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Die NS-Vergangenheit deutscher Behörden | Das Amt | bpb.de

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Die NS-Vergangenheit deutscher Behörden

Christian Mentel Niels Weise

/ 14 Minuten zu lesen

Manche Frage erinnert an die Spitze eines Eisbergs. Im April 2005 fragte ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages die Bundesregierung: "In welchen Bundesministerien hat eine bzw. hat noch keine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit stattgefunden, und auf welche Weise ist diese jeweils erfolgt?" Im Namen der Regierung antwortete das Innenressort, die Bundesministerien verfügten aufgrund ihrer Gründung in den Jahren ab 1949 über keine "nationalsozialistische Vergangenheit", die der "Aufarbeitung" bedürfe. Zwar hätten "leider in einigen Fällen" Personen Zugang zu öffentlichen Ämtern erhalten, die aufgrund ihrer NS-Vergangenheit "ungeeignet" gewesen seien, aber dies sei bereits "Gegenstand umfassender historischer Untersuchungen geworden".

Dies stand in deutlichem Widerspruch zur Auffassung des Auswärtigen Amts (AA) und des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Hier hatte man sich nämlich bereits angeschickt Historiker zu beauftragen, um die eigene NS-Vergangenheit untersuchen zu lassen. Denn die Frage, inwiefern verstorbene ehemalige Beschäftigte, die bereits in der NS-Zeit im Staatsdienst standen, weiterhin mit Nachrufen geehrt werden sollten, hatte die Aufmerksamkeit schon längst auf die Kontinuitätslinien zwischen den Behörden des NS-Staats und denen der Bundesrepublik gelenkt. Während für Außenminister Joschka Fischer feststand, "dass die Frage von geschichtlicher Kontinuität und Diskontinuität im AA nicht geklärt" sei, sah Innenminister Otto Schily für sein Haus hingegen keine Veranlassung, "eine historische Untersuchung vorzunehmen, die dem Eindruck Vorschub leistet, dass es hier eine Kontinuität gibt".

Zwölf Jahre später mutet diese Frontstellung seltsam antiquiert an. An die 20 Bundesministerien und nachgeordnete Behörden haben seither einschlägige Forschungsprojekte mit vielen Millionen Euro finanziert und werden dies auch in den kommenden Jahren tun. Selbst das sich noch jahrelang sperrende Bundesinnenministerium lässt mittlerweile erforschen, welche Kontinuitäten es mit der NS-Zeit verbinden. Bei diesem wie allen anderen Projekten geht es aber keineswegs um das wissenschaftlich unergiebige reine "Zählen von Nazis". Eine solche quantitative Erfassung von Parteimitgliedern und anderen NS-Belasteten dient vielmehr als Datengrundlage für weitergehende Analysen. Dass die Zahl von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern in Behörden in den 1950er Jahren mitunter deutlich höher war als in den 1930er Jahren, ist seit Langem bekannt. Erforscht wird jetzt vor allem, wie sich dies konkret auf das Amtshandeln auswirkte. Zudem macht sich die Forschung verstärkt daran, die Mechanismen und Prozesse zu untersuchen, mit denen auch schwer belastete Personen sich in die beiden deutschen Gesellschaften integrierten beziehungsweise integriert wurden.

Das steigende Bedürfnis, Klarheit über die Rolle der Behörden im NS-Staat zu erhalten und sich mit dem Tun der bald nach Kriegsende massenhaft wieder eingestellten Mitarbeiter und wenigen Mitarbeiterinnen zu befassen, machte deutlich, dass zu vielen Aspekten weder in der Breite noch in der Tiefe wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse vorlagen. Die Gelder, die daraufhin von mehr und mehr Behörden zur Verfügung gestellt wurden, führten alsbald zu einem regelrechten Boom der Behördenforschung. Dabei handelt es sich jedoch nicht um herkömmliche Forschungsprojekte wie beliebige andere auch. Zwar füllen auch diese Projekte Wissenslücken beispielsweise zum Ausmaß der Teilhabe der Behörden an NS-Verbrechen und verschaffen Aufklärung darüber, welche Traditionen überdauerten, wie das wieder eingestellte Personal die Behörden der Nachkriegszeit prägte und wie mit der NS-Vergangenheit amtsintern umgegangen wurde.

