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Die Amtswürde. Tradition und Moderne im demokratischen Staat | Das Amt | bpb.de

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Die Amtswürde. Tradition und Moderne im demokratischen Staat

Utz Schliesky

/ 18 Minuten zu lesen

Spätestens dann, wenn das Fehlverhalten eines Amtsträgers einen politischen Skandal auslöst, kommt die Amtswürde in den Blick. Dann merken wir, dass wir jeden Abgeordneten, jeden Minister, jeden Richter, jeden Beamten an einem vorgestellten Modell des guten, seiner Aufgaben und Pflichten bewussten Inhabers eines solchen Amtes messen. Ausgesprochen wie unausgesprochen ist die Amtswürde die Messlatte für diejenigen, die öffentliche Ämter bekleiden. Was aber ist Amtswürde?

Auch wenn die Amtswürde kein explizit in der Verfassung erwähnter Begriff ist, so hat doch jeder eine grobe Vorstellung vom Inhalt der Amtswürde im Sinne bestimmter ethischer, sittlicher Anforderungen an den Inhaber eines Amtes. Mehr Klarheit verspricht es, wenn man die beiden Elemente des Kopplungsbegriffes "Amtswürde" – das Amt und die Würde – zunächst je für sich näher beleuchtet.

Amt

Der Begriff stammt vermutlich vom keltisch-lateinischen ambactus ab, das wörtlich "der Umhergeschickte" bedeutet und damit Diener und Boten meinte; der Begriff fand insbesondere für das Gefolge gallischer Adliger Verwendung. In Anknüpfung an diese abhängigen, untergeordneten Gefolgsleute bezeichnete "Amt" im frühen Mittelalter vor allem den Dienst bei einem königlichen oder adligen Herrn.

Trotz der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen weltlich-staatlichem und kirchlichem Amt gibt es erhebliche gemeinsame Traditionslinien, die sich vor allem in lutherischen Gebieten deutlich zeigen. Bereits im Mittelalter wurde die juristische Struktur des Amtsbegriffes grundsätzlich geklärt und so eine eindeutige Trennung von Amt und Person möglich. Ungefähr ab 1200 wurde der Amtsbegriff auf die (politischen) Herrschaftsfunktionen selbst übertragen und damit ein wesentlicher Baustein für den modernen Staat gesetzt.

Mit zunehmenden Rechten wächst auch das Bewusstsein von der Pflicht des jeweiligen Inhabers der Herrschaftsgewalt gegenüber seinem Territorium und seinen Untertanen – eine wesentliche Voraussetzung für den Amtsinhalt, aber auch für die ethischen und moralischen Maßstäbe der Amtswürde. Von nun an kann das Amt als Aufgabenkreis verstanden werden, der dazu bestimmt ist, von einem Menschen wahrgenommen zu werden, und im weltlichen Rechtskreis der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der friedlichen Ausübung von Macht dient. Diesen Inhalt hat der Amtsbegriff vom Mittelalter bis in den modernen demokratischen Verfassungsstaat hineingetragen – das Amt als solches ist somit unabhängig von der jeweiligen Staats- und Verfassungsform.

Auch dem Grundgesetz liegt dieser Amtsbegriff zugrunde; das Amt ist etwa in Art. 33 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich verankert. In diesem Verständnis ist das Amt auch ein wesentlicher Baustein des vom Grundgesetz verfassten Staates und der modernen Staatlichkeit insgesamt. Durch das Amt wird überhaupt erst die Handlungsfähigkeit des Staates gewährleistet. Es findet aber auch eine staatsrechtliche Basis in zwei grundlegenden Staatsstrukturprinzipien: So ist das Amt zunächst einmal wesentliche Bezugsgröße des Demokratieprinzips. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine demokratische Legitimation für die Ausübung von Staatsgewalt in ihrer jeweiligen Funktion. Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, sieht das Gericht "jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter" an. Später konkretisiert das Bundesverfassungsgericht dann diesen Amtsbezug des Demokratieprinzips: "Der demokratische Legitimationszusammenhang, den eine ununterbrochene Legitimationskette für einen Amtswalter begründet, bezieht sich jeweils auf das im Wege solcher Legitimation verliehene Amt, geht nicht darüber hinaus. Tätigkeiten, die von den Aufgaben des übertragenen Amtes nicht umfasst werden, sind dadurch nicht legitimiert; der Amtswalter handelt in diesem Bereich persönlich, nicht kraft demokratischer Legitimation." Weiter führt das Gericht aus: "Der Amtsauftrag selbst muss stets in Verantwortung gegenüber Volk und Parlament wahrgenommen werden, weil die Ausübung staatlicher Herrschaft gegenüber dem Bürger (…) stets den demokratisch legitimierten Amtsträgern vorbehalten ist (…)."

