grund, an irgendeiner Stelle der kritischen Prüfung halt zu machen und uns zufrieden zu geben. Die Tatsache, daß aber überhaupt die Erfahrung eine maßgebliche Rolle im Erkenntnisprozeß spielt, hat die „antipositivistischen" Kritiker des Kritischen Rationalismus veranlaßt, von einer „positivistischen Restproblematik" (Habermas) zu sprechen. Dieser positivistische Rest im Kritischen Rationalismus bestehe in seinem Realismus und der vertrage sich nicht mit der Einsicht, alle Beobachtungsausdrücke seien Interpretationen im Lichte von Theorien. Weiter führe es zum unendlichen Regreß, wenn man Erklärungsansätze aus Hypothesen und Tatsachenfeststellungen deduzieren wolle, welch letztere ja zugegebenermaßen ihrerseits theoretische Aspekte enthielten. Außerdem sei es unstimmig, von Annäherung an die Wahrheit zu sprechen (dies tut Popper), wenn ein Begriff der Wahrheit — sozusagen als logischer Bezugspunkt — nicht gegeben werde.
All diesen Argumenten kann in gleicher Weise begegnet werden: Dem Kritischen Rationalismus geht es nicht um Sicherheit in der Erkenntnis, sondern um Intersubjektivität. Alle Sicherheit der Erkenntnis ist selbst definiert; der Glaube, sie (auch nur annähernd) erreicht zu haben, zeugt von unkritischer Haltung den Produkten unseres Geistes gegenüber und führt zum Dogmatismus. Kritik ist dem Kritischen Rationalismus oberstes Ideal; sie hört niemals auf. Sie zwingt uns, bei allen Festlegungen, Tatsachenaussagen und Begriffen festzuhalten, daß sie alle revidiert werden können.
Einen Realismus in dem Sinne, daß wir „die Welt an sich" erfassen könnten, gibt es nach Auffassung des kritischen Realismus nicht. Der Realismus des Kritischen Rationalismus ist das Programm, die Suche nach intersubjektiv gültiger Wahrheit nicht aufzugeben. Daß solche Wahrheit — irgendwo, irgendwann — erreicht werden kann oder gar erreicht wurde, kann nicht begründet behauptet werden. Jederzeit kann eine kritische Revision unserer Einsichten und Interpretationen verlangt werden.
Aus dieser Situation folgt auch, daß der Kritische Rationalismus einen Begriff absoluter Wahrheit weder geben will noch kann. Wir kamen vielmehr zu dem Ergebnis, daß all unser Wissen unvollkommen sein muß. Der Begriff empirischer Wahrheit ist fiktiv, solange er mehr charakterisiert als das Bemühen, in unserer Suche nach Fehlern fortzufahren. Hier steht der Kritische Rationalismus in begründetem Gegensatz zu seinen positivistischen und antipositivistischen Feinden.
Unsere Analyse hat ergeben: Der Kritische Rationalismus ist vom Positivismus ebenso weit entfernt wie vom unkritischen Rationalismus; denn bei beiden wird die Wahrheitssuche dem Streben nach Gewißheit geopfert. Wir wissen nicht, was „Realität" ist, wir wissen nicht, was „Wahrheit" ist, aber wir wissen, daß wir beides suchen müssen. Bei der Wahrheitssuche müssen wir stets der Tatsache eingedenk sein, daß wir zwar sehr viel, aber nichts sicher wissen.
II. Kritischer Rationalismus als politische Philosophie
Es gibt für den Bereich der Naturwissenschaften nicht viele Gegner dieser Erkennnistheorie. Die meisten Naturwissenschaftler können sicher Karl Poppers Ansicht zustimmen: „Es gibt nur einen Weg, den Weg unserer Irrtümer. Nur aus unseren Irrtümern können wir lernen, und nur der wird lernen, der bereit ist, die Irrtümer anderer als Schritte zur Wahrheit zu schätzen, und der nach seinen eigenen Irrtümern um sich von ihnen zu befreien." sucht,
Die Erkenntnislehre des Kritischen Rationalismus ist jedoch auch Grundlage einer politischen Philosophie. Als Erkenntnislehre gründet der Kritische Rationalimus auf dem Prinzip der ständigen Überprüfung unserer Theorien an der Erfahrungswirklichkeit, als politische Philosophie auf — methodisch begründetem — Zweifel an politischen Wahrheitsmonopolen und Heilslehren. „Die Wissenschaft, und insbesondere der wissenschaftliche Fortschritt, ist nicht das Ergebnis isolierter Leistungen, sondern der freien Konkurrenz der Gedanken. Denn die Wissenschaft braucht immer mehr Konkurrenz zwischen Hypothesen und immer rigorosere Prüfungen."