Zugleich dienen die Forschungsprojekte aber auch der geschichtspolitischen Standortbestimmung der Behörden, der Gesellschaft und des Staats insgesamt. Mit der Finanzierung solcher Forschungsarbeiten ist die Botschaft verbunden, dass die Behörden nunmehr Verantwortung übernehmen und ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten. Forschung und Aufarbeitung stehen demnach in einem komplexen Spannungsverhältnis zueinander. Auch wenn sich die jeweiligen Ziele teils überschneiden, sie mitunter voneinander abhängig und die Grenzen zwischen ihnen nicht immer klar zu ziehen sind – beide Seiten folgen unterschiedlichen Logiken. Das moralische Bekenntnis der Aufarbeitung ist nicht mit der methodisch kontrollierten Erkenntnis der Forschung gleichzusetzen, das Gebot des mitfühlenden Erinnerns nicht mit der wissenschaftlichen Tugend des kritischen Infragestellens.

Vorgeschichte

Die aktuelle Konjunktur der Behördenforschung nahm ihren Ausgang 2005. Im Juli, zwei Monate nach der eingangs zitierten Stellungnahme der Bundesregierung, berief das AA als erstes Bundesministerium eine bereits im April angekündigte Unabhängige Historikerkommission. Die Wissenschaftler wurden damit beauftragt, die Geschichte des AA "in der Zeit des Nationalsozialismus, den Umgang mit dieser Vergangenheit nach der Wiedergründung des Auswärtigen Amts 1951 und die Frage personeller Kontinuität bzw. Diskontinuität nach 1945" zu erforschen. Seitdem initiierten zahlreiche weitere Bundesministerien und nachgeordnete Behörden ähnliche Projekte. Ihre Zahl stieg rapide an, nachdem die Historikerkommission des AA 2010 ihren Abschlussbericht "Das Amt und die Vergangenheit" vorgelegt und sich eine kontroverse öffentliche Debatte darum entwickelt hatte. Immer mehr Bundesinstitutionen – zunehmend auch Einrichtungen der Länder und Kommunen – sahen die Notwendigkeit, sich der zumeist im Halbdunkel liegenden eigenen NS-Vergangenheit zuzuwenden und diese weiter ausleuchten zu lassen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die Frage der NS-Vergangenheit von Behörden bundespolitische Bedeutung erlangt, und es wuchs das Bedürfnis nach Orientierung in einem bereits für Fachleute kaum noch zu überblickenden Forschungsfeld. Daher forderten 2011 zwei nahezu wortgleiche Anträge im Deutschen Bundestag, eine "Übersicht über bereits erfolgte Forschungen, laufende Projekte sowie bestehende Forschungslücken" erstellen zu lassen. Nachdem das Parlament im Jahr darauf eine solche Bestandsaufnahme beschlossen hatte, wurde die Studie 2015 am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam erarbeitet. Den in diesem Beitrag zusammengefassten Befunden folgte ein mit vier Millionen Euro dotiertes Forschungsprogramm, das die zuständige Kulturstaatsministerin Ende 2016 ausschrieb und das Vorschläge zu bislang unberücksichtigten Behörden einschließlich des Bundeskanzleramts anregt.