Darüber hinaus hat das Amt eine zweite entscheidende Wurzel im Republikprinzip: Das öffentliche Amt verwirklicht das republikanische Staatsprinzip, indem der jeweilige Amtswalter als Treuhänder dem Gemeinwohl dient und verantwortlich ist. Unter diesem Aspekt erscheint das Amt als anvertraute Ausübung politischer Herrschaft. "Anvertrauen" setzt Vertrauen und später wiederum eine Rechtfertigung dieses Vertrauens durch den Amtswalter voraus. An dieser Stelle scheint bereits deutlich die Relevanz der Amtswürde durch, setzen "Anvertrauen" und Vertrauen doch ethische und moralische Maßstäbe voraus. Dem Vertrauen entspricht die Verantwortung für die Erfüllung der anvertrauten Aufgabe. Der Amtseid gemäß Art. 56 und Art. 64 Abs. 2 GG weist mit seinen Kriterien der Fremdnützigkeit, der Ausrichtung auf das Gemeinwohl, der Bindung an die Idee des Rechts sowie den Anforderungen an Sachlichkeit und Unparteilichkeit der Amtsführung auf zentrale inhaltliche Pflichten und damit Verhaltensmaßstäbe des Amtes hin. Damit ist auch deutlich, dass ein Amt untrennbar mit der hinter ihm stehenden Person, mit deren Tun, Unterlassen, Verhalten verbunden ist. Gerade mit den ethischen Pflichten, den Verhaltenserwartungen des Souveräns an den mit dem Amt betrauten Amtswalter ist die Brücke zum Begriff der "Würde" gebaut.

Würde

Etymologisch mit "Wert" verwandt, bezeichnet "Würde" den Rang, die Ehre, das Verdienst oder das Ansehen einer einzelnen Person, wobei der Begriff auch für Stand, Rang und Amt sowie für das mit ihnen verbundene Äußere Verwendung findet. Heutzutage wird der Begriff primär auf den Menschen bezogen und spielt als Menschenwürde eine zentralen Rolle im demokratischen Verfassungsstaat, wie Art. 1 Abs. 1 GG verdeutlicht. Dabei gibt es auch durchaus eine althergebrachte Verbindung zum Amtsbegriff, wie die überkommene Redewendung "in Amt und Würden sein" zeigt.

Die antike, insbesondere die römische Philosophie, hat "Würde" (dignitas) als ethische und zugleich politische Kategorie hervorgebracht, mit der das komplexe Phänomen der öffentlichen Wertschätzung einer Person erfasst wird; prägende Faktoren sind die Abstammung, die Gemeinwohlorientierung, die individuelle politische Leistung und die moralische Integrität der Lebensführung, aus denen dann ein selbst erworbener Anspruch auf Gehorsam und Gefolgschaft resultiert. Diese Würde ist untrennbar mit einem Amt verbunden, sie kann nur in einem Amt erworben werden. Diese dignitas ist nicht nur Privileg, sondern verpflichtende Norm, die moralische Anforderungen enthält, denen nur mit Mäßigung und Selbstdisziplin genügt werden kann. Die Würde wird somit zum Kernbestandteil der Amtsethik: Die erfolgreiche eigene politische Leistung ist eine zentrale Voraussetzung für den Erwerb der dignitas, und erst mit dem entsprechenden Verhalten geht ein persönlicher Achtungsanspruch und Anspruch auf Zuerkennung dieser Würde einher.

Im Mittelalter und in der Neuzeit wird die Amtswürde zunehmend institutionalisiert und durch Insignien, Kleidung, Sitzordnungen oder ähnliches symbolisiert. Ein anschauliches Beispiel bietet die Goldene Bulle von 1356, die unter anderem ausführlich die Stellung und Rangordnung der Kurfürsten im Kurkolleg, die Sitz- und Tischordnung bis hin zur Reihenfolge des Einzuges in den Wahlort regelt. Die übermäßige Fokussierung auf derartige äußere Zeichen der Amtswürde führt jedoch dazu, dass es auf das ethische Verhalten immer weniger ankommt und derartige Würdeverkörperungen von den Herrschaftsunterworfenen nicht mehr ernst genommen werden. Der mit der Amtswürde verbundene Geltungs- und Achtungsanspruch kann dann nicht mehr erfüllt werden.