Auch in der Politik sieht der Kritische Rationalismus die freie Konkurrenz der Anschauungen als die einzig rationale Form der politi27 sehen Auseinandersetzung an. Und Rationalität des Handelns, so Helmut Schmidt, sei heute, in einer Welt, in der unbedachte Folgen unserer Handlungen die größte Bedrohung unserer künftigen Existenz darstellen, so notwendig wie je
Rationalist im Sinne des Kritischen Rationalismus „ist ein Mensch, der sich bemüht, Entscheidungen durch Argumente herbeizuführen, in gewissen Fällen durch Kompromisse, aber nicht durch Gewalt. Ein Rationalist ist ein Mensch, der lieber erfolglos bleibt bei dem Versuch, einen anderen durch Argumente zu überzeugen, als erfolgreich darin, ihn durch Gewalt, durch Einschüchterung oder durch Drohung oder auch nur durch propagandistische Überredungskünste zu überwältigen"
Rationalismus, welcher sich als kritisch versteht, besteht also vor allem in der Bescheidenheit, die Allgegenwart des Irrtums zu akzeptieren, und im Gewahrsein unserer Beschränkungen. Vollständiger, „umfassender" Rationalismus, wie ihn konservative Harmoniefiktionen und utopische Gesellschaftsentwürfe für sich in Anspruch nehmen, ist dazu keine Alternative, da unhaltbar: Weder Logik noch Erfahrung können eine rationalistische Ein-Stellung begründen, sondern nur eine wertende Entscheidung.
Vom Irrationalismus in der Politik scheidet den Kritischen Rationalismus das Werturteil, es sei besser, die Gesellschaft nach eigenem Wollen zu gestalten, als sich hilflos und blind dem Zufall auszuliefern. Politischer Rationalismus, ein Ausdruck, der nur zu oft zur pseudowissenschaftlichen Verbrämung ideologischer Absichten mißbraucht wird, hat hier also einen ganz bestimmten, wohldefinierten Inhalt: In diesem Sinne besteht politischer Rationalismus „im Gewahrsein unserer Beschränkung, in der intellektuellen Bescheidenheit ... Er besteht in der Einsicht, daß wir von der Vernunft nicht allzu viel erwarten können, daß Argumente kaum je eine Frage endgültig lösen können" 1. Drei Dimensionen politischer Rationalität Politische Rationalität erstreckt sich in drei Dimensionen: eine formale, eine inhaltliche und eine qualitative. Die Verwischung dieser Dimensionen oder die Vernachlässigung ihrer Unterschiedlichkeit hat einen Rationalitätsverlust, also einen Verzicht auf aktive Gestaltung zur Folge. Politische Rationalität wird durch jede dieser Dimensionen bestimmt, findet in deren Voraussetzung aber auch ihre Grenzen. Aus der Dimension der formalen Rationalität folgen logische Bedingungen an die politische Rationalität: Formal rational ist eine Handlung nur dann, wenn das angestrebte Zielsystem in sich und die zugeordneten Mittel in bezug auf die Ziele widerspruchsfrei sind. Den Bedingungen formaler Rationalität widersprechen also instinktives, traditionelles, zufälliges und inkonsistentes Handeln Konkrete politische Handlungen werden in den meisten Fällen nicht das Erfordernis strikter formaler Rationalität erfüllen, sondern in der Regel Mischtypen zwischen den erwähnten Formen des Handelns darstellen. Hierin liegt die erste Begrenzung politischer Rationalität.
Substantielle Rationalität, die zweite Dimension, ist dann gegeben, wenn das Zielsystem des politisch Handelnden so gestaltet ist, daß es mit dem politischen System konsistent ist. Die Wertambivalenz zwischen Individuen und sozialen Gruppen in einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft ist allerdings ausgeprägt, „daß eine einheitliche Auffassung über die anzustrebenden Ziele der Gesellschaft ... nicht besteht" und auch nicht bestehen kann, solange Pluralität der Handlungsziele und Wertvorstellungen von Individuen und sozialen Gruppen selbst ein Ziel ist.
Substantielle Rationalität läßt sich durch eine „totalitäre Lösung", durch autoritäre Vorgabe eines Zielsystems erkaufen. Allerdings ist dieser Kauf ein teurer, denn er muß mit der Verletzung eines wichtigen Zieles, nämlich pluralistischer Demokratie, bezahlt werden, und damit befindet man sich nicht mehr in einem (relativen) politischen Rationalitätsoptimum. Die „Kosten" perfekter, substantieller Rationalität sind damit zu hoch: „... von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste. Ein solcher Wunsch führt unvermeidlich zu dem Versuch, anderen Menschen unsere Ordnung höherer . Werte'aufzuzwingen" Selbst die „wohlmeinende" Diktatur (und sei es die des Proletariats) ist damit irrational zu nennen.
Perfekte substantielle Rationalität politischer Entscheidungen kann also bei Wertepluralismus nicht hergestellt werden: Insofern stößt hier politische Rationalität an eine zweite Grenze. Allerdings ist eine „beschränkte" substantielle Rationalität trotz der Offenheit, Pluralität und der weitgehend ungeklärten inneren Widersprüche des politischen Ziel-systems durch Bezug auf einen „Bodensatz gemeinsamer Ziele" möglich. Nur ideale Lösungen, wie sie uns etwa in der herrschaftsfreien kommunistischen Gesellschaft oder einer „natürlichen sozialen Harmonie" vorgestellt werden, sind idealtypische Fiktionen; sie sind nicht erreichbar.
