Das Spiel „Deine Stimme“ ist ein Serious Game für Schulklassen, das auf eine Kombination aus Realfilmsequenzen und Wahl- und Abstimmungsrunden setzt. Entwickelt von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit richtet es sich an Jugendliche ab der 8. Jahrgangsstufe. Die Spielenden übernehmen nicht die Rolle klassischer Spielfiguren, sondern schlüpfen in die Position aktiver Bürgerinnen und Bürger in einem fiktiven Staat in naher Zukunft. Nach einem Jahr politischer Krise, zunehmender Gewalt auf den Straßen und dem Zusammenbruch des traditionellen Parteiensystems stehen vier neue Parteien zur Wahl: Cogito, KIP, Active und Troy – jede mit eigener Ausrichtung, Ideologie und medialer Inszenierung.
Zu Beginn des Spiels geraten die Spielenden mitten hinein in eine dramatische Szene: Der Aktivist und Streamer Lukas wird während eines nächtlichen Live-Streams Zeuge eines Raubüberfalls. Anstatt nur zu filmen, greift er ein – und wird dabei schwer verletzt. Die Tat, die live übertragen und wenig später in den Nachrichten aufgegriffen wird, wird zum landesweiten Aufreger. Sie entfacht eine hitzige Debatte über Kriminalität, Sicherheit und gesellschaftliche Verantwortung, die auch das zentrale Thema des folgenden Wahlkampfes bilden. Die folgenden interaktiven Videosequenzen finden im Stream der Influencerin Dalila statt. Diese reagiert auf verschiedene Videos und hat die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der vier neuen Parteien zu sich in den Stream eingeladen, um ihrem Publikum die Möglichkeit zu geben, mehr Einblicke in die politische Agenda der Gruppierungen zu erhalten.
Diskutiert wird über Gewalt, Waffenbesitz, Überwachung, künstliche Intelligenz, Datenschutz und das umstrittene Like-Points-System – eine Art Sozialkredit, mit dem sich Vorteile im Alltag verdienen lassen. Die Spielenden beobachten dabei nicht nur passiv: Sie liken oder disliken Beiträge oder stimmen zu Fragestellungen ab. Weiterhin können sie entscheiden, ob Faktenchecks zu bestimmten Sachverhalten durchgeführt werden sollen. Für diese müssen eine bestimmte Anzahl an Schülerinnen und Schülern aufstehen. Die erforderliche Anzahl nimmt im Laufe des Spieles zu. Weiterhin erhält die gesamte Klasse für erfolgte Abstimmungen Like-Points, mit denen am Ende des Spiels Belohnungen gekauft werden können, falls das System der Like-Points beibehalten wird.
Die Abstimmungen erfolgen offen per Handzeichen, wobei die Ergebnisse durch die Lehrkraft in das Abstimmungstool eingetragen werden. Wird nicht abgestimmt oder läuft die Zeit ab, entscheidet manchmal Dalila stellvertretend oder kommentiert die Passivität des Publikums, in jedem Fall läuft das Spiel weiter.
Ein zentrales Element bildet die Wahl gegen Ende des Spiels: Mit vorbereiteten Wahlzetteln stimmen die Schülerinnen und Schüler geheim für eine Partei. Das Ergebnis wird von der Lehrkraft ausgezählt und eingegeben und löst eines von sechs möglichen Enden aus, die von einem demokratischen Neuanfang bis zur Diktatur reichen. Besonders bemerkenswert: Auch nach der Wahl kann das Spielergebnis durch kollektiven Protest (immer die Hälfte der Gruppe +1) noch beeinflusst werden.
Das Spiel ist für den Einsatz im Klassenzimmer konzipiert und wird von einer Lehrkraft moderiert, die neutral bleiben soll und vor allem organisatorisch eingebunden ist. Zu Beginn gibt sie die Gruppengröße ein, und im weiteren Verlauf trägt sie die Abstimmungsergebnisse (per Handzeichen ermittelt) in das System ein. Die Steuerung erfolgt via Maus und Tastatur. Eine Pausenfunktion ist vorhanden, führt jedoch dazu, dass ganze Abschnitte neu gestartet werden müssen – ein Mechanismus, der das Durchspielen zusammenhängender Einheiten erzwingt. Ein Spulen ist nicht möglich. Die grafische Oberfläche ist modern und auf die Zielgruppe zugeschnitten. Die Optik erinnert an einen realistischen Live-Stream. Auch wird von den jugendlichen Figuren häufig Jugendsprache verwendet. Das Spiel thematisiert aktuelle gesellschaftliche Debatten wie Populismus, Desinformation, Lobbyismus, Datenschutz und KI in der Politik. Dabei bleibt es in seiner Fiktion offen genug, um keinen direkten Bezug zu realen Parteien oder Situationen herzustellen, wirkt jedoch durch Ästhetik, Sprache und Szenarien sehr realitätsnah. Es gibt keine klassischen „Levels“ oder Highscores, sondern ein kontinuierliches Storytelling mit Abstimmungen.
Die Spieldauer beträgt etwa 45 Minuten, exklusive Vor- und Nachbereitung. Erforderlich sind ein Beamer oder eine digitale Tafel, Lautsprecher, ein internetfähiger Rechner sowie ausgedruckte Materialien wie Wahlzettel, Parteiprogramme und eine Wahlurne (z. B. ein Karton). Eine Tutorial-Funktion ist nicht vorhanden, jedoch ist das Spiel in weiten Teilen selbsterklärend. Ein begleitendes Handbuch in Lang- und Kurzform für die Lehrkraft steht zur Verfügung.