Parallel zum partiellen Verblassen der Amtswürde beginnt der "Siegeszug" der Menschenwürde: Durch den Personenbegriff der christlichen Ethik wird die Würde verstärkt auf den Menschen bezogen. Die Wurzeln der Menschenwürde sind durch die enge Verbindung der Menschlichkeit (humanitas) als Teil der dignitas aber bereits in der römischen Antike gelegt, sodass es sich letztlich auch hier um eine Kontinuität der Begriffsgeschichte handelt, bei der sich allerdings nun eine andere Gewichtung zu Lasten der Amtswürde durchsetzt. Von nun an wird mit Blick auf ein Amt weniger über "Amt und Würden" als vielmehr über "Anmut und Würde" nachgedacht. Die Entwicklung mündet schließlich in die Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG, die als der soziale Wert- und Achtungsanspruch begriffen wird, der dem Menschen wegen seines Menschseins zukommt.

Der Begriff der Würde besitzt viele Facetten und benötigt immer ein konkretes Bezugssubjekt oder Bezugsobjekt. Als solches ist Würde eine ethische Kategorie, die der Ausfüllung bedarf und von den herrschenden ethischen und moralischen Vorstellungen abhängig ist. "Würde" kann daher als ein durch Sein oder eigenes Verhalten begründeter und individueller, höchstpersönlicher Geltungs- und Achtungsanspruch verstanden werden, der Ansehen oder gegebenenfalls Rang in der Anschauung anderer ermöglicht.

Amtswürde

Prägend für Amt und Amtswürde waren die Staatspraxis der römischen Republik und ihre philosophische Fundierung. Dabei gab es klare Vorstellungen von der Rangordnung der Ämter, und in der Regel musste man erst die einzelnen Stationen der Ämterlaufbahn durchlaufen haben, um jeweils würdevoll genug für das nächste Amt und schließlich die Mitgliedschaft im Senat zu sein, dem nur die Besten, die erprobten Männer (viri probati), angehörten. Dabei war in der römischen Vorstellung wichtig, dass nicht das Amt an sich das Ansehen verlieh, sondern die dignitas erst durch die Art und Weise der Amtsführung erworben werden konnte, die für Ansehen (auctoritas) sorgte. Die mit dem Amt verbundene Würde führte zu Abstufungen im Ansehen, doch der jeweilige Amtsinhaber konnte durch eigene politische und administrative Leistung ein solches Ansehen und eine solche Würde erwerben, die ihn für weitere, höhere Staatsämter qualifizierten. Derartige würdeorientierte Abstufungen nach dem tatsächlichen Wert, der wirklichen Würde des einzelnen Bürgers hielten die Römer für essenziell.

Da die germanischen Nachfolgestaaten die römischen Ämter weitestgehend beibehielten, wurden auch die moralischen Inhalte und ethischen Anforderungen übernommen. Historisch und begriffsgeschichtlich sind "Amt" und "Würde" nicht zu trennen, zumal das Amt in strikter Relation zu einer konkreten Person steht und vor allem von dieser und ihrem Tun, ihrem durch ethisches Verhalten erworbenen Achtungsanspruch seine Bedeutung erhält, die Herrschaft rechtfertigt. Der Amtsinhaber agiert nicht im luftleeren Raum, sondern dient vor- und aufgegebenen Wertvorstellungen.

Auch im Mittelalter war die Amtswürde ein zentraler Baustein für die Ausübung von Herrschaftsgewalt: Mithilfe der Amtswürde wurde zum einen die erforderliche Distanz zwischen den Inhabern der Herrschaftsgewalt und den Gewaltunterworfenen hergestellt und zum anderen ein ethischer Maßstab für die Akzeptanz der Herrschaft und damit Legitimität der Herrschaftsgewalt geschaffen. Die ethischen Maßstäbe der Amtswürde waren in den sogenannten Fürstenspiegeln schriftlich fixiert. Die tragende Rolle der Amtswürde für die Herrschaftsausübung zog sich auch in den folgenden Jahrhunderten durch zahlreiche grundlegende staatstheoretische Schriften; sie findet sich ebenso im "Politischen Testament" Friedrichs des Großen wie in den "Federalist Papers".