Die dritte, die qualitative Dimension der Rationalität ist an die Voraussetzung geknüpft, daß der Handelnde seine Entscheidungsumwelt in der gleichen Weise sieht wie ein objektiver Beobachter, die Rationalität also objektiv und überprüfbar ist Objektive Rationalität ist daher zu verstehen als zielgerichtetes Handeln unter Verwendung alles objektiv verfügbaren Wissens. Objektive Rationalität ist aber nicht, wie gewisse konservativ-oder revolutionär-utopische Auffassungen glauben machen wollen, absolut, sondern beschränkt: Das objektiv verfügbare Wissen, bestimmt durch den Bestand bewährter Gesetzmäßigkeiten über die soziale Realität und die Möglichkeiten einer Prognose der Folgen einer politischen Handlung, ist limitiert, unvollständig und oft zweideutig
Die bekannten Gesetzmäßigkeiten sind nicht nur als (im technologischen Sinne) Freiheitsgrade, sondern, da sie bestimmte Klassen (logisch) möglicher Ereignisse ausschließen, als Beschränkungen anzusehen, welche der politischen Planung für Problemlösungen auferlegt sind.
Vollkommene Voraussicht (noch unbekannter) zukünftiger Ereignisse ist eine „contradictio in adjecto", also (aus logischen Gründen) unmöglich Eine Entscheidung wird niemals auf Grund einer vollkommenen Kenntnis der „wahren Welt" gefällt, sondern auf Grund der Vorstellungen des Entscheidungssubjektes von der Außenwelt Damit wird die dritte Grenze politischer Rationalität, das Problem der Realisierbarkeit, deutlich.
Das Problem der Realisierbarkeit politischer Rationalität hat außer dieser wissenschaftslogischen noch eine sozio-kulturelle Dimension: Rationale Politik kann nur dann betrieben werden, wenn man das Problem der logischen Möglichkeit eines utopischen Funktionsideals einer Gesellschaftsordnung strikt von dem soziologischen Problem der Realisierbarkeit trennt. Während zum Beispiel im klassischen Liberalismus die Hoffnung auf eine ideale Gesellschaft aus einer ontologischen Deutung des Seienden abgeleitet wurde, geschieht ein Gleiches im Marxismus durch Ontologisierung des Werdenden. Beide Auffassungen unterdrücken dabei die (fortlaufende) Existenz von Konflikten und Widersprüchen, von Risiko und Unsicherheit und der faktischen Strukturiertheit konkreter und komplexer Sozialverbände, wie sie z. B. die hochindustrialisierte Bundesrepublik Deutschland darstellt. Wer die „Ergebnisse und Methoden des wissenschaftlichen Denkens für die Lösung politischer Probleme fruchtbar machen will, wird (daher) davon ausgehen müssen, daß die Gesellschaft keine tabula rasa ist, die man auf politischem Wege mit beliebigen Mustern versehen kann, sondern daß jede politische Aktion einen Eingriff in mehr oder weniger stark strukturierte soziale Situationen involviert und daß man dabei gut daran tut, das Institutioneile a priori in Rechnung zu stellen, durch das diese Situationen geprägt sind, nicht weil es sich hier um unabänderliche soziale Tatbestände handeln würde, sondern weil darin auf jeden Fall Einschränkungen für mögliche Änderungen liegen, die eine realistische Politik berücksichtigen muß" 2. Rationale Reformpolitik gegen „AlternativRadikalismus"
Die Verkennung, das Leugnen dieser Grenzen der sozialen Gestaltungsfreiheit führt oft zu einem utopischen oder konservativen Alternativ-Radikalismus, für den nur die abstrakten Alternativen in Frage kommen, „einerseits das bestehende System mit all seinen Schwächen und andererseits ein vollkommen verändertes System, dessen Zustandekommen eine Umwälzung aller Verhältnisse erfordern würde, wenn man einmal vom Realisierbarkeitsproblem abstrahiert. Die Bewertung dieser beiden Alternativen ist bei den Radikalen und den Konservativen naturgemäß verschieden. Die einen sehen nur die Fehler des bestehenden Systems und plädieren, da sie sich um das Realisierbarkeitsproblem wenig scheren und die Kosten außer acht zu lassen gewohnt sind, für den radikalen Umsturz. Die anderen sehen den utopischen Charakter der radikalen Alternative und die Kosten eines Versuchs, sie zu verwirklichen, und geben sich daher lieber mit dem bestehenden System zufrieden. Die einen werden daher durch ihren Alternativradikalismus zur totalen Kritik verleitet, die anderen durch die gleiche Denkweise zur totalen Anerkennung des gegenwärtigen Zustandes"