Der seit Jahren anhaltende Boom der Behördenforschung hat Vorläufer. Bereits Ende der 1980er Jahre hatten bundesdeutsche Unternehmen, allen voran der Volkswagen-Konzern, Historiker damit beauftragt, ihre NS-Vergangenheit zu erforschen. Ab den 1990er Jahren folgten Bank- und Finanzhäuser wie die Allianz und die Dresdner Bank und andere nicht- oder halbstaatliche Einrichtungen und Körperschaften in unterschiedlicher Trägerschaft, darunter die Max-Planck-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz oder der Deutsche Fußball-Bund. Entscheidend für den Aufschwung der historischen Auftragsforschung waren die imagegefährdenden Auseinandersetzungen um die Zwangsarbeiterentschädigung, drohende Sammelklagen und der damit verbundene ökonomische Druck auf die Unternehmen; auch der sich zeitgleich vollziehende generationelle Umbruch spielte eine bedeutende Rolle. Seit Mitte der 2000er Jahre tun sich nun vor allem staatliche Stellen als Geld- und Auftraggeber hervor und geben historische Gutachten, Forschungsüberblicke und Studien in Auftrag, unterstützen mit größeren und kleineren Summen einschlägige Forschungs-, Publikations- und Ausstellungsprojekte und berufen mehrköpfige, meist international und hochkarätig besetzte Historikerkommissionen.

Hatte diese Konjunktur ihren Ausgang noch auf der Bundesebene genommen, zogen bald Länder und Kommunen nach. Forschungsprojekte zur NS-Vergangenheit von Abgeordneten der Landtage und Bürgerschaften wurden und werden seit 2009 in Niedersachsen, Hessen, Bremen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Im Auftrag der jeweiligen Landtagsfraktionen der Partei Die Linke entstanden zudem kürzere Ausarbeitungen zu niedersächsischen, nordrhein-westfälischen, hessischen und saarländischen Landtagsabgeordneten. Seit 2014 und 2016 fördern Baden-Württemberg und Bayern Projekte zur Geschichte ihrer Landesministerien vor beziehungsweise nach 1945, und auch große, mittlere und kleine Städte wie etwa München, Münster, das hessische Eschwege und sogar 5000-Seelen-Gemeinden wie das badische Maulburg lassen die Geschichte ihrer Verwaltungen im Nationalsozialismus erforschen.

Projekte der Behördenforschung

Innerhalb des vergangenen Jahrzehnts wurden oder werden rund 20 Forschungsprojekte von obersten Bundesbehörden (vor allem Bundesministerien) und ihren nachgeordneten oberen Bundesbehörden finanziert, weitere – wie etwa zur Bundesbank – sind in Planung. Trotz ihres auf den ersten Blick gleichen Gegenstands lassen sich die Projekte jedoch nur schwer miteinander vergleichen, ja noch nicht einmal die Gesamtzahl lässt sich wegen divergierender Organisationsstrukturen ohne Weiteres nennen. Zu groß sind die Unterschiede, die vom rechtlichen Rahmen, der finanziellen und personellen Ausstattung und Zusammensetzung und der praktischen Arbeitsorganisation bis hin zu inhaltlichen Aspekten reichen. Ebenfalls alles andere als einheitlich stellen sich die konzeptionellen Anlagen der Projekte, ihre methodischen Zugriffe und die grundlegende Forschungs- und Quellenlage dar.

Die Mehrzahl der Behörden hat die von ihnen berufenen Kommissionen beziehungsweise beauftragten Forscherinnen und Forscher selbst zusammengestellt – so die Bundesministerien für Arbeit, Äußeres, Finanzen, Forschung, Inneres, Justiz, Landwirtschaft, Verkehr, Wirtschaft, der Bundesnachrichtendienst, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und das Robert Koch-Institut. Nur wenige Einrichtungen wie das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesarchiv, das Bundeskriminalamt und der Bundesrechnungshof wählten den Weg der Ausschreibung von Fördergeldern, auf die sich Forscherinnen und Forscher mit Projektvorschlägen bewerben konnten. Einen Sonderfall stellt darüber hinaus die Forschungseinrichtung des Bundesverteidigungsministeriums, das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, dar, das jedoch mit einem ungleich breiteren Forschungsauftrag ausgestattet ist.