Wohl nicht zuletzt aufgrund der besonderen föderalen Entwicklung der Herrschaftsordnung in Deutschland hat die Amtswürde schon früh eine besondere Bedeutung für die Beamtenschaft als solche erlangt. Zurückgehend auf antike oder mittelalterliche Vorbilder manifestiert sich die Amtswürde bis heute in überkommenen Insignien (etwa der Amtskette des Bürgermeisters), Kleidungen (der Robe des Richters), Traditionen, protokollarischen Sitzordnungen oder Handlungen. Staats- und Amtswürde kommen auch in staatlichen Gebäuden zum Ausdruck, die von der Burg über das Schloss zu den Verwaltungsgebäuden des 19. Jahrhunderts bis hin zu den heutigen Regierungsbauten in Berlin reichen.

Die Struktur der Amtswürde ist dabei im Wesentlichen unverändert geblieben – nur die konkreten ethischen Maßstäbe verändern sich mit dem Wandel von Staat und Gesellschaft. Typisch ist bis heute die Sicherstellung der Amtswürde etwa durch eine Rangfolge der Ämter, in denen die Amtsinhaber erprobt und zugleich für die Übernahme höherer oder gar höchster Leitungsposten geschult werden. Bis heute bedeutet die Inhaberschaft eines öffentlichen Amtes keine zusätzliche Möglichkeit freier Entfaltung der Persönlichkeit, sondern die Übernahme einer regelmäßig eidlich bekräftigten Pflicht, die vom Amtsinhaber Disziplin und Altruismus verlangt. Amt und Amtswalter, also die das Amt innehabende natürliche Person, stehen in einem untrennbaren wechselseitigen Verhältnis. Das Amt prägt die Person, aber die Person kann auch das Amt besser oder schlechter ausfüllen und durch die konkrete Amtstätigkeit dem Amt als solchem Würde verleihen.

Die Amtswürde erschöpft sich auch im demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes nicht in der alleinigen Gesetzesbindung, sondern greift über positives Recht hinaus, wie allein schon die Verpflichtung der Beamten auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung belegt. Nur durch solche jenseits des positiven Rechts liegenden ethischen Grundlagen der Herrschaftsordnung kann Amtscharisma entstehen, das Max Weber als den Glauben "an die spezifische Begnadung einer sozialen Institution als solche" bezeichnet hat und das bis heute eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Das über die reine Gesetzesbindung hinausgehende Amtsethos kommt heutzutage vor allem in den nach wie vor abzuleistenden Eiden zum Ausdruck. So enthält die Eidesformel gemäß Art. 56 und Art. 64 Abs. 2 GG gemeinwohlorientierte Pflichten, die ohne ethische Voraussetzungen nicht denk- und konkretisierbar sind und deren Bruch nur mithilfe moralischer und ethischer Maßstäbe beurteilt werden kann.

Amtswürde im demokratischen Verfassungsstaat

Welche Bedeutung hat die Amtswürde nun im demokratischen Verfassungsstaat des 21. Jahrhunderts? Die Amtswürde ist eng und untrennbar mit Herrschaftsausübung und Repräsentation verbunden. Das Amt ist als objektiv-rechtliches Bau- und Funktionselement des Staates nach wie vor unverzichtbar; durch den entsprechenden Rang in der Funktionenhierarchie ist es bis heute mit unterschiedlichen Würdeanforderungen und Achtungsansprüchen versehen. Würde kann das Amt als personales Element nur durch das persönliche Verhalten des jeweiligen Amtswalters erlangen; die Amtswürde ist somit das Bindeglied zwischen Amt und Amtswalter. Die jeweilige Zuführung von Würde durch ethisches Verhalten des Amtswalters bestimmt den Umfang des Achtungs- und Geltungsanspruches, der für die Aufrechterhaltung der Amtswürde und der Legitimität der Amtsgewalt erforderlich ist. Die Amtswürde ist dann zu verstehen als Inbegriff der vom jeweiligen Amtsinhaber zu erfüllenden moralischen und ethischen Anforderungen an die Art und Weise der Amtsausübung. Dem korrespondiert ein besonderer Achtungs- und Geltungsanspruch des Amtes und der durch das Amt ausgeübten Herrschaftsgewalt im gesellschaftlichen Bereich. Die Amtswürde verkörpert und fordert ethische und moralische Inhalte, ferner dementsprechende Verhaltensweisen des Amtsinhabers, die über eine bloß formale Rechtsbindung hinausgehen.