Vom Standpunkt des Kritischen Rationalismus muß diesen Denkweisen die faktische Mißach-tung der Bedingtheiten menschlichen Handelns, die unkritische Haltung gegenüber den Grenzen, aber auch den Möglichkeiten politischer Rationalität vorgeworfen werden. Darüber hinaus ist die Auffassung, erst der Plan einer vollkommenen Gesellschaft mache rationate Reformpolitik möglich oder nicht erforderlich, nicht nur irrational, sondern zur Maxime politischen Handelns erhoben auch gefährlich als Quelle der Gewalt und Unterdrückung« Glaubt man daher, keine politische Gruppe, kein einzelner habe das Recht, anderen die eigenen Ziele aufzuzwingen, ist man der Meinung, daß die Pluralität der Anschauungen schätzenswertes Gut einer humanen Ordnung ist, und hält man die rationale Auseinandersetzung über die Beseitigung konkreter Ungerechtigkeiten und Mißstände für fruchtbarer als den Streit über abstrakte Zukunftsvisionen, will man lieber die Ursachen menschlichen Unglücks beseitigen als über die Bedingungen menschlichen Glücks philosophieren, so hat man mit dem Kritischen Rationalismus ein methodisches Prinzip zur Veränderung der Gesellschaft Der Kritische Rationalismus will „die praktischen Probleme unserer Zeit mit Hilfe jener theoretischen Methoden . .. behandeln, die im Grunde allen Wissenschaften gemeinsam sind: mit Hilfe der Methode von Versuch und Irrtum, der Methode der Erfindung von Hypothesen, die sich praktisch überprüfen lassen, und mit Hilfe ihrer praktischen Überprüfung. Eine Sozialtechnik ist vonnöten, deren Resultate durch schrittweises soziales Bauen überprüft werden können" Diese Methode ist nicht so einfach, wie es erscheinen mag.
Das eine Problem liegt darin, daß jeder, der politisch handeln will, zunächst einer Legitimation bedarf. Diese wird in einer Demokratie durch Auswahl von Personen in einem Wahlentscheid erworben. Der politisch Handelnde kann dadurch aber in ein Dilemma geraten, das Helmut Schmidt z. B. darin sieht, daß Politiker einerseits für neue Ziele werben und gleichzeitig den eigenen Ideen kritisch gegenüber stehen sollten
Ein anderes Problem ergibt sich daraus, daß es kaum möglich ist, eine Hypothese über soziale Folgen einer politischen Handlung eindeutig zu falsifizieren, weil sich im Geflecht sozialer Beziehungen die kausalen Zusammenhänge oft nicht eindeutig genug herausarbeiten lassen.
Schließlich muß man erkennen, daß immer nur die Überprüfung möglicher Handlungsfolgen, nie aber die Entscheidung für eine bestimmte Handlungsweise gänzlich rational sein kann. Popper sagt hierzu in der Antwort auf eine Kritik von Lord Boyle: „Ich glaube, daß Lord Boyle recht hat, wenn er sagt, daß ich, als ich die Rationalität von Vorschlägen betonte, nicht hätte auslassen dürfen, ebenso zu betonen — wie er es jetzt tut —, daß, wie rational ein Vorschlag — in einer Arbeitsgruppe etwa — auch immer diskutiert werden mag, so doch prinzipiell eine Entscheidung, ihn anzunehmen, ebensowenig aus der Diskussion folgen kann wie eine Norm aus einer Tatsache: Die Entscheidung muß . gefällt'werden. Ich hätte dieses betonen sollen, und gleichzeitig den Unterschied zwischen irrationalen Entscheidungen, die ohne Anhörung kritischer Argumente gefällt werden, und solchen rationaleren Entscheidungen, die gefällt werden, nachdem eine faire Anhörung aller bekannten Argumente gegen sie stattgefunden hat." „Ich habe betont", so verteidigte sich Popper, „daß der rationale Politiker ein wachsames Auge für die unvorhergesehenen und unbeabsichtigten Konsequenzen seiner Entscheidungen haben muß; aber dieses ist nicht genug, um zu zeigen, daß, unvermeidlicherweise, ein Element von Freiheit in der Entscheidungsfindung enthalten ist. Aber diese Freiheit kann den Unterschied zwischen der Rationalität kritischer Entscheidungsfindung einerseits und irrationalistischem , Dezisionismus'andererseits nicht fortwischen oder im geringsten beeinflussen, d. h.den Unterschied zwischen der Forderung nach größter Anstrengung, so weit wie möglich das, was wir tun, vorauszusehen und zu beurteilen auf der einen Seite und im Gegensatz dazu der Behauptung, daß Entscheidungen dank der Unmöglichkeit, sie aus rationalen Diskussionen abzuleiten, immer und in gleicher Weise irrational seien." Obwohl die politischen Entscheidungen selber, logisch gesehen, nicht rational sind, so gibt es doch insofern eine rationale Politik, d. h. eine Politik, die sich rationaler Entscheidungsprozesse — im Sinne von Entscheidungsvorbereitungen — bedient.