Die enormen Unterschiede werden am eindrucksvollsten deutlich, wenn man die Rahmenbedingungen des kleinsten und größten Projekts nebeneinander stellt. Das kleinste Projekt, ein von einer Historikerin und einem Historiker innerhalb von sechs Monaten verfasster Forschungsüberblick zur antijüdischen Politik der Reichsbahn für das Bundesverkehrsministerium, schlug mit 25000 Euro zu Buche. Die sechsköpfige Geschichtskommission des Bundeswirtschaftsministeriums und ihre weiteren 19 Autoren, die die Geschichte der Wirtschaftspolitik von 1917 bis 1990 in vier deutschen Staaten untersuchten, hatten über einen Zeitraum von sechs Jahren hingegen die mehr als 150-fache Summe zur Verfügung, nämlich 3,9 Millionen Euro. So stehen einzelne Historikerinnen und Historiker neben teils großen Forscherteams und etablierte neben Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die ihre Doktorarbeiten im Rahmen der Projekte anfertigen. Entsprechend unterscheidet sich, wie die Ergebnisse erarbeitet und präsentiert werden – etwa in institutionengeschichtlichen monografischen Gesamtdarstellungen, Aufsätzen oder in selbstständigen Studien zu Teilaspekten und Detailfragen.

Gleichwohl sind die inhaltlichen Schwerpunkte nicht nur den finanziellen Möglichkeiten geschuldet. Einige Projekte befassen sich etwa ausschließlich mit der Zeit vor 1945, andere setzen erst nach 1945 an und reichen bis in die 1970er oder in die frühen 1980er Jahre, wieder andere sind so angelegt, dass sie die Zäsur von 1945 übergreifen. Das Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums spannt den Bogen sogar vom Ende des Kaiserreichs bis zur deutschen Einheit. Der andere deutsche Nachkriegsstaat, die DDR, findet lediglich in drei Projekten Berücksichtigung – dem des Innen- und des Wirtschaftsressorts sowie des Bundesarchivs. Hinzu kommen Studien der Ressortforschungseinrichtung der Bundeswehr zur Geschichte des DDR-Verteidigungsministeriums und der Nationalen Volksarmee. Die Rolle von Behörden und ihrem Personal im NS-Staat und ihr Anteil an seinen Verbrechen werden nur von einem Teil der Forschungsprojekte untersucht. Die Mehrzahl geht hingegen der Frage nach, wie die nationalsozialistische Diktatur in der Bundesrepublik, insbesondere in personeller und sachlicher Hinsicht, fortwirkte und wie hiermit umgegangen wurde.

Chancen und Risiken für die Wissenschaft

Die Behördenforschung, wie sie im Moment organisiert ist, zeichnet sich durch ihre Nähe zur Politik aus. Denn die Projekte werden nicht über die etablierten Formen der Forschungsförderung wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder Stiftungen vergeben und finanziert, sondern direkt durch die Behörden. Die Behörden selbst wählen die zu berufenden Historikerinnen und Historiker beziehungsweise die den Zuschlag erhaltenden Projekte aus und gewähren ihnen in den meisten Fällen privilegierten Aktenzugang, in vielen Fällen zum ersten Mal überhaupt. Mehr als bei anderen Projekten sind darum die vertraglich niederzulegenden gegenseitigen Rechte und Pflichten von besonderer Bedeutung. Denn auch wenn die Ziele von Politik und Wissenschaft sich in Anbetracht der zwei Logiken von Aufarbeitung und Forschung in Teilen überschneiden: identisch sind sie nicht. Gleichwohl steht außer Frage, dass sich die Wissenschaft solchen Projekten weder verschließen kann noch darf. Der ohnehin nur gelegentlich erhobene Vorwurf der Auftragsforschung im Sinne unwissenschaftlicher Hofgeschichtsschreibung ist zumeist auf populäre Genres im Bereich der Unternehmensgeschichte beschränkt.

