Die Welt im 21. Jahrhundert hat sich radikal verändert. Die Voraussage des Medientheoretikers Marshall McLuhan, dass die Welt zum Dorf wird, ist längst Realität.
Die Angst verbreitet sich rasch: Bürgerinnen und Bürger geben sich ihr hin und schaffen Feindbilder mit Behauptungen, die jeder Grundlage entbehren. Politikerinnen und Politiker werden zu "Volksverrätern" erklärt, und Journalistinnen und Journalisten gehören der "Lügenpresse" an. Dieser Transformationsprozess und seine Auswirkungen auf die Amtsführung sollen im Folgenden beleuchtet werden. Dabei verdeutlicht ein Blick auf vergangene Medienskandale: Zwar sind Falschmeldungen und Lügen gewiss keine neuen Phänomene; neu aber ist ihre schnelle und crossmediale Verbreitung.
Mediales Theaterspiel aus Empörung, Angst und Rettung
Kommunikation ist nicht nur schneller geworden, sondern auch zunehmend emotionalisiert und zugleich weniger faktenbasiert. Beim Kurznachrichtendienst Twitter, in dem etwa auch US-Präsident Donald Trump seine Informationspolitik betreibt, erlebt man in 140 Zeichen den neuen Erregungszustand. Das Internet ist zur schnellsten Reiz-Reaktions-Maschine geworden.
Anfang der 1980er Jahre sorgte der US-Ingenieur Robert Kahn, der die technologischen Grundlagen für das Internet konzipierte, dafür, dass das amerikanische Verteidigungsministerium rund eine Milliarde Dollar in ein zehnjähriges Forschungsprogramm zur Entwicklung der künstlichen Intelligenz investierte. Er hielt damals fest, dass "die Nation, die das Feld der Informationsverarbeitung dominiert, den Schlüssel zur Weltherrschaft im 21. Jahrhundert besitzen wird".
"Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" lautet ein bekanntes Diktum des preußischen Offiziers Carl von Clausewitz. Nach Clausewitz muss man einen Feind benennen, um die eigenen Reihen zu schließen. Seine Strategeme sahen folgende Instrumente in der Kriegsführung vor: den Überraschungseffekt, das Anfallen von mehreren Seiten her, die Inszenierung eines Kriegstheaters, die Einbeziehung des Volkes sowie die Benutzung großer moralischer Kräfte. Diese Überlegungen mögen alt sein, doch das Schema wird heute noch genutzt – mit neuen technischen Mitteln: Populisten suchen mit ihren Meldungen einen Überraschungseffekt durch eine Provokation oder Falschmeldung zu erzielen, ihre Anhänger nehmen die Nachrichten auf und tragen sie bis zur Empörungswelle durchs Netz. Weil Fehlverhalten und Skandale Empörung und dadurch Aufmerksamkeit versprechen, werden sie zu einem probaten Mittel, Nachrichten zu generieren.
Die Populisten selbst werden zu einem Medienereignis. Sie verweisen auf die Stimmung im Volk, die sie selbst erzeugt haben, und inszenieren sich vor einem Millionenpublikum als Retter des Vaterlandes.
Es stellt sich die Frage, wie dieses Reiz-Reaktions-Schema der Medienlogik durchbrochen werden kann. Die Gesellschaft befindet sich, ganz nach dem Pawlowschen Experiment, bei dem der Glockenton und nicht mehr das Futter den Speichelfluss beim Hund auslöst, in einer Konditionierungsfalle. Der Physiologe Iwan Pawlow fand auch heraus, dass der Speichelfluss beim Hund mit der Zeit zurückging, wenn der Glockenton nicht durch andere Assoziationen an Futter verstärkt wurde. Dies lässt sich auf die beschriebene Informationsspirale übertragen: Die Nachrichten müssen durch Zuspitzung, Gerüchte und Emotionalisierung immer weiter aufgewertet werden. Die Populisten nutzen die dem Pawlowschen Phänomen entsprechende Medienlogik für sich, und Donald Trump ist ihr Meister.
Zum probaten Mittel in der medialen Auseinandersetzung sind die sogenannten Fake News geworden: Quelle und Autorenschaft werden hierbei weder hinterfragt noch überprüft. In "postfaktischen Zeiten" ist der Wahrheitsgehalt einer Nachricht unwichtig. Die neue Währung in der Aufmerksamkeitsspirale des Netzes ist die Empörung. Der Wahrheitsgehalt bleibt dabei auf der Strecke.
Auch in der Bundesrepublik waren Politikerinnen und Politiker in jüngster Zeit im Fokus von Fake News. So wurde etwa auf Facebook Ende 2016 ein Mord an einer Frau in Freiburg genutzt, um die Bundestagsabgeordnete Renate Künast mit einem frei erfundenen Zitat zu verunglimpfen. Das gefälschte Zitat – "Der traumatisierte Junge [sic] Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen" – machte im Netz umgehend die Runde und löste in der Diskussion um die Flüchtlingspolitik eine Welle der Empörung aus. Als Quelle wurde die "Süddeutsche Zeitung" genannt.
Der Fall Künast verdeutlicht, dass der Reiz in der Medienlogik über der Information steht. Doch Falschaussagen, Verleumdungen und Lügen hat es in der Vergangenheit immer gegeben, und es wird sie auch in der Zukunft geben. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich bei großen gesellschaftlichen Umwälzungen immer mediale Diskurse, Entgleisungen und neue Machtstrukturen Bahn brechen. Schon die erste deutsche Demokratie begann mit einem Medienskandal, aus dem eine Verleumdungskampagne der antidemokratischen Kräfte erwuchs.