Die Bedeutung des Kritischen Rationalismus bezieht sich insofern weniger auf die Inhalte der Politik, weder auf die Wertentscheidung noch auf die politischen Vorschläge im einzelnen, sondern auf die Prozesse, in denen diese gewonnen, diskutiert und überprüft werden.
Davon gibt es allerdings eine entscheidende Ausnahme. Dies ist die Forderung nach Freiheit der Argumentation. Freiheit ist konstitu- tiv für eine kritisch-rationale Entscheidungsfindung. Freie, unabhängige Argumentation berührt oft intensive Interessen von einzelnen und Gruppen. Es ist nicht von ungefähr, daß sich der heißeste politische Kampf in Demokratien in und um die Informationsmedien abspielt. Jegliche Machtballung ist dieser Freiheit gefährlich. Die Sicherung einer rationalen Politik kann also nur durch Maßnahmen der Machtentbaliung und, wo dieses aus der Sicht konkurrierender Ziele nicht sinnvoll ist, der Machtkontrolle (Polizei, Regierung, Parlament) erreicht werden. Die sicherste politische Strategie zur Verteilung und damit Entschärfung von Macht liegt in einer Politik der Gleichheit, wenn man es für richtig hält, daß Machtentfaltung durch Ungleichheit von Einflußmöglichkeiten gestärkt wird. Analog zur Vorstellung, daß neue Ideen strenger Prüfung durch Argumente unterzogen werden sollen, sollten alte Institutionen ihre Existenz ständig neu legitimieren müssen. Beides wäre ein aus der Sicht der Verteilung von Einflußchancen äußerst egalitäres Element. Insofern kann kein Kritischer Rationalist konservativ sein, wenn er neue Ideen ebenso kritisch prüft wie alte Privilegien. Ableitbar aus der politischen Philosophie des Kritischen Rationalismus ist also eine Politik für die Freiheit und soviel Gleichheit, daß die Freiheit erhalten werden kann. Eine Gleichheitspolitik aus dem Motiv der Gerechtigkeit ist möglich und von uns gewünscht, aber als Wertentscheidung aus dem Wissenschaftsgedanken des Kritischen Rationalismus nicht ableitbar. „Aufgabe der Wissenschaftler ist das Aufspüren von Fehlern im Handeln und Denken der Menschen, von Mißständen im sozialen Leben, von Mängeln in Wissenschaft und Praxis, ist ferner die Analyse ihrer Ursachen, Entstehungsbedingungen und Auswirkungen und ist schließlich die Suche nach Mitteln und Wegen zu ihrer Beseitigung."
Mehr, das sollte man deutlich sagen, kann aus der einmal getroffenen nicht-rationalen Entscheidung für den Kritischen Rationalismus als Erkenntnis-und Handlungsmaxime nicht rational abgeleitet werden. Politische Inhalte und Werte müssen gesetzt werden. Informationen und Argumente können den Entscheidungsprozeß, jedoch nicht die Entscheidung selbst rationalisieren. Deshalb können auch bei gleichem Vorverständnis unterschiedliche Wertungen und Zielsetzungen bei verschiedenen Personen möglich sein. „Es kann hingegen nach Auffassung des Kritischen Rationalismus nicht Zweck der Wissenschaft sein, eine Lehre zu entwickeln, die konkret angibt, was das Wohl der Menschheit sei, und die die Verwirklichung dieses Wohles fordert." 3. Einige Bemerkungen zum Wertproblem Unbestreitbar ist, daß der Kritische Rationalismus, nachdem für verantwortliches Handeln der feste Halt der Religion verloren gegangen ist, nun auch die Stütze der Gewißheit durch Wissenschaft abbaut. Diese umfassende kritische Relativierung birgt eine Gefahr: „Kritisch-rationales Denken kann die Notwendigkeiten oder die Neigungen des Menschen zur Transzendenz inhaltlich nicht bestimmen und befriedigen." Aber daß der Mensch Normen setzen kann, die das gesellschaftliche Leben frei und lebenswert gestalten, ist unbestritten und tröstlich: „Der Mensch hat neue Welten geschaffen — die Welt der Sprache, der Musik, der Dichtung, die Welt der Wissenschaft. Und die bedeutendste von ihnen ist die Welt der moralischen Forderungen — der Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und nach Hilfe für die Schwachen." Weil der Mensch diese Welt geschaffen hat, trägt er für sie auch die Verantwortung; und weil die Wissenschaft keine Werte setzen kann, sondern nur der* einzelne selbst, können auch Entscheidungen nicht durch Wissenschaft allein gewonnen werden. Kritisch rationale Philosophie kann deshalb auch nicht, wie ihr in unqualifizierter Weise z. B. von dem DDR-Marxisten Harald Wessel vorgeworfen wird, „opportunistisch" sein, denn sie hat keine Entscheidungen zu fällen; Menschen dagegen können bei der Setzung ihrer Werte und bei der Wahl ihrer Entscheidungen sehr wohl opportunistisch sein. Diese Gefahr ist aber für alle Wertsysteme wohl gleich groß, sei es beim Entwurf, sei es bei der Interpretation — den Marxismus nicht ausgenommen (oder sollten wir Lenins wechselnde Interpretation der Marxschen Lehren so mißverstanden haben?).