Seit dem Aufschwung der Behördenforschung wird in der Fachwelt zunehmend über die Chancen und Risiken der Auftragsforschung und über deren Auswirkungen auf die Geschichtswissenschaft diskutiert. Einhellig positiv bewertet wird etwa, dass solche Forschungsprojekte überhaupt erst den Zugang zu bislang versperrten Quellenbeständen ermöglichten und Forschungslücken schlossen. Dem stehen jedoch mehrere kritische Aspekte gegenüber, etwa die Einbindung der Forscherinnen und Forscher in die Imagepflege der Institutionen, der weitgehende Verzicht auf kompetitive Ausschreibungsverfahren bei der Projektvergabe und nicht zuletzt die Gefahr, dass die große Zahl strukturell ähnlich gelagerter Auftragsprojekte den Gang der Forschung beeinflussen könnte, da sie konventionelle Perspektiven stärkt und methodische Innovationen unter Umständen bremst. Auch wenn viele Forschungsprojekte die sich bietenden Freiräume zunehmend nutzen, neue Zugänge wählen und innovative Fragestellungen entwickeln, richtet sich die Auftragsforschung grundsätzlich eher an öffentlich akzeptierten Denkrahmen aus, als dass sie diese neu befragen würde.

Dies macht einen Abwägungsprozess sowohl auf Seiten der Projektgeber wie der Projektnehmer nötig. Denn direkte Finanzierungsformen besitzen einen stärker forschungslenkenden Effekt und stellen angesichts der angespannten finanziellen Lage im akademischen Betrieb eine nicht zu unterschätzende Einflussnahme dar.

Damit verbunden ist ein anderer bedeutender Aspekt, nämlich dass es ausschließlich in den Händen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu liegen hat, ein Forschungsprojekt inhaltlich auszugestalten, die konkrete Fragestellung zu entwickeln und über den zu publizierenden Text zu entscheiden. Bislang traf dies bei allen Projekten zu, sieht man von Ausnahmen wie dem Bundesnachrichtendienst ab, bei dem die Manuskripte vor Drucklegung aufgrund gesetzlicher Vorgaben auf schützenswerte Geheimnisse zu prüfen sind. Ein eng gefasster Forschungsauftrag oder gar eine vorgegebene Schematisierung von Fragestellungen und Ansätzen wären mit der Freiheit der Wissenschaft und einem ergebnisoffenen Forschungsprozess nicht in Übereinstimmung zu bringen. Als selbstverständlich hat auch zu gelten, dass die Publikationen der Behördenforschungsprojekte nicht als "amtliche" Geschichtswerke apostrophiert werden, mit denen der Prozess der Aufarbeitung beziehungsweise Erforschung der NS-Vergangenheit einer Institution abgeschlossen sei. Andere Historikerinnen und Historiker stellen andere Fragen an den Gegenstand und verfolgen andere Forschungsinteressen, die nicht weniger berechtigt und relevant sind.

Schon aus diesem Grund wäre ein exklusiver Quellenzugang ein grundsätzlich nicht hinnehmbarer Verstoß gegen fachliche Standards. Wo inhaltliche Aussagen und die zugrundeliegenden Quellen nicht überprüfbar sind, ist eine Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens verletzt. Entsprechend sollte Bedingung jedes Behördenforschungsprojekts sein, dass die Archivalien, die teilweise entgegen gesetzlicher Vorgaben noch hausintern verwahrt werden und die nicht verzeichnet sind, den fachlichen Standards entsprechend erschlossen und in öffentliche Archive überführt werden, um so ihre allgemeine Zugänglichkeit herzustellen und dauerhaft zu sichern.

Neue Forschungsperspektiven

Die bereits vorliegenden Ergebnisse der Behördenforschung haben in erheblichem Maße dazu beigetragen, das Wissen über die nationalsozialistische Herrschaft, besonders am Schnittpunkt von Verwaltung, Gesellschaft und Ideologie, und um deren Folgen für die neugegründete Bundesrepublik und die DDR zu erweitern – und dies wird auch für die momentan noch in Bearbeitung befindlichen und ebenso wohl auch für zukünftige Studien gelten. Das ist zum einen darin begründet, dass die Forschung in vielen Fällen bislang unzugängliche Quellen auswerten kann und in die Lage versetzt wird, Pionierstudien insbesondere zu den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zu erarbeiten. Zum anderen ermöglichen gerade die großen Projekte, Einzelstudien im Rahmen eines Gesamtkonzepts aufeinander abzustimmen, sodass die Forschenden erheblich von Synergieeffekten profitieren konnten und können.