Lokalisierung der Amtswürde

Wie für das Amt liegen die verfassungsrechtlichen Wurzeln der Amtswürde erstens im Demokratieprinzip und zweitens im Republikprinzip. Bei der Konkretisierung des Demokratieprinzips hat die Amtswürde eine bislang meist übersehene Funktion. Bekanntlich erfolgt die Verbindung zwischen personeller demokratischer Legitimation und der Ausübung von Staatsgewalt durch das Amt. Ohne natürliche Person als Amtswalter (und deren Bestellungsakt) ist die demokratische Legitimation der konkreten Staatsgewalt nicht herstellbar. Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit; daher ist es problematisch, wenn nur ein einmaliger Bestellungsvorgang für eine dauerhafte volle demokratische Legitimation ausreichen soll. Vielmehr sind in einer modernen Demokratie zusätzliche Rückkopplungsmöglichkeiten erforderlich, wenn der Staat nicht zu einem rein formalisierten Herrschaftsgebilde verkommen soll.

Die Amtswürde und damit das ethisch-moralische Verhalten des jeweiligen Amtswalters spielen eine bislang vernachlässigte und unterschätzte Rolle für die Akzeptanz der Herrschaftsgewalt und damit für deren Legitimität, wenn man Akzeptanz nach umstrittener, aber zutreffender Auffassung auch als rechtliche Kategorie begreifen will. Die Amtswürde erweist sich somit als erforderliches Hilfsmittel für die Rückkopplung zwischen Amtswalter und Herrschaftsunterworfenen, mit dem auch zwischen den Wahlterminen die demokratische Legitimität zu- oder abgesprochen werden kann. Die immer wieder vorkommenden Rücktrittsfälle prominenter Amtswalter zeigen, dass die Öffentlichkeit dem "Sünder" die Amtswürde abspricht und damit die Legitimation drastisch vermindert, bis hin zu solch einem Sinken des Legitimitätsniveaus, das die weitere Ausübung des Amtes nicht mehr gestattet. Inwieweit in einem solchen Kontext politische oder rechtliche Konsequenzen zu ziehen sind, ist eine Frage des einschlägigen Amtsrechts.

Die zweite maßgebliche Wurzel der Amtswürde liegt im Republikprinzip, das nicht auf ein Verbot der Monarchie beschränkt werden darf. Nach hier vertretener Auffassung ist das Republikprinzip auch in einem materiellen Sinne mit Inhalten gefüllt und bedeutsam; ihm ist insbesondere eine Pflicht zur Gemeinwohlorientierung zu entnehmen. Über das im Republikprinzip verankerte Amtsprinzip erfährt dann auch die Amtswürde eine verfassungsrechtliche Absicherung. Ausgangspunkt ist die römische res publica, der die deutschen verfassungsrechtlichen Begriffe "Republik" und "Gemeinwohl" entsprechen. Die Republik stellt nicht auf den Inhaber der Herrschaftsgewalt, sondern auf das gemeinwohlorientierte Ethos der Herrschaftsausübung ab. So wird die Verpflichtung des Amtes auf das Gemeinwohl deutlich: Die Amtsgewalt besteht nur im Interesse des Gemeinwohls. Der Amtswalter muss seine persönlichen Interessen hinter denen des Amtes und damit des Gemeinwohls zurücktreten lassen. Diese Pflicht macht das Amtsethos aus, definiert die Amtswürde, und reicht weit über die bloße Pflicht zu Beachtung und zum Vollzug von Gesetzen hinaus.

Konkrete Verortungen der Amtswürde im Grundgesetz finden sich im Kontext des Amtes: Einschlägig ist zunächst Art. 33 Abs. 2 GG. Auch wenn im demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes, der durch den gleichberechtigten Zugang aller Deutschen zu öffentlichen Ämtern gekennzeichnet ist, auf den ersten Blick kein Raum für Amtswürde-Kriterien zu sein scheint, die ein Bewerber für ein Amt erfüllen muss, so öffnet doch der Begriff der "Eignung" (im engeren Sinne) die Tür zu derartigen Anforderungen. Unter Eignung im engeren Sinne versteht man alle sonstigen geistigen, körperlichen, psychischen und charakterlichen Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind und nicht den Kriterien der Befähigung sowie fachlicher Leistung zuzurechnen sind. Die charakterlichen Eigenschaften, die ein würdeloses Verhalten belegen oder prognostizieren, spielen somit als eignungsausfüllendes Kriterium eine rechtlich relevante Rolle. Zu der Eignung im engeren Sinne zählt etwa auch die Wahrung des Erscheinungsbildes des öffentlichen Dienstes in der Öffentlichkeit. Und auch die innere Einstellung kann als die Eignung bestimmendes Kriterium von Bedeutung sein, wenn sie sich auf die Ausübung des Amtes auswirken kann; maßgeblich ist für alle in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien eine "einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers". Die zentrale Voraussetzung der Amtswürde, das ethisch-moralische Verhalten des Amtswalters, hat somit einen konkreten verfassungsrechtlichen Bezug in Art. 33 Abs. 2 GG.