Auch aus einem anderen Grund ist die Haltung des Kritischen Rationalisten nicht bequem. Er entläßt den Menschen nicht, wie es für Ideologien typisch ist, aus der Verantwortung für die eigene Wertentscheidung durch die Vorgabe eines „offenbarten" Wertsystems. Untätigkeit kann nicht etwa auf ein „System", z. B. auf den unpersönlichen Adressaten „Kapitalismus", geschoben werden. Änderungen können nicht etwa vom „notwendigen" Verlauf der Geschichte erwartet werden. Wer Veränderungen will, muß selbst damit anfangen zu verändern; die Verantwortung nimmt ihm keine höhere Wertinstanz ab. 4. Kritischer Rationalismus und politische Planung Poppers „piece-meal social engineering", nicht ganz glücklich übersetzt mit „Stückwerktechnik", wird vielfach angesehen als Politik der kleinen Schritte. Diese Interpretation wollen wir uns aber, wenn dabei der Nachdruck auf klein liegen sollte, nicht zu eigen machen. Es geht nicht darum, daß die Schritte klein sind, sondern daß jeweilige Änderungen schrittweise herbeigeführt werden, derart, daß die Auswirkungen von Maßnahmen vorher abgeschätzt und nachher überprüft werden können. und überprüft kannhier — das soll noch einmal betont werden — nicht im Sinne von strenger Prognose und strenger Falsifikation verstanden werden, sondern bedeutet vielmehr: Das Reform-„Stück" muß ab-grenzbar genug sein, um genügend Anhaltspunkte für Argumente zu liefern, die einen rationalen Entscheidungsprozeß ermöglichen und einen Erfolg oder Mißerfolg bestimmbar machen. Wenn eine Vielzahl großer Änderungen gleichzeitig durchgeführt wird (revolutionäre Beschleunigung), sind gute und schlechte Maßnahmen nicht mehr zu identifizieren. Ohne Erfolgskontrolle gibt es aber keinen Lernerfolg. Die genauen Ursachen für Fehler wären nicht erkennbar, die Fehler könnten nicht angemessen korrigiert werden. Rationale Politik würde damit unmöglich.
Es geht also nicht um absolut geringe Änderungen, sondern Veränderungen müssen gering sein im Verhältnis zur gesellschaftlichen Totalität. Veränderungserfolge und -mißerfol-ge und die verursachenden Maßnahmen müssen kausal zugeordnet werden können. Kritische Rationalisten sind deshalb nicht planungsfeindlich, wie ihnen dies oft nachgesagt wird, höchstens hängen Kritische Rationalisten keinem Planungsaberglauben an Planungsprozesse können mehr oder weniger rational sein. Nicht Pläne selbst — auch nicht weitgreifende — sind häufig ein Problem aus der Sicht einer kritisch-rationalen Haltung, sondern die Zuordnung von Verantwortung bei Erfolg oder Mißerfolg in einer Planungsbürokratie (sowohl im Bereich von Politik wie von Verwaltung). Politiker und Beamte sind oft versucht, die Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen. Das Ideal scheint manchmal zu sein, viele Projekte auf viele Verwaltungsebenen mit Beteiligten aller Parteien so zu verteilen, daß keiner seine Vorstellung durchsetzen kann, niemand eine Mehrheit (die verantwortlich macht) erhält, alle einbezogen sind und jeder den „anderen" glaubwürdig als Schuldigen vorweisen kann. Wenn negativ betroffene Bürger sich dann wehren wollen, finden sie oft keine entscheidungsrelevanten Adressaten. Wenn aber das Sanktionsrisiko fehlt, besteht kein ausreichender Mechanismus zur Revision von Fehlentscheidungen. Die oft typischerweise folgende Rechtfertigungsphase muß mit Mißtrauen beobachtet werden.
Kritisch-rationale Haltung wendet sich aber nicht gegen Planung, solange die Beweislastregelung für planerische Eingriffe in die freie Entscheidung der Bürger nicht durch Planungsfetischismus aufgehoben wird. Es wird zunehmend wichtig, Planer zu fragen, was, wann, zu und unter wessen warum, wessen Gunsten Verantwortung geschehen soll. Daß planvolles Handeln an Synonym für rationales Handeln ist, bleibt davon unberührt.