Nach über zehn Jahren der auf den Nationalsozialismus bezogenen Behördenforschung und elf ganz oder teilweise abgeschlossenen Projekten lassen sich einige allgemeine Perspektiven aufzeigen, wie die zukünftige Behördenforschung aus wissenschaftlicher Sicht weiterhin sinnvoll und vielversprechend fortgesetzt werden könnte. Zunächst wären hier systemübergreifende längere Untersuchungszeiträume und vergleichende Ansätze zu nennen. Studien, die über die Zäsuren von 1933 und 1945/49 hinweg blicken, können behördenspezifische Wendepunkte besser ausmachen und das Ausmaß von Kontinuität und Diskontinuität eruieren, etwa hinsichtlich fortbestehender Konzepte und Praktiken, stabiler oder sich wandelnder Mentalitäten oder anderer Prägungen. In diesem Zusammenhang wäre das Augenmerk verstärkt auf die bislang weitgehend unberücksichtigte DDR zu richten. Hier wäre etwa die Grundannahme zu prüfen, dass es einen kompromisslosen Bruch mit der NS-Vergangenheit gegeben habe, und zu untersuchen, inwieweit sich in den Behörden der DDR ältere Verwaltungstraditionen fortsetzten. Nicht zuletzt ließe sich auch der Transformationsprozess nach 1990 hinsichtlich der Adaptions- und Integrationsfähigkeit von Beamten nach Systemwechseln befragen und in Beziehung zu denjenigen von 1933 und 1945/49 setzen.

Entscheidend wäre auch, die Forschung künftig weniger institutionell am Raster von Behörden, Zuständigkeiten und Geschäftsbereichen auszurichten, sondern sich stärker an übergreifenden Themen zu orientieren. Eine solche Ausweitung würde das Problem der Abgrenzung von Staat und Partei im Nationalsozialismus und in der DDR auflösen und stärker auf das Geflecht aus staatlichen, nicht-staatlichen oder quasi-staatlichen Parteiinstitutionen und Akteuren sowie auf Verbände und ähnliches hinlenken. Erleichtert würde auch die Untersuchung von Kontinuitäten zur Zeit vor 1933 und nach 1945, gerade wenn die ministerielle Zuständigkeit wechselte.

Vielversprechend wären zudem übergreifende Querschnittsstudien, die in vielerlei Hinsicht neue Einblicke eröffnen würden. Etwa als Kollektivbiografien von Ministern und Staatssekretären unterschiedlicher Ministerien, als vergleichende Analyse beispielsweise der Personalpolitik und in Hinsicht auf behördenübergreifende Netzwerke und Karrierewege von Beamten. Ähnlich ertragreich erscheinen Studien, die nicht nur eine einzelne Behörde in den Blick nehmen, sondern exemplarisch die nachgeordneten Stellen der verschiedenen Hierarchieebenen einbeziehen. Denn gerade unteren Behörden konnte durch ihren direkten Kontakt zur Bevölkerung, durch ihre praktische Auslegung von Gesetzen und ihre Ermessensspielräume mitunter eine größere und eigenständigere Bedeutung zukommen, als dies ihre bloße Stellung vermuten ließe.