KurzinfosDeine Stimme
Genre: interaktiver Film
Herausgeber: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit
Plattform: Windows, macOS
Erscheinungsdatum: 4. Dezember 2024
USK: nicht geprüft
Altersempfehlung: 8. Klasse oder höher
Pädagogische Einschätzung
Das Serious-Game „Deine Stimme“ legt den Schwerpunkt auf die Vermittlung von politischer Medienbildung und Demokratieerziehung. Durch die gezielte Förderung von Urteils- und Medienkompetenz soll es Jugendliche zu einer aufgeklärten und widerstandsfähigen Haltung in ihrer politischen Lebenswelt befähigen – und so einen Beitrag zur Stärkung der wehrhaften Demokratie leisten.
Zu den zentralen pädagogischen Stärken von „Deine Stimme“ zählt vor allem die erlebbare Durchführung demokratischer Prozesse. Das Spiel thematisiert politische Partizipation nicht nur, sondern lässt die Klasse aktiv daran mitwirken. Dabei erfahren die Schülerinnen und Schüler auf eindrückliche Weise, welche Bedeutung individuelle Beteiligung und kollektive Entscheidungsprozesse für eine lebendige und wehrhafte Demokratie haben. Unterstützt wird dieser Zugang durch einen hohen Realitätsbezug, insbesondere durch die grafische Anlehnung an bekannte Streaming-Formate wie Twitch, die eine enge Verbindung zur Medienwelt Jugendlicher herstellen. Diese Spielmechaniken wurden auch von der Testklasse als besonders positiv hervorgehoben. Geschickt wurden dabei aktuelle komplexe politische Themen wie Manipulationsstrategien, Überwachung, populistische Rhetorik und der Einsatz von Deepfakes in die Erzählung eingewoben. So kommen die Schülerinnen und Schüler beispielsweise beim Thema Deepfakes gar nicht um die Frage herum, ob die dargestellten Videos mit echten Schauspielern besetzt oder von einer KI generiert wurden. Es gab aber auch Elemente der Handlung, die die Testklasse kritisierte: So stößt der übermäßige Einsatz von Jugendsprache vereinzelt auf Irritation und wirkt stellenweise überzeichnet, was die Immersion hemmen kann. Auch die Einbindung des Like-Point-Shops erscheint nicht konsequent zu Ende gedacht und wirkt gerade in den ersten zwei Dritteln des Spiels eher beiläufig als strukturell notwendig.
QuelleDas Feedback unserer Testklasse
Auswertung
N=26 Schülerinnen und Schüler einer 10. Klasse, Gymnasium
Das pädagogische Begleitmaterial ist umfangreich und gut durchdacht. Es unterstützt Lehrkräfte effektiv bei der Vorbereitung und Durchführung beispielsweise im Politikunterricht. Dennoch ist Spielzeit und Nachbereitung auch in einer Doppelstunde nur knapp zu bewältigen, sodass sich der Einsatz am besten im Rahmen einer Unterrichtssequenz zu den Themen politische Strukturen, Populismus oder Demokratieverständnis eignet. So lassen sich die Reflexion der Spielerfahrungen und tiefergehende Diskussionen über die Inhalte des Spiels aufteilen. Eine Empfehlung wäre hierbei, unmittelbar nach dem Spiel die gemachten Erfahrungen, beispielsweise die Abstimmungsprozesse, mit den Schülerinnen und Schülern zu reflektieren und eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen auf kommende Stunden zu verschieben. Auch dafür stellt die Landeszentrale sinnvolles Material zur Verfügung. Ein besonderes Augenmerk kommt bei diesem Spiel der Rolle der Lehrkraft zu. Diese sollte das Spiel unbedingt vorher durchgesehen haben, damit sie von den Wendungen und Inhalten nicht überrascht wird und ihrer neutralen Rolle als Moderierende und Wahlbegleitende gut nachkommen kann. Dies heißt in diesem Fall auch, dass, falls die Klasse in den offenen Abstimmungsrunden unruhig wird und es zu verbalen Auseinandersetzungen kommen sollte, die Lehrkraft gut abwägen muss, ab wann ein Eingreifen unabdingbar ist und bis wann die Auseinandersetzungen zur demokratischen Findungsphase gehören. Nur dann können sich die Lerneffekte von „Deine Stimme“ voll entfalten. Dies hat aber zur Folge, dass die Lehrkraft die Abstimmungsrunden aufmerksam beobachten sollte, um diese im Anschluss strukturiert mit den Schülerinnen und Schülern nachbesprechen zu können. Denn es steckt ein enormes Lernpotential darin, das Abstimmungsverhalten der Klasse gemeinsam zu reflektieren. Ein sinnvolles Ergänzungsinstrument wäre ein strukturierter Interner Link: Beobachtungsbogen für Lehrkräfte (Beispiel zum Download), mit dem soziale Dynamiken während offener Abstimmungen – etwa mögliche Effekte wie die Interner Link: Schweigespirale – systematisch erfasst beziehungsweise erkannt werden können.