III. Kritischer Rationalismus und Sozialdemokratie
In einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Buch „Kritischer Rationalismus und Sozialdemokratie'1 kommt Warnfried Dettling zu dem Schluß: „Man kann nicht beides zugleich haben: den kritischen Rationalismus und das Godesberger Programm." Das, meint er, hätten die Autoren gemerkt, wenn sie das Godesberger Programm mit den Grund-positionen des Kritischen Rationalismus verglichen hätten. Dann hätte sich, so Dettling, gezeigt, daß sich im Godesberger Programm offen oder versteckt, explizit oder implizit, jeder Topos wiederfände, den Karl R. Popper und andere ihrer Kritik unterzogen hätten. Er führt dabei an: „Geschichtsglaube und teleologische Geschichtserfassung, Monopolanspruch auf . wahre'Demokratie, Manifestationstheorie der Wahrheit und Verschwörungstheorie des Irrtums, Privilegierung der Möglichkeit zur Erkenntnis der . richtigen'Politik usw."
Dieser These soll hier nur das eine Argument entgegengesetzt werden, daß nämlich demokratische Programme keine logischen Aussagensysteme sein können. Denn politische Aussagen sind Entscheidungen. Entscheidungen werden nicht von Tatsachen abgeleitet, sondern gefällt. Dieses ist kein völlig rationaler Vorgang Und besonders wenn Gruppen Entscheidungen treffen müssen, werden diese in ihrer Summe inkonsistent, weil ihre innere Logik durch Kompromißformeln zerstört wird. Dies wiederholt sich auf dem Wege der Delegation von demokratisch organisierten Parteien mehrfach in Stufen von unten nach oben. Es wäre deshalb Unsinn, politische Programme als logische Aussagesysteme zu postulieren und vorhandene Programme daran zu messen. Programme haben eher Satzungs-oder Vertragscharakter. Sie können nicht so sehr festlegen, was in sich schlüssig getan werden soll, als was nicht gewollt werden darf. Sie haben neben ihrer Mobilisierungsiunktion eher eine Abgrenzungsfunktion. Die politischen Ziele werden durch die sich in diesen Grenzen treffenden Mitglieder einer Partei festgelegt.
Da Mehrheiten in Partei und Gesellschaft nicht geboren werden, sondern durch Koalitionen von Gruppen entstehen, die für sich Minderheiten sind, kann man Programme, die letzt-lieh in diesem Sinne Koalitionspapiere sind, nicht mit logischen Maßstäben der völligen inneren Konsistenz messen.
Es ist daher unserer Auffassung nach ein falscher Ansatz, en detail zu prüfen, ob dieses oder jenes Programm in allen Einzelaussagen kritisch-rationaler Philosophie huldigt; vielmehr muß man prüfen, ob man mit den Koalitionen und Kompromissen dieses oder jenes Programms als Anhänger einer kritisch-rationalen Haltung leben kann. Angesichts der Betonung von Pluralismus und Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität im Godesberger Programm glauben die Autoren, daß dieses möglich ist. Die SPD ist für sie natürlich nicht schlechthin die Partei der Kritischen Rationalisten. Wer aber in dieser Partei für diesen Standpunkt werben will, kann auf viele Personen und Gedanken in der Geschichte dieser Partei zurückgreifen: Es läßt sich eine lange Argumentationskette von den Neukantianern, über Bernstein und die Revisionisten, Georg von Vollmar, die Kant-Fries’sche Schule (Leonard Nelson), bis zu Willi Eichler aufzeigen, die — weiterentwickelt — auf den Kritischen Rationalismus hinweist (nicht hinweisen muß; Gerhard Wesser und seine Schüler wehren sich dagegen
In der neueren sozialdemokratischen Geschichte werden einflußreiche Sozialdemokraten mit den Ansichten des Kritischen Rationalismus in Verbindung gebracht. Helmut Schmidt beruft sich in seiner Einführung zum 1. „Entwurf eines ökonomisch-politischen Orientierungsrahmens für die Jahre 1973 bis 1985" auf die „Stückwerktechnik" — eine Formulierung Poppers Jochen Steffen, der stellvertretende Vorsitzende der ersten Kommission „Orientierungsrahmen" der SPD, schreibt: „Praktisch hat Karl R. Popper mit seiner Vorstellung von der . guten Theorie', die auf . Wenn-dann-Beziehungen'beruht und Prognosen im . Wenn-dann-Sinne'stellt, als geistig-methodischer Vater des Entwurfs gewirkt. Auch wenn es die meisten nicht ge-merkt haben sollten." (Jochen Steffen ist damit allerdings nicht voll einverstanden: „Das ist sicher ein Fortschritt gegenüber einem unreflektierten Pragmatismus oder der Methode, die Quersumme der artikulierten Forderungen der organisierten Gruppen in den Rang von Gesellschaftspolitik zu erheben. Es ist kein Ersatz für eine Sozialtheorie, deren Inhalt auch aus Sinngebung und Gestaltungsrichtung besteht . . Heinz Kühn leitet mit einem Popper-Zitat sein Vorwort zu den Beiträgen sozialdemokratischer Theoriediskussion ein