Weiterhin verspricht eine exemplarische Ausweitung des Fokus von Einrichtungen des Bundes auf diejenigen der Länder und Kommunen von Vorteil zu sein, denn damit würde den vielfältigen Bezügen und Verflechtungen Rechnung getragen. Ähnlich wie das politisch festgelegte Behördenraster nicht unhinterfragt den Rahmen von wissenschaftlichen Forschungsprojekten vorgeben sollte, sollte auch die Beschränkung entweder auf die Bundes-, Landes- oder Kommunalebene nicht von vornherein die Reichweite von Fragestellungen begrenzen. Darüber hinaus scheinen auch supranational vergleichende Ansätze insbesondere mit denjenigen Ländern fruchtbar zu sein, die vor 1945 faschistisch oder nationalsozialistisch beherrscht wurden – etwa Italien, Österreich und Vichy-Frankreich. Aber auch Vergleiche mit den Verwaltungen ehemals besetzter Länder beziehungsweise der unter deutschem Einfluss stehenden Satellitenstaaten versprechen weitere Einblicke in den Umgang anderer Staaten mit Verwaltungsangehörigen, die als Kollaborateure des NS-Staats fungierten.

Zukünftige Entwicklung

Trotz der positiven bisherigen Entwicklung der Behördenforschung ist also zu problematisieren, wie und mit welchen Gegenständen sie grundsätzlich fortschreiten sollte. Dass eine flächendeckende Erforschung sämtlicher staatlicher Institutionen auf allen Verwaltungsebenen weder umsetzbar noch zielführend ist, ist ein Gemeinplatz. Bislang wies das Vorgehen der Behörden aber genau diese Tendenz auf: Eine geldgebende Institution nach der anderen förderte Forschungsprojekte ausschließlich zur eigenen Geschichte. So wenig diesen Einrichtungen das Interesse an ihrer speziellen NS-Vergangenheit und die Berechtigung abgesprochen werden darf, zu ihrer Erforschung Gelder bereitzustellen, so sehr ist jedoch darauf hinzuweisen, dass aus geschichtswissenschaftlicher Sicht andere Prioritäten zu setzen wären.

Nicht jede Behörde ist nämlich allein deswegen zu erforschen, weil dies bislang noch nicht geschehen ist, nun aber finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das Interesse der Forschung liegt vielmehr in allgemeineren und übergreifenden Aussagen hinsichtlich der Nachkriegsentwicklung in beiden deutschen Staaten und nicht in der immer kleinteiligeren und isolierteren Untersuchung einzelner Einrichtungen. Anders als die Verwaltung geht die Geschichtswissenschaft zudem nicht in erster Linie von den heute bestehenden Institutionen, sondern vielmehr von den in einem bestimmten Zeitraum existierenden Behörden aus, die später unter Umständen aufgelöst wurden und keine Nachfolgeeinrichtung fanden. Allen voran sind dies die Institutionen der DDR, aber auch Einrichtungen der Bundesrepublik wie das 1969 abgewickelte Vertriebenenministerium oder das Reichspropagandaministerium des NS-Staats.

Die zeitgeschichtliche Disziplin profitiert einerseits erheblich von dem großen öffentlichen Interesse und der Auseinandersetzung mit der jüngeren und jüngsten Geschichte. Andererseits muss sie sich trotz des starken Drucks, Forschungsgelder einzuwerben, davor hüten, zu einem "Aufarbeitungsdienstleister" zu werden, der Aufträge übernimmt, die aus wissenschaftlicher Perspektive unergiebig sind. Das 2016 ausgeschriebene "Forschungsprogramm zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zentraler deutscher Behörden" besitzt durch sein Ziel, "übergreifende, querschnitthafte und vergleichende Fragestellungen" anzuregen, das Potenzial, zweierlei gerecht zu werden: sowohl die Innovationskraft der Forschung zu stimulieren als auch dem gesellschaftlichen Aufarbeitungsinteresse Genüge zu tun. Bald wird man sehen, welche Forschungsarbeiten damit angeregt wurden – noch im Herbst 2017 soll das auf drei Jahre angelegte Programm starten.

ist Historiker und assoziierter Forscher am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. E-Mail Link: mentel@zzf-potsdam.de

ist promovierter Historiker am Institut für Zeitgeschichte München – Berlin und Mitarbeiter im Projekt "NS-Belastungen im bundesdeutschen Atom- bzw. Forschungsministerium, 1955–1972". E-Mail Link: weise@ifz-muenchen.de