Und auch in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG findet die Amtswürde Anknüpfungspunkte in der rechtlichen wie politischen Treuepflicht als auch in der Dienstpflicht unter Einsatz der gesamten Persönlichkeit für den Dienstherrn. Gerade die Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Gemeinwesen stellt eine Konkretisierung des Republikprinzips dar.

Einen weiteren verfassungsrechtlichen Aufhänger findet die Amtswürde in den Amtseiden des Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin und der Bundesminister gemäß Art. 56 und Art. 64 Abs. 2 GG. Die Eidesformel enthält eine umfassende Gemeinwohlverpflichtung, die zudem auf ethische Voraussetzungen verweist. Mit dem Schwur der Eidesformel geht der jeweilige Amtswalter die moralische Selbstverpflichtung ein, das übertragene Amt nur im Rahmen der Amtsgewalt, gesetzes- und verfassungstreu sowie strikt am Gemeinwohl orientiert, auszuüben. Der Eid begründet eine zusätzliche, außerrechtliche Bindung neben den rechtlich bestehenden Bindungen. Die Ableistung des Amtseides geht zudem regelmäßig mit einem feierlichen Zeremoniell einher, das symbolhaft die Erwartungen der Amtswürde an das künftige Verhalten des Vereidigten verdeutlicht. Entsprechende Verpflichtungen zur Eidesleistung sind für die Beamten einfachgesetzlich vorgesehen.

Bedeutung der Amtswürde

Die Amtswürde ist mehr als nur ein Relikt vergangener Zeiten und hat auch im demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes ihren Raum. Die Amtswürde verkörpert und fordert ethische und moralische Inhalte, die über eine bloß formale Rechtsbindung hinausgehen. Schon die Konkretisierung des positiven Rechts mithilfe der Amtsgewalt und durch den Amtswalter benötigt eine "ethische Grundhaltung der Amtswalter".

Als Konkretisierung des Demokratieprinzips ist die Amtswürde das notwendige Bindeglied zwischen Amt und Amtswalter beziehungsweise natürlicher Person. Sie dient der Sicherstellung demokratischer Legitimation oder eben auch als Anzeichen für ihren Wegfall zwischen Wahltagen oder nach dem einzigen anfänglichen Bestellungsakt; sie ist insoweit wesentlicher Bestandteil einer modernen repräsentativen Demokratie. Die Amtswürde muss – wie das Amt – in der repräsentativen Demokratie nicht in den Hintergrund treten, sondern kann ihre Bedeutung behalten. Vielmehr dürfte und müsste mit der stärkeren Personalisierung der Demokratie und der Politik die Bedeutung der Amtswürde zunehmen, um die unmittelbare und unbedingte Ausrichtung der Amtswalter auf das Gemeinwohl sicherzustellen.

Dies führt hinüber zur Konkretisierung des Republikprinzips: Die Amtswürde verlangt ethische und moralische Verhaltenspflichten und die Bereitschaft des jeweiligen Amtswalters, die Gemeinwohlorientierung über persönliche Interessen zu stellen. Durch das eigene dienstliche (und außerdienstliche) Verhalten ist das Ansehen des Amtes und des Staates insgesamt zu pflegen und zu mehren. Gerade bei nachlassender Gesetzbindung der Verwaltung bedarf es der Rückkopplung der Amtstätigkeit an Idee und Ethos des öffentlichen Amtes. Dabei ist sicherlich deutlicher als bislang die Quelle der Amtswürde im demokratischen Verfassungsstaat herauszuarbeiten, die im Staat des Grundgesetzes aus dem Treueverhältnis zur staatlich verfassten Allgemeinheit resultiert.