Die Autoren sind nicht nur Anhänger der Erkenntnistheorie des Kritischen Rationalismus, sondern sie teilen auch die ethischen Auffassungen Poppers; sie meinen wie der englische Philosoph und Labourabgeordnete Bryan Magee, „daß der junge Popper wie kein anderer vor und nach ihm eine Theorie ausgearbeitet habe, die die philosophische Grundlage des demokratischen Sozialismus sei" Popper hat seine Erkenntnistheorie als Mitglied der Sozialistischen Partei Österreichs, wenn auch durch den vorherrschenden Austromarxismus frustriert, entwickelt. Als junger Mann stand er zeitweise dem Kommunismus nahe. Das entscheidende Erlebnis, das ihn sich sowohl vom Kommunismus wie vom Marxismus abwenden ließ, war ein Versuch von jungen unbewaffneten Sozialisten, von Kommunisten angetrieben, einige Kommunisten aus dem Polizeipräsidium von Wien zu befreien. Mehrere junge Sozialisten und kommunistische Arbeiter fanden dabei den Tod Er schreibt dazu: „Ich war über die Polizei entsetzt und empört, aber auch über mich. Denn ich hatte das Gefühl, daß ich als Marxist einen Teil der Verantwortung für diese Tragödie trug — zumindest dem Grundsatz nach. Marxistische Theorie verlangt, daß der Klassenkampf intensiviert werden muß, um das Heraufbrechen des Sozialismus zu beschleunigen. Ihre These ist die, daß — obwohl die Revolution Opfer verlangen möge —, der Kapitalismus mehr Opfer fordere als die ganze Sozialistische Revolution. Das war die marxistische Theorie — ein Teil des sogenannten wissenschaftlichen Sozialismus. Ich fragte mich nun, ob eine solche Rechnung jemals von der . Wissenschaft'unterstützt werden konnte."
Popper zog aus dieser Erfahrung Konsequenzen: „Ich hatte einen gefährlichen Glauben unkritisch-dogmatisch angenommen." Dies war ihm Anlaß für seine erkenntnistheoretischen Studien. Nach einigen Jahren glaubte er, den Kern der marxistischen Argumentation in der historischen Prophezeiung verbunden mit dem Appell an das moralische Gesetz „Hilf das Unvermeidliche herbeizuführen" gefunden zu haben. Dennoch veröffentlichte er seine Kritik nicht, weil Antimarxismus im damaligen Österreich schlimmer war als Marxismus. Da die Sozialdemokraten Marxisten waren, war Anti-Marxismus nahezu identisch mit den autoritären Bewegungen, die später Faschisten genannt wurden. „Natürlich", so schreibt Popper, „sprach ich darüber mit Freunden. Aber erst 1935, sechzehn Jahre später, begann ich über den Marxismus zu schreiben mit der Absicht, das, was ich schrieb, zu veröffentlichen." In der Folge entstanden zwischen 1935 und 1943 „Das Elend des Historizismus" und „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde".
Angesichts dieses geistigen Prozesses kann man nicht widersprechen, wenn Willy Hochkeppel sagt: „Denn daran muß vorab doch noch einmal erinnert werden: Popper hat sich entschieden stets als einen Liberalen, im britischen Verstände des Wortes, gesehen, und es ist der Liberalismus, unabhängig von einer parteipolitischen Gestalt des Liberalismus, für den er eintritt und mit dem übrigens seine gesamte Philosophie auch nur in Zusammenhang gebracht worden ist."
Nach der Ansicht der Autoren hat nun gerade die Arbeiterbewegung — im wesentlichen repräsentiert durch Sozialdemokraten — und nicht der Partei-Liberalismus im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik das meiste für den wahren Liberalismus, nämlich den Liberalismus des undogmatischen Fortschritts in Freiheit (so wird dieser Begriff im britischen Wortverständnis benutzt), getan und erreicht, Sicher ist es nicht zufällig, wenn erst der sozialdemokratische Bundespräsident Gustav Heinemann mit besonderem Nachdruck die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen auf die großen liberalen Werte und Traditionen der 48er Revolution — dieser bürgerlich-liberalen Erhebung — gelenkt hat. Es wäre auch eine Überforderung der Parteiliberalen, zu verlangen, sie sollten mit dem Geld der Privilegierten die Privilegien der Privilegierten antasten
Kritisch-rationale Haltung und die aus ihr resultierende „Stückwerktechnik''in der politi4) scheu Praxis sind im übrigen durchaus vereinbar mit der moralischen Entschiedenheit, die als das positive Erbe von Marx die sozialistische Idee so nachhaltig geprägt hat: „Es ist dieser moralische Radikalismus Marxens, der seinen Einfluß erklärt, und das ist, für sich genommen, eine Tatsache, die zu Hoffnungen Anlaß gibt. Dieser moralische Radikalismus ist noch immer lebendig. Es ist unsere Aufgabe, ihn lebendig zu erhalten, ihn davor zu bewahren, daß er den Weg geht, den der politische Radikalismus wird gehen müssen. Der . wissenschaftliche'Marxismus ist tot. Sein Gefühl für die soziale Verantwortlichkeit und seine Liebe für die Freiheit müssen weiterleben.