Abbildung 1: "Berliner Illustrirte Zeitung", Titel der Ausgabe vom 24. August 1919 (© Albrecht & Thron/©MaRo)
Abbildung 1: "Berliner Illustrirte Zeitung", Titel der Ausgabe vom 24. August 1919 (© Albrecht & Thron/©MaRo)
Als die erste Republik baden ging
Am Tag der Vereidigung des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, veröffentlichte die "Berliner Illustrirte Zeitung" (BIZ) am 21. August 1919 ein ungewöhnliches Titelfoto: Es zeigte den ersten Demokraten im höchsten Staatsamt und Reichswehrminister Gustav Noske in Badehosen (Abbildung 1). Die Fotografie, die als "Badebild" in die Geschichte einging, schockierte nicht nur die Bevölkerung, sondern hatte auch ungeahnte Folgen für die abgelichteten Personen.
Schon damals kämpften die verschiedenen Verlagshäuser um die Gunst der Leserinnen und Leser. Die Verlage mussten, wenn sie höhere Gewinne machen wollten, durch spektakuläre Geschichten, Fotos oder Skandale ihre Auflagen erhöhen. Der damalige Chefredakteur der BIZ, Kurt Korff, schrieb 1927 über den Umgang mit Fotos: "Nicht die Wichtigkeit des Stoffs entschied über die Auswahl und Annahme von Bildern, sondern allein der Reiz des Bildes selbst."
Zu dieser Zeit trugen Männer für gewöhnlich noch Badeanzüge. Die beiden Politiker waren jedoch de facto nackt. Zudem sah die hungernde und leidende Bevölkerung nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg einen gut genährten Sozialdemokraten. All das gab Anlass zu Spott und Häme. Es folgten zahllose Verunglimpfungen von Gegnern der Republik. Sie nutzten das Bild für Artikel, Postkarten, Karikaturen und Bücher. Die "Deutsche Tageszeitung", die das Foto bereits Tage zuvor in einer Beilage veröffentlicht hatte, kommentierte: "Mitte Juli weilten die Herren Reichspräsident Fritz Ebert und Reichswehrminister Noske auch einige Tage im Ostseebade Haffkrug bei Travemünde. In Ausübung ihrer hohen Machtvollkommenheiten dispensierten sie sich von der dort herrschenden Vorschrift, nur im Kostüm zu baden, stellten der Welt ihre ganze Mannesschönheit zur Schau und veranlassten in animierter Stimmung die Fixierung der nebenstehend wiedergegebenen Szene auf eine photographische Platte. Nachträglich kamen ihnen doch Bedenken über die Abzüge. Herr Ebert hatte indes die Freundlichkeit, uns eine Kopie zur Verfügung zu stellen, weil er in ihrer Wiedergabe mit Recht eine treffliche Propaganda für das neue Regime und für seine Person erblickt."
Der Tathergang war ein anderer gewesen. Der Büroleiter des Reichspräsidenten, Rudolf Nadolny, hielt in seinen Aufzeichnungen fest, dass Ebert und seine Begleiter nach einem Besuch in Hamburg weiter nach Haffkrug gefahren waren, um ein Waisenhaus zu besuchen. Nach der Besichtigung habe jemand angeregt, noch ein Bad in der Ostsee zu nehmen. Während sie badeten, sei der Fotograf noch einmal vorbeigekommen und habe vorgeschlagen, noch ein Bild zu machen.
Das Vertrauen, das Ebert dem Fotografen entgegenbrachte, wurde ihm zum Verhängnis. Die Amtswürde des Reichskanzlers wurde durch ein – nach damaligen moralischen Standards – unangemessenes Verhalten schwer beschädigt. Nach der Veröffentlichung fehlte es ihm an einer klugen Medienstrategie, um den Skandal in den Griff zu bekommen. Stattdessen befeuerte er selbst die Auseinandersetzung um das Foto. Immer wieder verklagte er seine Gegner vor der monarchisch eingestellten Justiz, die im sprichwörtlichen Sinne auf dem rechten Auge blind war. Gegen die Verwendung des Badebildes stellte der Reichspräsident in seiner Amtszeit 173 Strafanträge, mit denen er versuchte, die Würde seines Amtes und der Demokratie wiederherzustellen. Vergeblich: 1925 verstarb Ebert während seines letzten Strafprozesses.
Ebert war während seiner gesamten Amtszeit mit Falschmeldungen konfrontiert. Auch er beschäftigte sich mit der Berichterstattung in der Presse, doch nach der Verantwortung der Medien fragte er nie. Ein Diskurs über die Medienethik hätte der jungen Republik geholfen, denn das "Badebild" hatte keinen Informations-, sondern ausschließlich einen Sensationsgehalt. Eine andere Badeszene sorgte auch in der jüngeren deutschen Geschichte für Schlagzeilen und ruinierte die Karriere eines Spitzenpolitikers.
Politik als Inszenierung
Trotz seiner steilen politischen Karriere konnte Rudolf Scharping sein Image als "Sandmännchen" nie ganz ablegen.
Als Verteidigungsminister im ersten Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder war er der erste Sozialdemokrat, der den Einsatz von Waffen befahl – im März 1999, als die NATO in den Kosovo-Konflikt eingriff. Aus dem "Sandmännchen" war in den Medien nun der "Feldherr" geworden.
So ließ sich Scharping im August 2001 mit seiner neuen Lebensgefährtin Kristina Pilati, die er bei Hunzingers "Politischem Salon" kennengelernt hatte, im Pool auf Mallorca für die Titelseite der Publikumszeitschrift "Bunte" ablichten (Abbildung 2).