Einforderung der Amtswürde

Die Amtswürde ist auch kein "zahnloser Tiger" im Sinne einer außerrechtlichen, lediglich sozialwissenschaftlichen Kategorie, sondern – wie gezeigt – eine verfassungsrechtlich fundierte Kategorie. Dementsprechend gibt es durchaus auch rechtliche Möglichkeiten zur Einforderung der Amtswürde. Da die inhaltlichen Anforderungen der Amtswürde Teil der Kriterien zur Ausfüllung des Begriffes "Eignung" (im engeren Sinne) gemäß Art. 33 Abs. 2 GG sind, muss die Feststellung fehlender charakterlicher Eigenschaften, unethischen oder unmoralischen Verhaltens zur Verneinung der Eignung und damit zur Nichteinstellung beziehungsweise Nichternennung bei Beamten führen.

Aber auch für die Entlassung oder Entfernung aus dem Dienst ist die Amtswürde bedeutsam, dabei aber jeweils in Abhängigkeit vom jeweiligen Amt genau zu bestimmen. So kann die Amtswürde eine Rolle bei der Präsidentenanklage gemäß Art. 61 GG spielen, auch wenn diese Möglichkeit in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland noch keine Bedeutung erlangt hat. Das Fehlen der Amtswürde kann auch Gegenstand einer Vertrauensfrage der Bundeskanzlerin sein (Art. 68 GG). Für die Amtswürde nachteilige Verstöße von Ministerinnen und Ministern können ein Grund für die Entlassung gemäß Art. 64 S. 1 GG darstellen. Und auch bei Richtern spielt die Amtswürde eine Rolle: Grobe Pflichtverletzungen, aus denen ein Verlust der Amtswürde resultiert, führen zum Ausscheiden aus dem Amt. Bei Beamten kann entsprechendes unethisches Verhalten ein Dienstvergehen darstellen, das in Verbindung mit dem jeweiligen Disziplinarrecht des Bundes und der Länder disziplinarische Folgen bis hin zur Entfernung aus dem Dienst nach sich ziehen kann. Dabei kommt es nicht nur auf das dienstliche Verhalten, sondern – je nach Umständen – auch auf außerdienstliches Verhalten an.

Paragraf 47 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes bestimmt, dass ein Verhalten außerhalb des Dienstes nur dann ein Dienstvergehen ist, "wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen". Und auch bei kommunalen Wahlbeamten ist die Abwahl bei unwürdigem Verhalten möglich: Hier kommt es nicht auf konkrete Pflichtverstöße an, sondern das aus Sicht des erforderlichen Quorums bejahte unwürdige Verhalten kann das Ausscheiden kommunaler Wahlbeamter bewirken.

Der politische Mechanismus zur Einforderung der Amtswürde ist vielfach erprobt: Unzureichendes Verhalten kann dazu führen, dass ein gewählter Amtsträger nicht wiedergewählt wird oder – durch den Druck der "öffentlichen Meinung" – zum Rücktritt gezwungen wird. Zahlreiche Beispiele belegen, dass eine mehrheitliche Missbilligung bestimmter Verhaltensweisen im Wege der von den Medien mit gebildeten und transportieren öffentlichen Meinung einen solchen Druck auf den jeweiligen Amtswalter entfaltet, dass trotz eines formal einwandfreien Bestellungs- und Legitimationsaktes die Mindestanforderungen der Amtswürde nicht erfüllt werden, sodass dem jeweiligen Amtswalter nur noch der Rücktritt von seinem Amt bleibt. Die Möglichkeiten des Internets und sozialer Netzwerke verstärken diesen Effekt.

Fazit

Die "verschüttete" Amtswürde hat verfassungsrechtliche Wurzeln im Demokratie- und Republikprinzip. Sie ist auch im demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes (verfassungs-)rechtlich relevant. Sie wird weiterhin als rechtliche Kategorie benötigt und hat ihren Platz im demokratischen Verfassungsstaat, bedarf allerdings auch ein Stück weit der rechtlichen Rekonstruktion. Die Amtswürde ist die dringend erforderliche inhaltliche Anreicherung des gerade in Demokratie und Republik eher formalen Staatsapparates; sie ist das Bindeglied zwischen Amt und Amtswalter. Zugleich verdeutlicht die Amtswürde die dringend benötigten ethischen und moralischen Maßstäbe in einer zunehmend auf Führungspersönlichkeiten konzentrierten und medial inszenierten Demokratie, die zugleich aufgrund der Komplexität der zu lösenden Aufgaben immer häufiger auf eine strikte Rechtsbindung verzichten will oder muss.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Wilhelm Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, in: Konrad Hesse/Siegfried Reicke/Ulrich Scheuner (Hrsg.), Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag am 15. Januar 1962, Berlin 1962, S. 55.

  2. Siehe etwa Caesar, De Bello Gallico. Übersetzt und herausgegeben von Marieluise Deissmann, Stuttgart 1981, S. 328. Zur Begriffsgeschichte Karl Kroeschell, Amt, in: Adalbert Erker/Ekkehard Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 1, Berlin 1971.

  3. Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 20025; Niklas Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2002, S. 92.

  4. Näher zu einem solchen "gemeineuropäischen Amtsverständnis" Utz Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, Tübingen 2004, S. 704f.

  5. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 83, 60 (73) (Ausländerwahlrecht II), 31.10.1990; 93, 37 (68) (Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein) 24.5.1995.

  6. BVerfGE 93, 37 (68) 24; siehe dazu Schliesky (Anm. 4), S. 257.

  7. BVerfGE 93, 37 (70).

  8. Vgl. Otto Depenheuer, Das öffentliche Amt, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Heidelberg 20053, Paragraf 36,Rn. 67. Siehe auch Ulrich Hilp, "Den bösen Schein vermeiden": Zu Ethos und Recht des Amtes in Kirche und Staat, Berlin 2004, S. 104: Im Amt verkörpere sich "das republikanische Ethos des Gemeinwohls".

  9. Wirdî, mittelhochdeutsch Wirde, siehe näher Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854–1960, Bd. 30, Sp. 2060ff.

  10. Siehe auch Präambel und Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948.

  11. Vgl. Gerd Althoff, Würde, in: Lexikon des Mittelalters, Band IX, München 2002, Sp. 370f.; Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider – Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008, insb. S. 227ff.

  12. So etwa Friedrich Schiller in seinem Werk "Ueber Anmuth und Würde" von 1793.

  13. BVerfGE 87, 209 (228) (Tanz der Teufel), 20.10.1992.

  14. Vgl. Ingmar König, Der römische Staat, Stuttgart 2007, S. 58f. sowie S. 85.

  15. Deutlich bei Cicero, Über den Staat. Übersetzt von Walther Sontheimer, Stuttgart 1956/1983, I 43.

  16. Vgl. Georg Zenkert, Die Konstitution der Macht, Tübingen 2004, S. 133ff.

  17. Friedrich der Große, Das politische Testament von 1752, Stuttgart 2001, S. 139: "Angesichts der schlechten Erfolge der durchschnittlichen Erziehung der Prinzen souveräner Häuser habe ich mich oft gefragt, welche Wege einzuschlagen seien zur Herausbildung eines Mannes, der würdig ist, anderen zu gebieten." Alexander Hamilton et al., The Federalist No. 76, ed. Modern Library, S. 495: "The institution of delegated power implies that there is a portion of vertue and honor among mankind, which may be a reasonable foundation of confidence; and experience justifies the theory."

  18. Vgl. Hennis (Anm. 1), S. 62; Weber (Anm. 3), S. 675, hier als "Amtscharisma" bezeichnet.

  19. Zur Bekleidung als Ausdruck der Amtswürde Depenheuer (Anm. 8), Paragraf 36, Rn. 79ff.

  20. Weber (Anm. 3), S. 675.

  21. Dieser Achtungs- und Geltungsanspruch findet im Übrigen eine Konkretisierung im positiv-rechtlichen Ehranspruch gemäß Paragraf 45, 196 StGB.

  22. Dazu Schliesky (Anm. 4), S. 173ff.; Thomas Würtenberger, Zeitgeist und Recht, Tübingen 1991, S. 206, S. 230.

  23. Vgl. Michael Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, Tübingen 2006, S. 218ff.; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Heidelberg 199920, Rn. 121.

  24. BVerfGE 108, 282 (Kopftuch), 24.9.2003.

  25. BVerfGE 16, 94 (Wehrmachtspensionäre), 7.5.1963; 76, 256 (316) (Beamtenversorgung), 30.9.1987.

  26. Zur Treuepflicht siehe BVerfGE 39, 334 (Extremistenbeschluß), 22.5.1975.

  27. Etwa Paragraf 38 Beamtenstatusgesetz; Paragraf 44 Landesbeamtengesetz Landesrecht Schleswig-Holstein.

  28. Depenheuer (Anm. 8), Paragraf 36, Rn. 4.

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ist Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landtages und außerplanmäßiger Professor für Öffentliches Recht einschließlich Europarecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. E-Mail Link: uschliesky@lvstein.uni-kiel.de